schwarz auf weiß

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Nicole

Beitragvon Nicole » 24.02.2008, 17:03

Ein Druck auf die Fernbedienung, die Warnblinkanlage ihres Wagens antwortet mit einem kurzen Leuchtsignal. Die Innenraumbeleuchtung geht an, einzig helles Objekt auf dem dunklen, leeren Parkplatz. Mit routinierten Bewegungen öffnet sie die Fahrertür, wirft die Aktentasche auf den Beifahrersitz, zieht Zigarettenschachtel und Feuerzeug aus der Jackentasche. Während sie sich hinter das Steuer gleiten lässt, schiebt sie eine Zigarette zwischen die Lippen, die Schachtel landet griffbereit im Ablagefach zwischen den Sitzen. Den Schlüssel ins Armaturenbrett schieben, Zigarette an. Sie lehnt sich zurück, inhaliert tief und schließt die Augen. Feierabend.

Gerade, als Sie den Finger auf den Startknopf legt, klingelt ihr Handy. Ein kurzer Blick auf das Display, sie setzt ein routiniertes Lächeln auf.
„Hallo, Frau Schumann.“

„Nein, nein, sie stören nicht.“

„Ja, bitte, stellen Sie durch.“

“ Guten Abend, Herr Harding.“

“ Ich sitze auf dem Sofa und ...“ ein kurzer Blick auf die Uhr „schaue gerade die Tagesthemen.“

Sie lacht auf. „ Nein, nichts wirklich interessantes...“

„Ja, natürlich.“

„Verstehe.“

„Das Gespräch ist wann?“ Sie lehnt den Kopf an die Kopfstütze.

„Ach, nichts Wichtiges, das kann ich verschieben.“

„ Er ist gerade kurz raus gegangen, aber ich richte es ihm gerne aus!“

„Ja, danke gleichfalls.“

Einen kurzen Moment bleibt sie ruhig sitzen, tippt dann eine Nummer in ihr Handy.
„Hi Liebes, ich bin es.“

„Du, paß auf, ich muss leider absagen...“

„Nein, nein...Ich habe da gestern am Flughafen jemanden kennen gelernt ... und ...“

„Wie? ... Thomas, Thomas ... Vieth, er ist Architekt“

„Verschiedenes ... echt tolle Objekte sage ich Dir ...“

„Nein, er ist nicht verheiratet, er ist ... er lebt in Trennung ... Auf jeden Fall hat er mich zum Essen eingeladen und ich hab mir gerade ein todschickes Kleid gekauft und ...“

„Ach, dass ist lieb, das Du nicht böse bist...“

„Ja, ich wünsche Euch auch einen schönen Abend!“

„Na klar, ich erzähle dann.“

„In allen Einzelheiten, versprochen!“

„Okay, ja, bis dann.“
Sie nimmt ihr Notizbuch zur Hand, streicht die letzte Eintragung und notiert darunter „Thomas Vieth, Architekt, Trennung, Abendessen.“ Und eine Zeile weiter „neues Abendkleid bestellen!“ Drei Ausrufezeichen.
Sie startet den Wagen.

Beim Betreten der Wohnung empfängt sie das Lichtsignal des Anrufbeantworters. Eine Nachricht ihrer Mutter. Sie geht in die Küche, schaltet den Backofen ein, nimmt eine halbleere Weinflasche aus dem Kühlschrank. Aus dem gestapelten Geschirr auf dem Spülstein sucht sie ein Weinglas heraus, spült es flüchtig unter fließendem Wasser ab, schenkt sich ein. An die Arbeitsplatte angelehnt, wirft sie einen kurzen Blick in ihr Notizbuch, nimmt dann das Telefon zur Hand und drückt die Wahlwiederholungstaste.
„Hi Mam. Du hattest angerufen.“

„Ja, sorry, ich war noch mit Simone unterwegs.“

„Nein, ich hab noch nicht mit ihm gesprochen ... hatte ich Dir doch erzählt ... er ist auf Geschäftsreise in Portugal.“

