Der Alte II

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 06.02.2007, 23:19

„Denn er kennt unser Gebilde, gedenkt, dass wir Staub sind.
Der Mensch – wie Gras sind seine Tage, wie die Blume des Feldes, so blüht er.
Fährt ein Wind darüber, so ist sie nicht mehr, und ihr Ort kennt sie nicht mehr."

Psalm 103




Niemand kannte ihn wirklich.
Man wusste nur:
Er hatte gegen das Leben gespielt
und verloren.
Selten sprach er von der Zeit seiner Siege,
seines Zenits.

Er war ein Getriebener,
zog über endlose Straßen,
lebte im Schmutz der Städte.

Ob er kam oder ging,
niemand nahm davon Notiz.
Er strafte die Welt
mit Lächeln.

Man fand ihn,
irgendwann.
Bettete ihn zur Ruhe,
irgendwo,

und es war, als wäre er nie gewesen.

Gast

Beitragvon Gast » 09.02.2007, 12:34

Lieber Herby,
auch wen ich mich immer noch nicht wieder intensiv mit deinem Text beschäftigt habe, so meine ich, er sei unter "Lyrik und Kultur" , an der richtigen Stelle, wobei er unter "Freies Weben" nicht falsch ist, nur denke ich, das er in die speziellere Rubrik eben noch besser passen würde.
Mir persönlich ginge er bei "Kurzpürosa" vielleicht doch unter...
Warten wir mal was pandora meint und dann können wir ja immer noch verschieben.

Liebe Grüße aus dem grauen Taunus
(der Schnee ist futsch)
Gerda :smile:

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 11.02.2007, 17:05

Lieber Herby,

der Alte I war der Prosatext, ja? Ich erinnere mich gut an ihn.

Ich glaube, dass das Lächeln gut in deinen Text passt, weil dieser sich klassischer Bilder bedient - und zu diesen ordne ich auch das erhöhende Lächeln. Der Alte scheint mir als Motiv nahe am Weisen und der Weise lächelt o

Vielleicht merkt man dem Text etwas zu stark an, dass kein Alter ihn geschrieben hat (der hätte in Sokratestradition wahrscheinlich gar keine geschrieben ;-)), sondern jemand, der das besondere solcher Menschen bzw. dieses Motivs zeigen möchte, weil es ihm wichtig ist, es gegen allzu oberflächliche Werte zu behaupten/aufzuzeigen. Besonders macht das für mich das "strafen" deutlich (die einfache Geste des Lächelns sagte vielleicht schon mehr). Ich glaube, letzlich ist das kein Fehler deines Textes, auch keine Schwäche - es ist einfach eine Art von so etwas zu erzählen und der eine kann sich in dieser Weise von inneren Werten erzählen lassen, der andere nicht. ich pendel zwischen Gefallen (die Rechtschaffenheit, weil der Mensch gut ist und klassisch) und Entfernung (weil der Mensch mir zu gut und zu klassisch erscheint).

Sprachlich kommt die "Wende" sehr plötzlich (Scheitern vs. Scheitern relativieren zu Gunsten innerer Erhöhung/Stärke), ich würde zumindest das:

Er strafte die Welt
mit Lächeln.

absetzen? Vielleicht könnte man es auch nur durch eine Zeile einleiten oder durch eine wendende Konjunktion wie aber oder doch...?

Gerade weil er erst als Getriebener beschrieben wird, was ja als Ausdruck für einen unruhigen Charakter steht und dann dieses erhabene Lächeln - ist schwer so ohne einen einzigen Umbruch zu lesen.

In Vers 1 finde ich noch das wirklich verzichtbar?

Ich empfinde den Text als sehr schlicht und ehrlich, das schätze ich an ihm. Auch wenn ich in zu Teilen mehr als Bild/Motiv lese als ein wirklich dargestellten "konkreten" Menschen - er also erst sekundär auf mich wirkt. Aber das ist ein gängiges Stilmittel - im Grunde arbeitet das ganze griechische Theater damit.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Herby

Beitragvon Herby » 13.02.2007, 10:49

Liebe Lisa,

Deine Gedanken zu meinem Text sind mir wertvoll und ich danke Dir herzlich dafür.
Ja, der Alte I ist ein Prosatext, und ihm wie auch diesem Alten II liegt die flüchtige Begegnung mit einem Mann und seinem Lächeln zugrunde, die mich noch heute berührt. Aber Du hast Recht, es ging mir nicht darum, diesen einen „konkreten“ Menschen darzustellen, sondern, wie Du richtig sagst, ein Bild bzw. Motiv.
Mein „Alter“ hat tatsächlich etwas von einem Weisen, weil sein Lächeln ist das Endergebnis eines langen und leidvollen Prozesses. Jedenfalls verstehe ich es so.
Du schreibst:

Vielleicht merkt man dem Text etwas zu stark an, dass kein Alter ihn geschrieben hat (der hätte in Sokratestradition wahrscheinlich gar keine geschrieben ),



Ob das Alter bei meinem Text eine Rolle spielt, vermag ich selbst nicht zu beurteilen und von Sokrates weiß ich viel zu wenig, um zu diesem Teil Deiner Antwort Stellung zu nehmen. Was genau meinst Du mit „Sokratestradition“? Mir fiel beim Lesen Deiner Antwort spontan nur Boethius’„Si tacuisses…“ ein. Meinst du es in diesem Sinne? Ich werde mal versuchen, mich schlau zu machen.

