Fremd

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 06.10.2007, 09:36

Fremd

Leicht ist deine Hand wenn sie
Über die Tasten meines Leibes gleitet
Schön wie der Mond im Ahornzweig.

Mit Augen blickst du mich an – Augen!
Augen des tiefsten Ozeans und der
Verblühten Rosen im Garten.

Ach spräche doch mein Mund ein Wort
Das dich verstummen ließe
Es schweigen die Nachtigallen alle.

Wenn du auch mein Geliebter bist -
Lass uns die schöne Fremdheit nicht vergessen
Eh wir uns trafen letzte Nacht.

Niko

Beitragvon Niko » 06.10.2007, 10:01

hallo caty!
na, das ist für mich leicht strukturierten poeten schon eher zugänglich! :pfeifen:
ich hoffe du empfindest es nicht als "kritisieren um des kritisierens willen", wenn ich etwas dazu schreibe.

Leicht ist deine Hand wenn sie
Über die Tasten meines Leibes gleitet
Schön wie der Mond im Ahornzweig.


der mond im ahornzweig gefällt mir. die tasten des leibes sind ein bild, dass sich vor meinem geistigen auge nicht mit leben füllt. für mich stellt sich eher die assoziation ein, dass man bei bedienung einer taste einen gewünschten ton erhält. in der assoziation wie "alle register ziehen". ich weiß nicht, ob du verstehst, wie ich es meine.

Mit Augen blickst du mich an – Augen!
Augen des tiefsten Ozeans und der
Verblühten Rosen im Garten.

dreimal augen in zwei zeilen - sicher ist es ein bewusst eingesetztes stilmittel. die ersten beiden augen find ich völlig ok. aber das dritte ist mir zuviel. und wenn du das dritte auge einfach weglässt? etwa so (ungeachtet der eh ungeachteten interpunktion, versteht sich ;-) )

Mit Augen blickst du mich an – Augen!
des tiefsten Ozeans und der
Verblühten Rosen im Garten.


fände ich hier passend. was meinst du?

Ach spräche doch mein Mund ein Wort
Das dich verstummen ließe
Es schweigen die Nachtigallen alle.


etwa sunglücklich empfinde ich hier den schwellenlosen übergang von....naja.ich habe nicht germanistik studiert...- spräche, ließe (konjunktiv oder so?) in den präsens. (korrigier mich gerne, der begriff ist mir entfallen).es bleibt - obschon ich weiß, dass du bewusst schreibst und gerne es dem leser schwer machst - eine unsicherheit, ob nicht alles im konjunktiv(?) stehen sollte, was dem text auch sinn gäbe, oder ob das alles schon so richtig ist. ich finde, wenn du in der letzten zeile einen akzentuierteren anfang nähmest, wäre es klarer. zb "doch es" oder mindestens ein "so" schweigen die nachtigallen alle...
oder doch: "es schwiegen die nachtigallen alle"? hm...

Wenn du auch mein Geliebter bist -
Lass uns die schöne Fremdheit nicht vergessen
Eh wir uns trafen letzte Nacht.


auch hier zappelt die letzte zeile. die fremdheit, eh wir uns trafen, nicht vergessen...- das ist nach meinem empfinden schlechtes deutsch. ein "bevor" oder vielleicht wäre ein "als" an dieser stelle noch viel subtiler. das "schöne" vor fremdheit empfinde ich auch als zuviel. du, der den leser gerne etwas zu knacken gibt, solltest ihm hier seine freiheit lassen, zu erkennen, welche art fremdheit gemeint sei.

meine variante sähe dann so aus:


BeitragVerfasst am: 06.10.2007, 10:36 Titel: Fremd
Fremd

Leicht ist deine Hand wenn sie
Über die Weiten meines Leibes gleitet
Schön wie der Mond im Ahornzweig.

Mit Augen blickst du mich an – Augen!
des tiefsten Ozeans und der
Verblühten Rosen im Garten.

Ach spräche doch mein Mund ein Wort
Das dich verstummen ließe -
So schweigen die Nachtigallen alle.

