Knechter

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 17.04.2006, 14:45

Knechter

Erhoben hat sich der Koloss,
Tyrann und Knechter der Völker,
Mächtig von Anbeginn.
Wachend schlief er,
Von vielen unbemerkt.
Erweckt durch des Menschen Ruf und Wille,
Beginnt er sich zu regen.
Feuer und Verderben sind seine Vasallen seit ewiger Zeit.
Seine Schatten verfinstern das Firmament,
Die Wasser der Meere peitscht er mit seinem Atem,
Und seine Stimme erfüllt die Lüfte mit tosendem Sturm.
Von den Bergen hallen seine Rufe wieder,
Es erbeben die Ebenen unter seinem Tritt.
Wehe Seufzer eilen ihm voraus,
Kündend von künftigen Schrecken.
Wo er herrscht, fährt er überreiche Ernte ein,
Hinfort fegt er des Menschen Werk und
Tränen nässen säumend seiner Schritte Spur.
Zieht mit Triumphgeheul er weiter,
Schwebt mahnend laute Stille über Ruinen,
Dringt klagend stumpfer Blick derer, die er schonte,
Steigt fragend stummer Schrei derer, die er zertrat,
Getragen von den Winden zu den vier Enden der Erde,
Bis vor des Allbarmherzigen Thron -
Requiem der Schöpfung.
Doch er hört
Nicht!

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.04.2006, 17:16

Hmm, Herby... das muß ich noch einige Male lesen. MIr ist noch nicht ganz klar, was du da eigentlich beschreibst- *dummguck*
Erst dachte ich an einen Vulkanausbruch- :???: aber das kanns ja irgendwie dann doch nicht sein..."erweckt durch des Menschen Ruf..."
Wie gesagt, ich muß das noch öfters lesen... aber die Bilder haben mich von Anfang an beeindruckt...

Grübelnde Grüße,

scarlett

maria

Beitragvon maria » 17.04.2006, 17:49

Hallo Herby,

Die Bilder: bedrückend und archaisch - die Stimmung kommt sofort rüber! Der Krieg: so alt wie die Menschheit.

LG maria

maria

Beitragvon maria » 17.04.2006, 19:25

... oder Atomkrieg? Dazu würden die gigantischen Auswirkungen passen, aber "seit ewiger Zeit"?

auf Antwort gespannt,
maria

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.04.2006, 19:31

Vielleicht ist es ja die Zerstörung, aber es ist ja ein männlicher Knechter.

Oder gar die Naturkatastrophe (auch weiblich)...was gibt es denn für schrecklich, weibliche Worte?

Oder doch der Krieg?

Jedenfalls höre ich seine hallenden Koloss-Schritte, die die Erde erbeben lassen.

Eine gute Stimmungs-Übermittlung also. Aber vielleicht könntest Du uns noch erklären, wer dieser Knechter ist.

Wenn es im Titel stehen würde, wären wir alle glücklich bedient.

Ein spannender Text.

LG, louisa

Herby

Beitragvon Herby » 18.04.2006, 00:11

Hallo in die Runde,

ich danke euch herzlich für eure Rückmeldungen, die ich äußerst interessant fand. Marias erste Deutung trifft meine Darstellungsabsicht auf den Punkt. Ich habe lange an diesem Text gearbeitet und ebenso lange gezögert, ihn zu posten, weil das Thema Krieg ja nun wahrlich zu den am häufigsten bearbeiteten in der Lyrik zählt und man als Amateur schnell Gefahr läuft, bereits mehrfach besetzte Bilder und / oder ge- (verbrauchte ) Phrasen zu verwenden. Ob und inwieweit ich diese Klippe umgangen habe, könnt ihr bzw. können andere Forenteilnehmer dank ihrer Außensicht als Leser besser beurteilen als ich.

Den Anstoß zu meinem Text gab mir eine Radierung, die meines Wissens nach von einem expressionistischen Künstler stammt und die den Krieg als ein überdimensionales Monster in einer Art Rüstung zeigt, dass Heere aus winzigen Menschlein unter sich zertritt. Leider weiß ich den Namen des Künsterlers nicht und auch über Recherche bei google kam ich nicht weiter. Sollte hier jemand mit meiner vagen Beschreibung etwas anfangen können und mir mit dem Namen des Künstlers helfen können, wäre ich sehr dankbar! Es ging mir jedenfalls um eine personifizierte Darstellung des Krieges ganz allgemein, der ( im Gegensatz zu einer Naturkatastrophe ) von Menschen aus den unterschiedlichsten Motiven gewollt ist und herbeigeführt wird.

Danke für euer Mit- und Nachdenken!

