Frühlingserwachen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
sasa

Beitragvon sasa » 27.02.2007, 11:41

Herrlich - im wahrsten Sinne des Wortes. Bei meinem ersten sonnenstrahlverwöhnten Stadtbummel in diesem Jahr sprießt das ausladende Machogehabe der werten Männlichkeit wie ein Schwammerl nach ergiebigem Sommerregen - kostenloses Freilufttheater. Die über öde Wintermonate sträflich vernachlässigte Männlichkeitsattitüde ist wieder hellwach.
Durch wattierte Jacken lange schmachvoll eingeengt, unter Steppmänteln fast dem Erstickungstod anheim gefallen, sprengt sie jetzt mit all ihrer Ursprünglichkeit die Grenzen des Geschmacks - schlecht oder gut, darüber lässt sich streiten - bei einigen Plusgraden schwillt der Gockelkamm eben leichter.
Das Thermometer zeigt gerade mal 16 Grad und es weht ein frisches Lüftchen, da rollen die Cabriofahrer mit Spiegelsonnenbrillen betont lässig - lahm trifft es wohl eher - durch die Straßen, was bei mir nur den Schluss zulässt, dass Frauen eben doch die besseren Autofahrer sind. Sie können schön sein und adäquat am Straßenverkehr teilnehmen.
Die Hälfte der eh schon raren Parkplätze in der Innenstadt ist von Stühlen und Cafehaus-Tischchen verstellt, doch die Suchenden zeigen Geduld und Hartnäckigkeit - durchaus wertvolle Charaktereigenschaften - und warten minutenlang mit laufenden Motoren in erdrängelten Schneisen, die den Durchgangsverkehr ganz zum Erliegen bringen. Aromatischer Dieselgeruch vermischt sich mit Milchschaum zu einer interessanten Geschmacksnote.
Was der Weiblichkeit der Beinschlitz war - heute ist es die schamhaarangrenzende Hüfthose - ist dem Manne, bzw. dem, der auf sich hält, das bis zum Nabel aufgeknöpfte Hemd. Die Goldkette mit Kreuz schlängelt sich wie auf Beutezug elegant durchs Brusthaargewirr oder gleitet auf frischrasierten Brustmuskeln - seit Jahren ein echter ´Hingucker`.
Blondierte Gel-Strähnen lässig hinters Ohr geklemmt oder teuer erzwungene Rastalocken üppig ins Gesicht gestreut - kein Zweifel, Mann gefällt sich.
In der Fußgängerzone sind vor den Cafes alle Plätze besetzt und der maßgeschneiderte Männerstolz hält Ausschau. Die Ärmel hochgekrempelt, das Jackett des Armani-Anzugs lässig über die Stuhllehne geworfen, telefoniert der engagiert - flexible Karrieremann, sein Laptop vor sich, mit seinen Geschäftspartnern, kokettiert mit Unterwerfungsgesten, plant das nächste Date und verliert dabei die vorüberflanierende Frauenwelt nicht aus den Augen - da sage noch einmal einer, Männer könnten sich nur auf eine Sache konzentrieren.
Die Coolness schwingt in der Stimme und bestellt einen ´Expresso`, während der angestrengt - feurige Blick aus wasserblauen Augen fast die Schleife der Bauchfrei-Schürze der Bedienung ansengt. Deren gepiercter Bauchnabel blendet im Sonnenlicht andere Gäste und irritiert den älteren Herrn am Nebentisch, der seinen Blick nicht mehr von dem glitzernden Punkt im Hosen-Dekollete der jungen Dame wenden kann. Eine Gruppe Burschen in American-Style-Outfit macht sich am Nebentisch breit. Ihre Manieren stehen den Kniehänge-Hosen und Kapuzen-Sweatern in punkto Unförmigkeit in nichts nach. Alles mindestens zwei Nummern zu groß - das Mädchen, dem sie nachgaffen, ist es bestimmt.
Eine nadelstreifengestählte Jungunternehmerschaft, im Schlepptau drei stöckelnde, mit Nietenhandtäschchen bewaffnete Schönchen, bahnt sich den Weg durch das Gewirr von Beinen jeglicher Art; Stuhl- und Tischbeine inbegriffen.
Eigentlich sehen sie alle gleich aus: Geliert - Backenbärtchen vom Feinsten. Das weibliche Individuum hingegen wird durch andersfarbigen Kajal dick unterstrichen und die Schattierungen diverser Puder lassen den Schluss zu, die Girlies wären kräftig geohrfeigt worden - anscheinend wirkungsvoll, denn sie machen kaum den Mund auf und schlürfen Lipgloss-schonend den Latte macciato mit dem Strohhalm, während die Begleiter tiefsinnig über zukunftsweisende Technologien sprechen - betreffend den abendlichen Termin im Bodybuilding- oder Kosmetikstudio.
Ich belege den einen Stuhl neben mir kunstvoll mit Tasche und verschiedenen Einkaufstüten, über den anderen hänge ich Jacke und Schal und bestelle drei Dinge aufeinmal; gut über den Tisch verteilt bin ich nun zu dritt, die größtmögliche Sicherheit, in Ruhe gelassen zu werden - im Theater stört man(n) eigentlich auch nicht, aber Ausnahmen bestätigen in der Regel die Regel.


