Abends
Es war 10 vor 8, als ich plötzlich mit dem Mikrofon vor mir stand und mich fragte: "Wissen Sie noch was Liebe ist?"
Ich war verdutzt über die Frage und überlegte 2 Minuten, bevor ich sagte: "Da oben im Regal ist das Foto meines Mannes. Das hab ich noch!"
Mit dieser Antwort war ich nicht zufrieden und fragte eindringlicher: "Wissen Sie wirklich noch was Liebe ist?"
Nun schaute ich irritiert meinen Dackel an, der genüsslich an einem Vollwert-Knochen kaute und von der Frage keine Notiz nahm.
Schon wieder waren 4 Minuten vergangen, als mir einfiel: "Wenn ich das richtige Shampoo aus der Apotheker-Zeitschrift nehme!"
Es herrschte Stille, eine berüchtigte Stille, und ich sah mein Gesicht blaß werden.
Die Uhr tickte, das Mikrofon hatte ich immer noch auf mich gerichtet, dann fiel es mir endlich ein: "Dass ich auf einem Ikea-Stuhl sitze!"
Tja, und dann fing die Tagesschau an, aber glauben Sie bitte nicht, daß da was Neues kam. Im Übrigen geht es mir im Herbst immer so.
Die sind wieder am Debatieren über eine Gesundheitsreform und an der Post und der Bahn soll auch was verändert werden. Na, sollen sie doch reden. Weder ist es mit meiner Gesundheit weit her, und die paar Briefe, die ich noch bekomme, die werden trotz Reform schon noch bei mir ankommen.
So lange die über das reden, kommen sie nicht wieder auf eine Rentenreform.
Also die Tagesschau war langweilig, aber mir war wegen dieses komischen Interviews irgendwie unruhig. Ich schaute nochmal ins Programm, aber es schien mir alles bekannt und so hatte ich seit langem mal wieder so einen unruhigen, unternehmungslustigen Drang. Ich erinnerte mich noch an den Herbst. Das Wetter war damals noch gut und mild und so zog ich mich an, ohne zu wissen, wo ich eigentlich hin wollte. Der Dackel wollte nicht mit. Ich sage in mir immer 'Der Dackel' zu ihm, aber laut sage ich halt Schnurzi. Das gefällt ihm besser und er fühlt sich angesprochen. Wenn ich einfach Dackel zu ihm sage, reagiert er überhaupt nicht. So sagte ich also Schnurzi. Aber er wollte nicht mit. Na ja, auch Tiere haben manchmal einen Willen.
Ich ging halt vor die Tür und es war wirklich noch sehr sommerlich, und ich mal wieder, wegen meiner Vorsicht, viel zu warm angezogen.
'Also wohin jetzt?', fragte ich mich.
Mich zog es aufwärts, wie schon lange nicht. Ich bin ja schon eine alte Frau, und nach meinem Sturz will das linke Bein nicht mehr so richtig, aber es schien ganz intakt in dem Moment und so entschloss ich mich mal wieder auf die 'Lichte Höh' zu gehen. Da war ich schon lange nicht mehr. Man sieht so schön auf den Ort von dort.
Ich ging also den Hortenweg aufwärts. Nach ein paar Minuten kam ich an das Grundstück von Schmidtchen und der kniete da in seinem Vorgarten und bohrte mit den Fingern in der Erde.
Mit Schmidtchen hatte ich mal eine kurze Affäre, wirklich nur kurz. Bevor jemand etwas merkte, habe ich es wieder gelassen. Es war ja nur einmal.
Ehrlich gesagt, der roch nicht gut und sein Schniepel war zu dick für mich. Das tat ja mehr weh, als es schön war. Wir haben dann so getan, als ob nichts gewesen wär. Niemand hat etwas bemerkt und wir waren beide froh.
Aber jetzt bohrte er da in der Erde.
"Schmidtchen, was machst du denn da?"
"Huch, jetzt hast du mich aber erschreckt. Na ich suche die Primeln. Die wollen diesjahr überhaupt nicht kommen."
"Aber es ist doch jetzt August, da gibt es doch gar keine Primeln mehr."
"Hast du den noch nie meine Primeln im August gesehen. Ich bin der Einzige, der das kann, und deshalb bleiben auch normalerweise immer alle um diese Jahreszeit hier stehen und schauen in meinen Garten. Im Kurblatt war ich auch schon deswegen, mit Bild. Aber diesmal wollen sie überhaupt nicht kommen. Ich bin schon ganz verzweifelt."
"Hast du denn einen Fehler gemacht?"
"Ich sehe keinen. Wie immer habe ich die Primelzwiebeln in den Kühlschrank gepackt und im Juli eingepflanzt. Dann sind sie mir jedesmal im August gekommen. Nur diesmal nicht."
