Im Sonnenhonig

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Rala

Beitragvon Rala » 28.08.2006, 17:08

Im Sonnenhonig
Für Tomaž Šalamun

I
Du wächst in meinem Atem, fremder Stern,
klopfst nachtblau-wollen an das Fenster meines Fingers, doch
ich bin nicht da,
denn draußen tanzt mein Licht im Moos
zwischen den gespreizten Wurzeln
der Trauerweiden am Ufer
und dazu speist mit Pfirsichduft der
See mein Silberlächeln.
Gestern noch war Winter und
liegt nun im warmen Wasser aufgelöst.

II
Eine tote Wespe
sinkt
langsam
im zähgelben
Tau
zu
Boden.

III
Der bienengeschwärzte Himmel vibriert einen Sog
unter dem hitzerot gesprenkelten Baumdach saß ich
und habe kleine Teile aneinandergefügt und sie
dir an die Ohren gehängt sodass sie
auch nach Kirschen schmeckten wie der Rest
deines Körpers den du auf der Wiese
verteilt hattest um jede Zelle gleichermaßen zu besonnen
bis dir auf einmal einfiel dass du noch die Wäsche
reinholen musst bevor es Winter wird.

IV
In weißer Voraussicht wächst ein neuer Winter heran
in Maulwurfslöchern und Fuchsbauten
und auf den Köpfen der Leute ein
neues Krisenbewusstsein kugelrund
und rot unter Mützen verborgen bis es
ihnen irgendwann aus den Nasen herausläuft und
aus den Mündern bellt zur
stillen Nacht.
Zuletzt geändert von Rala am 03.09.2006, 18:39, insgesamt 2-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 28.08.2006, 22:57

Die Groß- und Klein-Schreibung solltest du noch mal überprüfen, bevor du es dem Herbst übergibst und die Süße genießend teilst,

Hast du einen Stern, von dem du schaust?


moshe.c

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.08.2006, 23:23

Liebe rala,

Das finde ich sehr, sehr toll! Sehr ungewöhnliche Metaphern und eine ganz eigene Sprache. Da freue ich mich auf mehr!
Liebe Grüße
leonie

Gast

Beitragvon Gast » 29.08.2006, 00:07

Obwohl schon spät, liebe Rala,
bin ich hier hängengeblieben und habe gebannt und hellwach dein Gedicht gelesen. :smile:
Außergewöhnlich ja, dass mir so etwas passiert ist selten, immer dann wenn ich etwas ganz Besonderes entdecke...
Es habe ein paar Fragen, und ein paar Dinge ich ich anders schreiben würde.
Es sind Kleinigkeiten, die aber dem Verständnis u. U. entgegewirken.

Ist das wollenin Vers I evtl substantiviert von dem Verb: wollen? dann Großschreibung.

In Vers II würde ich nicht unbedingt alle Zeilenanfänge, also auch die, die mit einem für gewöhnlich klein zu schreibenden Wort, mit einem Großbuchstaben beginnen. (Das wirkt etwas starr )

Nun zu Vers III
Ein wenig problematisch empfinde ich die erste Zeile :
Der bienengeschwärzte Himmel vibriert einen Sog

Etwas kann vibieren okay, hier der Himmel.
aber ein Sog entsteht durch Luftdruck, beziehungsweise duch das Ansaugen von Luftdruck, was genau willst du ausdrücken?

In Vers IV gefällt mir besonders die Weiße Voraussicht...
...in der auch ein neues Krisenbewusstsein heranwächst... und letzlich aus den Mündern zur stillen Nacht bellt...

Das ist ganz großARTig.

Ich sage so etwas nicht schnell oder oft :-).
In deinem Gedicht sind so viele Komponenten verwoben, die gute Lyrik ausmachen.
Da ist einerseits eine wunderschöne poetische Ader der du folgst und Leben und Liebe und Natur beschreibst, selbst wenn diese Bilder sich mir auch noch nicht vollständig in der tieferen Ebene erschließen, ich spüre, sie ist da.
Andererseits aber auch die fast derb karikierte Gewissenlosigkeit einer Gesellschaft, die am liebsten in Ruhe gelassen werden will...

All das, in IV Abschnitte verpackt und jeder erzählt das Stück einer Geschichte und doch spricht jeder für sich und ist dennoch keine Lyr. Prosa sondern ein lyr. Gedicht.

