Nuage

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2007, 20:19

So. Wer Catys Himmel-Gedicht und die anschließende Diskussion gelesen hat, der weiß wieso ich dies hier dichtete :) ... Ich freue mich besonders über ein Kommentar von der Adverbien-Verteidigerin. -Enchanté :smile: !



Wolke wie eine Seite
aus einem alten Tagebuch
in dem man kein Kind sein wollte
und es nicht blieb

17.Dezember 1996

Der Tag, als ich zum ersten Mal
im Hallenbad war!

Meine Mutter wand das Schlüsselband
um mein Handgelenk
bis es ganz plötzlich verschwand

Wir tauchten danach
am Tag, als ich zum ersten Mal
im Hallenbad war

blitzte der Messingschlüssel
auf einer Fliese am Beckengrund und war
die größte Kostbarkeit dieser Menschheit

als man unser Gejubel unter und über Wasser
vernahm...

und die Seite hat Feuer gefangen.
und die Wolke ist ins Blau gegangen.
und meine Mutter ist ein Wort.

Wolke wie eine Seite
aus einem alten Tagebuch
in dem man kein Kind sein wollte...

Wolke, komm aus dem Blau zurück!
Wolke, komm aus dem Blau zurück!




Zuvor hieß es:

"Wir tauchten stundenlang
am Tag, als ich"

"blitzte der Messingschlüssel unklar"
Zuletzt geändert von Louisa am 13.10.2007, 21:11, insgesamt 1-mal geändert.

Nihil

Beitragvon Nihil » 12.10.2007, 20:38

Hey Louisa,

das mit dem Schlüssel-Tauchen .. ich hatte es ganz vergessen, jetzt habe ich die schöne Erinnerung daran wieder .. der Schlüssel ist der Schlüssel des Spints, nicht? So war es jedenfalls bei mir .. ich habe ganz chlorige Augen vor soviel Erinnerung - immer hübsch mit offenen Augen tauchen! :-)


LG

Nihil
Zuletzt geändert von Nihil am 12.10.2007, 20:40, insgesamt 1-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2007, 20:39

Datt waren wirklich noch Zeiten :smile: !

Nihil

Beitragvon Nihil » 12.10.2007, 20:41

.. das war klasse! Bei mir ist es allerdings in den frühen 80'er Jahren gewesen, wenn nicht Ende der 70'er .. ;-)

Nihil

Beitragvon Nihil » 12.10.2007, 22:39

.. aber bist du wirklich erst mit acht Jahren zum ersten Mal im Hallenbad gewesen - Louisa, wohnst du etwa in der Wüste? Ich selbst stand übrigens mit dreißig Jahren zum ersten Mal unter der Dusche! :mrgreen:

LG

Nihil

Caty

Beitragvon Caty » 13.10.2007, 06:43

Hübsch, Louisa. Caty

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.10.2007, 09:57

Nihil, ich lernte an jenem Tag in Griechenland schwimmen... Da war ich 4 und bin auf das 3-Meter-Brett geklettert, um von oben herunterzuwinken und zu rufen: "Mama, Papa, guckt mal! Ganz ohne Schwimmflügel!" :smile: ... und dann bin ich gehüpft.

-Seit diesem Trauma waren wir lange nicht mehr im Schwimmbad :smile: ... Nur im Freibad, wo mir ein alter bärtiger Mann Tauchen beigebracht hat (Wer war das eigentlich? Der Weihnachtsmann?)...

...und dann mit acht im Hallenbad :smile: !

und Du Nihil, in den 70ern :eek: ? Bist Du schon über 40 (hihi) ?

Hallo Caty :smile: !

Das ist aber sehr kurz ausgefallen... Ich dachte Du hasst alles Liebevolle :smile: ?

(Danke trotzdem.)

