Stefan Schmidt
Gerhard Denk begrüßt Anja Schütz vor dem Eingang und fragt nach dem Bauernhof. Sie schüttelt den Kopf, sagt: Verkauft, und erzählt dann die ganze Geschichte. Michael Schäfer steht vor der Bühne und beobachtet, wie die Musiker der Kapelle ihre Instrumente stimmen. Seine Mutter hat einen Friseursalon, in dem er seine Lehre machte. Jetzt arbeitet er in Frankfurt und frisiert Bänker. Tina Schramm begrüßt die Hereinkommenden. Iris Pankhuis drückt schlaff ihre Hand und hofft, Lars Brinkmann zu sehen, der nahe der Bühne sitzt und mit Elmar Weiß über den DAX redet. Enno Jung betritt den Saal mit einer Brünetten. Sie setzen sich neben Markus Schwindt und unterhalten sich über dessen krebskranke Mutter, über irische Wolfshunde, Wellnessurlaub in Sankt Pölten und die meisten der hier Anwesenden. Peter Marquard steht schon am Buffet und probiert den Kartoffelsalat. Er telefoniert an diesem Abend noch mit seinem Freund, seiner Mutter, seinem Chef und dem Hotel, in dem er ein Zimmer reserviert hat. Oliver Vollmer bringt drei Flaschen Champagner mit, die er gleich in den Kühlschrank stellt. Gegen Ende des Abends fängt er mit Thomas Strecker einen Streit an, der von den Umsitzenden schnell geschlichtet wird. Sein Zwillingsbruder Felix Vollmer erscheint erst spät und angetrunken. Seine Kinderlähmung gilt als geheilt, wird aber in einigen Jahren wieder ausbrechen und ihn schließlich bis an sein Lebensende ans Bett fesseln. Birgit Steiger sitzt neben Felicitas Baumann. Sie reden über Marion Glucks, die nicht hatte kommen können oder wollen. Lange dreht sich ihr Gespräch darum, ob sie nun ernstlich krank sei. Eine schwere Grippe meint Birgit. Eine Abtreibung meint Felicitas. Jens Kötter tanzt mit Marion Schiefer und später noch mit Ira Hahn und Svenja Fuchs. Svenjas Freund kommt aus Köln und verbringt den Abend bei seiner Schwester um dort Kutteln zu essen, die Svenja sich weigert zu kochen. Klaus Gstrein, Frank und Thorsten Schütz, Thomas Gotten und Peter Weber gehören zur Band, die viele solcher Anlässe kennt. Herbert Sasser wurde letztes Jahr pensioniert und ist im Sommer mit dem Fahrrad von Riga nach Dubrovnik gefahren. Jetzt lebt er am Bodensee und gibt noch zwei Mal die Woche Nachhilfe in Mathematik und Physik. Sören Frömel spricht mit jedem, aber nur ein oder zwei Sätze. Akne hat an seinen Wangen tiefe Narben hinterlassen und seine Augen haben einen ungesunden Glanz. Thekla Sieben ist in Altersteilzeit. Sie pflegt ihren Mann gemeinsam mit ihrer Tochter in deren Zweifamilienhaus. Wenn sie nach Hause kommt, wird sie zunächst das Bad putzen müssen und dann das Bett neu beziehen. Ihr Mann schläft bis zwölf Uhr Mittags, dann wieder ab drei Uhr. Wenn sie nicht zu Hause ist, pinkelt er neben die Toilette und auf den Handtuchhalter. Stefan Anders ist bald schon sturzbetrunken und fragt jeden, ab der wievielten Scheidung man von Beziehungsunfähigkeit reden müsste. Und warum alle Frauen Oralsex widerlich fänden. Monogamie ist deswegen natürlich, meint Sibylle Kaul darauf, weil man sich nur einmal im Leben an ein schnarchendes, stinkendes Etwas gewöhnen könne, das jede Nacht neben einem liegt. Tina Schramm hält eine kurze Rede, die alle ignorieren. Danach spricht Kurt Herzberg und psalmodiert über Alter, Reife und Erfolg. Zwei der Anwesenden werden an dem Abend noch einen Autounfall haben, einer wird seine Frau, eine ihren Mann schlagen, fünf haben Sex, zwei davon miteinander. Zwei werden nüchtern ins Bett gehen, vier in das eigene, zehn mit schlechter Laune. Die Wehmut packt fünf bis sechs, die Ernüchterung beinahe zwanzig, die Besorgnis nur zwei oder drei. Eine wird, nachdem sie noch zwei Stunden ihre Wohnung in Ordnung gebracht hat, mit dem Wunsch einschlafen, alleine aufzuwachen. Und einer wird bis zum Schluss sitzen bleiben, wird die Tische abräumen, wird volle Müllsäcke vor die Tür der Halle stellen, wird Gläser abspülen und wieder in Kartons verpacken, wird die Zapfanlage abschrauben, schließlich noch schnell durchfegen und dann das Licht ausmachen.