Vier Jahreszeiten, vielleicht un doch viel mehr dahinter.
Danke dass ich zu so später Stunde dein Gedicht hier lesen durfte.
Ich schwelge

Liebe Grüße
Gerda

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.08.2006, 10:34

Liebe Rala,

also ich kann mich gerda nur anschließen - auch wenn ich die Zeilen erst heute lese, das ist schon verdammt stark und mitreißend in den Text und die Bilder hinein...mir gefällt auch besonders der Aufbau, der einen Spannungsbogen erzählt, der zwischen Detail und Ganzgefühl hin und herschwingt ohne die Stimmung zu brechen. Besonders Teil II trägt dazu bei....

Was mir aufgefallen ist:

I

Wollen muss glaube ich groß...ansonsten habe ich mit dieser (gleichwohl wunderschönen! ich verhalte ich also ein wenig wirr-paradox :-) ) Strophe die meisten Probleme, was den Gesamtkontext angeht...sie fügt sich für mich am wenigsten ein...mehr dazu unter III


II

Eine tote Wespe - OK, bestimmt pingelig...mir gefiele ein anderer Klang besser, so etwas wie: eine Wespenhülse ( noch nicht wirklich gelungen, ich weiß:rolleyes: ) oder dergleichen (in einem Wort), statt toter Wespe..für mich fällt die Beschreibung "tote Wespe" so aus dem Leseklang heraus...frag mich nicht, warum...

Ist es Absicht, dass du bei II und III die Zeilen immer mit Großbuchstaben beginnst, in I und IV aber nicht? Und wenn ja, warum?

IV

und auf den Köpfen der Leute ein
neues Krisenbewusstsein kugelrund
und rot unter Mützen verborgen


Dies ist die einzige Stelle, die mir schwer fällt zu lesen im gedicht - nicht, weil sie schlecht ist, sondern weil ich nicht einschätzen kann wie symbolisch oder konkret die Stelle gemeint ist. Das Nachfolgende kann ich problemlos einordnen...aber das kugelrund und das rot verborgen, nimmt das konkreten Bezug auf etwas oder ist es eher das Bild für das Innere und Äußere, das zum Winter (im direkten und übertragenen Sinne) im Menschen entsteht?

Die letzten Zeilen könnte ich mich auch so gesetzt vorstellen:

aus den Mündern bellt
zur stillen Nacht.



Und die III zum Schluss, weil sie genereller ist:

Und wieder etwas, was wohl sehr subjektiv ist: Auf die Wespen folgen sogleich Bienen, ansonsten ist der Kreis der Tierwelt weiter gefasst...so dicht aufeinander wirkt das auf mich ein wenig wie ein Versehen - ich weiß, ...das ist wohl übertrieben von mir. Aber durch diese Stelle kam ich darauf, mich doch einmal mit einer Idee vorzuwagen...bezüglich der ersten Strophe...für mich ist die erste Strophe nämlich ein eigenes Gedicht....daher würde ich sie für sich nehmen, als ein eigenes Gedicht, und das hier wie folgt stellen:


I
Der bienengeschwärzte Himmel vibriert einen Sog
Unter dem hitzerot gesprenkelten Baumdach saß ich
Und habe kleine Teile aneinandergefügt und sie
Dir an die Ohren gehängt sodass sie
Auch nach Kirschen schmeckten wie der Rest
Deines Körpers den du gleichmäßig auf der Wiese
Verteilt hattest um jede Zelle gleichermaßen zu besonnen
Bis dir auf einmal einfiel dass du noch die Wäsche
Reinholen musst bevor es Winter wird.

II
Eine tote Wespe
Sinkt
Langsam
Im zähgelben
Tau
Zu
Boden.

III
In weißer Voraussicht wächst ein neuer Winter heran
in Maulwurfslöchern und Fuchsbauten
und auf den Köpfen der Leute ein
neues Krisenbewusstsein kugelrund
und rot unter Mützen verborgen bis es
ihnen irgendwann aus den Nasen herausläuft und
aus den Mündern bellt zur
stillen Nacht.



Ich weiß, ein recht starker Eingriff in den Text, der aber vielmehr meine lesart zeigen soll, als eine Aufforderung, es abzuändern - für mich gewinnt der Text aber dadurch.

Dieses Gedicht werde ich sicher noch sehr sehr oft lesen - stark!
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 29.08.2006, 22:03

Liebe Rala,

ein herzliches Willkommen im Salon! Mit diesem Werk hast Du einen beeindruckenden Einstand abgeliefert (vielleicht ist es ja auch nur für mich der Einstand, es ist das erste, was ich hier von Dir lese). Es ist gleich ein ganzes Feuerwerk gelungener Bilder, das Du da abbrennst - so dafst Du gern täglich ein Gedicht einstellen ;-). Wenn ich etwas mehr Ruhe habe, versuche ich noch mehr zu schreiben.

