Version 2.5 / vorläufige Endfassung
Ich hole meinen Koffer aus dem Auto. Habe keine Eile. Bei der Gelegenheit trinke ich noch einen kleinen Schluck für die Verdauung. Und für die Nerven. Sicher steht meine Mutter am Küchenfenster. Etwas seitlich, damit sie schnell zurückweichen könnte, falls jemand in ihre Richtung blickt. Ich brauche noch ein paar Minuten für mich, zünde mir eine Prince Denmark an und setze mich auf die erste Treppenstufe zur Haustür. Fast wie früher.
Ein blonder Junge kommt mit dem Fahrrad die Straße entlang. Er reißt das Vorderrad hoch und fährt ein paar Meter auf einem Rad. "Kawasaki Z900" ruft er und versucht aus flacher Brust das Motorengeräusch nachzuahmen.
"Warte, ich möchte dir was sagen", rufe ich ihm zu. Aber da ist er auch schon wieder fort. So ein Blödsinn. Trotzdem bedaure ich es. Meine Finger zittern. Wie zur Ablenkung tippe ich auf die Zigarette und beobachte, wie die Asche in den feinen Kies zwischen meine Füße segelt.
Ein lautes Kratzgeräusch lässt mich aufschrecken. Der Junge macht eine Vollbremsung. Das blockierte Hinterrad zieht einen Halbkreis. Die Steinchen fliegen durch die Gegend. Er grinst wie Colt Seavers. Diesmal versuche ich nicht, ihn anzusprechen. Hoffe, dass er bleibt. Das Fahrrad hat er von seiner großen Schwester. Ein Mädchenfahrrad ohne Stange. Er hat eine Crossmaschine daraus gemacht und alle Schutzbleche abgebaut. "Ich werde mal Stuntman!" sagt er nun. Ich beiße mir auf die Lippen. Dann sieht er stolz auf seine Digitaluhr, als wolle er sich nur davon überzeugen, dass er sie nicht verloren hat, und natürlich will er sie mir auch zeigen."79DM".
Ich weiß es noch. Ein Vermögen damals. Hundertstelsekunden-Stoppuhr. Er ist dünn. Zu dünn. Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn. Beinahe hätte man das silberne Armband nicht so weit kürzen können, bis es eng genug war. Seine Armbeugen sind wund gekratzt. "Ich guck mal, ob Ulli endlich mit den Hausaufgaben fertig ist. Wenn du Böcke hast, kannst ja mitkommen". Er verschwindet. Mir laufen die Tränen.
Version 2
Falls du Version 1 nicht gelesen hast, bitte keine Kommentare lesen.
Ich hole meinen Koffer aus dem Auto. Habe keine Eile. Bei der Gelegenheit trinke ich noch einen kleinen Schluck für die Verdauung. Und für die Nerven. Sicher steht meine Mutter am Küchenfenster. Etwas seitlich, damit sie schnell zurückweichen könnte, falls jemand zu ihr blickte. Ihre Stirnfalte wird ein Krater sein und die Mundwinkel hängen sicher runter, dass ihre Wangen wie Lefzen aussehen. Ich brauche noch ein paar Minuten für mich, zünde mir eine Prince Denmark an und setze mich auf die erste Treppenstufe zur Haustür. Fast wie früher.
Ein blonder Junge kommt mit dem Fahrrad die Straße entlang. Er reißt das Vorderrad hoch und fährt ein paar Meter auf einem Rad. "Kawasaki Z900" ruft er und versucht aus flacher Brust das Motorengeräusch nachzuahmen. Das gibt's doch nicht!
"Warte, ich möchte dir was sagen", rufe ich ihm zu. Aber da ist er auch schon wieder fort. So ein Blödsinn. Trotzdem bedaure ich es. Meine Finger zittern. Wie zur Ablenkung tippe ich auf die Zigarette und beobachte, wie die Asche in den feinen Kies zwischen meine Füße segelt.
Ein lautes Kratzgeräusch lässt mich aufschrecken. Der Junge macht eine Vollbremsung. Das blockierte Hinterrad zieht einen Halbkreis. Die Steinchen fliegen durch die Gegend. Er grinst wie Colt Seavers. Diesmal versuche ich nicht, ihn anzusprechen. Hoffe, dass er bleibt. Das Fahrrad hat er von seiner großen Schwester. Ein Mädchenfahrrad ohne Stange. Er hat eine Crossmaschine daraus gemacht und alle Schutzbleche abgebaut. "Ich will Stuntman werden, oder Schrotthändler", erzählt er nun. Ich beiße mir auf die Lippen. Dann sieht er stolz auf seine Digitaluhr, als wolle er sich nur davon überzeugen, dass er sie nicht verloren hat, und natürlich will er sie mir auch zeigen."79DM".
