Das emotionale Tier

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 09.10.2006, 23:52

Das emotionale Tier


Lass uns die Gitter öffnen
den Raubkatzen Freilauf geben
damit sie sich beschnuppern
belecken können

Lass uns die scheue Lust jagen
sie aus ihrem Versteck treiben
damit wir uns erfreuen können
an ihren spitzen Schreien
wenn wir endlich die Fangzähne
ins weiche Fleisch graben

Lass uns satt aneinanderkuscheln
denn die Beute ist kein Wintervorrat
wir planen nicht für die Ewigkeit
jagen nur den Augenblick

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.10.2006, 00:13

Hallo Manfred,

das ist nach meinem gusto :-) Das ist echt klasse, liest sich auch so richtig jagend, toll!
Um dieses "Tier" noch mehr rauszulassen, habe ich folgende Anregungen:


Das emotionale Tier


Lass uns die Gitter öffnen
den Raubkatzen Freilauf geben
damit sie sich beschnuppern -->"damit" hört sich zu mechanisch an, beschnuppern zu blass, stärkeres Wort für finden.
belecken können

Lass uns die scheue Lust ausleben jagen sonst "jagen" doppelt unten
sie aus ihrem Versteck treiben
damit wir uns erfreuen können --> dito, "damit" ersetzen
an ihren spitzen Schreien
wenn wir gierig (statt endlich) die Fangzähne
ins weiche Fleisch graben

Lass uns satt aneinanderkuscheln fressen o,ä. kuscheln passt nicht
denn die Beute ist kein Wintervorrat
wir planen nicht für die Ewigkeit
jagen nur den Augenblick --> dieser Satz ist genial!

Saludos
Gabriella

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.10.2006, 00:25

Hallo Manfred,

angeregt durch dein Gedicht, stelle ich mal eins von mir ein
"Tanz mit mir"
--> ähnlicher Kontext ;-)

Saludos
Gabriella

aram
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Beitragvon aram » 10.10.2006, 01:27

hallo perry, mir gefällt dieser text sehr.

Lass uns satt aneinanderkuscheln
denn die Beute ist kein Wintervorrat

ganz besonders.

ich würde überlegen, das gedicht damit enden zu lassen - danach kommt nichts mehr, was mit "denn die Beute ist kein Wintervorrat" nicht schon gesagt wäre - nur noch eine 'erklärung', die ich beim ersten lesen etwas enttäuschend /dröge fand.

ansonsten würde ich nichts ändern, finde den text toll.

gruß, aram


p.s. - der titel fällt mir erst jetzt auf - meinst du, dass es "emotional" wirklich trifft? für mich beschreibst du eher
"das sinnliche tier".
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.10.2006, 07:02

Hallo Manfred,

ein toller Text!

Ich gebe aram recht, sowohl was das Ende betrifft als auch den Titel.
Auch ich empfinde es so, daß eher das "sinnliche" und nicht das "emotionale" Tier beschrieben wird...

Gerne gelesen,

Gruß

scarlett

Perry

Beitragvon Perry » 10.10.2006, 08:29

Hallo Gabriella,
danke fürs "Klasse", das wärmt erst mal an so einem nebligkalten Morgen. Für deine Anregungen bin ich dir sehr dankbar, weil mir der Text sehr am Herzen liegt.
Ich werde sie mir genau anschauen, kurz nur soviel, die "scheue" Lust ist eine der Hauptaussagen, denn sie stellt den Gegenpart zu der "animalischen" Lust dar. Zum Rest später vielleicht noch mehr.
LG
Manfred

Hallo aram,
auch dein Komm freut mich natürlich sehr, weil er zeigt wie unterschiedlich der Text doch ankommt. Dir gefällt das "satt aneinanderkuscheln" und der Schlusssatz nicht, bei Gabriella wars genau umgekehrt (lächel). Liegt das vielleicht an der geschlechtsspezifischen Lesart?.
Was den Titel betrifft, meine ich wirklich das emotionale Spektrum vom sanften Schnurren bis zum lustvollen Reißen.
Danke für deine Einschätzung und LG
Manfred

Hallo Scarlett,
danke fürs "toll", zu deinen Anmerkungen habe ich bereits bei aram Stellung genommen.
LG
Manfred


vielleicht

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.10.2006, 09:44

Hi Manfred,

auch mir gefällt das gut! Ich finde allerdings auch, dass der Schluss ohne die letzten beiden Verse noch stärker wäre.