„Schwer zu sagen. Mindestens … zehn Tage noch, denke ich“

„Ja, Mama, ich werde das mit ihm klären, wenn er wieder da ist.“

„Nein, ich sagte doch schon, kein anderer Mann ...“

„Ja, natürlich möchte ich, dass er wieder zurückkommt.“

„Klar, Mama.“

„Dir auch.“

„Ja, ich melde mich..“

„Ich dich auch. Gute Nacht.“

Sie blättert in ihrem Notizbuch. Schnell hat sie die gesuchte Eintragung gefunden und fügt das aktuelle Datum und „+ 10 “ hinzu.

Sie nimmt eine Pizza aus dem Kühlfach, öffnet die Verpackung und schiebt sie in den Ofen. Kurzzeitwecker auf zwölf Minuten. Mit geschlossenen Augen bleibt sie an die Arbeitsplatte gelehnt stehen.

Ein lautes Klingeln erinnert sie daran, die Pizza aus dem Ofen zu holen. Sie schneidet handliche Tortenstücke. In Ermangelung eines sauberen Tellers schiebt sie das Brotmesser vom Schneidebrett, schüttet die Brotkrumen in die Spüle und stapelt die Pizzastücke auf dem Brettchen. Zusammen mit dem Weinglas stellt sie es auf den Küchentisch, neben ein großes Kugelglas mit einem dunkelroten Goldfisch darin.
„Guten Abend Goliath. Na, wie war Dein Tag?“
Vorsichtig taucht sie den Finger ins Wasser und versucht den Fisch mit der Fingerspitze zu berühren.
„Oh je, Du hast Recht, entschuldige.“
Sie steht auf, schaut sich suchend um und zieht dann die Dose mit dem Fischfutter hinter der leeren Obstschale hervor.
„So, mein Dicker, Abendessen!“
Kurz darauf schiebt sie das Brettchen von sich. Zwei Pizzastücke sind übrig.
„Die sind dann für später, Goliath. Paß gut darauf auf, ja?“

Mit dem Zeigefinger klopf sie gegen das Glas, nimmt ihre Aktentasche und fährt im Arbeitszimmer den Computer hoch. Das E-Mail Postfach meldet zehn neue Nachrichten. Die Viagra-Angebote wandern ungelesen in den Papierkorb, die Bestellbestätigung von amazon überfliegt sie kurz und notiert das genannte Lieferdatum in ihr Notizbuch. Schließlich öffnet sie die letzte Mail mit dem Hinweis „Sie haben eine persönliche Nachricht“, klickt auf den enthaltenen Link, loggt sich im Forum ein und liest.
Kurz überlegt sie, schaut auf den Kalender und antwortet dann:
„Liebe Mama2104,
vielen Dank für die Einladung zum Treffen in Köln. Wie gerne wäre ich gekommen! Leider hat mir mein Gynäkologe gerade heute erklärt, dass ich mich ab sofort schonen muss. Er hat mich krankgeschrieben und ich soll die nächsten Wochen nur noch liegen, mich nicht anstrengen und so. Ansonsten besteht die Gefahr, dass mein Engelchen zu früh auf die Welt kommt. Nun sind es ja nur noch 5 Wochen und ich möchte da wirklich nichts riskieren. Und außerdem, ich habe Dir ja erzählt, wie besorgt mein Mann die letzte Zeit ist. Er würde mich auch niemals fahren lassen. Ich wünsch Euch aber viel Spaß!
Ganz liebe Grüße, VollVorfreude1407.“
Kurz kontrolliert sie noch mal die Daten, dann drückt sie auf „Senden“.
Zuletzt geändert von Nicole am 25.02.2008, 09:54, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.02.2008, 14:49

Hi Klara,
Ich sehe eine Filmszene eher denn eine Kurzgeschichte. Aber die Filmszene wirkt glaubwürdig!

Na, umso besser. Dieser Text von Nicole soll ja eine Drehbuchsequenz sein,-)
Saludos
Mucki, die das auch sehr gut vor Augen hat.