Caty

Beitragvon Caty » 13.10.2007, 14:30

Hallo, Louisa. Tja, wie soll ich dir das sagen: Erstens halte ich nichts von Retourkutschen. Zweitens finde ich dein Gedicht angesichts deines Alters ganz beachtlich. Wobei mir wieder mal auffällt, dass Leute, die die Kinderschuhe noch nicht ganz ausgetreten haben, die eifrigsten Memoirenschreiber sind.

Wenn es dir recht ist, geh ich mal in die Einzelheiten. So ganz einleuchten tut mir die Assoziation von der Schwimmbad-Tagebuchseite zur Wolke nicht. Die Wolke kommt ein bisschen wie Kai aus der Kiste. Du hättest genausogut die Assoziation zur Nutellastulle oder zu Kellerasseln wählen können, mir ist sie zu gewollt, zu weit hergeholt, es gibt keinen logischen Zusammenhang. Aber jetzt ist sie nun mal da. Es wird rückblickend der Vorgang des ersten Schwimmbad-Besuchs erzählt, ein Missgeschick, der Schlüssel fällt auf den Beckenboden. Gut gefällt mir die letzte Strophe, sie greift das Motiv vom Anfang auf. Wobei mir das "mehr" fehlt, denn das ist es doch in diesem Alter: Man will kein Kind mehr sein, aber man ist sich bewusst, dass einiges noch zum Erwachsenen fehlt. Andererseits muss ich die Verszeile "und meine Mutter ist ein Wort" ja so auffassen, dass hier was zwischen Kind und Mutter nicht (mehr) stimmt, dass die Mutter nur noch ein Wort ist (dann fehlt unbedingt das "nur"). Oder wie anders soll ich das auffassen? Insgesamt reißt mich die Beschreibung des Rettungsvorgangs nicht unbedingt vom Stuhl, es fehlt der Spannungsaufbau, schließlich wird hier ja eine Geschichte erzählt. Was das Stilistische angeht: Es gibt einige nicht besonders geschickte Formulierungen (wir tauchten stundenlang am Tag, der Rest ist Enjambement und bezieht sich auf die folgende Verszeile) "die größte Kostbarkeit dieser Menschheit" gefällt mir wegen der aufgebauschten Schlichtheit nicht so besonders, insgesamt fehlt mir noch ein bisschen der lyrische Grundgestus. Und jetzt bin ich schon wieder am Schluss und frage mich ernsthaft, weshalb du diese Geschichte nicht als Geschichte "Wie ich meinen Schlüssel im Schwimmbad verlor" geschrieben hast und unbedingt die Wolke mit ins Spiel bringen musstest.

Liebe Grüße Caty

P.S. Für eine Adverbien-Verächterin greifst du aber ganz schön ins volle Adverbienleben.

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.10.2007, 16:09

Hallo Caty!

Oh, jetzt sieht es anscheinend schon weniger hübsch aus :smile: !

So viele "Memoiren" habe ich noch nicht geschrieben :smile: , aber ich finde es ist eine schöne Eigenschaft der Literatur die Vergangenheit wieder fühlbar zu machen.

Mm... aber eine Nutellastulle und eine Kellerassel sind leider nicht weiß wie die Seite des Tagebuches. Trotzdem habe ich auch schon überlegt, dass diese Verbindung schwer nachvollziehbar sein könnte. Stimmt. Dennoch gibt es ja viele Menschen, die Wolken mit Papier verbinden. Ich glaube das ist auch ganz schön überholt. Würde Dir denn "Papier" besser gefallen?

Ich möchte anmerken, dass ich das zuerst auf französisch schrieb (deshalb blieb noch der Titel) und das sich da Wolke auf Seite reimt :smile: ... Aber das ist natürlich kein Grund :smile: !

Vielleicht versteht jemand die Assoziation, vieleicht nicht... Tja :smile: ...

Also ich denke, dass es genügt, wenn ich schreibe "man will kein Kind sein"... Braucht es denn dieses "mehr" so zwingend?

Wenn alle das finden, kann ich es einsetzen.

