Rüdiger erzählt

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Yorick

Beitragvon Yorick » 22.04.2011, 17:38

Rüdiger erzählt

Rüdiger war in seinem Element. Die jungen Leute hingen an seinen Lippen, während er die Kunstpause nutzte, bedächtig Tabak aus einem ledernen Beutel auf ein Blättchen zu streuen, das Papier anzulecken, sorgfältig zu drehen und genüsslich anzuzünden. Der Wind trieb den Rauch über den Platz an einem Seitenkanal der Spree, wo er seit Jahren mit seinem Bauwagen geduldet wurde. Und so wie heute Abend kamen manchmal ein paar Studenten und Globetrotter aus dem nahegelegenen Hostel vorbei, angezogen von der Aussteigerromantik seines Lagerplatzes zwischen Abbruchhäusern und verwilderten Grundstücken. Sie hatten ein paar Bier und dünn gedrehte Joints dabei, und er hatte sie eingeladen mit ihm alten Mann am Feuer zu sitzen, das er trotzt des warmen Sommerabends angezündet hatte.
„Wir hatten noch nicht einmal eine Platte aufgenommen, vertickten auf den Konzerten in kleinen Clubs selbst aufgenommene Kassetten, und plötzlich standen wir bei diesem Festival auf der Bühne. Wir spielten direkt vor den Scherben, waren auch gar nicht schlecht, aber die Leute warteten eigentlich nur darauf, dass wir fertig wurden. Bis zu meinem Solo. Letztes Stück, Ding war gelaufen, und ich dachte mir: Scheiß drauf, jetzt haust du noch mal richtig rein. Ich habe aus meiner alten Strat alles ausgeholt, nach fünf Minuten war das Publikum im kollektiven Vollrausch, nach einer viertel Stunde in Ekstase. Hinter der Bühne kam Rio auf mich zu und bot mir an, bei ihm in der Band zu spielen. Bei Ton, Steine, Scherben.“
Von den nahegelegenen Gleisen war das Kreischen einer Bahn zu hören, die letzten blutroten Wolken verschwanden im Blau der Nacht. Am Ufer glucksten die Wellen zwischen den Böschungssteinen.
„Krass!“ sagte eine Studentin mit kurzen blonden Haaren und schwarzem Top. „Du hast mit Rio Reiser zusammen gespielt. Das ist ja heftig.“
Rüdiger streckte die Hände zum Feuer, als müsse er sie bei über fünfundzwanzig Grad noch wärmen. „Tja“, sagte er, „nicht ganz. Musste mich halt schnell entscheiden, und die Scherben kannte damals kaum einer. Ich hatte einen Haufen Schulden an der Backe, wollte meinen Job deswegen nicht sofort schmeißen. Und dann haben sie einfach einen anderen genommen, ohne sich noch mal zu melden. Die Arschlöcher.“
„Das ist ja echt übel.“ sagte die Studentin. „Muss bitter für dich gewesen sein.“
„So bitter nun auch wieder nicht.“ wehrte Rüdiger ab. „Das waren andere Zeiten damals. Aufbruchstimmung, Alles war möglich, von heute auf morgen. Hatte gar keine Gelegenheit, mir Gedanken zu machen. Wenn du jeden Moment damit rechnen musst, dass die Bullen in dein Zimmer gestürmt kommen und dich verhaften, lebst du einfach anders. War die Zeit der Randale hier in Berlin, Demos, Hausbesetzungen. Da drüben, Gerkestraße, haben wir alle Häuser besetzt, der komplette Straßenzug. Haben da eine Suppenküche für alle aufgebaut, Ateliers eingerichtet, auf der Dachterrasse Hasch angebaut, die Zimmer bewohnbar gemacht.“