"Die kommen bestimmt noch ein wenig später. Wir hatten doch so einen kühlen Sommer. Du solltest nicht so ungeduldig sein.", sagte ich noch und ging weiter, immer bergauf den Hortenweg.
Bald hatte ich die 'Lichte Höh' erreicht, viel schneller als ich gedacht hatte und setzte mich auf die Bank. Ja, das war schön, so über den Ort zu schauen und das Tal. Aber die Unruhe blieb.
Ich war so lebendig, so frisch. Es war richtig komisch. Schließlich entschloss ich mich der Unruhe nachzugeben und noch höher zu gehen, zum Claudiusstein. Der ist fast ganz oben auf der Anhöhe, aber noch auf der Seite von unserer Gemeinde. Ich habe immer gesagt, daß der Claudius, der Dichter, doch nie hier war, und man einen Anderen finden sollte, um den Stein so mit diesem Namen zu lassen. Aber da gab es nur böses Blut. Naja, nun heißt er weiter Claudiusstein und Haupsache, die Gemeinde ist stolz, auch wenn nichts stimmt.
Also, ich kam zum Claudiusstein und setze mich auf ihn, um mich zu verpusten. Es tat mit gut von dieser Höhe, auf der ich schon lange nicht mehr gewesen war, auf meine Gemeinde zu schauen, auf das Tal mit allem, was darin war.
Kaum hatte ich 10 Minuten so gesessen, als ich daran dachte, nun wieder zurückzugehen. Der Dackel wartete bestimmt schon auf sein allabendliches Näpfchen und ich hatte ja auch noch kein Nachtmahl gehabt.
Aber nein, mir war einfach jung und jeckig. Ich schaute auf das Tal und wollte weiter gehen, mich irgendwie davon entfernen.
Ich wusste, es war spät, bestimmt schon zehn Uhr und ich, so eine alte Frau, um diese Zeit im Wald!
Mich zog es weiter, einfach nach Mooskirchen. Mooskirchen liegt auf der anderen Seite der Höhe und ist unsere Nachbargemeinde nach Süden zu.
Es zog mich nach Mooskirchen, ohne daß sich einen Grund erkennen konnte. Dreihundert Meter ungefähr aufwärts gehen und dann wäre ich über den Berg und auf Mooskirchen zu. Mich zog es dahin. Mir war klar, daß ich heute nicht mehr zurückkommen konnte zu mir. Aber in Mooskirchen könnte ich mich ja einquartieren. Die Bichlers, das sind die Neffen von der Frau meines Onkels von meinem Mann, die haben da so Gästezimmer. Und da ist bestimmt noch jemand wach, wenn ich komme, und die nehmen mich bestimmt, sagte ich mir.
Also, ich erhob mich vom Claudiusstein und ging noch die dreihundert Meter bergauf bis ganz zur Höhe. Dort oben sind nur wenige Bäume und der Wind saust sonst immer so dort, aber heute war es ruhig, fast, und ich hatte keine Mühe über die Höhe zu kommen.
Tja, da war ich also auf dem Weg nach Mooskirchen mitten in der Nacht. Die Wege durch den Forst von Mooskirchen waren wesentlich besser gepflegt, als bei uns. Nichts lag im Weg und wesentlich breiter waren die auch. Außerdem ging es ja jetzt nur noch bergab. So kam ich denn zügig auf Mooskirchen zu.
'Ob mein Dackel schon bellte vor Hunger?', fragte ich mich zwischendurch, schob die Frage aber schnell wieder zur Seite.
Dann kam mir noch etwas Anderes: In Mooskirchen wohnte mal der Steffel. Auf den hatte ich ein Auge geworfen. Der war so stark und schön gewesen, dass ich hatte immer an ihn denken müssen vorm Einschlafen, damals.
Hab ich den damals angeblinkt!
Aber der wollte mich nicht.
Ich hatte es mit der Zeit verstanden: Ich war nicht fesch genug und meine Mitgift war ja auch nicht sonderlich.
Der hat dann die Stephanie genommen, aber glücklich soll die Ehe nicht gewesen sein, hat es später überall geheißen.
Die sind dann ja auch früh verstorben: Die Stephanie bei der Geburt des zweiten Kindes mit 32. Und er soll sich dann so gegrämt haben, daß er dann auch bald gestorben ist, obwohl er ja erst 42 war. Wenn er mich noch gewollt hätte, hätte er mich sofort haben können.
Mein Mann war ja auch dauernd kränklich. Ständig hatte er es mit dem Kreislauf und dann ist er einfach so mit einem Herzinfarkt von mir gegangen.
Das erste Kind vom Steffel ist damals, als er starb, dann zu den Jesuiten gegangen und das Anwesen ist bis heute immer noch verwaist.
Ich schritt also mitten in der Nacht auf Mooskirchen zu. Die Luft war herrlich und so kam ich an den Waldrand und hielt inne.
