das haus des schlafes

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.12.2006, 02:45

thomas milser
2006


das haus des schlafes


sumpfstapfend
schieben wir immer noch
die nachen durch den morast

als ob es stetig
um uns weiterflösse
ohne zugetan

aber wir irren, weißt du?

und das haus des schlafes hat keine fenster
denn das licht, mein freund
das gibt es nicht
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 25.12.2006, 02:50, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

carl
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Beitragvon carl » 04.01.2007, 10:54

Hallo Tom,

ich find's nett, dass Du mir meine Assoziationen lassen willst!
Aber ich finde, Du stellst Dein Licht unter den Scheffel, bzw. ins fensterlose, alter Junge ;-)
Es kommt ja nich so drauf an, was man sich alles tolles gedacht hat... ne?

LG, Carl

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 04.01.2007, 11:43

Ach Carlemann,
i woiß bold gar nimmer, wos i denke soll...

In Zeiten der Wirrnis und des Wandels sollte man - also ich - vielleicht besser die Goschen halten.
Ich stand jedoch unter vehementem, inneren Publikationszwang, ohne mir über dessen Folgen bewusst zu sein... und nun im kurzen Hemd...

Füeti..

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

carl
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Beitragvon carl » 05.01.2007, 12:26

Hallo Tom,

ich bin's nochmal...
(der Bauernbursche steht Dir nicht so besonders, mit besten Grüßen von Deinem Persönlichkeitsberater)

Du hättest nicht soviel Reaktion geerntet auf Dein eben-mal-so-Hingeschriebenes, wenn Du keinen Nerv getroffen hättest.
Und meine Assoziationen dazu sind nicht ganz unverbindlich: Du hast mehr gesagt, als beabsichtigt (was Deinen eigenen Aussagen nach ja nicht schwer wäre, da Du ja gar nichts beabsichtigtest. Und eben deswegen ist es noch mehr als bloß mehr als nix!)

Du kannst in Dinem Gedicht probehalber statt "wir" "du" einsetzen: das Gerdicht funktioniert auch, ein Selbstgespräch entsteht (das wär dann schon eher was für Benn, aber der stapft nicht gern im Sumpf).
Aber das Gedicht verliert.
Auch wenn Du selbst Dich als Einzelnen erlebst: Du hast das Bedürfnis Dich mitzuteilen! Und sei es einem Wildfremden. Wo? Du schreibst selbst in einem Deiner Kommentare: irgendeinem unterwegs. Das ist die Gemeinsamkeit.
"wir" ist kein Zufall.
Sind es nicht "vier alle" um mal einen andern bedeutenden Lyriker zu zitieren (Otto, falls Du sein "Wort zum Montag" nicht kennen solltes.)

Auch wenn ich euer Bild von den Wolgatreidlern nicht kenne: Das Thema stimmt nicht.
Es geht um Fronarbeit. Das Ende der Reise wird nur um des Endes der Arbeit herbeigesehnt. Die Treidler sind nicht unterwegs, im Gegenteil, fast angekettet.
Die haben ein anderes Ziel, als es der Reisende hat.
In Deinem Gedicht sind aber Leute unterwegs.

In der 2. Strophe verselbstständigt sich das Unterwegssein. Sorry, das steht so im Text und ich sehe keine wirklich andere stimmige Deutung.
Selbst das "zugetan" als sinngemäß "ohne zutun", wie Max und Du es verstehen, bleibt nach Deiner Aussage ein "zugetan sein". Soll das eine Untertreibung sein? Das wäre dann das Understatement des Jahres!
Aber es passt nicht in den Kontext.
Für mich meldet sich da ganz metalogisch ein Akzeptanz dessen, was ist.
Selbst, wenn das Sein ein Irren ist.
An sich auch keine neue Erkenntnis, aber Du sprichst sie nochmal so aus, dass alle sich angesprochen fühlen.
Auch ohne Klarheit, wieso eigentlich.

Das bündelt sich in dem "mein Freund".
Das empfinde ich weder jovial noch herablassend (alter Junge, ne!), sondern als Ansprache an uns, die wir in der selben Scheiße stecken.
Und sie gemeinsam bestehen müssen... oder eben alleine.