Liebe Grüße
max

Rala

Beitragvon Rala » 30.08.2006, 16:23

Hallo ihr Lieben!

Ich freu mich ganz unbeschreiblich, dass euch das so gefällt. Dieses gedicht ist nämlich hauptsächlich aus dem Bauch heraus und nur mit wenig reiner Verstandesarbeit entstanden, daher auch einiges, was vielleicht unlogisch klingt, wie z.B. der Himmel, der einen Sog vibriert. Mag sein, Gerda, dass das physikalischer Blödsinn ist, aber in Physik war ich schon immer eine Niete. Ich hatte einfach das Bild einer Masse surrender Bienen vor Augen, was für mich einem vibrierenden Insektenteppich ähnlich sah, und dabei das Gefühl, dass durch die Luftbewegung, die sie mit den Flügeln verursachen, eine Art Sog entsteht.

Das Wörtchen wollen ist hier übrigens als Adjektiv zu Wolle gemeint, daher klein geschrieben.

Mit der Groß- und Kleinschreibung hattet ihr Recht, das war blödisnnig, ist schon korrigiert.

Lisa, dass da so viele Insekten vorkommen, hängt mit Tomaz Salamun zusammen, dem das Gedicht gewidmet ist, seine Werke wimmeln nämlich auch von Kleintieren ...
Das mit dem Krisenbewusstsein, das den Leuten da so kugelrund und rot wächst, ist symbolisch gemeint. Es bezieht sich darauf, dass sich viele Leute gerade in der Vorweihnachtszeit furchtbar für irgendwelche Weltkrisen interessieren, weil es da reicht, wenn sie ein paar Euro spenden um sagen zu können, sie haben was getan, und dieses "Krisenbewusstsein" tragen sie immer griffbereit mit sich herum, falls sie es jemandem beweisen müssen, weil sie meinen, sie müssten sich dann nicht mehr um Dinge in ihrem persönlichen Umfeld kümmern, die unter Umständen eben nicht mit ein bisschen Geld zu beheben sind, sondern persönlichen Einsatz und Arbeit erfordern.
Was deinen Umstellungsvorschlag betrifft: der brächte leider die Jahreszeiten komplett durcheinander und beraubte uns des Frühlings, und das wollen wir doch nicht ...

Moshe, den Stern hätte ich gerne, von dem ich auf all das herunterblicken könnte, aber noch muss ich mich leider mit irdischen Alltagsproblemen rumärgern. Deshalb träum ich mir halt gelegentlich was zusammen und schreib es auf ...

Max, ich würde liebend gerne täglich sowas hier reinstellen, wenn es so begeistert aufgenommen wird, aber der o.g. Alltag raubt mir leider zu viel Zeit, und wer weiß, ob ich sowas in der Menge fertigbrächte.

Und wenn ihr einiges nicht wirklich versteht, wie gesagt, es war auch nicht durchweg mit dem Verstand geschrieben. Aber wenn die Bilder und der Klang die Stimmung vermitteln können, die ich beim Schreiben hatte, ist das für mich das Wichtigste.

Liebe Grüße an euch alle,
Rala

Gast

Beitragvon Gast » 30.08.2006, 17:03

Hallo Rala,

an die Ableitung von "Wolle" hatte ich auch gedacht, aber das gab für mich keinen Sinn.
Ein bisschen schade empfinde ich, dass du für meine Begriffe zu sehr betonst, dass es ja nur aus dem Bauch geschrieben sei.
Aus dem Bauch ist ja nichts Schlechtes, wie man bei deinem Gedicht sieht. Nicht jeder kann so schreiben "ohne Verstand" ;-)
Dennoch denke ich, oder gerade weil der Bauch diktiert hat, könnte es gut sein, wenn du dir die zarten Anmerkungen durch den Kopf gehen lässt.
Es schadet ja auch nicht, den Verstand zu Hilfe zu nehmen.
Die bilder , die du "malst" sollten doch in der Vorstellung der Leser entsthehen können, aus welchen Gründen, stellst du uns deinen wirklich guten sonst Text vor?

