Beitragvon Klara » 27.10.2007, 00:31
Ich bin zu weit gegangen für Spielchen, und jetzt bin ich kalt geworden, ein Spielball für fremde Projektionen, frigide wie ein Stück Fisch. Wenn der Andere mich nur ansieht, zerfließe ich, dabei ist dieser Andere gar nicht mal der, mit dem es anfing, dass ich es merkte; ein rasanter Liebesbrief, beziehungsreiche Musik auf CDs gebrannt. Das Wort „schade“ muss genau für uns erfunden worden sein („uns“), doch ich behauptete eindringlich, dass es nicht sein dürfe, und er hat nicht überzeugt genug widersprochen, und nun bin ich nicht sicher, ob ich das bereuen oder über diesen Witz lachen soll: dass ich Sex suchte, für den ich dann doch nicht genug Traute hatte, und Liebe fand, für die ich keine Verwendung habe. Oder ob ich nicht doch lieber heulen sollte, weil ich trotz meiner „Standhaftigkeit“ meinen Liebsten betrüge, ohne es zu wollen, ohne auch nur die Hose auszuziehen (okay, da war ein Kuss, da war eine Umarmung, da waren Blicke, da waren Worte, die ich noch nie gehört habe, oder jedenfalls lange, lange nicht, es ist sehr banal). Ich heule, weil ich ein Tier bin und nichts anderes als ein Tier sein kann und doch nur in Gedanken ein Tier sein darf, gefangen in Menschenbegehren, Haut an Haut in Gedanken, liebevoll in den Träumen, virtuell begehrt. Let me touch you for a while
Wie machst du das, dass ich dich unbedingt berühren will, hat der Andere geflüstert, wie machst du das nur, ich bekomme fast einen Orgasmus, wenn ich dich nur hier so am Nacken küsse, wie machst du das, und ich seufzte und spürte seine Härte an meinem Rücken, und es war gut. Du bist so schön, hat er gesagt, und ich hab den Kopf geschüttelt, damit er es noch mal sagt, und er hat es noch mal gesagt, und ich hab den Kopf geschüttelt, damit er es nicht noch einmal sagte, sondern lieber weiter diese Stelle unterm Ohr küsste. Ich musste seine Hand von meiner Brust schieben, weil wir an einem öffentlichen Ort waren, obwohl meine Brust nichts mehr gebraucht hätte als seine Hand, spielend. Stattdessen machte ich meine Fingerkuppen in seiner Handfläche zu kleinen Eroberern, zarte Stubser auf rauer, gieriger Haut, während ich mit Mühe meine Knie davon abhielt, einzuknicken, nachzugeben, mich aufzugeben, diesen einen Moment, und ich verstehe wieder, jetzt, wenn ich es erzähle, dass es - mögen auch die Personen austauschbar sein - trotzdem etwas Besonderes ist.
Er stand hinter mir, den rechten Unterarm an meinem Hals, und ich durfte mich nicht an ihm reiben, weil wir an einem öffentlichen Ort waren. Der Ort war eine Bar, in der man zwar (so hoffte ich parallel) küssen darf, aber mehr eben nicht, und eigentlich finde ich schon küssen zu viel an einem öffentlichen Ort, jedenfalls so ein Küssen, wie wir es taten. Dann hat er mich bis fast nach Hause gebracht; die kalte Luft ernüchterte uns ein wenig, dafür sprudelten nun die Worte. Schade, dass du nicht zu mir gekommen bist, sagte er (seine Frau verreist), und ich meinte, dass das auf keinen Fall gehe, dass das nicht mein Revier und deshalb unfair sei (als wäre ich nicht ohnehin „unfair“, andererseits: wem nahmen wir etwas weg? fügten wir nicht eher etwas hinzu? und als wären all diese sinnlosen Fragen nicht schon hundertfach sinnlos gestellt worden, ohne je zufrieden stellend beantwortet werden zu können, es sei denn, man stellt sich auf den Prinzipienstandpunkt, auf dem man dann verrotten kann, doch ich bastle mir - stur - lieber meine eigenen Prinzipien zurecht, um zu wissen, wo es lang geht, und eines davon lautet, dass ich nicht in eine Ehe-Wohnung einbreche, weil das Hausfriedensbruch wäre). Okay, dann brauchen wir einen anderen Platz, sagte er, da stellst du mir ja eine schwierige Aufgabe (es klang, als riebe er sich bereits die Hände bei der Vorbereitung), und ich bellte in Panik: Niemals bringst du mich in ein Hotelzimmer, das kann ich nicht, während ich doch danach lechzte wie ein Hund (wäre ich ein Mann, müsste man ohne Zweifel „schwanzgesteuert“ dazu sagen). Er ließ den Kopf hängen. Ich bin so hungrig, sagte ich, und mittlerweile zweifle ich, ob ich je ohne ihn satt werden kann.
