Weihnachtsskizze

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 22.12.2006, 17:02

Weihnachtsskizze

Wenn du aufschaust,
einen Augenblick nur unterbrichst deine Hast,
kannst du vielleicht
das Christkind sehen
oder den Weihnachtsmann,
die sich ganz schnell hinter der Türe verstecken.

Dann findest du einmal ein langes seidenes Haar,
das du auf den Weihnachtsbaum hängst,
oder auch eine struppige Borste,
die dem weißen Bart des Weihnachtsmannes
entfiel.

Selbst aber wenn du zu langsam bist
bei diesem Spiel
und nur noch den Geruch
von Zimt oder Anis
an deiner Nase vorbeiziehen spürst,
kannst du ans Fenster treten
und in die Nacht hinausblicken,
die für dich einen Lichterbaum aufgestellt hat,
ganz ohne dein Zutun.

Streck deine Hand hinaus,
aber sei vorsichtig, denn kalt weht der Wind herein.
Vielleicht fällt dir eine kleine Flocke auf den Handrücken,
dass du zurückzuckst,
sie an deine Lippen führst und sie spürst
wie den zarten Kuss der Mutter
in deiner Kindheit.

Max

Beitragvon Max » 22.12.2006, 18:59

Lieber Schwarzbeere,

bei diesem Gedicht bin ich ein wenig zwiegespalten.

Zum einen mag ich es, weil es mich selbst an meine Kindheit erinnert, an das Lauern vor der verhangegen Wohnzimmertür, den Wunsch das Christkind zu sehen, den festen Glauben, das es da ist, wenn von Innen ein Glöckchen läutete.

Andererseits geht der Text aber nicht weiter als dieser Wunsch, sondern transportiert ihn (leider für mich ein wenig zuckrig) nur ins heute. Der

zarte(n) Kuss der Mutter
in deiner Kindheit


ist für mich dabei wirklich etwas viel des Guten. Außerdem habe ich rein sprachlich hier

Dann findest du einmal ein langes seidenes Haar,
das du auf den Weihnachtsbaum hängst,


Probleme - hänt man das Haar wirklich auf den Baum, nicht an?

Liebe Grüße
Max

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 23.12.2006, 12:13

Liebe Beere,

ich empfinde das Weihnachtsfest ähnlich wie du, wachsen doch auch bei mir Erinnerungen und eine innere, fast zärtliche Stille. Man muss sich für sie nur öffnen, Erinnerung wie auch Phantasie kindlich naiv zulassen. Das ist wohl wahr.

Dennoch empfinde ich die sprachliche Umsetzung in Gedichtform noch nicht nachhaltig. Dein Text ist mir ein wenig zu prosa- lastig. Da ich ebenso dazu neige, greife ich mal zu einem Tipp von Lisa, den sie mir schon öfter gab: Mehr verdichten.

Siehst du dazu eine Möglichkeit?
Herzlichst, KÖ

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 23.12.2006, 13:01

Lieber Max

Hier sind die Stellen in deinem Kommentar, auf die ich reagieren will
ein wenig zwiegespalten …zarte(n) Kuss der Mutter ….
… hänt man das Haar wirklich auf den Baum, nicht an?

Da wir vom Engelshaar reden und du dich zwiegespalten fühlst, gehe ich weiter mit diesen „Haarspaltereien“:
„Hängen“ wird vielleicht regional verschieden präfixiert: wir sagen wohl beide, was ja wohl nie passierte, dass ein nettes Fräulein uns etwas „angehängt“, wir uns aber deshalb nicht aufgehängt, wenn wir auch einst sangen, dass „…Seidelbast, hängt sich auf den nächsten Ast“.

Weihnachten ist das Fest des sentimentalen Kitsches für alle, die nicht mehr im christlichen Glauben geborgen leben und nur noch die Erinnerung an jene Zeit in sich tragen, in der sie glücklich und wundergläubig waren. Die Freude über die Ankunft des Erlösers, den Zauber der „Heiligen Nacht“ suchen manche noch in der Hinwendung zu Tradition, dem Besuch einer Mitternachtsmesse, doch selbst die wird zeitverschoben angeboten. Was bleibt also? Wenn die Kinder erwachsen sind, die Enkel irgendwo als Antipoden leben, man sich den jeweiligen Landesitten und -bräuchen fügen muss, dem karnevalesken Getriebe und der festlichen Völlerei, dann ist vielleicht ein gewisses Verlangen nach Stille und Besinnung in uns, die ferne Sehnsucht nach jenen Weihnachten, die wir in verklärter Erinnerung in einem Winkel unseres immer mehr verkümmernden Privat-Ichs noch aufbewahren, und wenn man dann eine Art Rührung in sich verspürt, dann sollte man sich nicht damit in die Öffentlichkeit begeben. Das habe ich aber getan und du hast Recht, wenn du mich dafür schiltst, da das artikulierte Ich seine lyrischen Tränendrüsen besser kontrollieren sollte.