Stefan Schmidt
Hallo Klara,
So ist es, der Text war anfangs bestimmt um die Hälfte länger. Dann sind einige Teilnehmer des Klassentreffens von mir wieder ausgeladen worden
Freut mich jedenfalls, dass du den Text, so wie er ist, stimmig findest!
Klara, Mucki - HÖRVERSION??? Ob der Text dafür taugt??? Und meine Stimme, die ist ungefähr so interessant wie meine Frisur. werde es trotzdem mal versuchen....vielleicht
Vielen Dank euch beiden und auch dir, Max!
Liebe Grüße
Sam
Klara hat geschrieben:Ich vermute, dass da einiges an Kürz-Arbeit schon drinsteckt. Der aufzählende Charakter ist - vermute ich ebenfalls - gewollt und stimmig.
So ist es, der Text war anfangs bestimmt um die Hälfte länger. Dann sind einige Teilnehmer des Klassentreffens von mir wieder ausgeladen worden

Freut mich jedenfalls, dass du den Text, so wie er ist, stimmig findest!
Klara, Mucki - HÖRVERSION??? Ob der Text dafür taugt??? Und meine Stimme, die ist ungefähr so interessant wie meine Frisur. werde es trotzdem mal versuchen....vielleicht

Vielen Dank euch beiden und auch dir, Max!
Liebe Grüße
Sam
- Thomas Milser
- Beiträge: 6069
- Registriert: 14.05.2006
- Geschlecht:
Hallo Sam,
endlich die Zeit, dass ich mir mal deine Sachen in Ruhe anschauen kann. Ich hatte beim neuerlichen Überfliegen direkt in der ersten Zeile den Namen 'Anja Schütz' gelesen, und dachte bei mir: Woher kennt der die denn? Eine alte Bekannte von mir! Wohnt hier um die Ecke!
Ich hatte vorher keine Komms gelesen, also auch nicht deinen letzten, und nach drei Zeilen hatte ich ein 'Klassentreffen' vor Augen. Ohne Zweifel. Das liegt auch daran, dass man sich die ganzen Namen der Leute kaum so ausdenken kann, mit all den normalen 'Zufälligkeiten', so wie mehrere denselben Nachnahmen haben (wieder die Schütz', die Herren kenne ich aber nicht), oder der Typ mit den zwei 'ö'. Oder hast du die doch selbst erfunden? Das wäre 'ne Glanzleistung. Zufälligkeit gestalten ist mit das Schwierigste in der Kunst.
Ich finde den Text auch nicht zu lang, weil es dir gelingt, wirklich virtuos die Charaktere zu zeichnen, in ganz knappen Andeutungen. Was nicht wunder nimmt, wenn es sich um ein reales Treffen gehandelt hat, und du mit der Geschichte der Leute vertraut bist. Und doch, wenn nicht.
Sehr schön auch die Vorausschauen, was mit den Leuten in Zukunft passieren wird. Gepaart mit der Litanei am Schluss, also der statistischen Aufzählung, grinst das Bild des gelangweilten, teilnahmslosen Gastgebers aus jeder Pore. Und dass die Überschrift eben nicht 'Klassentreffen' lautet, sondern nur ein Name von vielen ist, tut sein Übriges.
Das würde ich gerne als Sonntags-Kolumne in einer der nächsten Wochen übernehmen. Wenn du nix dagegen hast :o)
Tom.
endlich die Zeit, dass ich mir mal deine Sachen in Ruhe anschauen kann. Ich hatte beim neuerlichen Überfliegen direkt in der ersten Zeile den Namen 'Anja Schütz' gelesen, und dachte bei mir: Woher kennt der die denn? Eine alte Bekannte von mir! Wohnt hier um die Ecke!