Einer der Jungen zündete einen Joint an, gab ihn weiter. „Wie lange hast denn da gewohnt?“ wollte er wissen.
„Direkt gewohnt habe ich da nicht“, antwortete Rüdiger. „War nix frei gewesen.“
„Du hast gekniffen,“ meinte der Junge mit dem Joint und hauchte den Rauch aus.
„Sagt einer, der gerade flügge geworden ist und keine Ahnung von nichts hat.“ sagte Rüdiger und warf verächtlich seine Kippe ins Feuer. „Wir waren damals im Krieg. Das ganze System war korrupt, die alten Nazis saßen wieder auf ihren Posten und die Bonzen haben fette Gewinne gescheffelt. Widerstand wurde für uns zur Pflicht. Während die anderen mit Farbbeuteln geworfen und trotzige Sprüche geklopft haben, machten wir Nägel mit Köpfen. Buback, Ponto, Schleyer... und wir planten Axel Springer.“
Rüdiger legte ein paar zersägte Bretter aufs Feuer, die Dachpappenreste dran fingen mit grünlicher Flamme an zu brennen. Eine warme Brise wehte den Geruch der Großstadt herüber, und jeder am Feuer spürte plötzlich die Geschichte lebendig werden. Rüdiger nahm noch einen großen Schluck von seinem Bier, bevor er weiter redete.
„Die ganz große Nummer, generalstabsmäßig geplant. Einmal was ganz großes durchziehen, einmal den Typen so richtig aufs Maul hauen. Aber wir brauchten dringend Kohle für den Plan, allein der Sprengstoff kostete drei Riesen. Ich habe jeden Job gemacht, um das Geld zusammen zu kriegen. Ich war Frittenverkäufer, Parkhauswächter und sogar in einer Putzkolonne. Direkt in den Redaktionsräumen bei Springer, als Kundschafter. Deshalb wohnte ich ganz unauffällig bei meinen Alten, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Aber Nachts habe ich heimlich im Keller an einem Papiermodell gearbeitet, das ganze Gebäude habe ich nachgebaut, mit Straße davor, dem Auto mit Sprengstoff vorm Haupteingang und Fluchtwegen. Maßstabsgetreu.“
„Wahnsinn“, flüsterte die Studentin aus Trier. Sie hatte sich im Sand aufgestützt und sah gebannt zu Rüdiger hinüber. „Was ist dann passiert?“ fragte sie. „Habt ihr in... habt ihr das tatsächlich gemacht?“
Rüdiger lehnte sich im seinem Klappstuhl zurück und sah in den sternklaren Nachthimmel. „Mein Alter hat das Modell entdeckt. Er hatte keine Ahnung, was genau das war, sonst hätte er mich sofort bei der Polizei gemeldet. So hart war der drauf. Und ich wäre auf Nimmerwiedersehen eingefahren. Den Christian und die Brigitte haben sie ja auch dran gekriegt. Und dann ist mir meine Karre auch noch verreckt und das ganze Geld ist für die Reparatur draufgegangen. Aber bin irgendwie froh, dass wir den Axel nicht erwischt haben. Ist ja auch nur eine arme Sau gewesen. Aber meinem Alten würde ich heute noch gerne das Semtex in die Fresse stopfen und hochjagen.“
Die Bretter im Feuer knackten, inzwischen war es dunkel geworden. Einer der Jungen war aufgestanden und pinkelte außerhalb des Feuerscheins gegen einen Baum.
„Dann habt ihr im Grunde doch gar nichts auf die Beine gestellt.“ meint einer.
