Menschen suchen (gereimt)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Franktireur

Beitragvon Franktireur » 26.03.2006, 22:27

Menschen suchen

(In Erinnerung an Erich Kästner und in seinem Stil)


Sieh nur die Menschen
sie wahren den Schein
sie suchen Geborgenheit
und sind doch allein
weil es so schwer fällt, Gefühle zu zeigen
müssen Trauer sie und Schwermut vertreiben
und reden sich ein
es wär halb so schlimm

Sie sind in Vereinen
sind sehr engagiert
sie suchen Geselligkeit
gut organisiert
weil es ist besser, sich an Regeln zu halten
man zahlt einen Beitrag, läßt die Freizeit verwalten
man wird integriert
das ist ja der Sinn

So sind halt die Leute
ihnen fehlt nur der Mut
sie suchen die Zweisamkeit
sind sehr auf der Hut
damit sie nicht ihr kleines bißchen Glück verpassen
sie greifen danach, doch sie können es nicht fassen
dann packt sie die Wut
und wirft alles hin

Schau diese Menschen
sie suchen herum
und ihre Einsamkeit
die bringt sie fast um
denn es ist nicht so leicht, den Menschen zu finden
um sich den Rest seines Lebens an ihn zu binden
so werden sie dumm
und die Zeit geht dahin


(c)Franktireur

Äh ja, :-$ nur um zu zeigen, daß ich auch ab und zu reime...

Herby

Beitragvon Herby » 27.03.2006, 00:14

Hi Frank,

ja sag mal ... O:) Franktireur reimend ... ungewohnt, überraschend und allein deshalb schon schön! Aber auch trefflich beobachtet und den Finger in die Wunden des sogenannten Zeitgeists gelegt!

Was Kästners Stil angeht, so kenne ich seine Lyrik zu wenig, um beurteilen zu können, inwieweit du ihm nahe kommst. Hast du dich mit dem unregelmäßigen Versmaß deines Textes an Kästner orientiert? Geläufig ist mir nur seine "Ballade vom Nachahmungstrieb", die aber ein völlig anderes Thema behandelt. Grund genug, sich mal wieder in Kästner zu vertiefen...

Danke, sehr gerne gelesen :!:

LG Herby

cyberpoet

Beitragvon cyberpoet » 27.03.2006, 03:08

hallo franktireur!

ich bin beeindruckt! musste schon beim titel über das (gereimt) lächeln, weil es bei dir ja eher ungewöhnlich ist. das thema finde ich auch wunderbar, gerade deshalb, weil ich ganz bewusst bei keiner religionsgemeinschaft, bei keinem verein, auch bei keiner partei bin. ich sehe darin auch bei vielen menschen nur einen verzweifelten versuch, für sich irgendeine form des zugehörigkeitsgefühl zu erschaffen.

bei der dritten strophe bin ich in der letzten zeile allerdings ins trudeln geraten, weil ich mir keinen "reim" darauf machen kann, worauf sich diese bezieht. sollte es nicht heißen:

und werfen alles hin

da du ja im gesamten gedicht von den und nicht dem menschen sprichst? ist nur so eine frage ;-))
die aussage der ersten strophe hat mich an einen eigenen text von mir erinnert, nämlich in bezug auf....sie suchen geborgenheit und sind doch allein...

er lautet:

entsteigt ihr eurer einsamkeit
auf suche nach gemeinsamkeit
besteht zum teil wahrscheinlichkeit
dass ihr gemeinsam einsam seid

du siehst, ich suche ja auch "verzweifelt" nach gemeinsamkeiten. ;-))

noch einen schönen tag frank!

cyberpoet

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 27.03.2006, 17:32

Hallo Herby,

danke für die netten Zeilen. :smile:

Zu deiner Frage, die unregelmäßigen Versmaße betreffend, kann ich nur sagen, ja, ist Absicht, und ja, Kästner hat derartiges in nicht wenigen seiner Gedichte, aber nicht in allen. Ursprünglich sollte das mal ein Liedtext sein (also Vertonung), da ich bereits einige Kästner-Gedichte vertont habe und nun mal ein eigenes in seinem Stil probieren wollte (aus einer Vertonung ist dann doch nix geworden).

Hallo cyberpoet,

auch dir ein danke für die netten Zeilen. Ich hatte beim Einstellen auch ein wenig im Hinterkopf, daß du es bestimmt lesen wirst... :smile:

Zu deiner Anmerkung: "wirft alles hin.":
Das ist in gewisser Weise ein Spiel mit Worten. Die Wut packt die Menschen, und die Wut wirft alles hin. Solcherlei Spielereien hat auch Kästner hier und da drauf. Zugleich wird - das gebe ich frank und frei zu - das auch durch die Silbenzahl vorgegeben (sonst würde es arg holpern). Es ist also eine Art "aus einer Not versuchen, einen Gewinn zu machen".

Sicher gäbe es noch mehr zu mäkeln (wundert mich, daß das bisher gar nicht passiert ist), weils ja nicht 100% gereimt ist und auch unreine Reime drin sind...

Jedenfalls freue ich mich jetzt nur mal einfach über eure Kommentare, danke.