Ich hatte vorher keine Komms gelesen, also auch nicht deinen letzten, und nach drei Zeilen hatte ich ein 'Klassentreffen' vor Augen. Ohne Zweifel. Das liegt auch daran, dass man sich die ganzen Namen der Leute kaum so ausdenken kann, mit all den normalen 'Zufälligkeiten', so wie mehrere denselben Nachnahmen haben (wieder die Schütz', die Herren kenne ich aber nicht), oder der Typ mit den zwei 'ö'. Oder hast du die doch selbst erfunden? Das wäre 'ne Glanzleistung. Zufälligkeit gestalten ist mit das Schwierigste in der Kunst.
Ich finde den Text auch nicht zu lang, weil es dir gelingt, wirklich virtuos die Charaktere zu zeichnen, in ganz knappen Andeutungen. Was nicht wunder nimmt, wenn es sich um ein reales Treffen gehandelt hat, und du mit der Geschichte der Leute vertraut bist. Und doch, wenn nicht.
Sehr schön auch die Vorausschauen, was mit den Leuten in Zukunft passieren wird. Gepaart mit der Litanei am Schluss, also der statistischen Aufzählung, grinst das Bild des gelangweilten, teilnahmslosen Gastgebers aus jeder Pore. Und dass die Überschrift eben nicht 'Klassentreffen' lautet, sondern nur ein Name von vielen ist, tut sein Übriges.
Das würde ich gerne als Sonntags-Kolumne in einer der nächsten Wochen übernehmen. Wenn du nix dagegen hast :o)
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
Hallo Tom,
schön, dass du die Kurzprosaecke für dich "wiederentdeckt" hast!
Zunächst: Wenn du den Text als kolumnentauglich ansiehst, kannst du ihn selbtverständlich dafür nehmen. Würde mich freuen.
Es handelt sich hier um ein Klassentreffen, aber nicht um ein reales. Ehrlich gesagt war ich noch nie auf einem Klassentreffen. Die Namen sind größtenteils erfunden (was man daran sieht - wie mir ein aufmerksamer Leser mitteilte- dass es keine drei oder mehrsilbigen Namen gibt), teilweise gab es mal in ferner Vergangenheit Diesen oder Jenen, der/die so hieß. Die Geschichten dahinter aber sind alle erfunden.
Freut mich, dass es dir gefällt. Dank dir für's Lesen und Kommentieren!
Liebe Grüße
Sam
schön, dass du die Kurzprosaecke für dich "wiederentdeckt" hast!
Zunächst: Wenn du den Text als kolumnentauglich ansiehst, kannst du ihn selbtverständlich dafür nehmen. Würde mich freuen.
Es handelt sich hier um ein Klassentreffen, aber nicht um ein reales. Ehrlich gesagt war ich noch nie auf einem Klassentreffen. Die Namen sind größtenteils erfunden (was man daran sieht - wie mir ein aufmerksamer Leser mitteilte- dass es keine drei oder mehrsilbigen Namen gibt), teilweise gab es mal in ferner Vergangenheit Diesen oder Jenen, der/die so hieß. Die Geschichten dahinter aber sind alle erfunden.
Freut mich, dass es dir gefällt. Dank dir für's Lesen und Kommentieren!
Liebe Grüße
Sam
- Thomas Milser
- Beiträge: 6069
- Registriert: 14.05.2006
- Geschlecht:
Wenn's erfunden ist, find' ich's noch besser :o)
Meinst du drei- oder mehrsilbige Nachnahmen? Hurzelspurger oder so?
Tom
Meinst du drei- oder mehrsilbige Nachnahmen? Hurzelspurger oder so?
Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
- Thomas Milser
- Beiträge: 6069
- Registriert: 14.05.2006
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Kannst du doch noch nachholen?
Doch bedenke: Das Vorkommen eines jeden Typus' ist dann auch schon wieder zu genormt.
Wobei Doppelnamen wahrscheinlich in der Generation relativ häufig vorkommen.
Sagt
Klaus-Bernard-Tom von Hackenstiel-Schüppenburg.
Doch bedenke: Das Vorkommen eines jeden Typus' ist dann auch schon wieder zu genormt.
Wobei Doppelnamen wahrscheinlich in der Generation relativ häufig vorkommen.
Sagt
Klaus-Bernard-Tom von Hackenstiel-Schüppenburg.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
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