Klara
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Beitragvon Klara » 25.02.2008, 15:08

oh sorry, mucki! i didn't get that. wie unaufmerksam von mir :blink1:

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.02.2008, 17:58

Hallo zusammen,

ich finde die Interpretation, dass die Frau einsam sei, ein wenig kurz gegriffen. (Aus dem Zwiegespräch mit dem Goldfisch diesen Schluss ziehen zu sollen, würde ich auch von mir weisen - ich bin nicht einsam und habe mit meinen Hasen auch viel geredet, obwohl sie nie antworteten.) In mindestens einem Fall benutzt sie ihr Lügengebäude ja, um sich ein reales Treffen vom Hals zu halten: Sie spielt erfundene und reale Existenzen gegeneinander aus. Eine gewisse Bewunderung kann ich nicht leugnen ...

Mir scheint jedenfalls, ihr Problem ist weniger die Einsamkeit als eine Art Bovary-Komplex: In ihrem Leben ist weniger "los", als sie das sich wünscht.

Rein optisch würde ich nicht für jede "unhörbare" Entgegnung ihrer Gesprächspartner eine Leerzeile setzen. Ich kenne das aus Büchern eher mit Pünktchenreihen: "Hi Mama .... wie geht's? ... Immer noch der Rücken? ... Kann Klaus das nicht für dich machen? ..." usw. Die Entgegnungen "unhörbar" zu lassen, finde ich aber sehr geschickt. Unwillkürlich stellt man sich beim Lesen die Frage, ob sie sich diese Gesprächspartner nicht auch ausdenkt?

Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 25.02.2008, 18:20

Ich stimme Zefira in jedem Buchstaben zu.

Was das Ausmaß dieser Scheinwelt betrifft: Wenn sogar die Gesprächspartner ausgedacht wären, bekäme dieser Text eine reizvolle Wendung ins Makabre, á la Alfreds "Psycho" etc. – Fasznierend! (Aber das bleibt wohl Sache der Interpretation).


Cheers

Pjotr

Nicole

Beitragvon Nicole » 25.02.2008, 18:42

Hi Zefira,
ja die Idee mit der Setzung "Hi Mam ... ja klar helfe ich Dir ..." gefällt mir. Ich probiere das mal aus und stelle dann später geändert nochmal ein.


Vielen Dank! (Ich habe lange gegrübelt, wie ich das hinbekomme und war mit der bisherigen Lösung noch nicht so recht zufrieden..)

Gruß, Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.02.2008, 19:29

An Zefi und Pjotr:
Wenn die Gesprächspartner erfunden wären, dann wäre aber auch das Handyklingeln etc. erfunden und das ergibt keinen Sinn, es sei denn, sie litte an Halluzinationen.
Und wegen dem Goldfisch, Zefi. Die Frau will ihn berühren, einen Fisch berühren, sprich mit ihm kuscheln. Und dies drückt für mich große Einsamkeit aus.
Bei Hasen oder Katzen etc. wäre das schon anders, weil man mit denen kuscheln kann.
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 25.02.2008, 21:35

Hallo Nicole,

manche Text faszinieren bei der ersten Lektüre, entzaubern sich aber nach und nach, je öfter man sie liest. Hier geht es mir genau umgekehrt. Je öfter ich ihn lese, desto besser gefällt er mir. Liest man die einzelne Dialoge aufmerksam, achtet dabei auch auf Kleinigkeiten, was das Setting der jeweiligen Szene an geht, so bekommt man ein immer klareres Bild.

Wie schon erwähnt wurde, arbeitet der Text viel mehr mit filmischen denn mit erzählerischen Mitteln. Auf der einen Seite den (nur einseitig hörbaren) Dialogen und außerdem mit der Gestaltung des jeweiligen Umfeldes, in dem der Dialog stattfindet. Das machst du sehr geschickt. Denn man kann, wenn man aufmerksam liest, eine Menge heraushören.
Genial dabei ist das Notizbuch - für mich der heimliche Hauptdarsteller der Geschichte. Weil diese paar Stichworte so vielsagend sind.

