Wie Kinder ihre Eltern erziehen - Satirische Geschichten

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SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 05.08.2014, 12:16

Vorwort
Ich habe vier davon! Ja, und ich lebe immer noch. Nennen wir sie die Große, die Mittlere, die Kleine und den Jungen. Sie werden sich bestimmt eines Tages wiedererkennen, und andere müssen das ja nicht. Wenn ich eines als Vater gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass man das Kind als Individuum zu respektieren hat. Und zwar mindestens ab dem dritten Monat. Sie glauben zwar, dass der Dreisatz eine olympische Disziplin ist, und dass Aktiva und Passiva etwas mit Sex zu tun hat, aber sie bestehen auf den Respekt, den wir hoffnungslos senile und altmodische Eltern ihnen schulden.
Nun ja, man kann die Mathematikschwäche ja verstehen. Sie meinen ja auch sie seien mit dreizehn schon volljährig, und das Kindergeld decke alle Ausgaben. Mehr noch, eigentlich gehört das ja ihnen. Muss ja auch sein, wenn man immer das neuste Handy braucht. No-Name Schuhe; man muss sich ja schämen in der Schule. Mein Gott, die Eltern verstehen aber auch gar nichts.
Sie bringen nur Vieren und Fünfen mit nach Hause, zitieren aber die entsprechenden Paragraphen des Jugendschutzgesetzes, wenn Sie einmal im gerechten Zorn die Hand heben. (oh, ich vergaß; Paragraf schrieb man ja mit „ph“ bevor die Sprache an den IQ unserer Kinder angepasst wurde).
Auch die Drohung das Handy einzuziehen, weil sie mehr als 10 Stunden im Internet verweilen, wird sofort als üble Nötigung abgeschmettert.
Nur schade, dass man für ein Jurastudium etwas mehr als Numerus clausus 4,5 braucht.
Zumindest haben sie mit dreizehn dann aber schon so viel Lebenserfahrung, dass sie auf die Erfahrungen anderer nicht zurückgreifen müssen.
Als Elternteil erziehen Sie auch nicht mehr. Nein, Sie machen Stress und streiten. Ihr Argument, dass Kinder auf dem Schulhof streiten, Eltern und Lehrer aber zurechtweisen, geht dann meist schon ins Leere, weil Ihr Thronfolger sie schon hat stehen lassen.
Es ist eine Patchworkfamilie der ich so viel verdanke. Ohne meine Kinder hätte ich nie gelernt, wie unzulänglich meine Wertvorstellungen sind, und wie wenig lebensfähig ich war, bevor sie mir die Gnade ihrer Erziehung zuteilwerden ließen.
Die nachfolgenden Geschichten sind die reine Wahrheit. Sie glauben es nicht? Dann schaffen Sie sich mal selbst vier Kinder an. Das ist zwar Gift für Nerven und Kreislauf aber gut für die Rente.