Vielen Dank für deine Reaktion auf einen Text, den ich eigentlich hauptsächlich geschrieben habe , um ein Gegenstück zur Polterei der „Grausliche..“ Posse zu liefern – und dabei versagt habe, wie es scheint.

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Beitragvon Schwarzbeere » 23.12.2006, 13:06

Liebe Kö,

ich wollte bei Leichtigkeit und Formdünne bleiben, doch du hast sicher einen echten Anhaltspunkt geliefert: ich werde also darüber nachdenken, aber wann, das kann ich nicht sagen, da ich bereits von den Weihnachtsvorbereitungen erschöpft bin.
Weißt du, dass ich den Titel "Esquisse" wählen wollte, doch dann darauuf verzichtete, da ich nicht zu versnobt sein will (dachte an Peter Altenberg), doch hätte jener Titel besser als "Skizze" angedeutet, dass es sich eben nur um flüchtige Andeutungen und nicht um eine volle Ausarbeitung handelt

Vielen Dank für die freundliche Anregung.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.12.2006, 23:36

Hallo Schwarzbeere!

Wahrlich bin bin ich kein Sachwalter des weihnachtlichen Getriebes, aber eine Verdichtung wäre auch mein Wunsch zur Intension. Die Bilder gefallen mir und der Verlauf auch. Fast ist mir so, daß ich den Bezug zur Mutter eigentlich lieber nicht haben möchte, sondern ganz dem Thema in sich geschloßen den Vorzug geben möchte.

Chag sameach

Moshe

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Beitragvon Schwarzbeere » 24.12.2006, 00:39

Eine zweite Version, die mein Unvermögen zeigt, mich vom Gespräch mit dem lyrischen Du zu lösen. Dadurch wird das, was ich ursprünglich als "leicht" ansprach, nun patzig und unbeholfen. Ich liefere es aber trotzdem ab, um mich einer noch schärferen Kritik zu stellen.

Weihnachtsskizze (Neufassung)

Lass deine Hast, halt inne, verweile
einen Gedanken lang nur für dich.
Hinter den Fenstern dunkelt der Abend,
klammert mit schwerem Atem sich an
den Vorhängen, die bisweilen erzittern,
im Lärm, der von der Straße heraufsteigt.

Erinnerst du dich, wie als Kind du lauschtest
dem Wispern, Rumoren hinter dem Vorhang,
der das einzige Zimmer der kleinen Wohnung
in Bereiche zum Spielen, Schlafen und Essen
geteilt und auch das Christkind beschützte
vor der Neugier aufgeregt flüsternder Kinder.

Steh auf und geh die zwei Schritte zum Fenster,
zieh den Vorhang zur Seite, lass den Abend herein
der auf dein Gesicht eine Maske dir klatscht
aus Lärm von der Straße, der Menge Geschrei,
Motorengeheul und gestampfter Musik,
dass der Atem dir eng wird und Angst dich befällt.

Hebst du aber die brennenden Augen,
kannst über dem giftigen Dunsthauch der Stadt
den Himmel noch sehen und sogar manche Sterne,
die für dich sich verbrennen, wie sie geheißen.
Vielleicht fällt aus nächtlicher Leere verirrt
eine Schneeflocke nieder auf deine Hand,

dass fast erschreckt du erstarrst und erstaunst,
dann aber hebst du die Hand an die Lippen
und trinkst.den zum Tropfen getauten Kristall.
Aus frühen Tagen steigt Erinnerung auf
an der toten Mutter zärtliches Lächeln,
wenn sie uns Kindern vom Christkind erzählte.




Ein schönes Fest allen Lesern !

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 24.12.2006, 15:38

Lieber Moshe,

auch wenn du dich selbst als unzuständig für Weihnachtserörterungen ansprichst, hast du doch mit deinem Chag sameach freundliche Festtagsgrüße geschickt, und das finde ich sehr nett. Meine etwas übereilte Umarbeitung des Textes habe ich unvorsichtigerweise so halbgegoren ins Forum gestellt, und deinen Kommentar erst dann gelesen.

Du schlägst u.a. eine Ausklammerung der Referenz an die Mutter vor? Da ich zwei Hauptvarianten für ein Weihnachtsgedicht sehen kann, nämlich die traditionelle Verwendung der religiösen Ingredienzen, für die, so die Aussage einige Glaubwürdigkeit aufweisen soll, eine Überzeugung erforderlich sein sollte, wie sie in unserer Zeit nur mehr sporadisch zu finden ist, oder die Auswertung der sentimentalen Komponenten, die dann ohne die Beziehung auf Kindheitserinnerungen kaum denkbar ist, da die Schlagworte Besinnung und Verinnerlichung nicht datumsgebunden sind also sich auch auf z.B. auf Allerheiligen oder persönliche Stichdaten (Geburten, Hochzeiten, Todesfälle) anwenden lassen.

Du kennst wahrscheinlich die amerikanische Vulgärfassung für Ikone der Unantastbarkeit (holy cows), also „Motherhood and Apple-pie“, und leider kann man damit den Kitsch kaum vermeiden.

Ich sollte ein wenig mehr überlegen und weniger reden. So wird die Selbstkritik zur Farce.


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