Du sprichst dann die „Wende“ an, die Dir zu unvermittelt kommt. Hierüber werde ich nachdenken, vielleicht wird sie durch eine Hinführung oder Vorbereitung für den Leser tatsächlich nachvollziehbarer.

Bei der Frage, ob in V1 das „wirklich“ verzichtbar ist, habe ich allerdings Zweifel. Es war mir im Kontext wichtig, um den Unterschied zu einem nur oberflächlichen Kennen deutlich zu machen. Ist Dir diese Differenzierung einleuchtend oder lege ich einfach zuviel in dieses Wort hinein?

Danke für die Auseinandersetzung mit meinem „Alten“ und liebe Grüße
Herby

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.02.2007, 10:51

Lieber Herby,
Ob das Alter bei meinem Text eine Rolle spielt, vermag ich selbst nicht zu beurteilen und von Sokrates weiß ich viel zu wenig, um zu diesem Teil Deiner Antwort Stellung zu nehmen. Was genau meinst Du mit „Sokratestradition“? Mir fiel beim Lesen Deiner Antwort spontan nur Boethius’„Si tacuisses…“ ein. Meinst du es in diesem Sinne? Ich werde mal versuchen, mich schlau zu machen.


Zum Alter: Nein, nein! Ich meinte doch mit der unglücklich gewählten Abkürzung nicht, dass das Alter Beduetung hätte, sondern dass das lyrische beobachtende Ich in dem Text nicht die Perspektive deines "Alten" (als weißes Motiv) hat, sondern eben diesen beobachtet und "rechtfertigt". Der weiße Alte selbst könnte ja nie so über sich reden, sich so darstellen, wie es das lyr. ich tut, das meine ich auch mit "Sokratestradition", was überhaupt kein Fachausdruck ist (ich benutze meistens ausgedachte Worte :-)), sondern nur darauf anspielen sollte, dass Sokrates ja naxh Platos Berichten nie etwas selbst aufgeschrieben haben soll -. eine Lehre ohne Hab und Gut sozusagen und da gleicht mir dein Alter jenem ein wenig..

Was du mit Boethius meinst, weiß ich wiederum nicht, ich kenne nur seinen "drei Personen, eine Substanz"-Satz - ansonsten ist er und seine Lehre mir unbekannt?

Bei der Frage, ob in V1 das „wirklich“ verzichtbar ist, habe ich allerdings Zweifel. Es war mir im Kontext wichtig, um den Unterschied zu einem nur oberflächlichen Kennen deutlich zu machen. Ist Dir diese Differenzierung einleuchtend oder lege ich einfach zuviel in dieses Wort hinein?


Ja, ich dahcte mir, dass diese Rückfrage kommt, aber in solchen Aussagen bin "streng". Denn was heißt denn, jemanden zu kennen, wenn man ihn nicht wirklich kennt? Letzlich doch, dass man ihn gar nicht kennt, oder? Ich meine, das, was man von ihm kennt, was für einen Wert hat das? Für mich keinen in deiner Behauptung, besonders nicht, weil die, die meinen ihn zu kennen, als weniger einsichtig und klug dargestellt werden.

Daher ist für mich "wirklich kennen" schwächer als mwenn der Satz ohne stünden, denn nochmal: Ein oberflächliches Kennen ist in seiner Summe (und das ist die Auswirkung) doch genauso 0 wie ein nicht kennen, ja vielleicht sogar noch verheerender...- . Für mich das überzeichnet, ein "leerer" Gebrauch von Sprache - jemanden oberflächlich zu kennen ist für mich etwas, das keiner Abhebung von nicht kennen bedarf.

Ich hoffe, ich konnte zu Entwirrungen beitragen :razz: :pfeifen:
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Herby

Beitragvon Herby » 14.02.2007, 11:05

Liebe Lisa,

Zum Alter: Nein, nein! Ich meinte doch mit der unglücklich gewählten Abkürzung nicht, dass das Alter Beduetung hätte, sondern dass das lyrische beobachtende Ich in dem Text nicht die Perspektive deines "Alten" (als weißes Motiv) hat, sondern eben diesen beobachtet und "rechtfertigt".


achsooooooo ... oops, da hab ich beim Lesen aber auf der Leitung gesessen! Ja, ich verstehe jetzt, wie du es meinst.

Was du mit Boethius meinst, weiß ich wiederum nicht, ich kenne nur seinen "drei Personen, eine Substanz"-Satz - ansonsten ist er und seine Lehre mir unbekannt?


Wenn ich das richtig weiß, stammt von ihm der Satz: Si tacuisses, philosophus mansisses - hättest Du geschwiegen, wärest Du ein Philosoph geblieben.

Über Deine Gedanken zum Kennen und Nichtkennen werd ich jetzt erst einmal nachdenken. :12: :pc0034:

Liebe Grüße und Dank für Deine Antwort
Herby (der Entwirrte)


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