Zur Mutter: Naja...also das fand ich persönlich ziemlich eindeutig. Denn es folgen ja drei Bilder aufeinander, die das "Vergehen" zeigen. Das Papier ist verbrannt, die Wolke hat sich aufgelöst und dann darf man drei Mal raten, was es heißt, wenn jemand nicht mehr ist, sondern nur noch das Wort "Mutter" existiert..........................................

Wieso fehlt denn das "nur" :smile: ?

Das zweite Mal kann ich "am Tag, als ich zum ersten Mal..." streichen. Das ist richtig.

"Die größte Kostbarkeit der Menschheit" war zuerst ein "Schatz". (Ist das besser?) - Auf jeden Fall wollte ich ein bisschen Ironie in die Zeilen bringen. Wahrscheinlich finde nur ich das zum Schmunzeln, dass man in bestimmten Momenten Alltagsgegenstände für Kostbarkeiten hält. Ich dachte damit drücke ich die Euphorie besser aus.

Mögen alle das nicht :smile: ?

Ohne die Wolke wäre ich nie auf die Tagebuchseite gekommen! Ich denke wirklich sofort an Papier, wenn ich eine Wolke sehe. Das ist auch kein sooo ungewöhnlicher Gedanke und mir selbst schien er etwas platt... Lalala

Welche Adverbien stören Dich? - Ich meine in meiner Kritik besonders Adverbien, die eine Stimmung ausdrücken. Wie ich Dir schrieb: Besinnlich, verliebt, anmutig......

Falls so etwas in meinem Text vorkommt, streiche ich es sofort!

Danke für die ausführliche Kritik!!!

Liebe Grüße,
l

Caty

Beitragvon Caty » 13.10.2007, 19:38

Louisa: stundenlang, undeutlich, ganz plötzlich, alle adverbisch genutzt. Du siehst also, dein Verdikt gegen die Adverbien kann so nicht stimmen, nicht wahr? Caty

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.10.2007, 21:01

Liebe Louisa,

das erinnert mich an den Text, der vor langer Zeit mal die Monatswahl gewann...etwas realistischer (darin ähnelt er deinem letzten neuen text) ohne Farbe zu verlieren, er kommt leis daher und ich finde er schafft, sein Thema einzufangen.

Zum Argument, dass man das ganze auch in eine Geschichte packen könnte: sehe ich gar nicht so (und ich finde den Titel, unter den du es stellen würdest, Caty ein wenig dreist als Vorschlag, weil du die Handlung des Textes um seine innere streichst und so mit deinem Titelvorschlag banalisierst). Warum sehe ich das gar nicht so? Weil der Rhythmus und der Aufbau der (wiederkehrenden/refrainhaften) Strophen entscheidend dazu beiträgt, dass man den Schmerz von


in dem man kein Kind sein wollte
und es nicht blieb

(übrigens sehr fein gemacht sprachlich, untragisch, trotzdem wahr im Sinne eines Gefühls)

gar nicht in seiner Eigentümlichkeit vermittelt bekäme, wie es hier der Fall ist (was nicht heißt, dass man diese Art schmerz nicht in einer geschichte ausdrücken könnte, sondern nur, dass diese durch kleine ironische Einschübe dem pathos berabte Habseligkeiten (im doppelten sinne) lyrische Version für mich die geeignete Auserzählung des Bildes/der Erinnerung ist: eine Liturgie an die Kidnheit aus der Sicht eines Menschen, der kein Kind mehr ist in eben diesem einen sinne, das er es nicht mehr ist.

Stundenlang könnte man tatsächlich variieren - wie wäre einfach: wir tauchten Stunden? Oder "ohne Unterlass" etc. ~~

Und "undeutlich" würde ich auch streichen, da etwas nicht undeutlich blitzen kann...etwas kann zwar kurz aufblitzen, und dann wieder verschwinden und so hin und her, aber das nennt man dann nicht unklar..ich würde es einfach streichen - das blitzen ruft doch schon eine Vorstellung hervor, von der klr ist, wie es aussieht, weil jeder weiß, wie etws am beckenboden glänzt...

ganz plötzlich dagegen finde ich treffend und nicht verzichtbar..