Wenn du auch mein Geliebter bist -
Lass uns die schöne Fremdheit nicht vergessen
Als wir uns trafen letzte Nacht.

naja...die tasten habe ich mal einfach durch "weiten" ersetzt. das würde auch besser zu dem mond im ahornzweig passen, finde ich.

lieben gruß: Niko

Caty

Beitragvon Caty » 06.10.2007, 12:32

Das sind ja eine Menge Fragen, Niko. Zunächst: Es ist ein etwa zehn Jahre altes Gedicht. In den letzten zehn Jahren hat sich mein Schreiben verändert, vom "gefühlten" Schreiben zum bewussten. Du findest hier noch Standardwörter wie Nachtigallen, Mond, Ozean. Das ist eines dieser "Fühle-Gedichte", ich hab es mal eingestellt, weil ich ganz gern ein paar Meinungen zu dieser Art des Schreibens hätte.

Aber im einzelnen: Die "Tasten des Leibes", eine Metapher für nicht nur das Tasten, Streicheln, auch für die Rippen, die man bei besonders schlanken Frauen im Liegen durchaus ertasten kann (analog zu Klaviertasten). Leider habe ich in diesem Gedicht nur diese einzige wirkliche Metapher eingesetzt, und die Schönheit eines Gedichts offenbart sich ja auch durch den Reichtum an Metaphern und Bildern.

Das dreimalige "Augen": Das erste "Augen" ist eine gewöhnliche Aussage, das zweite ein bewundernder, erstaunter Ausruf. Mit dem dritten "Augen" leite ich wieder eine Aussage ein.
Die Dreizahl ist ja eine "magische" Zahl, ein bisschen dieses Magischen spielt hier mit hinein. Es ist eine Klangfigur, die als Epizeuxis bezeichnet wird. (Ich hoffe, ich habe das Richtige getroffen). Völlig legitim.

"Ach spräche doch mein Mund ein Wort
das dich verstummen ließe" = Das ist, wie du richtig bemerkst, im Konjunktiv geschrieben.
Die nächstfolgende Verszeile: "Es schweigen die Nachtigallen alle" steht im Indikativ. Indikativ deshalb, um darauf zu verweisen, der Geliebte möge nicht so viel sprechen, es schweigen doch auch die Nachtigallen (es ist Nacht), warum er nicht? Nachtigallen singen meines Wissens gewöhnlich am Tage und nicht wie dank Shakespeare angenommen, des Nachts. (Ach ja: Ich habe auch nicht Germanistik studiert, sondern lediglich einen Lehrgang gemacht). Die dritte Verszeile ist eine klare Aussage, das einleitende "Es" empfinde ich nicht als störend.

"Eh wir uns trafen letzte Nacht" - inhaltlich wird hier endlich deutlich, dass sich die Liebenden erst seit kurzem kennen. Aber dir geht es um das "eh". Das ist (teilweise) umgangssprachlich "ehe", ein Synonym für "bevor". Dein Vorschlag "als" trifft es inhaltlich nicht ganz und ist wohl eher "schlechtes Deutsch", denn es wäre in diesem Fall nicht ganz logisch. Hier wird ja angespielt darauf, dass man nicht miteinander sprach, ehe man sich traf, als man sich fremd war, dieses Schweigen wurde als sympathisch empfunden, jetzt redet und redet der Geliebte und vergisst darüber beinahe die Liebe - ungefähr das will ich damit aussagen. Ich bevorzuge das Adverb "ehe" im allgemeinen, weil es meinem Sprachgefühl eher entspricht als das "bevor", das meinem Gefühl nach etwas kompakter ist durch die höhere Anzahl der Buchstaben, nicht ganz so elegant wie "ehe" durch den Klang des "e". Das weggelassene "e" entspricht meinem Rhythmusempfinden. Es ist nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch in der Literatur gebräuchlich.