„Mein Freund,“ entgegnete Rüdiger, „dass du hier und heute am Feuer liegen kannst mit schönen Frauen im Arm und das Leben und die Liebe genießen kannst, das haben wir auf die Beine gestellt. Meine Generation. Klar, ihr denk wahrscheinlich, was erzählt uns der alte Sack denn da? So ein Alt-Achtundechziger-Spinner, für den der Zug voll krass abgefahren ist. Aber ich habe wenigstens was getan, damit nicht alles so spießig bleibt, wie es ist. Habt ihr den Mut dazu?“ fragte Rüdiger in die Runde. Als niemand antwortete, fuhr er fort zu erzählen.
„Nachdem ich Zuhause raus bin, hab ich ne ganze Zeit in einer Kommune gelebt, zeitweise mit bis zu zwölf Personen. „Love and Peace“ stand bei uns im Flur, und so haben wir auch gelebt. Freie Liebe, damals hier in Berlin. Sex war für uns so normal wie atmen, verstehst du? Da war diese eine, Gybsy nannte die sich. Traumhafte Figur, lange, brauner Haare und die geilsten Titten, die du je gesehen hast. Mit der wäre ich um die Welt gereist, in die war ich richtig verknallt. Aber die hatte genug Typen. Wenn ich die Nachts gehört habe, konnte ich kein Auge mehr zumachen. Musste immer an sie denken, selbst als sie schon lange weg war, nach Frankreich oder Italien ist sie gegangen, keine Ahnung. Guter Rat von mir: nehmt, was ihr kriegen könnt, bevor es ein Anderer tut.“
Niemand sagte etwas. Inzwischen war es auch kühler geworden, die Studentin hatte sich eine Jacke übergezogen.
„Dann hatte ich erst einmal die Schnauze voll von der Großstadt. Hab mit ein paar Kumpels einen Resthof in Westdeutschland gekauft. Den Hof habe ich aufgetan, kam da nämlich her aus der Gegend. War der Beginn der Naturwelle, haben Biosachen angeboten, Eier von glücklichen Hühnern und so'n Scheiß. Aber Geld verdirbt den Charakter, und als der Laden richtig gut zu laufen begann, haben mich meine Kumpels übel abgezockt. Inzwischen sind die dick im Geschäft, kannste überall im Laden kaufen die Produkte. Stinkenreich sind die heute. Die reinsten Bio-Faschos.“
Es war spät geworden, der Trupp machte sich fertig, um in irgendeinem Club noch zu tanzen. Einige der Jungen verabschiedeten sich von Rüdiger mit übertrieben starkem Händedruck, andere hoben lässig die Hand.
„Und, was ist mit dir?“ fragte Rüdiger die blonde Studentin, die als letzte etwas unschlüssig am Feuer stand. Sie antwortete nicht, starrte auf den dunklen Kanal raus.
„Dann bleib doch einfach noch hier. Kannst heute Nacht bei mir pennen. In einem richtigen Bauwagen.“ sagte Rüdiger so beiläufig wie möglich.
„Nee, keine Lust.“ antwortete sie und zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. „Möchte lieber in einem richtigen Bett schlafen.“
„Alles klar!“ sagte Rüdiger und zwinkerte ihr zu. „Kein Problem.“
„Ich muss jetzt los“, sagte sie. „Die Anderen warten. Danke für die Geschichten.“ Und damit verschwand sie in der Dunkelheit. Rüdiger hörte das Rufen und Lachen der Gruppe, bis sie ganz aus seinem Leben verschwunden waren.
Eine Weile blieb er noch am Feuer sitzen, das fast runtergebrannt war. „Geschichten.“ sagte er vor sich hin und schnaufte. Dann kippte er den Rest seines Bieres in die Glut. Zischend wurde es dunkel um ihn herum. Er stand auf, reckte seine steifen Glieder und ging zu seinem Bauwagen, der sperrig wie ein gestrandetes Schiffswrack am Ufer der Spree lang.