Ich weiß. Ein Vermögen damals. Hundertstelsekunden-Stoppuhr. Er ist dünn. Zu dünn. Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn. Beinahe hätte man das silberne Armband nicht so weit kürzen können, bis es eng genug ist, weil die Glieder am Ende breiter werden. Seine Armbeugen sind wund gekratzt. "Ich guck mal, ob Ulli endlich mit den Hausaufgaben fertig ist. Wenn du Böcke hast, kannst ja mitkommen". Er verschwindet. Mir laufen die Tränen.
Version 1
Ich hole meinen Koffer aus dem Auto. Habe keine Eile. Meine Blicke schweifen umher. Ein blonder Junge kommt mit seinem Fahrrad die Straße entlang. Er reißt das Vorderrad hoch und fährt ein paar Meter auf einem Rad. "Kawasaki Z1000" ruft er und versucht aus flacher Brust das Motorengeräusch nachzuahmen.
"Warte, ich möchte dir was sagen", rufe ich ihm zu. Aber da ist er auch schon wieder fort. Ich bedauere es und will das Auto abschließen. Meine Hände zittern. Der Schlüssel fällt mir aus der Hand in den feinen Kies vor dem Doppelcarport. Ein lautes Kratzgeräusch lässt mich aufschrecken. Der Junge macht eine Vollbremsung. Das blockierte Hinterrad zieht einen Halbkreis. Die Steinchen fliegen durch die Gegend. Er grinst wie Colt Seavers. Diesmal versuche ich nicht, ihn anzusprechen. Hoffe, dass er bleibt. Das Fahrrad hat er von seiner großen Schwester. Ein Mädchenfahrrad ohne Stange. Er hat eine Crossmaschine daraus gemacht und alle Schutzbleche abgebaut. "Ich will Stuntman werden, oder Schrotthändler", erzählt er nun. Ich beiße mir auf die Lippen. Dann sieht er stolz auf seine Digitaluhr, als wolle er sich nur davon überzeugen, dass er sie nicht verloren hat, und natürlich will er sie mir auch zeigen."79DM".
Ich weiß. Ein Vermögen. Hundertstelsekunden-Stoppuhr. Er ist dünn. Zu dünn. Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn. Beinahe hätte man das silberne Armband nicht so weit kürzen können, bis es eng genug ist, weil die Glieder am Ende breiter werden. Seine Armbeugen sind wund gekratzt. "Ich guck mal, ob Ulli endlich mit den Hausaufgaben fertig ist. Wenn du Böcke hast, kannst ja mitkommen". Er verschwindet. Mir laufen die Tränen.
Besuch
Nifl hat geschrieben:Ja, war sehr spannend für mich, Gabriella. Toll, dass ich an deiner "Interpretationsspinnerei" teilhaben durfte.
Hm, ja Max D. *hihi … diese Bedenken hatte ich auch beim Schreiben. Ich muss deutlicher machen, dass der Protag nicht zu den narzisstischen Leuten gehört, die sagen: "Ich würde aaaaalles genauso wieder machen" … nein, er ist ein Gescheiterter, ein Looser, der den Drang verspürt, sich (als Kind) zu warnen…
LG
Nifl
eben, deswegen muß m.e noch ein satz rein, der die beiden ebenen gemäß deiner intention zusammen- und den leser einbindet
max d.
Ja. Max D.. Kommt.
Klara … frag mal Jungen, was für "Maschinen" sie fahren… eine Z1000 sicher nicht *g … Und Digitaluhren bekommt man heute doch schon bei MC geschenkt.
Außerdem dachte ich, dass das Vermischen der Perspektive ein sicherer Hinweis wäre, sowie die Detailkenntnisse.
Viel zu schwach, wie ich nun weiß.
LG
Nifl
Klara … frag mal Jungen, was für "Maschinen" sie fahren… eine Z1000 sicher nicht *g … Und Digitaluhren bekommt man heute doch schon bei MC geschenkt.
Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn. Beinahe hätte man das silberne Armband nicht so weit kürzen können, bis es eng genug ist, weil die Glieder am Ende breiter werden.