Die Wolke finde ich insofern als Bezug und Bild stimmig, als dass ich mir das lyr. ich (was ja in einem Zwischen ist) gut auf dem rücken vorliegend vorstellen kann, wie es sich erinnert..anhand der wolken...und das gar kein richtiges tagebuch gemeint ist...sondern eben die erinnerungen in den himmel geschrieben sind (unter den erinnerungen liegt der horzont eines Wesens hieße das)..die erinnerungen treiben vorüber...und ich finde sie referieren auch an die Ungreifbarkeit dess chlüsselbundes, also der rührenden Details, die nie wieder das bedeuten können, was sie einmal haben, sie blitzen eben nur auf..so wie die substanzlosen wolken vorüberziehen...

Es unerstützt die Rotwangigkeit und kindliche Nostalgie des lyr. Ich und knüpft an das Blau des wassers und das weiß des tagebuchs an...finde ich bildlogisch gesichert.

Ich hab mich entführen lassen ins Buch, dass wiederum in die tage führt...

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.10.2007, 21:17

Guten Abend :smile: !

Madame Caty, ich habe (siehe oben) "stundenlang" und "unklar" gestrichen. "Ganz plötzlich" nicht, weil Lisa es mag :smile: ...

Im Übrigen sind das aber keine stimmungs-beschreibenden Adverbien oder? Aber scheußlich sind sie allemal! Vielen Dank!

Lisa, unter welchen Titel will Caty es denn stellen (hihi) ???

"Lithurgie" finde ich ein schönes Wort :smile: !

Auch, dass die Erinnerungen vorbüber treiben wie Wolken. DAS ist mal ein Gedicht wert!

Was wollte ich jetzt schreiben? -Genau! Ich habe beim Schreiben mit Freude festgestellt wieviele unfreiwillige Reime auch die deutsche Version zu bieten hat. Schon deshalb soll es ein Gedicht für mich bleiben.

Ich finde es gibt bessere Gedichte, aber auch schlechtere :pfeifen: ...

Vielen Dank für Deinen Protest, Lisa :blumen: !

Schönen Abend noch!

oma

Klara
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Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 13.10.2007, 21:29

Oh, Louisa, das ist so traurig!

So weit weg ist die Mutter, und die Erinnerung an sie doch so konkret, unfairerweise ausgerechnet via Missgeschick im Schwimmbad, dem Profansten sozusagen. Die kindliche Leichtigkeit, die - zu früh! - mit dem Fortgehen bzw. dem Tod der Mutter verging, und doch hatte das Ich sich gerade das gewünscht, bevor die Mutter ging: kein Kind mehr zu sein. Die Wolke erhebt die Erinnerung, steht für den Wunsch, zurück, bevor die Mutter ging, bevor man wünschte, kein Kind mehr zu sein, bevor man überhaupt wünschen musste. Denn Wünschen können so gemein sein, wenn sie in Erfüllung gehen. Ich finde das herzzerreißend, ehrlich!

Kein schlechtes Gedicht! Ganz und gar nicht. Man muss es nur ein bisschen weicher lesen, wolkenweich sozusagen.

Lieber Gruß
Klara

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.10.2007, 21:39

Hihi...

ja, das ist schon was für die sensiblen Gemüter unter uns :smile: !

(Aber wer liest sonst schon Gedichte :smile: ?)

Du hast das schön aufgefasst...

Dank und gute Nacht!
l.

PS: Mein Bruder guckt hier gerade einen Krimi, indem dein sicher mörderischer "Gärtner" dauernd Gedichte von Lasker-Schüler, Benn und Rilke zitiert :eek: ...


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