Natürlich stellt man sich die Frage: Warum lügt diese Frau? Es sieht so aus, als ginge es ihr darum, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Vor dem Chef, der Freundin, der Mutter und auch vor sich selbst. Und irgendwie vermischt sich Rationalität mit einem Verhalten, das schon fast ein wenig krankhafte Züge annimmt. Gut, man erfährt nicht alles. Das ist aber letztenendes nicht wirklich notwendig, damit der Text funktioniert. Denn das was gezeigt wird, reicht aus, um dem Leser die Gewissheit zu geben, dass hier jemanden tiefe Wunden geschlagen wurden (sicherlich zum Teil selbst verschuldet) und dieser Jemand keine andere Möglichkeit der Behandlung sieht, als diese Wunden mit dicken Lügen zu verpflastern.

Das ist wunderbar und erschreckend nah dran am wirklichen Leben und auf spannende und geschickte Weise geschildert.

Liebe Grüße

Sam

Nicole

Beitragvon Nicole » 25.02.2008, 22:02

Hi Sam,

Schön zu dieser ungewohnter Stunde von Dir zu lesen.... :-) :-)
Danke in zweierlei Hisicht..

Hi Mucki, hi Zefi, hi Pjotr,

ich würde gerne auflösen und sagen "so und so ist es". Sorry, soweit habe ich nicht gedacht. Ist mir beim Leser Eurer Diskussion aufgefallen.
Ich hatte das Bild einer Frau in Kopf, der das Leben zwischen den Fingern zerbröselt, die versucht, die Fassade (für sich und die anderen) aufrecht zu erhalten und es gut macht und klug.
WARUM sie in diese Situation kam? Diese Geschichte habe ich für sie nicht geschrieben....

merci bien!

Nicole

wonigo

Beitragvon wonigo » 25.02.2008, 22:32

Hallo, Nicole, ich glaube es ist der erste Text, den ich von dir lese.

Also
1. Schwangerschaft ist nicht! Warum? Fünf Wochen vorher - und Gefahr auf Frühgeburt - und dann tief inhalieren beim Rauchen! Nee, passt nicht zusammen. Da bin ich Fachmann!
2. Zwei Mamas, weil verschiedene Abläufe in der Kommunikation. Vermutlich ist die eine die Schwiegermutter.

Ehrlich, so richtig sehe ich nicht durch, was ja wahrscheinlich beabsichtigt ist. Aber lass mich nicht zu lange warten, bis ich weiß, in welche Richtung ich weiter raten soll. Könnte sein, dass ich das Interesse daran verliere. Bin eben ungeduldig. Aber insgesamt ist erstmal Spannung da. Dein Stil gefällt mir, wenn auch bei den einseitig belauschten Telefongesprächen Gewöhnungsbedarf bei mir vorhanden ist.
Was mich belustigt, ist die Kreuz- und Querschwindelei.
Bin gespannt, wie du den Faden aufdröselst.

Schwindelfreies Schaffen wünscht
Wolfgang

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 25.02.2008, 22:34

Noch was: Dass die Gesprächspartner nicht gänzlich ohne sichtbaren Kontakt bleiben im Leben der Dame, zeigt sich darin, dass sie das vorgelogene neue Kleid tatsächlich noch bestellen muss, sonst würde sie sich das nicht notieren, sondern einfach als "bereits gekauft" hinzudichten.

