Vom Untergang im Hause Ascher

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
jondoy
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Beitragvon jondoy » 11.11.2014, 23:39

In den Steinsarg vom alten Ascher wurde lange schon Internetanschluss verlegt.
Liveübertragung von kontemplativem Verwesen in luftgeschlossenen Räumen

Das kanns doch nicht gewesen sein
Ein Irrtum, Error, im Twentyonezeitalter wird schnell entsorgt
sonst alles in 3-D aber das hier lieber nur in asche

Wie werden die Menschen der Internetgeneration staunen,
die Zukunft, diese Schlampe, fahrig, lumpig lehnt sie da hinten an der Wand
und schert sich einen Scheißdreck um ihre Pläne

Poker Poe liegt am Po und liest Poesie aus Poland
in ihrer Hand verwesen Blumen
Polynesien sieht sich im Meeresspiegel
bewohnt von der Meerjungfrau und ihrem Familienclan

Vom Untergang im Hause Ascher
berichten die Mähren, das Netz
erinnert sich nicht

Hörst du das Ziehen, hörst du das Pochen


________________________________________________________
Erstversion vom 11.11.2014

Der Untergang des Hauses Ascher
Momentaufnahmen

Wie werden Menschen der Internetgeneration staunen, wenn sie sehen werden, wie ihre eigene Familie untergeht.
Ihre Kontaktdaten können gelöscht werden.
Das Haus Asher ist erloschen.
Es steht heute da und morgen dort.
Sie werden nicht mal schreiben können, der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges, sie haben sich das ja abgewöhnt...spielen gedankenversunken Ascheschiffchen versenken, wie einst als Kinder,
hadern selbst noch in ihrem Sterbebett mit ihrer eigenen Sterblichkeit.

Lärm der Welt, komm herbei, hülle mich ein.
Nimm mich mit in die Stadt, die niemals schläft.
Das Licht und die Lebenden.
Über das Haus wächst Gras.
Zuletzt geändert von jondoy am 08.01.2016, 22:23, insgesamt 1-mal geändert.

DonKju

Beitragvon DonKju » 13.11.2014, 17:11

verzeihung jondoy,

kurzlyrik? vielleicht doch eher kurzprosa. ein paar hingeworfene gedanken, mag der leser sich was dazu denken. der schluss gerät mir persönlich eine spur zu pathetisch, einem gebet ähnlich

gruß der windmühlenbekämpfer

jondoy
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Beitragvon jondoy » 17.11.2014, 22:29

hallo hannes,

kein Problem :smile: .

für mich ist es weder lyrik noch prosa,
den einzig passenden begriff fand ich in ´momentaufnahmen´,
der stand zufälligerweise in der lyrikstraße, nicht am prosaplatz,

hingeworfen, mag sein,
Momentaufnahme, und doch eine Beobachtung aus Jahrzehnten,
ein Haus Asher ( für mich Metapher für den Untergang eines menschlichen
Zusammenhalts) geht nicht an einem Tag unter,

ich selbst könnte den text nur lakonisch lesen.
im letzten Absatz schwingt leise Ironie mit,
sicher kein gebet, er wendet sich an kein transzendentes Wesen.

Es ist ein Staunen darüber, was doch alles vergeht, was man sich so als Kind hätte nie vorstellen können..und gleichzeitig eine wilde Phantasie darüber, wie andere junge Menschen einst darüber staunen werden...[/size]...

danke für deine rückmeldung.
jondoy
Zuletzt geändert von jondoy am 18.11.2014, 06:33, insgesamt 2-mal geändert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 18.11.2014, 00:41

Das Bild vom Untergang des Hauses finde ich sehr stark; auch die Zeile, dass das Haus "heute hier und morgen dort" steht.

Ein wenig verwirrt mich die Zeile "hadern selbst noch in ihrem Sterbebett mit ihrer eigenen Sterblichkeit."
Das Gedicht scheint ja auf eine Art Kulturkritik hinauszulaufen; aber Menschen, die mit ihrer Sterblichkeit hadern, hat es zu allen Zeiten gegeben. Und am meisten tut man das wohl auf dem Sterbebett, oder?
Und auch wenn es widersinnig ist, mit der eigenen Sterblichkeit zu hadern, kann man der Zeile doch entgegenhalten: gerade dass die Menschen das tun, hat viele der großen kulturellen Leistungen überhaupt erst möglich gemacht.
Aber das führt jetzt sehr weit.
Ein schöner Text, mir gefällt die Bildersprache, auch die Ascheschiffchen.