Die Zehn Gebote
Das ist schon eine praktische Sache. Die Kleine ist ja erst neun und die kann man damit noch unter Druck setzen. Der Junge ist darin Spezialist. Sie will nicht das tun, was er sagt? Werden wir doch mal sehen. Wussten Sie, dass eines der Zehn Gebote sagt „Du sollst Deinen großen Bruder bedienen“? Sehen Sie, auch Sie bedürfen noch der Erziehung. Dass er sich selbst gegen mindestens drei Gebote versündigt hat, zählt nicht. Vater und Mutter ehren, nicht stehlen und nicht lügen; hallo …? Wie 60er Jahre ist das denn? Außerdem sollen die Menschen ja auch nicht das tun, was er tut, sondern das, was er sagt. Und wenn sich die Kleine nicht manipulieren lässt, dann kriegt sie halt eine Ohrfeige. Das Jugendschutzgesetz gilt ja nur für Erwachsene. Und außerdem ist er mit dreizehn ja noch gar nicht strafmündig.
Aber am Allerschlimmsten ist ja, dass sogar die Lehrer ihn nicht respektieren. Die verlangen doch glatt, dass man im Unterricht sitzen bleibt, die Klappe hält, nicht die Mitschüler disst (von engl. disrespect, discriminate oder discredit abgeleitetes Verb; Abkürzung für Diskreditieren oder Diskriminieren), und sein Blätterwerk in Ordnung hält. „Am Ende soll ich wohl auch noch lernen?“ OMG (Geheimsprache für: „Oh My God“) womit haben die mich verdient.
Und so kam es auch, dass ich zur Klassenkonferenz geladen wurde, um mich in Sachen gründliches Versagen in der Erziehung zu rechtfertigen. Natürlich musste es meine Schuld sein, dass der Junge sich schlecht verhielt, und wenn er dann der Klasse verwiesen wurde, noch „blöde Lehrer“ murmelte. Zuerst wies man aber noch darauf hin, dass ich ja eigentlich gar nicht erziehungsberechtigt bin, man aber mal eine Ausnahme mache. Cleverer Schachzug dies vor einem renitenten Schüler zu erwähnen. Danke für die Stärkung meiner Position. Aber man muss es den Lehrern nachsehen, denn sicher haben sie keine Kinder und somit auch keine gründliche Erziehung. Sie glauben sich noch immer als Respektsperson. Die Armen!
Nun, ich parkte also auf dem Schulparkplatz und begab mich zu Fuß zum Haupteingang. Auf den 150 Metern dorthin strömte mir die hoffnungsträchtige Jugend entgegen. All diese Lieben, die einmal Deutschlands Ruf als Land der Dichter und Denker hochhalten werden, und für unsere Rente sorgen. Nachdem ich mich zweimal vor jeweils in Dreiergruppen nebeneinander gehenden Zwölfjährigen mit schwerem Abendmakeup auf die Straße geflüchtet hatte kam in mir aufmüpfiger Trotz auf. Ich würde auf dem Gehsteig bleiben! Die nächste Gruppe rammte mir ihre Designerschultasche gegen die Brust und ging mit einem gänsehaften Gegackere weiter. Nun war mir auch klar, warum diese Designertaschen zweieinhalb Kindergelder kosten. Sie sind extrem gut gearbeitet und nahkampfgeeignet. Die nächste Gruppe sah mich schon von weitem strafend an und rempelte sich dann mit einem „Ey Alder“ an mir vorbei. Die dritte Gruppe bestand aus mindestens Vierzehnjährigen, denn sie sahen aus wie 24, und ich wich einem Bodycheck auf die Straße aus. Ich hatte sowieso schon eine leichte Thoraxprellung. Dort wurde ich fast von einem Schüler auf einem Fahrrad getötet, der mir dann noch ein „Du Opfer“ nachrief.
Nun also saß ich mit meinen 188 cm und 112 Kg Kampfgewicht auf einem Schülerstühlchen und lauschte dem Vortrag wegen des fehlenden Respekts meines Jungen. Nach der Anhörung wurden wir vor die Tür geschickt und das Gremium zog sich zur Beratung zurück.
Nach nur einer Viertelstunde wurden die Sanktionen verkündet. Der Junge bekam zwei Tage Ausschluss vom Unterricht. Mein Unterkiefer fiel herab. Zu meiner Zeit brauchte man dafür noch eine Entschuldigung. OMG welch eine Strafe! Dann musste er die Papierkörbe leeren und nach jeder Stunde ein Smiley in das Heft eintragen lassen. Aber das war noch nicht alles. Das Kollegium holte aus zum ultimativen Schlag der immer dann erfolgt, wenn die Pädagogik und die Pädagogen versagen. Die Spannung stieg ins Unerträgliche und die Lehrerin sagte: „Sie sollten mal mit einem Psychotherapeuten sprechen“.
Aber er besserte sich. Es vergingen endlose vier Tage, bis er die Lehrer wieder mit mangelndem Respekt für ihre unverschämten Forderungen bestrafte. Aber er schien auch Großmut gelernt zu haben, denn am Ende der Stunde bot er dem Lehrer die Chance seinen Fehler ohne Gesichtsverlust wieder gut zu machen. Er sagte: „Warum müssen wir denn streiten? Man sieht es Ihnen doch an, dass Sie private Probleme haben und deshalb so sauer sind“. Dass der Lehrer diese Geste als Impertinenz empfand, werde ich nie verstehen. Das war doch ein pädagogisches Meisterstück. Nun ja, als ich dazu Stellung nehmen musste, fragte man mich prompt, ob ich einen Termin mit dem Therapeuten gemacht hatte. Kleinlaut gab ich zu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich den Termin für den Lehrer oder für mich hätte machen sollen.