Gruß
Frank

PS: cyberpoet - Dein Vierzeiler gefällt mir. Besonders das "gemeinsam einsam" ist sehr aussagekräftig.

cyberpoet

Beitragvon cyberpoet » 27.03.2006, 17:41

hallo frank!

danke für die aufklärung. jetzt macht natürlich "wirft alles hin" sinn für mich. gut gefällt mir in deinem kommentar, dass du "frank und frei" zugibst...das ist bei deinem namen ziemlich naheliegend :grin:

schönen abend noch und danke für deine positive kritik zu meinem vierzeiler!!

lg

cyberpoet

Maija

Beitragvon Maija » 27.03.2006, 17:52

Mir gefällt dein Gedicht halt so wie es ist, auch wenn es etwas holpert. :-$

Grund genug, sich mal wieder in Kästner zu vertiefen...


Leider auch nicht viel von Kästner gelesen. Stell ihn doch mal vor( Buch und Lesetipps), wenn du Zeit hast :thumbleft: Vielleicht eines seiner Werke etc. :read2:

Dein Gedicht gern gelesen!

Gruß Maija

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 27.03.2006, 18:03

Gute Idee :smile: . Danke für die Anregung.
Ich werde mal ein paar Bücher empfehlen. Kästner hat mehr als "nur" Kinderbücher geschrieben. Aber mehr dazu demnächst bei den Büchertipps. Kann aber ein paar Tage dauern...

Gruß
Frank

Gast

Beitragvon Gast » 27.03.2006, 18:26

Weißt du, weshalb ich nichts dazu geschrieben habe?
Nein, natürlich nicht Frank, aber ich werde es jetzt offenbaren:
Inhalt eines alten Gedichts, ist, du wirst es kaum glauben: Gemeinsam Einsam... auch gereimt habe ich es... vielleicht finde ich es irgendwo ausgedruckt, denn an die Datei komme ich derzeit nicht heran.
Langsam häufen sich sich hier die Gedankenüberschneidungen im Blauen Salon...
Wahrscheinlich ist das aber normal, denn wir versuchen ja nicht nur an der Oberfläche zu kratzen...
Mich stören weder die Reime ob rein oder unrein bei deinem Gedicht, weil sie für die Aussage nicht essnetiell sind
Ich halte es sogar für schlecht, wenn die Aussage darunter leidet, dass der Reim "sauber gehalten" wird...
Du siehst also gelesen habe ich es auch, nicht konsumiert ;-)
Einen schönen Abend
Gerda


(Erinnerst dich vielleicht, Dateien beim Sohn auf dem MP 3 Player, diese müssen erst noch mit dem Virenscanner bearbeitet werden und dann wieder auf meine Festplatte , auf der windows frisch installiert ist, drauf)

Gast

Beitragvon Gast » 27.03.2006, 18:31

Ach ja, der gute Kästner... die lyr. Hausapotheke...
fein, da bin ich gespannt... :grin:

Herby

Beitragvon Herby » 27.03.2006, 20:53

Hi Frank,

habe eben deine Antwort gelesen und ein Satz beschäftigt mich noch. Du schreibst:

... aus einer Vertonung ist dann doch nix geworden

Woran lag es? Sperrte sich der Text gegen eine Vertonung oder lag's einfach nur an mangelnder Zeit oder Lust? Gibt es überhaupt Texte, die sich nicht vertonen lassen? Texte in Musik umzusetzen finde ich faszinierend, aber ich bin kein Musiker, daher auch meine laienhaften Fragen.

Liebe Grüße
Herby

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 27.03.2006, 22:18

Ursprünglich hatte ich aus 2 Kästner-Bänden 12 Gedichte herausgesucht, um sie zu vertonen (schlagwerk, bass, keyboards, blasinstrument) - 3 davon habe ich in "Demo"-Versionen komplett selbst gemacht, wir waren drauf und dran, eine Kombo zusammenzukriegen, um dann Live-Abende mit Musik und Literatur zu machen - da entstand der plan, selbst Gedichte in dem Stil zu schreiben und in Musik umzusetzen.
Das alles hat sich dann zerschlagen aus Zeitmangel (nicht nur meiner) und noch anderen Schwierigkeiten, die sich ergaben. Darum ist nix draus geworden. Bis heute ist es bei den 3 Kästner-Stücken geblieben in den "Demo"-Versionen - da wird sich auch nix mehr tun... :???:

Gruß
Frank

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 24.12.2017, 10:59

Ich sage es nicht ironisch, sehe hier eine gute Porträtierung der deutschen Gesellschaft. Von daher könnte das Gedicht auch "Deutsche suchen" heißen.
Es ist ein Dilemma, aber gerade diese so abgelehnte Gesellschaft ist diejenige, die am besten funktioniert, diejenige, zu der viele Zuflucht suchen. Ja, es ist ein Dilemma. Es ist wahrscheinlich so, dass, damit eine Gesellschaft, ein Gemeinwesen gut funktioniert, damit das Gesundheitssystem, zum Beispiel richtig funktioniert, damit die Infrastruktur richtig funktioniert, etc.
Damit das alles richtig funktioniert, müssen die Gefühle in den Hintergrund treten.
Ein banales Beispiel: Ältere Menschen, Rentner, die in den Süden auswandern, kehren oft zurück, wenn sie ernsthaft krank sind. Sogar viele Ausländer, ehemalige "Gastarbeiter", sind am Ende doch hier geblieben, weil hier sie im Alter besser versorgt sind.

Ja, Gefühle sind eine schöne Sache, aber am Ende entscheiden sich die Meisten doch für die Sicherheit. Niemand will als Obdachloser enden.

Ich habe sehr gerne das Gedicht gelesen und den Kommentaren aufmerksam gelauscht, ich lerne immmer viel davon.

Ich glaube, Kästner wird irgendwie von den Intellektuellen belächelt, ein "Hausapotheker". So wie auch Fontane einer war.


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