Da war also Mooskirchen. Die Lichter der Straßenbeleuchtung glimmten so gelb und in den Fenstern sah ich auch überall die Wärme der Familien.
Ja, Mooskirchen!
Ich setze mich an den Waldrand und atmete alles ein.
Dann stand ich wieder auf. Der Weg wurde steiniger und fester und ich erreichte die Ortsgrenze. Als Erstes kam der Friedhof. Der lag so schön am Hang mit Blick auf den Ort Mooskirchen, auf die grüne Kuppel des Kirchturms, auf all die weißen Häuser, und es sah so sauber aus.
Ich ging einfach hinein, in den Friedhof, und setzte mich auf die Bank, die gleich am Eingang war.
Der Steffel ist hier begraben, dachte ich sofort, und wenn der wieder aufersteht, hat der soo einen Blick. Dem seine Auferstehung wird einfach schön sein.
Je mehr ich so schaute, desto klarer wurde mir, daß ich hier auch begraben sein wollte, nicht nur wegen dem Steffel, sondern allein schon wegen der Aussicht.
Ich hatte schon lange überlegt, um welche Uhrzeit die Auferstehung wohl wäre und bin immer wieder darauf gekommen, daß es nur am Morgen sein kann. Am Abend wird es doch wohl keine Auferstehung geben!
Deshalb ist der Friedhof von Mooskirchen einfach besser, als der bei mir. Hier in Mooskirchen scheint schon um neun Uhr die Sonne auf den Friedhof, während sie bei uns erst um Drei am Nachmittag kommt, und das auch nur im Sommer.
Und dann dieser Blick!
Ja, und der Steffel. Der soll sich ja so geärgert haben über seine Frau. Das hatte er davon, daß er nur auf das Äußere geschaut hat und auf die Mitgift. Ich war mehr fürs Herz.
Das fand mein Mann auch immer, und so waren wir dann bestimmt glücklicher als der Steffel.
Also wirklich, wenn ich das hier so sehe, obwohl es schon fast Mitternacht ist, also hier könnte ich mir meine Wiederauferstehung vorstellen.
Man steht ja dann gleichzeitig wieder auf, und so würde ich und der Steffel dann gleichzeitig hier wieder aufstehen, und wir könnten alles bereuen, und er würde mich dann bestimmt nehmen und sein Frau links liegen lassen.
Je mehr ich so saß und so dachte, um so sicherer wurde ich mir: Ich lasse mich in Mooskirchen begraben.
Nun ja, wohin man so abschweift?
Jetzt ist Januar und dieses Interview?
Aber mein Dackel ist sehr zufrieden!
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Ich versuche mich mal wieder ein wenig in Prosa.
Moshe
Abends
Lieber moshe,
Du kannst sehr schön erzählen, finde ich. Was mir an diesem Text total gut gefällt ist, wie er aufzeigt, wohin man kommen kann, wenn man überraschenden Fragen oder scheinbar abwegigen Gedanken folgt. Man kann so etwas wie Antworten finden und oft ergibt sich plötzlich ein Zusammenhang, auch wo man ihn nicht vermutet hatte: Hier erfährt die Frau etwas über die Liebe und über das, was sie will.
Deine Geschichte enthält viele schöne Details, z. B. die Primeln, die in den Kühlschrank gelegt werden, damit sie im August blühen.
Liuebe Grüße
leonie
Du kannst sehr schön erzählen, finde ich. Was mir an diesem Text total gut gefällt ist, wie er aufzeigt, wohin man kommen kann, wenn man überraschenden Fragen oder scheinbar abwegigen Gedanken folgt. Man kann so etwas wie Antworten finden und oft ergibt sich plötzlich ein Zusammenhang, auch wo man ihn nicht vermutet hatte: Hier erfährt die Frau etwas über die Liebe und über das, was sie will.
Deine Geschichte enthält viele schöne Details, z. B. die Primeln, die in den Kühlschrank gelegt werden, damit sie im August blühen.
Liuebe Grüße
leonie
Lieber Moshe,
ich kann mich Leonies Lob nur anschließen.
An deine Kurzgedichte gewöhnt hatte ich etwas ganz Kryptisches erwartet
- aber Du erzählst es sehr schön und sehr lebhaft. Das einzige, was mich gewundert hat, ist dass es im Januar "noch" sommerlich ist. Die einzigen Landstriche, die ich kenne, in denen es im Januar sommerlich ist, finden zumindest nicht, dass es da "noch" sommerlich ist, weil es entweder immer so ist, oder eben gerade im Januar Sommer.
Das habe ich sehr gern gelesen.
Liebe Grüße
max
ich kann mich Leonies Lob nur anschließen.
An deine Kurzgedichte gewöhnt hatte ich etwas ganz Kryptisches erwartet
.gif)
Das habe ich sehr gern gelesen.
Liebe Grüße
max
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