Olaf will in den Süden

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Sam

Beitragvon Sam » 06.06.2007, 18:29

Olaf will in den Süden

Sich aus dem Staub machen, das wär’s. Auf und davon, Richtung Süden.
Die nackten Füße auf sonnenverbrannte Erde setzen, heißen Sand durch die Finger rieseln lassen und auf abenteuerliche Weise ganz und gar Herr seiner selbst sein. Wie der Marlboromann.
Aber noch verbringt er den größten Teil der Woche in einem Supermarkt. Füllt Regale auf, sitzt an der Kasse, wechselt die Behälter des Leergutannahmeapparates. Seit drei Jahren nun schon. Als Kollegen hat er nur dicke, geschiedene Frauen über vierzig. Und als Chef einen Supermarktleiter. Ein kleiner Mann, naturgemäß. Alle Supermarktleiter sind kleine Männer, die es anderswo zu nichts gebracht haben. Supermarktleiter ist der Versagerjob schlechthin. Dafür muss man nichts können. Man muss nur bereit sein 80 Stunden in der Woche zu arbeiten. Ansonsten kann man nach Belieben ein Arschloch sein und seine Untergebenen anmaulen wo sie gehen und stehen. Die Kontrolleure von der Firmenzentrale, die so von Zeit zu Zeit auftauchen, fragen nicht, ob der Supermarktleiter ein Arschloch ist. Das setzen die voraus. Die würden sogar Orks einstellen. Hauptsache der Markt ist voll und sauber.


Ein Supermarkt ist wie eine Futterrinne in einem Schweinestall, denkt er. Die Menschen werden hierher getrieben durch Instinkt, Faulheit und Gier. Dabei würde niemand in einen Supermarkt gehen, wenn er nicht müsste. Er kann sich keinen unfreundlicheren Ort vorstellen. Nirgends sonst werden lebensnotwendige Dinge so lieblos angeboten.

Seit einiger Zeit trifft er sich mit dem neuen Lehrmädchen (also sind nicht alle Kollegen über vierzig) und hat das Gefühl auf sie aufpassen zu müssen. Aber der Süden ruft.

Manchmal verkaufen sie Billigtickets nach Mallorca oder Thessaloniki. Dann sitzt er an der Kasse, zieht die Tickets über den Barcodeleser und fühlt sich wie ein Grenzbeamter, der Leute ausreisen lässt, während er selber da bleiben muss.
Was er will, ist in den Sonnenuntergang reiten. Aber er hat noch nicht mal einen Sonnenuntergang. In der Siedlung, in der er wohnt, gibt es so was nicht. Da gibt es nur Lichtstunden, wenn die Sonne über den Wohntürmen steht.
Einmal versuchte er es mit zwei Wochen Türkei. All-Inclusive. Das war alles furchtbar gut, nette Leute überall und er traf sogar eine, die ihm noch Wochen später E-Mails schrieb. Aber im Grunde war das nur Urlaub wie RTL II gucken. Und hatte mit seinem Süden so gar nichts zu tun.

Eines Abends erzählt er dem neuen Lehrmädchen von seinem Süden. Sie hört zu und fragt ihn dann, ob er sie mitnehmen würde.
Da muss er überlegen. Schließlich ist sein Süden eigentlich sehr klein. In Wirklichkeit ist es so ein kleiner Süden, dass er gerade mal selber hineinpasst. Und er sagt, mal sehen.

Am nächsten Morgen wacht er auf und denkt sich:
Sich aus dem Staub machen, das wär’s.

Sam

Beitragvon Sam » 12.06.2007, 06:44

Hallo Gerda,

Dass ich ihn nicht in meinen Text einbauen wollen würde, ist wieder eine andere Sache. Verzeih, das war eine reine Geschmacksäußerung.


Liebe Gerda, da gibt es nichts zu verzeihen. Ich würde sagen, dass ein beträchtlicher Teil der Kritik, die wir alle hier im Forum äussern, Geschmackssache ist. Aber das ist ja auch gut so, denn der Leser entscheidet schliesslich auch nach seinem Geschmack, und nicht nach hermeneutischen Gesichtspunkten, ob ihm ein Text gefällt. Da diese Art von Texten, die ich schreibe, sehr konkret ist, fällt auch die Reaktion auf sie immer sehr unterschiedlich aus, da der Leser sie automatisch mit eigenen Erfahrungen/Assoziationen abgleicht. Ergo "schmeckt" jeder den Text irgendwie anders. Und so werden die Kommentare auch "Geschmackssache". Und wie ein jeder schmeckt, interessiert mich als Autor natürlich sehr.

Jedenfalls freut es mich sehr, dass du die Südensehnsucht Olafs gut umgesetzt und beschrieben findest!

Herzlichen Dank für deinen Kommentar!

Liebe Grüße

Sam


OT zum Thema Supermarkt:

Das erste Jahr in Ecuador. Wir lebten in einem kleinen Ort, in dem die einzige Einkaufsmöglichkeit ein Markt war, eng, dunkel und überfüllt wie ein orientalischer Basar. Natürlich gab es nirgends irgendwelche Preisauszeichnungen. An jedem Stand, ob wir Kartoffeln, Mais, Bohnen, Hühnerfleisch oder ein paar Tücher kaufen wollten, die gleiche Prozedur. Nachfragen, was es kostet. Und immer bekamen wir mindestens einen doppelt so hohen Preis genannt, wie von den Einheimischen verlangt wurde (unser Spanisch war schon gut genug, dass wir verstanden, welche Preise den einheimischen Marktbesuchern genannt wurden). Also verhandeln und feilschen, für jede blöde Kartoffel.
Als ein Jahr später im Nachbarort ein Supermarkt einer amerikanischen Kette eröffnet wurde, kamen wir uns vor wie im Paradies. Geräumig, hell und vor allem, vor jeder Ware ein Preis. Und genau der wurde von uns an der Kasse auch verlangt. Luxus pur!
Vielleicht rührt daher meine Affination zu Supermärkten, vor allem den großen, hellen, mit langen und vollen Regalen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.09.2008, 18:42

Lieber Sam,

die Diskussion zum Text ist hier ja schon länger abgeschlossen - aber weil ich gerade den Olafteil II entdeckt habe und aufgrund deines Verweises erst den ersten lesen wollte (hoffentlich hab ich nicht schon kommentiert und erinnere mich nicht mehr dran .-)), wollte ich im Vorbeischlendern nur sagen, dass ich diesen Satz/dieses Ende, sehr fein finde:

Da muss er überlegen. Schließlich ist sein Süden eigentlich sehr klein. In Wirklichkeit ist es so ein kleiner Süden, dass er gerade mal selber hineinpasst. Und er sagt, mal sehen

ich finde damit machst du die Spanne auf zwischen tristem Deutsch-supermarkt-tag (den du gut, aber an manchen Stellen mit schon bekannten Typenbeschreibungen (kleiner Supermarktleiter etc.) und dem Geiz des Inneren, der dadurch etnsteht. Und zwar lohnt sich das doppelt, denn hat man diese Spanne erkannt, so erkennt man auch, dass es wohl auch andersherum entsteht: dass der innere Geiz zum Deutsch-Supermarkt-Tag führt.

Gerne gelesen!

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Sam

Beitragvon Sam » 16.09.2008, 20:43

Hallo Lisa,

Geiz des Inneren - das gefällt mir, weil es sehr gut trifft, woran Olaf eigentlich leidet, bzw. wohin ihn sein Supermarktalltag, unterbrochen von unrealistischen Träumereien, geführt hat.

Halb herzlichen Dank!

Liebe Grüße

Sam


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