Sicher bist du mit meinen Erklärungen nicht ganz einverstanden. Aber das kann gar nicht anders sein, denn du, Niko, würdest ein Niko-Gedicht schreiben, kein Caty-Gedicht, und das ist völlig in Ordnung.

Liebe Grüße Caty

Niko

Beitragvon Niko » 06.10.2007, 13:52

mit dem "als" gehe ich nicht mit dir konform, caty. aber es ist schön zu sehen, wie vehement du deinen text verteidigst. das ist auch gut so. auch, wenn er schön ein paar jährchen auf dem buckel hat und -deiner meinung nach - mit standarts behaftet ist. "fühl- gedichte" - verabscheust du empfindungen respektive die kunst, diese lyrisch auszudrücken?
shakespeare hat da übrigens nix erfunden. nachtigallen singen AUCH nachts. und gerade der nächtliche gesang ist das, was die nachtigall so besonders macht.

es geht nicht darum, ob ich mit deinen anmerkungen einverstanden bin. DU musst einverstanden sein mit deinem text. wenn meine anmerkungen ins leere laufen, zeigt das ja, dass du mit deinem text völlig im einklang bist. das ist auch gut so.
ich will niemandem ein niko-gedicht aufschwatzen. bin froh, wenn ich meinen stil für mich behalten kann, wenn ich ihn denn je finde. da werd ich nen teufel tun und dem auf dem offenen markt verramschen. ;-)
es sollten blos denkanstöße sein. gedanken die ich mir über deinen text mache und die ich dir mitteile. ich gehe davon aus, dass du das ja auch wünschst, sonst stünde er nicht hier.

lieben gruß: Niko

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.10.2007, 12:33

Liebe Caty,

das ist der erste Text für mich von dir, den ich lese, indem du für mich das Wandern an der Kitschgrenze nicht beherrscht -- nun lese ich, dass der Text schon zehn Jahre alt ist, ich glaube, dann schreibst du heute nicht nur anders, sondern auch freier. Wobei ich allerdings den Eindruck habe, dass die Bewegung eher aus einem Zusammenraffen von dir entstanden ist, denn aus einem Loslassen -- letztlich aber in einem Loslassen resultiert (das Raue, das Raue ist hinzugekommen und schafft dir einen großen Raum an Sagbarem, Sagbares, was so wie hier, für meine Begriffe nicht sagbar ist).

Bei diesem Text fehlt mir einfach die Brechung. Ein text muss nicht gebrochen sein, aber ein text in Form einer Anlehnung schon, oder er muss weniger Widerstand haben.
Auch sind mir das entweder zu wenig oder zuviele zitierte Topoi - die Menge hier empfinde ich als "nicht mit ihnen auseinander gesetzt".

Für mich bleibt dieser Text also ..als...verpasste er seinen eigenen "Durchlauf", seine Geschichte, seine Herleitung und ist somit ohne...etwas Interessantes -- im Gegensatz zu vielen deiner anderen Texte, wo ich auch nicht immer durchweg mitgehe, aber dafür auch fast jedes Mal einen tollen Aufschwung finde.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Caty

Beitragvon Caty » 08.10.2007, 10:49

Lisa, ich sehe auf diesen Text auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück, glaube aber, dass ihm wirklicher Kitsch fremd ist. Auch die Brechung ist in der letzten Verszeile vorhanden, die dem gesamten Gedicht erst den Sinn gibt. Aber er ist noch zu ungenau, es werden noch die genannten Standards verwendet. Ich habe ihn deshalb zur Diskussion gestellt, weil ich in einigen (nicht in allen) Gedichten hier ebendiese Ungenauigkeiten (deine Topois) wiederfinde. Vielleicht macht mein Gedicht darauf aufmerksam. Aber Niko schreibt, mit diesem Gedicht könne er mitgehen (oder so ähnlich). So ist das also mit Gedichten, sie werden tatsächlich immer vom Autor und vom Leser geschrieben. Du sagst es, ich habe inzwischen zu einem anderen Schreiben gefunden, wenn ich auch gegen mein Schreiben noch immer misstrauisch bin. Caty


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