endlich kalt

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.10.2007, 19:56

endlich kalt



hinter den gedanken
sitzen wir wieder in den rauchzimmern
während voth draußen im ijsselmeer sein boot aus stein meißelt

stechen torf in der vergangenheit
für die letzte glut
und trotzen dem gespött der krähenvögel

indem wir alles zulassen

und wir wichsen in die wattierten büstenhalter
einer eingebüßten wärme

endlich wird es kalt
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 13.12.2007, 02:01, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 27.10.2007, 23:25

Najah.

So richtig glaube ich dir das nicht.

Irgendwie wird es wohl anders sein, oder?

Moshe

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.10.2007, 23:27

Ne, Moshe, leider nicht.

Es ist nie anders, als ich es schreibe.

Wäre es anders, schriebe ich es nicht.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 27.10.2007, 23:42

Ach, nu langsam machste mich aber echt traurig.

Dein Schicksal mag ich nicht. Kannste ihm ruhig von mir sagen.
Auch deutlich.

Vielleicht solltest du es ihm auch klar machen, daß es für dich nicht so passt, vielleicht es in die Hand nehmen, es zerquetschen und dir ein neues suchen.

<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<ja!

Moshe

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noel
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Beitragvon noel » 28.10.2007, 05:32

verzeih
aber ich verstehe das zwiegespräch nicht so ganz

& da ich worte

"voth"

wie auch passagen --> die dazugehörige mit dem IJisselmeer

noch nicht erfasst habe


ist das verwIRRend
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.10.2007, 08:53

Hannsjörg Voth - Boot aus Stein - 1981 - Ijsselmeer, Niederlande

"Auf offenem Meer wird ein Pfahlbau errichtet. Auf neun Baumstämmen, die in den Meeresgrund gerammt sind und 3,50 Meter über dem Wasserspiegel emporragen, ruht eine Plattform von 14*14 Metern.
Auf dieser Plattform wird eine 12 Meter hohe Pyramide in Holzbauweise errichtet. Das Bauwerk ist nur mit dem Schiff erreichbar und über eine Eisentreppe zugänglich. Im Innern der Pyramide befindet sich ein dunkler Stein von 70*100*400 Zentimetern Größe, der in einem zentralen Raum von 8*8 Metern auf Bohlen gelagert ist. [...] Nach Fertigstellung des Bauwerkes will ich dort ein Jahr leben und ein Boot aus dem Stein meißeln."
(Zitat Hannsjörg Voth aus: Zeitzeichen/Lebensreisen bei Prestel)

Das Boot aus Stein versank im Januar 1982, als die Pyramide von Packeis eingeschlossen und zerstört wurde.
Dateianhänge
boot-aus-stein2web.jpg
Hannsjörg Voth: Boot aus Stein (Foto Ingrid Amslinger)
boot-aus-stein2web.jpg (148.76 KiB) 1634 mal betrachtet
boot-aus-stein3web.jpg
Hannsjörg Voth: Boot aus Stein (Foto Ingrid Amslinger)
boot-aus-stein3web.jpg (173.14 KiB) 1634 mal betrachtet
boot-aus-stein1web.jpg
Hannsjörg Voth: Boot aus Stein (Foto Ingrid Amslinger)
boot-aus-stein1web.jpg (238.31 KiB) 1636 mal betrachtet
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 28.10.2007, 09:18, insgesamt 1-mal geändert.
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noel
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Beitragvon noel » 28.10.2007, 09:17

merci
;O)
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.10.2007, 10:01

@ noel:

Die Arbeiten von Voth stellen für mich den ursprünglichsten und ganzheitlichsten Kunstbegriff dar, denn ich mir nur denken kann. Das oben zitierte Buch kann ich nur jedem empfehlen. Absolut überirdisch.

@ moshe:

Die Tatsache, dass ich endlich Worte finde für diesen Zustand, ist schon der erste Schritt und insofern der Anfang von etwas Neuem.

Außerdem ist das 'Kaltwerden' für mich durchaus positiv besetzt. Sobald ich Frost spüre, setzt eine Klarheit ein, die ich bei Wärme nicht finde.