Sam

Beitragvon Sam » 25.04.2011, 14:36

Hallo Yorick,

ja, das gefällt mir. Ein Alt-68iger erzählt von damals, wie einst unsere Großväter vom Krieg erzählten - wenn sie es denn taten. Der Versuch, den Graben, den die Zeit gegraben hat, mit Worten aufzufüllen, auf dass jemand die Kluft überwinden möge. Wirklich gelingen kann es nicht. Beinahe zwangsläufig bleibt man unverstanden. Auch wenn man es anderen erzählt, ist es doch mehr Selbstgespräch. Und wie so oft, geht es um verpasste Gelegenheiten, um Träume, die sich verflüchtigt, um Kämpfe, die verloren wurden, einfach weil die Zeit voranschreitet und unwillkürlich alles verändert. Und so ist der Rat, den der alte Mann den Jungen geben kann, auch reingewaschen von jeglichem Idealismus. Nehmt, was ihr kriegen könnt, ist alles, was er seinen Zuhörern mit auf den Weg gibt. Hier ist wunderbar das wahre Erbe der 68-Generation auf den Punkt gebracht.

Ein wenig jedoch erscheint mir das Bild von Rüdiger nicht hundertprozentig rund. Die Geschichte mit Rio und Ton, Steine, Scherben wirkt ein wenig wie ein Anhängsel an Hausbesetzer- und Terroristenszene. Hätte ihn wirklich sein Job davon abgehalten, sich mit der Band zusammen zu tun? Warum die Angst vor den Schulden, wenn er doch sowieso den gesamten System den Kampf angesagt hatte? Weil er das Geld für die Bombenbastelei brauchte? Womöglich, aber das kommt aus dem Text selbst nicht wirklich heraus. Das Rüdiger den Springer mit Nachsicht bedenkt, seine Eltern aber immer noch in die Luft sprengen möchte, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar. Schließlich war Springer doch ein echtes Feindbild. Und als Generationskonflikt wird diese Zeit von Rüdiger nicht erinnert, sondern eher als Aufbruch und Auflehnung gegen das System.
Aber das sind ganz subjektive Eindrücke. Der Text muss ja, allein ob seiner Kürze, an der Oberfläche bleiben. Vieles wird nicht erzählt, sondern nur erwähnt. Und da gibt es eben eine große Fläche an unausgeleuchtetem Hintergrund, den ich mir noch ein wenig von dir erhellt gewünscht hätte.

Aber dennoch hab ich das wirklich sehr, sehr gerne und mit großen Interesse gelesen.


Gruß

Sam

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 25.04.2011, 18:52

Hallo Yorick,

das habe ich auch sehr gern gelesen. Beim ersten Lesen hatte ich zwischendurch die Befürchtung, dass es sich vergaloppiert und war dann positiv überrascht, mit welchem Gespür für Rüdiger und die Szene du die Geschichte geführt und in einer Balance gehalten hast, sie lebendig werden lässt und, ganz wichtig für mich, ihr ein absolut gelungenes Ende gibst. Ein Text, der für mich sehr leicht hätte kippen können.
Sam hat geschrieben:Ein wenig jedoch erscheint mir das Bild von Rüdiger nicht hundertprozentig rund.
Mir scheint gerade das wichtig, die richtige Erzähltiefe für die Geschichten zu finden. Es ist nicht Geschichte, es sind seine Geschichten. Erinnerungen, seien es gelebte, oder erfundene und alles was sich dazwischen bewegt. Wenn der Hintergrund besser, oder Rüdiger "klarer" ausgeleuchtet wäre, ginge dieser Aspekt auch für die Zuhörer verloren und somit für mich auch die gesamte Lagerfeuer-Stimmung, der dicke Sympathiebonus für Rüdiger und letztlich wahrscheinlich auch das, was der Text über die Geschichte(n) hinaus über das Leben, Menschen, das Erzählen, das Zuhören, Sprache und Klischees, und wie wir uns in und mit ihnen bewegen (lassen), erzählt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.04.2011, 21:20

Lieber Yorick,

ich habe das auch gerne gelesen - bin auch mitgezogen worden, hab mir erzählen lassen, wie erzählt wird wie Rüdiger erzählt und finde deine Sprache ausgereift, flüssig, rund. Allerdings habe ich auch gespürt, dass ich nicht wirklich berührt wurde. Es passiert für mich im Grunde genau, was auch den Zuhörern Rüdigers passiert: ich erlebe alles als Geschichte. Dabei geht es um etwas "Lebendiges" bzw. ist das mein Anspruch, wenn ich lese, meine Erwartung und wenn, wenn ich einen Fund lande, das große Glück. Nun ist die Frage, ob deshalb die Geschichte einen Mangel aufweist. Das alles kann ja so auch genau beabsichtigt sein. Der Leser soll vielleicht irritiert werden. Er richtet sich als Text an die gleichen Zuhörer, die auch Rüdiger zuhören, und zeigt ihnen so: was fehlt, was verloren geht, was das Erzählen nicht leisten kann in diesem Fall. Ich glaube aber, dass das hier (für mich) nicht funktioniert, weil sich bei mir keine Irritation breitmacht, sondern mir vielmehr eine tiefere Bindung zum Text(inhalt) fehlt. Ich lese und habe wie gesagt sehr stark das Gefühl, eine Geschichte zu hören, wodurch alles von Rüdiger erfunden/ausgedacht wirkt, die Erzählinstanz selbst von diesem Zugangsmangel zu Rüdiger befallen wird.
Woran das genau liegt, weiß ich nicht. Entweder an der Erzählinstanz (jemand denkt sich Rüdiger(s Lebensdetails) aus, der selbst nicht "ein Rüdiger ist", <-- natürlich eine Mutmaßung, geht etwas weg vom Text = zählt nicht wirklich, wobei die Entscheidung für diesen mittelpositionellen personalen Ich-Erzähler schon auch darauf hindeutet) oder an den Details selbst (wirken zu stereotyp? <-- fast berühmteBand-Mitglied, reich und wieder arm..im Biogeschäft...Hausbesetzung...das meine ich schon gelesen zu haben? aber hier ist eben die Frage, erste das Huhn oder das Ei? Warum wirkt was komisch?) (...) - genau kann ich es nicht sagen...es bleibt für mich einfach das Gefühl, dass da "jemand" etwas erzählen will, wozu er nur begrenzt Zugang hat, es fehlt ein Gefühl/eine Nähe zur Figur/zum Kern und alles woran erzählt wird, wird dadurch zur erzählerischen Requisite. Das ist sicher nur eine Nuance, dass du schreiben kannst, geht klar aus dem Text hervor, aber für mich ist es - im Sinne meines Anspruches, eben gerade die entscheidende.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 26.04.2011, 21:58