Pjotr

wonigo

Beitragvon wonigo » 26.02.2008, 02:56

Ich nochmal.
Habe vorhin nur flüchtig gelesen, fast diagoquer. Das sind gar keine Schwindeleien, das ist ein Lügengebäude, das jeden Moment zusammenkrachen kann. Es wird zusammenbrechen, trotz aller Notizen über die jeweiligen Lügen.
Ich habe viele Menschen erlebt, die aus jeder Kleinigkeit eine große Geschichte erfunden haben, die bei jedem Erzählen immer neue Einzelheiten und Nuancen bekam, aber es waren eigentlich Wichtigtuereien, die wir Eingeweihten mit einem Lächeln abtun konnten. Die Person, die du schilderst, ist krank! Sie lebt in ihrer Vorstellung in mehreren Personen.
Tut mir leid, das geht mir zu weit. Hier kann nur der Psychiater helfen!
Es gibt noch eine Möglichkeit: Sie spielt tatsächlich zwei Personen, weil die eine nicht oder nicht mehr existiert - dann wird es eine verdammt spannende Krimigeschichte.
Auf jeden Fall hast du uns eine harte Nuss zu knacken gegeben, und ich bin gespannt, wo das hinführen wird.
In einer Stellungnahme stand: sehr nahe am Leben. Ich protestiere: Notlügen gehören zum Leben, ja. Aber derartige Lügengebäude kann niemand auch nur kurzzeitig durchstehen.
So schön die Geschichte geschrieben ist - die Story gefällt mir nicht!
Vielleicht sollte ich sagen: noch nicht!?!?
Bin gespannt, was noch kommt
Wolfgang

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 26.02.2008, 08:06

Hallo Nicole,

ich habe die Diskussion hier verfolgt und staune ein wenig, dass es fast durchgängig als realistisch empfunden wird. :eek:
Mir gefällt die Idee und auch die Art der Umsetzung halte ich für gelungen. Die einseitigen Dialoge zeigen, auf wem der Fokus liegt. Nämlich einzig und allein auf der Prot. Auch die Notizbucheinträge finde ich gekonnt eingesetzt. Und jetzt kommt das aber ,-)

Die Szenenbeschreibungen sind für mich zu lang und nicht selbstverständlich genug, so dass ich mich ständig frage, warum mir das erzählt wird. Im ersten Abschnitt beispielsweise: warum zweimal routiniert? Was ist das besondere daran, wie sie die Autotür öffnet, weshalb muss ich detailliert über ihre Rauchgewohnheiten informiert werden, warum lächelt sie, wenn sie ans Handy geht...
Später dann, warum ist es so wichtig, dass sie an die Arbeitsplatte gelehnt ist, dass es mir gleich zweimal gesagt werden muss, warum die detaillierte Beschreibung der Pizzazubereitung, soll mir das irgendetwas vermitteln? Warum bleiben zwei Stück Pizza übrig, und weshalb soll der Goldfisch darauf aufaufpassen, weshalb die Viagra und amazon Post....

Die ersten Lügenkonstrukte dienen ja zur Aufrechterhaltung ihres Bildes, das sie nach außen tragen möchte. Sie möchte nicht die Verlassene sein, denn darum scheint es ja zu gehen, das lese ich zumindest aus den halben Dialogen heraus. Diese Schwangerschaftsgeschichte fällt aus diesem Bild heraus, weil es eine ganz andere Ebene erreicht, da sie hier bewußt eine andere (Netz)Identität erschafft, bei der von vorneherein klar ist, dass sie Lügen muss. Und genau da frage ich mich dann, ob es wirklich um das Verstecken von Wunden geht, oder darum mit den Menschen zu spielen, sie eine Schauspielerin ist, die sich in ihrer Rolle gefällt.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Nicole