Eltern raus!
„Liebe Eltern,
es geschah, dass sich Eltern herausnahmen Kinder die nicht die ihren waren, auf dem Schulhof zurechtzuweisen. Sicher werden Sie verstehen, dass wir als Schule uns dieses Recht vorbehalten wollen.
Mit sofortiger Wirkung bitten wir alle Eltern den Schulhof nicht mehr zu betreten und ihre Kinder am Tor abzugeben“.
Dies ist der Originaltext eines Rundschreibens einer Grundschule in Hessen. De facto und de jure erteilte man allen Eltern pauschal Hausverbot. Als obrigkeitshöriger Bürger brachte ich meinen Jungen, der einen Vorschulkurs in Deutsch besuchte, zum Tor um ihn „abzugeben“. Allein, da war niemand. Diese Eltern kommen ja auch immer während des Frühstückskaffees. Unverschämtheit.
Da mein zu dieser Zeit 6 jähriger intelligenter Weise im dritten Stock Unterricht hatte, und die Viertklässler im zweiten Stock tobten, musste der Junge beim Betreten und Verlassen an einem Stockwerk vorbei, wo Darwins Gesetze des Stärkeren galten. Konsequenterweise hatte ich Angst um sein Leben. Auch die Große, damals neun Jahre alt, wäre schon beinahe mehrmals die Treppe hinunter gestoßen worden. Da die hoffnungsvollen Jungen ohne Rücksicht auf Verluste jeden beiseite stießen der im Weg war, schien meine Angst berechtigt. Aufsichtspersonen waren nicht zu sehen, auch nicht in der großen Pause, obwohl ihre angeregte Unterhaltung und das Klappern von Kaffeetassen wohl zu hören war. Also brach ich das Gesetz und beging Hausfriedensbruch, indem ich meine Kinder zum Klassensaal brachte. Vor den Grundschulhooligans schützte ich sie durch puren Körpereinsatz. Das hatte ich aus dem Film „Bodyguard“ gelernt. Danke Kevin Costner! Zurechtzuweisen traute ich mich allerdings nicht.
Irgendwie wunderte mich diese Haltung der Schule auch nicht. Ich erinnere mich an die Eignungsprüfung. Der Junge war gerade mal 3 Monate in Deutschland und sprach natürlich kaum Deutsch. Nach einem schwierigen Interview schaute mich der Direktor mit großen Augen an und sagte mit vorwurfsvoller Stimme: „Der kennt ja noch nicht einmal die Farben“. Meine Antwort war, dass er wohl die Farben kenne, man müsse ihn nur in Spanisch fragen. Daraufhin erklärte der Direktor, dass er kein Spanisch könne. Ich sagte daraufhin mit vorwurfsvollem Unterton: „Dann kennen Sie ja noch nicht einmal die Farben“.
Den Rest der Prüfung führte dann die Stellvertreterin durch. Sie meinte, der Junge habe noch erhebliche Defizite im Erkennen von geometrischen Formen. Ich sagte ihr dann, dass ich ihn noch nicht zum Abitur anmelden wolle, sondern zur Grundschule, und dass ich guter Hoffnung war, dass der Lehrkörper ihm Geometrie in der dritten Klasse vermitteln werde.
Dann nach einer Woche antwortete ich auf den Hausverbotsbrief. Ich gestand, dass ich ständig den Hausfrieden breche. Ich brachte zum Ausdruck, dass ich die Zivilcourrage bewundere; und zwar die der Eltern, die ihre Stimme gegen die Hooligans erhoben. Ich teilte meine Meinung mit, dass das Verhalten der Schule das Signal setzte, dass Jugendlichen einen Ausländer ins Koma prügeln können, und die Erwachsenen dabei stehen und nichts tun sollten (sind ja nicht ihre Kinder).
Ich skizzierte alle Missstände und verwies auf den Pargraf(ph)en 13 des Strafgesetzbuches. Dieser sagt:

Begehen durch Unterlassen
Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

Das heißt, ein Lehrer hat aufzupassen, dass nichts passiert, und tut er das nicht, wird er so bestraft als hätte er die Tat selbst begangen.
Wenn man sich Rechte vorbehält, muss man auch die Pflichten tragen. Sollte meinen Kindern etwas passieren, würde das ein Fall für die Staatsanwaltschaft sein.
Das Resultat meiner Aufmüpfigkeit war dann ein Besuch des Jugendamtes aufgrund einer Anzeige durch die Schule. Dann zogen wir um.

Du verstehst das eben nicht…
Ich hatte immer gedacht, dass ich in meiner Jugend ein Spezialist für plausible Ausreden war. Ein Waisenknabe war ich verglichen mit der Großen. „Meine Freundin (14) hat mich angerufen. Kann ich ihr eine Binde in die Shisha Bar bringen?“ Wow, darauf muss man erst mal kommen, abends um halb zehn.
Der ultimative Wahrheitsbeweis einer Ausrede ist immer: „Du kannst ja (…) fragen“. Dabei ist die Person austauschbar. Meinen Bruder, die Kleine, meine Freundin. Ganz egal, solange diese nur vorher instruiert wurden. Zugegeben, das habe ich früher auch schon erfolglos ausprobiert. Unverständlich eigentlich. Wenn ich doch einen Zeugen habe, und die Eltern haben nichts außer meiner jahrelangen Lügenkarriere und meinen offensichtlich unwahren Ausreden, wieso glauben sie mir dann nicht? Aber was soll‘s, ich habe ja eine Zeugenaussage angeboten, und wenn die Alten die Wahrheit nicht wissen wollen, kann ich mich entspannt zurücklehnen. Das ist dann nicht mehr mein Problem.
„Warum darf die Große das, und ich nicht? (die Kleine)“ „Warum darf die Kleine das, und ich nicht? (die Große)“ „Warum hast Du Geld um Essen zu kaufen, aber wir können nicht jeder ein iPod haben? (alle vier)“ „Warum soll ich immer alles gewesen sein? (der Junge)“

„Wenn ich lerne, wird alles nur schlimmer!“ Ich habe ja gehört, dass es Menschen geben soll, die durch Lernen nichts dazugewinnen. Aber dass das Lernen Wissen vernichtet, das ist schon eine schwerwiegende Theorie. Wenn man den Gedanken weiterspinnt, dann würde man ja die Zukunft der Kinder gefährden, wenn man sie zum Lernen anhält. Ja, es wäre geradezu ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht in der Erziehung. Auf solche fundierte, psychologisch wohl durchdachte Argumente kann nur ein Superhirn kommen. Ich sollte stolz sein, dass meine Kinder zu solch komplexen Gedankengängen fähig sind.
Und das Allerschönste ist, dass sich dann alle vier einig sind, was sonst niemals vorkommt. Gute Argumente fördern eben den Teamgeist.

Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 06.08.2014, 21:13

Hallo Sancho,

ich mag diesen Text :-)
Zum einen finde ich ihn gut geschrieben, da ist Biss drin. Ich sehe eine schöne Mischung aus Witz, Ironie, und blanken Nerven. Manches ist vielleicht etwas flach ("Die verlangen doch glatt, dass man im Unterricht sitzen bleibt, die Klappe hält") aber das wird in meinen Augen an anderer Stelle wieder wett gemacht ("Kleinlaut gab ich zu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich den Termin für den Lehrer oder für mich hätte machen sollen." oder auch "Das Resultat meiner Aufmüpfigkeit war dann ein Besuch des Jugendamtes aufgrund einer Anzeige durch die Schule. Dann zogen wir um.")
Insgesamt finde ich ihn aber wirklich schön geschrieben, er liest sich schnell, flüssig und angenehm. Sehr leicht, das ganze, trotz der blanken nerven hier und da.