Wann hat das angefangen. Wer ist Schuld. Und wie komme ich da jetzt raus. (Mir dämmert, dass mein Mann gar nicht unbedingt moralischer ist oder: „besser“, sondern einfach eine andere Disposition hat als ich.) Wenn man das Denken stoppen könnte, wäre schon einiges an Nichtdenken gewonnen.
Ich schreibe dem Andern einen Brief, eine altmodische Antwort per Post, wie er es wünscht, denn wahrscheinlich ist es ein Spiel, natürlich ist es das. Ich schreibe: „Du triffst genau eine Lücke, das ist meine Schwäche. Wir beide sind uns in einer bestimmten Hinsicht ähnlich, da hast du Recht: Wir schmecken, was in der Luft liegt und möchten das dann berühren und tasten und greifen und uns wohl damit fühlen, mit dem Augenblick gehen, mit dem Lachen sein, und mit der Sonne um die Wette strahlen, oder der kalten Luft auf den Lippen nachschmecken, auskosten, was das Leben da so hat, das möchten wir, oh ja! Und wenn noch ein paar Gefühle dazu kommen, schwirrend, flirrend, bunt – umso besser, dann ist es nicht so leer, dann ist es nicht so langweilig, denn das Leben ist so kurz (vermuten wir), und der Tod unendlich, also haben wir doch die Pflicht, vorher zu leben: lebendig zu sein, bevor wir sterben! Dieses Geschenk anzunehmen. So denken wir, beide sind wir eingesperrt in Ehen, die mehr oder weniger gut funktionieren, und das ist alles auch gut so, wir sind dankbar dafür, dass uns jemand hält, ein Rahmen, ein Mensch, eine Zuversicht, aber da fehlt so viel, in diesen ordentlichen Leben, dass wir uns sehnen nach dem Anderem, und sei es nur in Gedanken, in den Träumen, wo alles leicht ist, in den Träumen ist alles so leicht, und niemand wird verletzt, und niemand macht etwas kaputt. Ich weiß nicht, wer Recht hat, [hier hätte ich gern aus vollem Herzen ein „Liebster“ eingefügt, war mir aber nicht sicher, ob er verstehen würde, dass der Superlativ bei mir wie in der Werbung relativ ist, und ob er die Widersprüchlichkeit aushalten könnte, weil ich ja zuvor behauptet hatte, nicht zu wissen, was „Liebe“ bedeutet, in einer Art weiser Voraussicht behauptete ich das, einer schriftlichen Absicherung, und im Grunde manipulativ wie alles, was ich schrieb] oder ob das irgendeinen Sinn ergibt. Ich weiß nicht, wer Schuld ist und woran. Ich weiß nur: Ich möchte deinen Arm noch einmal an meiner Kehle spüren, deine raue Haut in den Handflächen tasten. Ich möchte dein Flüstern an meinem Ohr, ich möchte deine Lippen auf meinem Hals. Ich möchte! Dass du mich noch einmal so - hältst. Meinst du, das kriegen wir hin? Oder soll ich’s vergessen?“
Ich bringe den Brief mitten in der Nacht zum Briefkasten, damit ich es mir nicht anders überlegen kann, und lege mich zu meinen wirren Träumen ins Bett, schlaflos schlafend, doch im Grunde: wartend.