Moment mal, was hast du da gerade gesagt, Mara?
Kein rotes Fleisch? Ok. Kein Weißmehl, kein Alkohol? Auch ok. Aber auf Milch und Käse verzichten? Never ever!
Lauthals brüllte Mona die letzten Worte ins Telefon.
Wie ein Tier im Käfig durchschnaubte sie das Wohnzimmer, hielt den Hörer fest umklammert und ans Ohr gepresst.
Jetzt beruhige dich doch, meine Güte, Mona, es gibt Schlimmeres.
Ja, natürlich, schlimmer geht immer, nicht wahr, hör doch auf mit diesem blöden Spruch. Du verstehst das nicht, Mara. Es geht ja hier nicht nur um ein einfaches Lebensmittel!
Worum denn dann, Mona? Das versteh ich in der Tat nicht.
Büffelmilch, flüsterte Mona jetzt.
Und sprach nach einer kurzen Pause weiter:
Mutters verzweifelte Versuche mich zu stillen, weißt du, quittierte ich mit Spucken und Schreien und totaler Verweigerung. Pulvermilch gab es damals bei uns noch nicht. Büffelmilch war somit die erste Milch, die ich verdünnt zu trinken bekam.
Fingerdick bildete sich der Rahm auf der gekochten Milch. Und wie der schmeckte! Als ich älter war, aß ich ihn auf frisches Brot gestrichen und mit Honig beträufelt.
Für den Urlaub am Schwarzen Meer, ich muss so fünf Jahre alt gewesen sein, hatten meine Eltern für teures Geld eine Packung Pulvermilch aus dem Westen organisiert. Damit das Kind seine Milch trinken kann. Aber ich trank sie nicht. Ich verweigerte und schrie so lange, bis Vater einen Bauern ausfindig gemacht hatte, von dem er mir jeden zweiten Abend einen Liter frische Kuhmilch brachte. Jedes Mal, wenn er sich mit der Milchkanne auf den einige Kilometer langen Weg machte, setzte ich mich auf einen Stuhl und wartete still so lange, bis er wieder zurück kam. Ich kannte den Weg nicht, den er ging, aber ich malte ihn mir aus. Und ich sah meinen Vater, der bei einbrechender Dunkelheit allein und nur für mich diesen Weg zwischen Büschen und verbranntem Gras entlanglief, um mir eine Milch zu bringen, in der ich alle Düfte der Landschaft und seine Gedanken zu finden glaubte.
Und dann Großmutters Katzen.
Ich konnte mich als Kind nicht sattsehen daran, wie sie ihre Milch schlabberten. Ich holte dann immer mein Stühlchen und setzte mich zu ihnen. Großmutter brachte auch mir ein großes Glas und musste, als ich es ausgetrunken hatte, immer meinen weißen Schnurrbart bewundern.
Und einmal sah ich zu, wie sie ein Kätzchen mit der Pipette aufpäppelte, das zu schwach war, um bei seiner Mutter zu trinken. Tröpfchenweise flößte sie ihm die weiße wunderbare Flüssigkeit ein, dank derer es schließlich überlebte. So wie ich jedes Kratzen im Hals mit heißer Milch und Honig, wenn die kalten Herbst- und Wintertage mal wieder stärker gewesen waren.
Und, Mara, niemals konnte ich mit Schokolade geködert werden, wiewohl es sie selten gab. Mit Käse hingegen schon.
Mara? Hallo? Bist du noch dran?
Alles gut, Mona, ja, ich bin noch dran. Und ich verstehe jetzt, glaub ich.
Milch, das ist auch verstofflichte Erinnerung für mich, Mara, und die muss genährt werden. Damit sie nicht zu mager wird und womöglich eines Tages ganz verschwindet. Deshalb kann ich darauf niemals verzichten.
Nachdem Mona aufgelegt hatte, ging sie in die Küche, nahm aus dem Kühlschrank eine Packung frische Vollmilch und öffnete sie. Na gut, dachte sie, muss ja vielleicht nicht immer und wie so oft früher gleich ein halber Liter oder mehr auf einmal sein. Sie schenkte sich ein Glas ein, wandte sich mit einem Prost Rheuma nach links, danach mit einem Prost Arthritis nach rechts und genoss die Milch in vollen Zügen.
/c/ mk, 10/13
Milch
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