Liebe Grüße
Gerda

Rala

Beitragvon Rala » 31.08.2006, 21:49

Hallo Gerda,

tut mir leid, wenn das etwas falsch rübergekommen ist. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich es halt einfach so geschrieben habe und mir wurscht ist, was ihr darüber denkt. Ganz im Gegenteil, ich bin hocherfreut darüber, dass es hier so jemanden wie dich gibt, der auf eine völlig andere Weise an die Texte herangeht als ich und mir so auch andere Aspekte daran bewusst macht.
Ich wollte lediglich erklären, warum der Text erst einmal in dieser Form entstanden ist, was aber nicht heißen soll, dass ich nicht bereit bin über Änderungen nachzudenken. Sonst würde es, wie du ja gesagt hast, in der Tat keinen Sinn machen, meine Texte hier zur Diskussion zu stellen.
Im vorliegenden Fall ist mir zu der von dir als problematisch gesehenen Stelle leider noch nichts wirklich Befriedigendes eingefallen (vielleicht sollte ich mal einen Physiker konsultieren :smile: ).
Jedenfalls freue ich mich darauf, auch weiterhin deine Kritiken lesen zu dürfen.

Liebe Grüße,
Rala

Gast

Beitragvon Gast » 31.08.2006, 23:01

Liebe Rala, das freut mich SEHR!
Abendgrüße
Gerda

Birute

Beitragvon Birute » 01.09.2006, 20:50

Liebe Rala,

sowas möchte ich auch wohl jeden Tag entdecken.
Wunderbar! Es gefällt mir sehr. Ich fühle mich rein, und es kuschelt. Suppiiii!
Ein paar spontane Vorschläge hätte ich, aber ins Gewicht fallen die bei dem Gesamteindruck nicht wirklich.

*Birute *Beifall klatscht*

Im Sonnenhonig
Für Tomaž Šalamun

I
Du wächst in meinem Atem, fremder Stern,
klopfst nachtblau-wollen an das Fenster meines Fingers,
doch da bin ich nicht.
Draußen tanzt mein Licht im Moos
zwischen gespreizten Wurzeln der Trauerweiden
am Ufer dazu speist der See mein Silberlächeln.
Gestern noch war Winter
liegt nun aufgelöst
im warmen Wasser.

II
Eine welke Wespe
sinkt zu Boden -
langsam
im zähgelben
Tau.

III
Der bienenschwarze Himmel vibriert einen Sog.
Unter dem hitzrot gesprenkelten Baumdach sitze ich
füge kleine Teile aneinander
und hänge sie an deine Ohren,
dass auch sie nach Kirschen schmecken,
wie der Rest deines Körpers, den du auf der Wiese
verteilt hast um jede Zelle gleichsam zu besonnen.
Auf einmal fällt dir ein, dass du noch die Wäsche rein
holen musst bevor es Winter wird.

IV
Ein neuer wächst heran, unter weißer Voraussicht.
In Maulwurfslöchern, Fuchsbauten
und auf den Köpfen der Leute ein
neues Krisenbewusstsein. Kugelrund
auch rot unter Mützen verborgen bis es
ihnen irgendwann aus den Nasen läuft und
aus den Mündern bellt zur
stillen Nacht.

Rala

Beitragvon Rala » 03.09.2006, 18:39

Liebe Birute!

Auch dir vielen Dank für dein Lob und die Mühe, die du dir gemacht hast. Zwei Änderungen habe ich sofort übernommen: der Bindestrich zwischen nachtblau und wollen ist eine sehr gute Idee, vielleicht wird dann klarer, was mit wollen gemeint ist; das gleichmäßi vor dem verteilt ist eigentlich wirklich überflüssig, zumal es sich mit dem gleichermaßen in der nächsten Zeile beißt. Anderes passt weniger zu meinen Absichten (sofern ich den welche hatte), die zweite Strophe z. B. ist so auseinandergezogen, um das langsame Sinken zu veranschaulichen. Den Winter in der ersten Zeile von Strophe IV würde ich auch lassen, weil man ja zwischen den Strophen doch eine Pause liest und sonst erst überlegen muss, worauf sich das neuer eigentlich bezieht, außerdem würde ich die weiße Voraussicht gerne in hervorgehobener Stellung belassen.
Über Weiteres muss ich noch nachdenken ...

Danke noch mal und liebe Grüße,
Rala

rockandrollhexe

Beitragvon rockandrollhexe » 04.09.2006, 06:33

Liebe Rala,
ich möchte dich auch ganz herzlich hier im Blauen Salon willkommen heissen.
Zu deinem Gedicht kann ich nur wenig sagen, weil eigentlich schon alles dazu gesagt wurde.
Es bleibt: Mir gefällts.

Liebe Grüsse
rockandrollhexe

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 19.12.2006, 21:24

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