Tom, Wintergeborener.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 28.10.2007, 14:49

Hai Tom,

ist der neu?

Wie dem auch sei, mir gefäält er, er hat eine gute Dichte und der Bezug zu Voth (merci für die Hinweise) gibt ihm einen angenehmen Tiefgang (das Boot hingegen hätte sich vielleicht etwas mehr Dichte und etwas weniger Tiefgang gewünscht ;-) ).

Hier

stechen torf in der vergangenheit
für die letzte glut


habe ich für mich selbst rumprobiert, ob sich das nicht noch anders sagen lässt. Es ist gar nicht klar, was mich dazu bringt es verändern zu wollen, vielleicht, dass ich das "letzte" vor Glut ein wenig zu schwer finde. Muss ich aber noch mal schauen.

Der Satz

indem wir alles zulassen


sagt mir irgendwie nix .. ich kann aber fröhlich drüber hinweg lesen.

Guter Text!

Liebe Grüße
Max

PS: Viel Glück für den MSV ...

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.10.2007, 15:45

Hey Maxl,

nachtfrisch, sozusagen. Angefangen schon länger, aber gestern endlich Sinn und Sound reingekriegt.

Paddy ruft.

Tom
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leonie
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Beitragvon leonie » 28.10.2007, 16:27

Lieber Tom,

schönes Gedicht (naja, inhaltlich vielleicht nicht, aber als Gedicht), das. Die Stimmung kommt rüber, sie passt zu den Schwarz-Weiß-Photos, die Du eingestellt hast, finde ich.
Ich überlege noch, warum es trotz "lyrWir" so einsam klingt.

Mir ist die Doppelung "Vergangenheit" - "vergangenen" aufgefallen. Ist das Absicht. Ein anderes Adjektiv zu finden, das passt, ist sicher nicht so leicht, mir fiele evtl. "abgestanden" ein.

Liebe Grüße

leonie

(heute nacht habe ich von einem "Blauer-Salon-Treffen" bei Dir geträumt - bin wohl doch zuviel hier im Salon....)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.10.2007, 19:28

Es ist einsam, Leo. Genau wie Hannsjörg gewesen sein muss.

Träum schön! :o)

Tom
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annette
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Beitragvon annette » 28.10.2007, 20:04

Hallo Tom,

mir gefällt dieser Text.

Ich hatte noch nie von Voth oder seinem Steinboot gehört, habe mir aber beim Lesen Deiner Zeilen etwas Ähnliches vorgestellt. Mir war eigentlich nur nicht ganz klar, ob es sich um einen Künstler oder einen sehr verwirrten Menschen handelt - wobei das ja oft eine Frage des Standpunktes des Betrachters ist ;-)

Jedenfalls, als ich die Fotos sah, dachte ich "Ja, genau so!" Finde ich toll, wie Du dies Bild einbeziehst: Einerseits das geschützte Sitzen in Rauchzimmern und andererseits draußen die Arbeit am Stein in der Kälte, die so viel realer und lebendiger erscheint.

Gerade dadurch lese ich den letzten Satz (und den Titel) nochmal positiver: Eine ersehnte Kälte und Klarheit als Gegensatz zu verrauchten Zimmern, in denen man sich hinter Gedanken verbarrikadiert und in einer verglimmenden Vergangenheit stochert.

und trotzen dem gespött der krähenvögel
indem wir alles zulassen


Dem Spott die Schärfe nehmen, indem man ihn überhört? Gleichzeitig hat das "alles zulassen" natürlich etwas Resigniertes.

Die Bilder des Textes bleiben mir vor Augen.
Sehr gern gelesen.

Gruß - annette

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.10.2007, 22:48

Dankeschön, Anette.

'Überhören' ist nicht ganz richtig. 'Erdulden' oder 'als gegeben hinnehmen' träfe es besser. 'Sich fügen' muss nicht unbedingt Resignation bedeuten. Ist es nicht eher manchmal das Gegenteil?

Tom
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