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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Werner
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Beitragvon Werner » 28.09.2016, 08:04

fließen stimmen den abhang der zeit hinab
drängt gedankenschutt zu tal
im netz der landschaft
verfangen sich die letzten flüssigkristalle
einer früheren epoche
geh ich den weg der monde und gestirne
sind sanduhren gefüllt mit falterstaub
erinnerungen einsamkeiten
schwarze löcher
bleibst du bleibe ich
stehen
staunen wir
fülle ich noch einmal die zeit mit moränen
rotkehlchen gesängen stille
stille
so groß wie zwei karseen im winter
so weit die arme reichen
die hände begreifen
deinen leib unter schnee
den amselleib
lass die haut blühen im frühling
mit den himmelsschlüsseln
buschwindrosen auf rabatten zwischen kieswegen
und mauern
zählen wir magnetisch im schwerefeld der liebe
21 22 23 schatten legen sich neben uns
durchschnitten von einem strom aus stimmen
können wir durch glas gehen
mit den zugvögeln kehren die raketen zurück
die flakgeschütze landminen kindersoldaten
in aussichtslosen stellungen an einem abhang
reicht weit der blick über nomadenzelte
Zuletzt geändert von Werner am 15.10.2016, 15:44, insgesamt 1-mal geändert.

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Eule
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Beitragvon Eule » 28.09.2016, 19:52

Hallo Werner, ein Liebesgedicht mit starken Landschaftsbildern, die gut zu den Zeitschnitten passen. Auch die Wirklichkeit lässt sich mit ihrer kalten Verzweiflung nicht gänzlich verdrängen. Ein Text, der erfolgreich versucht, starke Gefühle im Positiven wie Negativen, authentisch erlebbar zu machen.
Zuletzt geändert von Eule am 05.10.2016, 18:49, insgesamt 1-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 04.10.2016, 10:39

"sanduhren gefüllt mit falterstaub..." Schön.

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Werner
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Beitragvon Werner » 05.10.2016, 22:14

danke sehr. auch hier dringen kriegsituationen durch, nahost vielleicht.

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 06.10.2016, 16:21

Hallo Werner,

dein Text hier gefällt mir. Ist eigentlich schlecht ausgedrückt, weil ich ihn als sehr traurig empfinde. Nun schreibst du, Nahost vielleicht, ich brachte ihn mit dem 2. Weltkrieg in Verbindung. Den habe ich zwar nicht selbst erlebt, dafür aber in "zweiter Hand" durch meine Eltern. Vieles ist mir durch deren Berichte und "Befindlichkeiten" so präsent, es kommt/kam mir oft vor, als wäre ich tatsächlich dabei gewesen.
Die "Sanduhren gefüllt mit Falterstaub" finde ich unendlich traurig, "21 22 23 schatten legen sich neben uns" das ist so krass tödlich. Wirklich, du hast da eine Stimmung eingefangen, dass das Szenario real auf mich wirkt.

Grübeln muss ich über "so weit die arme reichen". Arme reichen doch nicht weit? Verstehe ich Bahnhof?

Insgesamt finde ich Zeile für Zeile lesenswert.

Viele Grüße
Dede

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Werner
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Beitragvon Werner » 08.10.2016, 17:13

Vielen Dank! "so weit die arme reichen" will hier sagen "allumfassend" "allumgreifend" ... ja, jeder krieg ähnelt dem anderen und ist gleich schlimm. es wäre vermessen, eine rangfolge der kriege aufstellen zu wollen. das gedicht wird ürbrigens im november in der anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis veröffentlicht. ich habe zwar keinen der preise gewonnen, bin aber mit meinen gedichten in die engere auswahl für die anthologie gekommen.


Niko

Beitragvon Niko » 04.02.2017, 01:32

Toll!

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Eule
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Beitragvon Eule » 05.02.2017, 00:20

Ohne emoticon ... :eek:
Ein Klang zum Sprachspiel.


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