Am allerschönsten finde ich aber, dass ich darin meine Schwester und mich wiederfinden kann. Ich sehe genau die gleichen Verhaltensweisen und Strategien hier widergespiegelt, die wir früher angewendet haben, und muss dann lachen wenn dein Text diese Erinnerungen weckt. Das ist nett, das freut mich, weil es teilweise Dinge sind an die ich ewig nicht mehr gedacht habe.

Liebe Grüße,
Ellie

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 07.08.2014, 09:12

Vielen Dank Lyrilies,
die besten Geschichten sind immer die, die das Leben schreibt. Wir wissen ja, dass Übertreibung die Seele der Karikatur ist, und da kommt es schon auch mal zu Plattheiten. Werde aber versuchen diese zu eliminieren. In etwa einer Woche stelle ich dann Teil Zwei ein. Mal sehen ob Du da auch etwas wiedererkennst.
Gruss
Kurt

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 13.08.2014, 16:18

Die Einäugige unter den Blinden.
Die Mittlere hat eigentlich schon mit meiner Erziehung angefangen, als sie noch in den Windeln lag. Als ich noch meine jetzige Frau umwarb, gingen wir gemeinsam in den Supermarkt. Die Gewindelte saß im Sitz des Einkaufswagens, den ich zu schieben versuchte, und kratzte meinen Handrücken blutig. Das sagte mir schon früh, dass ich mich nicht zwischen das Kind und die als persönliches Eigentum angesehene Mutter zu drängen hatte. Schließlich war ich ein Neuankömmling und hatte mich in meinen Platz einzureihen.

Auch zuhause, als sie ungezählte Male das Kissen auf den Boden warf und dann mit den Worten „das da“ darauf zeigte, lernte ich sehr schnell das Apportieren.

Aber heute ist sie, zumindest aus meiner unbedeutenden Sicht, ein gutes Kind. Sie hilft der Mutter im Haushalt. Manchmal sogar aus eigenem Anlass. Sie versucht beim Stoßlüften nicht zu vergessen die Tür auch wieder zuzumachen. Sie lässt zumindest kleine Reste im Deo Spray und Makeup ihrer Mutter.

Wenn sie mit der Kleinen oder dem Jungen streitet, tut sie das sehr leise, damit die Eltern dann nur eine(n) schreien hören.

Aus der Schule bringt sie gute Noten. Sie ist sogar sosehr lehrerhörig, dass sie die Eltern mit den verschiedensten Klaviaturen unter Druck setzt, wenn sie in drei Wochen einen Ausflug bezahlen muss und das Geld nicht am selben Tag bekommt. Sie tut das je nach Situation mit zornigem Gesicht, mit depressivem Verhalten, mit wiederholtem Fragen oder schlicht mit Tränen. Oft setzt sie geschickt die Kleine ein um Papa zu nerven: „Papa, meine Schwester ist traurig, weil Du ihr nicht die 5 Euro gibst.“ Was für ein Rabenvater ich doch bin …

Auch fragt sie vorher, ob sie ausgehen darf und ist dann auch spätestens um halb sieben zu Hause wenn sie Ausgang bis um sechs hat.

Noch vor zwei Jahren wollte sie Rockstar und Prinzessin werden. Wohlgemerkt, Rockstar UND Prinzessin: nicht ODER. Leider gibt es so viele Prinzen nicht mehr und Miley Cyrus / Hannah Montana ist auch nicht gerade ein gutes Beispiel.

Apropos amerikanische Fernsehserien. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die meisten Serien ohne Eltern stattfinden? In „iCarly“ produzieren 12 bis 13 jährige eine erfolgreiche Internet Show. Sie leben allein in einem upper westend Appartement. Ganz selten erfährt man mal, dass der Vater Soldat in irgendeinem weit entfernten Stützpunkt ist. Die Soldaten in den USA scheinen ja super zu verdienen. Eine Mutter existiert nicht. Wenn mal die Mütter von Sam oder Freddy erscheinen, dann ist Erstere eine Knasttante, die sich nicht um ihre Tochter schert, und die Andere eine völlig hysterische, überkandidelte Person, die ihrem Freddy am liebsten nichts erlauben würde. So lernt unsere Jugend ihre Menschen(feind)bilder.