LG Herby

Last

Beitragvon Last » 18.04.2006, 00:37

Hallo Herby,

ich denke, das Gedicht was du angesprochen hast ist "Der Krieg" von Georg Heym. In der Tat hat mich dein Gedicht daran erinnert. Muss dein Werk nun loben, es ist gelungen, obwohl ich diese so extrem prosahafte Schreibweise normalerweise nicht so sehr mag. :smile:

Herby

Beitragvon Herby » 18.04.2006, 00:49

Hallo Last,

es scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Ich sprach in meiner Antwort von einer Radierung, nicht von einem Gedicht! Heyms Gedicht kenne ich, hatte ich aber beim Schreiben nicht vor Augen.

Du schreibst:

Muss dein Werk nun loben, es ist gelungen, obwohl ich diese so extrem prosahafte Schreibweise normalerweise nicht so sehr mag.

Dein Lob freut mich sehr, und dies umso mehr, als ich selbst auch von gereimter Lyrik her komme und mich in diesen reimlosen Gefilden erst noch frei schwimmen muss. Aber bei diesem Thema wollten einfach keine Reime kommen ...

LG Herby

Last

Beitragvon Last » 18.04.2006, 00:53

Oh, ja, ich sollte mich mehr konzentrieren (es ist schon spät). Der Heym-Vergleich kann aber weiter stehen bleiben, es gibt Parallelen und das ist ein tolles Lob für dein Gedicht :grin:

Herby

Beitragvon Herby » 18.04.2006, 01:08

... der Vergleich ehrt mich zwar, aber dem hält meinText nun doch nicht Stand!
Trotzdem Danke und einen guten Start in die Woche! O:)

LG Herby

maria

Beitragvon maria » 18.04.2006, 08:16

Guten Morgen, Herby

Könnte es auch sein, daß es sich um einen Holzschnitt handelt? Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber ich habe mich mal (vor laaanger Zeit :smile: ) mit dem Expressionismus beschäftigt und hatte bei deiner Bildbeschreibung einen Holzschnitt von Ernst-Ludwig Kirchner vor Augen. Hab´dann die alten Unterlagen gewälzt. Heyms Buch "Umbra vitae" wurde 1924 von Kirchner illustriert - darin u.a. auch ein Holzschnitt zu "Der Krieg" - leider ist das Bild in meiner Zettelwirtschaft zu klein um genaueres zu erkennen, mmh. Könnte aber passen. Es gab ja zu der Zeit einige wunderbare Verbindungen von Wort und Bild. Zum Heulen schön: die Freundschaft zwischen Franz Marc und Else Lasker-Schüler und ihre "Bildkartenkorrespondenz" (Fürst Ruben von Kana und Jussuf, Prinz von Theben).

Herby

Beitragvon Herby » 18.04.2006, 10:57

Hallo Maria,

zunächst einmal herzlichen Dank für dein Recherchieren! Ich habe gegooglet und bei Kirchner nachgeschaut, fand aber nicht das Bild, das ich meinte. Allerdings hab ich auch nicht all die tausend Seiten dort aufgerufen. Vielleicht kommt ja noch von anderen ein Tipp.

Ich finde ganz allgemein die Verbindung zwischen Malerei und lyrischen Texten ausgesprochen interessant. Über die von dir erwähnte Beziehung zwischen Marc und Lasker - Schüler war mir bísher nichts bekannt, werd's mal nachschauen!

Nochmals Danke und einen schönen Tag! O:)

LG Herby

maria

Beitragvon maria » 20.04.2006, 22:13

Hallo Herby,
ich schicke dir den Holzschnitt mal, aber wenn´s eine Radierung war, ist es das ja wohl nicht, oder? Das ist auf jeden Fall die Illustration von Kirchner zu Heyms "Der Krieg". Die apokalyptischen Landschaften von Ludwig Meidner (sehr erschreckend) passen auch zu der Stimmung in deinem Gedicht!

LG maria

Bild

Herby

Beitragvon Herby » 20.04.2006, 23:54

Liebe maria,

... find ich ja toll!! Danke dir sehr für deine Mühe §blumen§
Aber leider ist es tatsächlich nicht die Zeichung, die ich meinte. Ich sehe sie so lebhaft vor Augen ... eine riesige, monströse Figur ... aber das hilft jetzt alles nix.
Ich bin seit einiger Zeit unterwegs und lebe aus dem Koffer, doch sobald ich wieder zu Hause bin, werde ich mich in meinen Ordnern vergraben und suchen. Es ärgert mich, wenn ich nicht auf Namen komme ... :shock:

Die von dir eingesetzte Illustration muss ich mir erst noch in Ruhe anschauen, bevor ich dazu was sagen kann. Für den Moment jedenfalls ganz lieben Dank für deine Anregung zu meinem Text!

Lg Herby


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