Grüße von Zefira
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Beitragvon nera » 19.11.2014, 01:35

jeder hadert mit seiner sterblichkeit. und ob nun die kontaktdaten gelöscht werden oder ein haus ausgelöscht wird, am ende steht man ziemlich blöd da, weil man nicht weiß, was einen erwartet. und weil es unvorstellbar ist, nicht mehr zu sein.

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Beitragvon Pjotr » 19.11.2014, 03:18

Ich kann mir gut vorstellen, nicht mehr zu sein; es ist dieselbe schöne Dunkelheit wie damals vor der Geburt. Ewig ausschlafen im Kuscheligen, im traumlosen Tiefschlaf, kein lästiges Wecken mehr.

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Beitragvon Zefira » 19.11.2014, 09:39

Auf dem Sterbebett mit der eigenen Sterblichkeit hadern ist was ganz anderes - mein Vater zum Beispiel hat in den letzten zwei Tagen vor seinem Tod, als es ihm schon sehr schlecht ging, mindestens dreimal ausdrücklich gesagt, dass er sterben wolle. Die Menschen neigen eher zum Hadern, solange sie noch gesund und aktiv sind. Aber das führt jetzt sehr weit.
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Beitragvon Ylvi » 19.11.2014, 09:48

Die Bildersprache gefällt mir auch. Was mich verwirrt ist, gerade in Bezug auf Kuluturkritik, das hier:

Wie werden Menschen der Internetgeneration staunen ...
Sie werden nicht mal schreiben können, ... sie haben sich das ja abgewöhnt


Ich habe eher den Eindruck, so viel wie heute wurde noch nie geschrieben?

Du wechselst von Ascher zu Asher, jondoy, ist das Absicht?
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Beitragvon nera » 19.11.2014, 10:14

das verwirrt mich auch, flora.


zefira, du hast recht und pjotr auch. ich denke auch manchmal....schön, wenn alles still wäre. aber ich erlebe durch meinen beruf ständig dieses hadern und am leben festhalten und das festhalten der angehörigen und diese angst. auch mein eigener umgang ist nie hm, ich sage mal gradlinig. ich habe patienten, die in panik geraten, wenn wir nur das wort palliativstation in den mund nehmen.

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Beitragvon Zefira » 19.11.2014, 10:22

Zum Wort "Ascher" eine Randfrage: Ich habe mich oft gefragt, ob Poe, als er "Usher" schrieb, die klangliche Verwandtschaft zur Asche im Kopf hatte (die ja entsprechend im Englischen nicht vorhanden ist), konnte er vielleicht ein wenig Deutsch? Weiß das jemand?
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Beitragvon nera » 19.11.2014, 10:25

keine ahnung?

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Beitragvon birke » 19.11.2014, 10:27

Flora hat geschrieben: Was mich verwirrt ist, gerade in Bezug auf Kuluturkritik, das hier:

Wie werden Menschen der Internetgeneration staunen ...
Sie werden nicht mal schreiben können, ... sie haben sich das ja abgewöhnt


Ich habe eher den Eindruck, so viel wie heute wurde noch nie geschrieben?



das lese ich anders, und zwar in zwingendem bezug zu dem satz dazwischen, den du hier weggelassen hast, flora ...
sie können nicht schreiben vom "Tod als das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges" -
und eben diesen weg überhaupt zu gehen, haben sie sich abgewöhnt. (und deshalb können sie auch nicht darüber schreiben.)
so verstehe ich jedenfalls diesen satz. (wobei es dann vielleicht "sei" heißen müsste, "(...) der tod sei das tor ...")

das haus "usher" - so heißt es ja eigentlich? oder willst du hier auf die "asche" anspielen, jondoy? wenn, dann würde ich aber wohl zumindest eine einheitliche schreibweise wählen ...

mir gefällt diese "momentaufnahme", dieses fragment.

lg
birke

ps - zefira, dein kommentar flog zwischenzeitlich rein: interessante frage, das weiß ich auch nicht ...
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Beitragvon Zefira » 19.11.2014, 10:39

OT, aber es ließ mir keine Ruhe:

Im Februar 1826 immatrikulierte sich Poe im Alter von 17 Jahren an der kurz zuvor von Thomas Jefferson gegründeten Universität von Virginia in Charlottesville. Dort studierte er alte und neue Sprachen. Seine Lehrer waren George Long und der Deutsche Georg Blättermann.[13] In dieser Zeit vertiefte Poe sein Französisch, lernte vermutlich auch etwas Italienisch und Spanisch. Seine von ihm später behaupteten Kenntnisse des Griechischen, Lateinischen und Deutschen waren und blieben jedoch äußerst gering.

(Quelle: Wiki)

Vielleicht benutzte er das Wort Usher, um damit seine behauptete Kenntnis des Deutschen zu untermauern. :mrgreen:
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Beitragvon nera » 19.11.2014, 10:52



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