Bei Hotel „Zak and Cody“ leben unter 16jaehrige alleine in einem Hotel, später dann auf einem Kreuzfahrtschiff, seltenst erscheint einmal die Mutter. Einen Vater gibt es nicht. Der eine ist intelligent, wird aber als Nerd dargestellt, und der andere weiß kaum, dass das Alf(ph)abet mit A anfängt, ist aber der Coole und Beliebte (Moral: warum also lernen?). All den kindlichen Hosenscheißern legen die Autoren altkluge, intelligente Sprüche in den Mund, auf die sie von alleine nie und nimmer kommen würden. Für die dummen Eltern die vielleicht zusehen, werden die Serien mit Lachern hinterlegt, damit man auch weiß wann es lustig ist. Und komischerweise sind alle Fernsehkinder superreich. Kein Wunder, dass unsere Jugend uns nur noch für geduldete Gastschauspieler hält, die kaum ihre Kinder ernähren können.

Aber zurück zur Mittleren. Mit ihrem unsolidarischen Verhalten zieht sie natürlich die Kritik der Geschwister auf sich. Warum kann sie auch kein ganz normales Kind sein?

Po-po-po-Pokerface (nicht nur von Lady Gaga)
Manchmal erkennen auch die selbstbewusstesten Erzieher, dass es an der Zeit ist, die Eltern in dem Glauben zu bestärken, dass sie es sind die die Kinder erziehen. Das kann man prima nebenbei erledigen, wenn die Mutter alle zu einem Vortrag zusammenruft. Dann sitzen alle mit versteinerten Mienen da. Nur keine Regung zeigen, sonst kommt später das Argument: „Ich habe es Dir doch gesagt“. Nein, reden lassen und so tun als höre man zu.

Verflixt, wie haben die gemerkt, dass ich Kopfhörer im Ohr habe. Habe doch extra die Haare nach vorne gekämmt. Vielleicht ist etwas von den 123 Dezibel nach außen durchgedrungen. Jetzt soll ich auch noch das Handy aus der Hand legen (augenverroll). Ich könnte doch eine Message verpassen. OMG, dann glauben meine Freundinnen vielleicht noch ich sei nicht on.

Was sagen die da? Mit nicht bestandener Hauptschule und Notendurchschnitt 4,5 werde ich keine Lehrstelle finden? Wer sagt denn, dass ich eine will? Schließlich kriegen die ja Kindergeld, bis ich 27 bin, wenn ich es nur geschickt anstelle. Ist doch geil; ich den ganzen Tag allein daheim, keiner quatscht mir rein, ich gehe aus wann ich will und kann 17 Stunden im Internet sein. Und wenn ich Hunger habe, fresse ich den Kühlschrank leer. Arbeiten, wozu? Selena Gomez in „die Zauberer vom Waverly Place“ arbeitet auch nicht und hat Klamotten von Dior; und keine Eltern die sie nerven.

Wie, wenn ich nicht spure schicken sie mich zu meiner Oma. Ich muss doch mal zur Jugendberatungsstelle beim Jugendamt, um zu sehen ob die das dürfen.

Naja, offensichtlich glauben die Kinder von heute, dass man beim Arbeitsamt Arbeit bekommt, und dass einem das Ordnungsamt die Küche aufräumt.

Einfach überhaupt nicht ignorieren
Das scheint ein Sport zu sein. Die Mama ruft z.B. die Große. Dreimal, viermal, fünfmal. Diese ignoriert das Rufen. Ist ja auch einfach mit 123 Dezibel auf den Ohren. Wenn es Mama zu blöd wird ruft sie die Mittlere. Diese denkt dann aber völlig zu Recht: „Wenn die Große nicht reagiert, warum sollte ich dann reagieren. Sicher hat Mami wieder irgendwas zu meckern, oder einen Auftrag. Den muss dann ich machen, weil die Große nicht antwortet“. Danach wird der Junge gerufen. Der fühlt sich aber auch nicht angesprochen. Raten Sie mal wer am Ende den Auftrag bekommt. Nein, nicht die Kleine. Die ist ja noch zu klein.