sasa
Zuletzt geändert von sasa am 28.02.2007, 16:37, insgesamt 3-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.02.2007, 12:07

Liebe sas,

herzlich willkommen im Salon und herzlichen Glückwunsch zum, wie ich finde, gelungenen Einstand!
Ich habe mich köstlich amüsiert!
Aber: trägt mann jetzt wirklich Backenbärtchen, Ich kenne nur dies präziese rasierten Streifenunterhalb und neben dem Kinn. Aber vielleicht ist mir d was entgangen, ich werde daruf achten.

Das Einzige, was mir aufgefallen ist: Kann sich Dieselgeruch mit Milchschaum zur einer Geschmacksnote vermischen? Mir ist schon klar, was Du sahgen willst, aber vielleicht wäre es glücklicher, sich auf Geruch oder Geschmack zu konzentrieren.

Liebe Grüße und viel Spaß hier im Blauen Salon!

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 27.02.2007, 12:31

Hallo sasa,

erst einmal ein herzliches Willkommen hier im Salon! Deinen Einstandstext habe ich mit Schmunzeln und viel Vergnügen gelesen. Ich kann Dir aus eigenen Betrachtungen versichern, dass Du genau hingesehen und nicht übertrieben hast. Besonders gut gefällt mir die sprachliche „Verpackung“ Deiner Beobachtungen, schön bissig und sehr lebendig.

Einzig der Satz

im Theater stört man(n) eigentlich auch nicht


stößt mir auf, da ich ihn im Zusammenhang unpassend finde. Im Theater sind doch normalerweise die Plätze nummeriert und die Karten werden in aller Regel im Voraus bestellt, so dass man nie weiß, wen man neben sich hat. All dies geht aber nicht mit den Plätzen in einem Straßencafé zusammen. Auch das „Blockieren“ von Plätzen funktioniert im Theater nicht. Hier würde ich noch über einen anderen Vergleich nachdenken.

Den Dieselgeruch und Milchschaum hat leonie ja schon kritisch angemerkt, ich teile ihre Ansicht.

Liebe Grüße
Herby

sasa

Beitragvon sasa » 27.02.2007, 12:47

Hallo Leonie, hallo Herby,

vielen Dank für eure Rückmeldung.
Liebe Leonie,
ja, es müsste wohl eher Geruchsnote statt Geschmacksnote heißen und viele junge Männer tragen wieder schmale Streifen von Bartstoppeln im Gesicht, vorallem um das Kinn herum, vielleicht um sich markant zu gestalten.

Lieber Herby,
das Theater im letzten Satz bezieht sich auf das Freilufttheater in der Einleitung und außerdem sind Männer nach meiner Erfahrung im wirklichen Theater in der Minderzahl oder - es kommt auf die Art der Vorführung an - gar nicht anwesend und deshalb stören sie nicht - was nicht heißen soll, dass ich männerfeindlich bin.

sasa

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.02.2007, 12:48

Hallo sasa,

herzlich willkommen im Blauen Salon,-)

Klasse, deine Satire, habe herzhaft gelacht. Vor allem diese Stelle

Die Coolness schwingt in der Stimme und bestellt einen ´Expresso`, während der angestrengt - feurige Blick aus wasserblauen Augen fast die Schleife der Bauchfrei-Schürze der Bedienung ansengt.


ist ein Brüller:)
amüsierte Grüße
Magic

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.02.2007, 14:01

Hallo sasa,

ich begrüße dich herzlich von Neuling zu Neuling.

Ich amüsiere mich sehr über deinen Text, deine Studie könnte auch vom Graben in Wien stammen aus dem Schanigarten vor dem Segafredo.

Einzig der Schlusssatz geht für mich daneben.
im Theater stört man(n) eigentlich auch nicht, aber Ausnahmen bestätigen in der Regel die Regel.


Aber so spritzig, wie du schreibst, fällt dir bestimmt ein klarer Abschluss ein. Etwas in der Art:
Gut abgesichert lehne ich mich zurück und betrachte das Theater um mich herum.