Außerdem dachte ich, dass das Vermischen der Perspektive ein sicherer Hinweis wäre, sowie die Detailkenntnisse.
Viel zu schwach, wie ich nun weiß.
LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)
lieber nifl,
ok - weist dann darauf hin, dass sich der icherzähler mit dem jungen identifiziert
nach meinem sprachgefühl "war", weil es insgesamt vergangenheit ist - doch vielleicht hast du recht - können das die fachleute klären?
elemente deiner "auflösung" schwingen für mich auf jeden fall mit, insoferne finde ich den text gelungen (auch wenn ich selbst derartige texte nicht als rätsel lese und daher auch gar keine eindeutige auflösung suche/ brauche)
'ideal' fände ich, wenn der letzte satz entfallen könnte, d.h. wenn das schon zwischen den zeilen bzw. an anderer stelle klar würde (wegen der 'dramatischen konstruktion' des endes, die man als auf effekt zielend lesen kann) - das ist aber ein hoher anspruch; ich finde den text auch in dieser form fein - und halte es für eine seiner stärken, dass ein derartiger satz überhaupt am ende stehen kann, ohne dass der text damit unglaubwürdig bzw. 'billig' scheint.
abendgruß
aram
ps - das 'verbindende moment', das max d. sucht, ist vielleicht das gleiche, das ich beim ersten lesen vermisste. muss aber nicht.
Doch hat er eine besondere "Beziehung" zu dem Fahrrad, eine Verbundenheit. Es ist mitnichten ein beliebiges Fortbewegungsmittel für ihn.
ok - weist dann darauf hin, dass sich der icherzähler mit dem jungen identifiziert
Es ist doch Konjunktiv. Da muss es doch "ist" heißen, oder nicht?
nach meinem sprachgefühl "war", weil es insgesamt vergangenheit ist - doch vielleicht hast du recht - können das die fachleute klären?
elemente deiner "auflösung" schwingen für mich auf jeden fall mit, insoferne finde ich den text gelungen (auch wenn ich selbst derartige texte nicht als rätsel lese und daher auch gar keine eindeutige auflösung suche/ brauche)
'ideal' fände ich, wenn der letzte satz entfallen könnte, d.h. wenn das schon zwischen den zeilen bzw. an anderer stelle klar würde (wegen der 'dramatischen konstruktion' des endes, die man als auf effekt zielend lesen kann) - das ist aber ein hoher anspruch; ich finde den text auch in dieser form fein - und halte es für eine seiner stärken, dass ein derartiger satz überhaupt am ende stehen kann, ohne dass der text damit unglaubwürdig bzw. 'billig' scheint.
abendgruß
aram
ps - das 'verbindende moment', das max d. sucht, ist vielleicht das gleiche, das ich beim ersten lesen vermisste. muss aber nicht.
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen
l. cohen
eine Z1000 sicher nicht
nehme alles zurück…habe gerade gegoogelt, bin geschockt… die Z1000 gibt es immer noch.
Huhu aram.
elemente deiner "auflösung" schwingen für mich auf jeden fall mit, insoferne finde ich den text gelungen (auch wenn ich selbst derartige texte nicht als rätsel lese und daher auch gar keine eindeutige auflösung suche/ brauche)
Freut mich. Ein Rätsel sollte es auch nicht werden, eher wollte ich vermeiden den Leser zu unterfordern, aber so ist das mit der Betriebsblindheit.
'ideal' fände ich, wenn der letzte satz entfallen könnte, d.h. wenn das schon zwischen den zeilen bzw. an anderer stelle klar würde (wegen der 'dramatischen konstruktion' des endes, die man als auf effekt zielend lesen kann) - das ist aber ein hoher anspruch;
Volle Zustimmung.
LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)
Menno, Nifl,
darauf wär ich nie im Leben .... hmpf. Ist ja voll gemein, du.gif)
Da müsstest du dem Leser noch ein paar kleine Hinweise übers Setting geben (Elternhaus).
Oder an dieser Stelle:
Ich finde den Typ nicht weinerlich, naja, vielleicht, dass seine Hand zittert, raus. Aber
das Ende finde ich echt gut!
darauf wär ich nie im Leben .... hmpf. Ist ja voll gemein, du
.gif)
Da müsstest du dem Leser noch ein paar kleine Hinweise übers Setting geben (Elternhaus).
Oder an dieser Stelle:
Es ärgert ihn heute noch, zu mehr als Buchhalter hat es nicht gereicht. Unwillkürlich betastet er seine immer noch hervorstehenden Rippenbögen. (Oder so eben). Dann wüsste man es, ohne dass du mit dem Holzhammer, hm?Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn.