Beitragvon Nicole » 26.02.2008, 09:06

Hallo wonigo,

wenn Du ein ungeduldiger Mensch bist, will ich mich mal beeilen, Dir zu antworten... :-)
Ja, ein Lügengebäude. keine Notschwindelei.
Irgendwie hast Du Recht mit der Aussage "sie spielt zwei Personen". Ich würde sagen, sie spielt ihrer Umwelt eine Frau vor, die sie nicht ist, aber sicherlich gerne wäre und vielleicht (klammere ich die Schwangerschaft einmal aus) auch einmal war. Sie gaukelt ihrer Chef vor, daß sie ein Privatleben hat...ihrer Freundin, daß sie nicht absagt, weil sie (mal wieder?) arbeiten muß, sondern, weil sie eine tollen Typen kennen gelernt hat. Die Freundin ist sicherlich eine gute, die sich sorgt. Deswegen die Lüge, sie möchte kein Mitleid und auch keine Strafpredigt in der Form "du arbeitest zu viel, tu doch mal etwas für Dich.." und, sicher, sie möchte die Freundin nicht kränken.
Die Mutter (es ist nur eine und zwar die eigene) lügt sie an, um die Beziehungsprobleme nicht diskutieren zu müssen, sich nicht anhören zu müssen "hättest Du dies oder jenes anders gemacht, hättest Du weniger gearbeitet, hättest Du ihm mehr "Hausfrau" und "Ehefrau" geliefert, wäre er noch da....". Es ist bequemer, die sicherlich unausweichliche Aussage "er ist weg und kommt nicht wieder" zu verschieben, jetzt nicht darüber nachzudenken und nicht darüber zu sprechen.
Sie simuliert persönliche Kontakte, aber sie hat sie nicht wirklich. Einzig real ist vermutlich nur noch die Arbeit. Trotzdem hat sie Wünsche, die nur erfüllbar sind durch Simulation, zum Beispiel im Netz, im Forum. Solange die Lüge aufrechterhalten werden kann, hat sie ein gewisses Maß an Realität, nenn es kopfkino, wenn Du magst. Sie gefällt sich in der Rolle der schwangeren, verhätschelten Frau, wäre vermutlich gerne in der Situation und gaukelt sie sich und der Umwelt vor.

Nein, schön ist die Geschichte nicht. Heile Welt ist immer schöner.

Danke fürs Lesen!
Viele Grüße in Deinen Tag, Nicole

Nicole

Beitragvon Nicole » 26.02.2008, 09:22

Hallo smile,

die Szenenbeschreibungen.....zweimal routiniert im ersten Abschnitt ist nicht beabsichtigt, ist eine Wiederholung, die nicht sein muß. Ich guck' mal, wie ich die ausmerzen kann.
Ich hab die Beschreibungen so geschrieben, damit ein Bild entsteht, von ihrer Realität - zum Untersteichen und Verdeutlichen der Lügen. Die Rauchgewohntheit war mir nicht so wichtig, eher die Routine, die Gewohnheit, jeden Abend auf genau diese Weise, wie immer zu spät, wie immer allein das Büro zu verlassen.
Sie lächelt, als sie ans Handy geht, damit die Stimme freundlich klingt. Nicht, weil sie sich freut, sondern nur, weil sie so klingen möchte. (Man hört lächeln am Telefon)
Die Pizza....die halbleere Weinflasche...die Küche...
Das Bild, was ich erzeugen wollte war ungefährt wie folgt: es ist keine Energie mehr da, um in der Wohnung etwas zu tun, es ist nebensächlich. Es ist kein sauberes Geschirr mehr da und es "juckt" sie auch nicht. Das Essen lediglich zum Zweck der Nahrungsaufnahme, da reicht ein flüchtig abgespültes Glas und ein "saubergewischtes" Schneidebrettchen, das noch vom Morgen (und vermutlich schon sehr viel länger) in der Küche rumsteht. Nichts ist an seinem Platz, nichts "in Ordnung". (Fischfutter hinter der leeren Obstschale) In dieser Küche (Wohnung) wird nicht gelebt, nicht wirklich. Die übrige gebliebenen Pizzastücke liegen da, weil der Abend (sie hat zu arbeiten) ein langer Abend werden wird. kalte Pizza als "Mitternachtssnack". Warum soll der Goldfisch darauf aufpassen? Kein "wirklicher" Grund, es wird ja schon keiner klauen. Es ist ja niemand da. Vielleicht sagt sie es gerade deswegen....
Viagra und amazon als einzige Post, außer der aus dem Forum. Außer dem selbsterfundenen Kontakt im Schwangerschaftsforum ist da nichts. Nur ein Buch, das sie sich selber bestellt hat. Also keine Post für sie, sondern nur für die Bilder, die sie, unterschiedlich für die verschiedenen Empfänger, gezeichnet hat.

Nicole


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