Oder so, aber besser :-)

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 27.02.2007, 15:36

Liebe sasa, herzlich Bild

gerade habe ich mich an deinem Frühlingserwachen erfreut. (Hier regnet es in Strömen).
Wie ein heller "schräger" Sonnenstrahl hast du mich mit deinem Text erwischt.
Gefällt mir.
Hier Kleine Mäkeleien:

sas hat geschrieben:Aromatischer Dieselgeruch vermischt sich mit Milchschaum zu einer interessanten Geruchsnote.


Zwei mal Geruch in einem Satz, das köntest du besser lösen.


sas hat geschrieben:Geliert - Backenbärtchen vom Feinsten.


Das "Geleiert" finde ich köstlich, weil es so schön doppledeutig ist. Gemeint ist "Gegelt", nehme ich an, aber ich würds so lassen, weil es so wirkt, als ob die Leute, die du beschreibst in Gel gegossen sind.


sas hat geschrieben:im Theater stört man(n) eigentlich auch nicht, aber Ausnahmen bestätigen in der Regel die Regel.


Dieser Schluss behagt mir nicht... irgendwie empfinde ich ihn konstruiert, angehängt und gar nicht mehr locker...

Herby schrieb auch etwas dazu. Ich kann das Theater so nicht, wie von dir gewünscht intendieren.

Liebe Grüße
Gerda

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annette
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Beitragvon annette » 27.02.2007, 18:17

Hallo sasa,

Du hast sehr schön den Hormonstau am Winterende beschrieben und was der Frühling außer Blüten noch so alles treibt.
Sprachlich ist es mir an einigen Stellen etwas zu überladen, die Bindestrich-Konstruktionen manchmal etwas zu angestrengt gesucht, aber es passt wunderbar zur übertriebenen Attitüde der Leute, die Du beschreibst.

Hier ein paar Details:

Die über öde Wintermonate sträflich vernachlässigte Männlichkeitsattitüde ist wieder hellwach.

> Der Gegensatz "vernachlässigte" – "hellwach" ist etwas schief. Entweder statt "vernachlässigt" was mit Winterschlaf oder statt "hellwach" etwas wie "angesagt", "wird wieder herausgeputzt" oder "kommt wieder zum Vorschein".
Durch wattierte Jacken lange schmachvoll eingeengt, unter Steppmänteln fast dem Erstickungstod anheim gefallen, sprengt sie jetzt mit all ihrer Ursprünglichkeit die Grenzen des Geschmacks –

> "Ursprünglichkeit" ist mir hier zu positiv konnotiert, wie wärs mit "Urwüchsigkeit" oder "Urtümlichkeit"? Irgendwas Neandertaliges ...

Sie können schön sein und adäquat am Straßenverkehr teilnehmen.


> Sie können schön sein und trotzdem adäquat am Straßenverkehr teilnehmen

Was der Weiblichkeit der Beinschlitz war - heute ist es die schamhaarangrenzende Hüfthose - ist dem Manne, bzw. dem, der auf sich hält, das bis zum Nabel aufgeknöpfte Hemd.

>Den veralteten Beinschlitz würde ich hier weglassen:
Was der Weiblichkeit die schamhaarangrenzende Hüfthose, ist dem Manne, bzw. dem, der auf sich hält, das bis zum Nabel aufgeknöpfte Hemd.

Rasterlocken

Ist das neue Rechtschreibung? Ich würde bei den Rastalocken bleiben.

[/b]engagiert - flexible[/b]
> engagiert-flexible

da sage noch einmal einer, Männer könnten sich nur auf eine Sache konzentrieren.

Vielleicht das Schlagwort Multitasking verwenden?

angestrengt – feurige
> angestrengt–feurige

Eine Gruppe Burschen in American-Style-Outfit
> "Burschen" klingt für mich seltsam im Zusammenhang

Ich weiß zwar nicht, ob das jetzt Lust auf den Frühling macht, aber sicher Spaß beim Lesen!

Lieber Gruß, annette

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 02.03.2007, 23:59

Hallo sasa,

ein toller Einstandstext!!!

Sehr fließend und wohlgesetzt formuliert, eine wirklich ausgearbeitete Schreibe, scharfe Beobachtungen, kreativer Wortschatz.
Wenn auch der Text für mich nicht allzu viele neue Erkenntnisse bringt, so ist dies doch ein nahezu professioneller Meinungsbeitrag. Eine Prise Schärfe mehr täte ihm vielleicht gut?

Würde mich freuen, dich beizeiten im Kreis der Kolumnisten zu begrüßen können. Guckst du hier:

http://www.blauersalon.net/online-liter ... php?t=3504

Herzlich willkommen im Salon!

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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