Liebe Grüße
leonie

P.S. Ich hatte es so verstanden, dass aram die beiden zeilen auch besonders gefallen. Mir übrigens auch!

Perry

Beitragvon Perry » 10.10.2006, 12:33

Hallo Leonie,
danke für deine Einschätzung. Sicher liegt in dem Wort "Wintervorrat" schon eine Ahnung von "dem Jagen des Augenblicks", ob es aber die ganze Weite der Bedeutung für die Beziehung ausdrückt bezweifle ich noch ein wenig. Dass die "Ewigkeit"! etwas zu pathetisch rüberkommt sehe ich aber mittlerweile auch so.
LG
Manfred

Perry

Beitragvon Perry » 10.10.2006, 13:07

Hallo ihr Lieben,
hier nun eine überarbeitete Fassung:

Das emotionale Tier


Lass uns …

Gitter öffnen
den Raubkatzen Freilauf geben
sich zu beschleichen
belecken

die scheue Lust jagen
aus ihrem Versteck treiben
uns an ihren spitzen Schreien erfreuen
wenn sich Fangzähne
ins weiche Fleisch graben

satt aneinander liegen
nur den Augenblick erhaschen
die Beute
ist kein Wintervorrat

LG
Manfred

carl
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Beitragvon carl » 11.10.2006, 09:47

Hallo Manfred,

ich schließe mich an: mir gefällt Dein Text!
Vorschläge, in welche Richtung Du noch überlegen könntest:

Lass uns

... Gitter öffnen
den Raubkatzen Freilauf geben
sich zu beschleichen
belecken

... die scheue Lust jagen
aus ihrem Versteck treiben
uns an ihren spitzen Schreien erfreuen
wenn sich Fangzähne endlich
ins weiche Fleisch graben

... satt einander wärmen
die Beute
ist kein Wintervorrat
wir jagen nur den Augenblick

"endlich" finde ich wichtig um die hinausgezögerte Spannung deutlich zu machen, das grausame Spiel mit der scheuen Lust.
"wärmen" wäre ein Vorschlag, der "kuscheln" mit "aneinader liegen" verbindet.
Auf die Jagd des Augenblicks würde ich nicht verzichten.

Liebe Grüße, Carl

Perry

Beitragvon Perry » 11.10.2006, 11:18

Hallo Carl,
danke für deine interessanten Anmerkungen. Ich werde mit etwas Abstand noch einmal an dem Text arbeiten und sie dabei gerne zu rate ziehen.
Freut mich, das dir das "grausam/lustvolle" Spiel gefallen hat.
LG
Manfred

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.10.2006, 23:42

Auf die Jagd des Augenblicks würde ich nicht verzichten.


Ich auch nicht.
Gerade diesen Satz finde ich so großartig.
Weißt du was, Manfred. Du könntest ihn sogar als Titel nehmen, was hältst du davon? "Jagd des Augenblicks". Das fände ich sogar noch besser, weil er nämlich all das Geschriebene im Gedicht zusammenfasst!
Saludos
Gabriella

Nihil

Beitragvon Nihil » 12.10.2006, 10:40

Hallo Perry,

Deine Hymne auf die Lust gefällt mir sehr gut, Deine Zeilen sind durchpulst von dieser Lebensenergie, nichts wirkt blutarm, alles sehr lebendig ..

LG

Nihil

Perry

Beitragvon Perry » 12.10.2006, 15:40

Hallo Gabriella,
werde über die Titelalternative nachdenken. Im Moment brauche ich aber erst einmal etwas Abstand, um den Blick wieder frei zu bekommen.
Danke und LG
Manfred

Hallo Nihil,
danke für deinen Eindruck, es freut mich, dass die Lebendigkeit der Lust spürbar rüberkommt, auch wenn sie letztlich den "kleinen Tod" sterben muss (lächel).
LG
Manfred


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