Und letztlich: Du hast das Bild einer klassischen Outdoor-Situation gewählt!
Ich komme grad vom Besuch meiner Schwestern: Die hätten noch mehr Grund sich über Sisyphus zu beklagen. Aber sie würden niemals das Bild vom Nachen im Sumpf nachts bei Regen dafür wählen...
Das ist am wenigsten Zufall.
Es verbindet und heilt alle vermeindlichen Sprünge, die ihr diskutiert habt.
Außer dem vom "haus des schlafes". Das trifft zwar den Nerv.
Aber es ist kein Haus und es ist kein Schlaf.

Und letztlich: eine Interpretationsmöglichkeit ist nicht alle.

LG, Carl

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 11.01.2007, 21:03

So du lieber Carl,

ich habe jetzt dreimal deinen letzten Kommentar gelesen, und fühle mich so langsam gewappnet, dazu mal was sinnvolles zu sagen (ein Versuch):

Der Bauernbursche ist kein Bauernbursche sondern ein Naturbursche im Stadtmenschpelz, der ein paar Tage unter Eben-solchen-Dialekt-sprechenden-Menschen etwas stark adaptiert hat. Hat sich schon wieder gelegt. Und nicht jeder Mensch, der so spricht, hat zwingend etwas mit Landwirtschaft zu tun, also füeti! :o)

Etwas Eben-mal-so-Hingeschriebenes ist ja nicht zwangsläufig etwas Eben-mal-so-Erlebtes, sondern, wie in diesem Fall, der Endpunkt eines langanhaltenden und belastenden Gedankens. Nennen wir es Entladung. Ein Blitz denkt auch nicht drüber nach, wo er jetzt am besten mal einschlagen könnte.
Und: "Und eben deswegen ist es noch mehr als bloß mehr als nix!" ist ein wunderbarer Satz.

Otto kenne ich natürlich, und seit ich eine geweihte Christopherus-Plakete an meiner Gitarre habe, bin ich nie mehr mit einer anderen Gitarre zusammengestoßen. Und das "irgendein unterwegs" war eine verrauchte Kneipe, wo endlich eine erkleckliche Menge spirituellen Getränkes die heißersehnten Tränen - sprich: Worte - fließen ließ. First take. Keine Nachverhandlungen, keine Gefangenen. Buch zu, anderes Thema.

Bis dahin laufen wir konform. Nicht zustimmen kann ich deiner These, es seinen 'Leute unterwegs'. Das liegt voll daneben, das Thema ist 'Stillstand', 'Nicht-Weiterkommen'. Darum passt für mich das Bild der Treidler sehr wohl. Insofern kann ich dem, was du über die zweite Strophe schreibst, auch nicht zustimmen. Wenn du immer noch das 'zugetan Sein' erkennst, habe ich mich unklar ausgedrückt in meinem Kommentar. Ich meine es wirklich ausschließlich als 'ohne zutun'. 'zugetan sein' im Sine von 'zugeneigt' ergäbe für mich hier keinen Sinn.

Dass es sich um eine Ansprache handelt, ist unbestritten. Na klar, der Wunsch, sich mitzuteilen. Deshalb sprach ich auch weiter oben von 'Publikationszwang'. Raus damt, bevor es eitert.

Und wie gesagt: Zwischen der letzten Strophe und den vorangegangenen besteht kein direkter, logischer Zusammenhang, außer einem ganz persönlichen, emotionalen. Ich versuche eine Erklärung der letzten Strophe:
Mein reales Schlafzimmer hat kein transparentes Fenster, sondern lediglich transluzente Glaselemente, die nur diffuses Licht einlassen. Es gibt keinen Ausblick (sprwtl. 'keine Fenster'). Soviel zum Bühnenbild.
Oft empfand ich den Schlaf als heilenden Rückzug vor dem Licht (Leben). Als könne man Stillstand erzeugen, die Zeit anhalten. Was aber nicht stimmt. Man altert weiter, die Lebenszeit verrinnt unvermindert, die Probleme lösen sich nicht währenddessen. Einschlafen ist deshalb nichts weiter als ein bisschen mehr sterben jedesmal. Und darum gibts im Haus des Schlafes kein Licht.

Gute Nacht,
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Beitragvon carl » 12.01.2007, 10:33

Lieber Tom,

Dank nochmal für Deine Erläuterungen.
Da habe ich die Interpretationsmöglichkeiten wohl überstrapaziert...

LG, Carl

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 12.01.2007, 10:46

Immer noch besser als übertapeziert...

Hab Dank für die Auseinandersetzung; jetzt habe sogar ich mein Gedicht vollends verstanden :o)

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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