Auch wohlgemeinte Hinweise werden schlicht ignoriert. „Jemand müsste mal den Müll rausbringen“, ist klar die falsche Aussage. Damit ist keiner gemeint. Naja, Papi vielleicht. Neutrale Fragen wie: „Wer hat den Fleischkäse aufgegessen?“ bleiben grundsätzlich unbeantwortet. Man wird den Eltern schon beibringen, wie man Fragen stellt wenn man eine Antwort will. Und was soll die Frage überhaupt? Halt die Klappe und kaufe neuen Fleischkäse.

Das gleiche gilt für Verbote und Anweisungen. „Du gehst mir nicht in diese Shisha Bar mit Deinen 15 Jahren“, ist fast eine Garantie dafür, dass die Bar einen neuen Stammkunden gewinnt. „Mir gefällt Dein Umgang nicht“, macht den Freundeskreis automatisch zur Familie und die Familie zu schlecht meinenden Nörglern.

Und so kam es, dass eines Tages als die Mama nicht da war, ich mich auf meine Große, mittlerweile 16 Jahre alt, verlassen musste. „Bitte hole in dieser Zeit die Kleine von der Schule ab und kümmere Dich nachmittags um sie“. Ich hatte den Ignoranten Sport vergessen. Natürlich hat sie die Kleine abgeholt, (hoffe ich wenigstens) aber dann ließ sie sie mittags alleine zuhause. Man muss ja ausgehen, wenn man schon fast eine alte Frau ist. Und der Freundeskreis ist eh besser als die Familie. Solch schwer arbeitende Menschen, die 5 Stunden mit unnützem Lehrstoff wie Mathematik zugemüllt werden, müssen ja auch mal chillen.

Die Eltern haben ja keine Ahnung; die arbeiten ja nur. Das ist ja schließlich auch ihre Aufgabe. Hätten sie mich nicht in die Welt gesetzt, müssten sie auch nicht für mich sorgen. Das haben sie nun davon. Schließlich habe ich ja auch Rechte.

Durch das Trauma, das der Junge der Kleinen mit seinen Zehn Geboten und den Drohungen von Teufel und Hölle und Geistern verpasst hat, hat die Kleine schon Angst alleine in einem Raum zu sein. Geschweige denn alleine in der Wohnung. Ich kann mir die Qualen lebhaft vorstellen. Sie weinte sich wohl in den Schlaf, denn als die Mittlere und der Junge von der Ganztagsschule heim kamen, schlief sie tief und fest. Das bedeutete zwei Stunden intensives Klingeln und Warten in der Kälte bis sie aufwachte (oder sich traute die Tür zu öffnen).

„Noch einmal“, sagte der aufmüpfige Vater, „bitte lass die Kleine mittags nicht alleine“.

„Jaaaajaaa“, kam die verständnisvolle Antwort der fürsorglichen großen Schwester. Der Effekt war der, dass sie ihre Geschwister unter Druck setzte, dem Vater keine Informationen mehr zu geben, wann sie das Haus verließ und wann nicht.

Da aber immer alles herauskommt kam auch heraus, dass sie mindestens fünf Mal die Kleine alleine ließ. Die Ausreden waren aber erster Klasse. „Ich musste ein Heft kaufen“. Von 1300 bis 1900 Uhr. Nach 1900 Uhr wäre das unmöglich gewesen. Oder: „Ich war bei meiner Freundin und habe ein Referat vorbereitet“.

Und dann wollte doch dieser nervige alte Mann, der sich für meinen Erzieher hält, auch noch das Thema wissen. Darauf war ich nun wirklich nicht vorbereitet. Dann sagte er, dass er mir nicht glaube, aber ich habe ihn mit dem besten Argument überhaupt niedergestreckt: „Du kannst ja meine Freundin fragen!“
Tja. Sie lassen Dich ganz schön dumm aussehen.


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