Ich finde den Typ nicht weinerlich, naja, vielleicht, dass seine Hand zittert, raus. Aber
das Ende finde ich echt gut!
Schreiben ist atmen
Lieber Nifl,
ich nehme an du überlegst, wie du den Leser in die richtige Richtung schubsen kannst ...
Die Uhr, die noch DM gekostet hat reicht nicht aus - klar.
mein Vorschlag, im Textzitat, eine andere Formatierung und eine Ergänzug fett, das wäre schon ein erster Schritt, glaube ich, schau mal.
Liebe Grüße
Gerdanken
ich nehme an du überlegst, wie du den Leser in die richtige Richtung schubsen kannst ...
Die Uhr, die noch DM gekostet hat reicht nicht aus - klar.
mein Vorschlag, im Textzitat, eine andere Formatierung und eine Ergänzug fett, das wäre schon ein erster Schritt, glaube ich, schau mal.
Liebe Grüße
Gerdanken
Nifl hat geschrieben:Ich hole meinen Koffer aus dem Auto. Habe keine Eile. Meine Blicke schweifen umher und meine Gedanken verlieren sich als ich das alte Fahrrad sehe ...
Ein blonder Junge kommt mit seinem Fahrrad die Straße entlang. Er reißt das Vorderrad hoch und fährt ein paar Meter auf einem Rad. "Kawasaki Z1000" ruft er und versucht aus flacher Brust das Motorengeräusch nachzuahmen.
"Warte, ich möchte dir was sagen", rufe ich ihm zu. Aber da ist er auch schon wieder fort. Ich bedauere es und will das Auto abschließen. Meine Hände zittern. Der Schlüssel fällt mir aus der Hand in den feinen Kies vor dem Doppelcarport. Ein lautes Kratzgeräusch lässt mich aufschrecken. Der Junge macht eine Vollbremsung. Das blockierte Hinterrad zieht einen Halbkreis. Die Steinchen fliegen durch die Gegend. Er grinst wie Colt Seavers. Diesmal versuche ich nicht, ihn anzusprechen. Hoffe, dass er bleibt. Das Fahrrad hat er von seiner großen Schwester. Ein Mädchenfahrrad ohne Stange. Er hat eine Crossmaschine daraus gemacht und alle Schutzbleche abgebaut. "Ich will Stuntman werden, oder Schrotthändler", erzählt er nun. Ich beiße mir auf die Lippen. Dann sieht er stolz auf seine Digitaluhr, als wolle er sich nur davon überzeugen, dass er sie nicht verloren hat, und natürlich will er sie mir auch zeigen."79DM".
Ich weiß. Ein Vermögen. Hundertstelsekunden-Stoppuhr. Er ist dünn. Zu dünn. Das passt nicht zu einem Stuntman und ärgert ihn. Beinahe hätte man das silberne Armband nicht so weit kürzen können, bis es eng genug ist, weil die Glieder am Ende breiter werden. Seine Armbeugen sind wund gekratzt. "Ich guck mal, ob Ulli endlich mit den Hausaufgaben fertig ist. Wenn du Böcke hast, kannst ja mitkommen". Er verschwindet. Mir laufen die Tränen.
Hallo Max Dernet,
auch nach dem dritten Lesen: Nifls Schilderung trieft m. M. n.nicht vor Selbstmitleid.
(Dass sie das nach deinem Dafürhlten tut, solltest du doch bitte an ein zwei Beispielen aufzeigen, einfach zu konstatieren hilft nicht weiter).
Ich finde diese Feststellung, nicht einmal dein subjektives Empfinden legst zu Grunde, destruktiv. Zeige bitte die Stellen auf; ich finde Nifl hat so geschildert, dass er berührt, ohne rührselig zu sein.
Liebe Grüße
Gerda
auch nach dem dritten Lesen: Nifls Schilderung trieft m. M. n.nicht vor Selbstmitleid.
(Dass sie das nach deinem Dafürhlten tut, solltest du doch bitte an ein zwei Beispielen aufzeigen, einfach zu konstatieren hilft nicht weiter).
Ich finde diese Feststellung, nicht einmal dein subjektives Empfinden legst zu Grunde, destruktiv. Zeige bitte die Stellen auf; ich finde Nifl hat so geschildert, dass er berührt, ohne rührselig zu sein.
Liebe Grüße
Gerda
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