Hi Yorick,
mir gefällt das gut, das "fast hätte ich ..". und" beinahe wäre ich ..." gegenüber dem angedeuteten "ich probiers erst gar nicht" der Jüngeren. Schwierig ist etwas, dass bei derartigen Ansätzen immer das Ressentiment im Untergrund lauert, als Spott über den Lebensversager, der immer noch nichts gelernt hat (außer eloquentem Selbstbetrug und entspanntem Scheitern) und so tief in seinen Illusionen steckt, dass er sogar das Abstauben der Studentin noch versucht. Ich finde, dass du durch das frühe und wiederholte Entlarven seines Versagens unnötig nah an die Klippe heransegelst, Rüdiger nur zu einer Karikatur werden zu lassen - ich glaube, die Geschichte würde noch besser funktionieren, wenn es etwas mehr Gegengewicht gäbe, vielleicht einen Einblick in Lebenspläne - oder ihr Fehlen? - bei den Jüngeren.
In jedem Fall aber ein abwechslungsreicher und stimmungsvoller Stil, die Atmosphäre kommt sehr gut rüber.
Grüße
Franz

Yorick

Beitragvon Yorick » 27.04.2011, 13:25

Hallo Sam, Flora, Lisa und RäuberKneißl

vielen Dank für Eure Kritiken und die Beschäftigung mit dem Text! Ich habe die Beiträge mehrfach durchgelesen, und jeder trifft bestimmte Punkte, die ich nachvollziehbar und überlegenswert finde.

Sam, Du hast im dem ersten Absatz eigentlich schön gesagt, worum es geht: ungelebte Träume, nicht genutzte Chancen. „Nehmt, was ihr kriegen könnt“ ist im Grunde der Rat, diese Möglichkeiten zu nutzen, und nicht durch selbst errichtete Barrieren zu blockieren. Rüdiger scheitert an genau den Fragen, die Du im Deinem zweiten Absatz stellst. Von außen betrachtet scheint das schwer nachvollziehbar, warum die Pläne an solchen Nichtigkeiten scheitern. Doch Rüdiger legt sich selbst diese Stolpersteine in den Weg, weniger aus Angst vor dem Scheitern, sonder mehr aus Angst vor dem Erfolg.
Springer war das „Feindbild“ einer ganzen Generation, ideale Projektionsfläche für eine Auseinandersetzung, die eigentlich ganz woanders stattfindet. Hier spürt Rüdiger eigentlich ganz genau, gegen wen er kämpfen wollte, kann es aber letztlich nicht recht überblicken. Und so bleibt auch dieser Kampf stecken, denn er kämpft gegen Trug-Feinbilder und seine Energie geht so ins Leere.
Das ist natürlich sehr, sehr knapp beschrieben. So wie auch die anderen Fragen genau die wunden Punkte treffen. Darin soll sich Rüdiger „halb-bewusst“ bewegen.

Und wie Du schreibst, Flora, ist da vergaloppieren ein leichtes. Schön, dass Du das nicht so empfunden hast. Es soll keine „Abrechnung“ mit der 68-Generation sein, keine Historie, sondern eben das Beleuchten „unerfüllter Möglichkeiten“. Räuber Kneißl hat die entsprechenden Anfänge ja auch herausgestellt: „fast..“, „beinah..“. (gerade auch im Kontrast zu der „Jugend“). Vielleicht ist der Text noch zu nah an der Klippe zum lächerlich machen, zum Spott. Da muss ich noch mal genau schauen. Denn wertend (Versager) soll der Text nicht sein.

Das wird natürlich auch bedingt durch die stereotypen Situationen, wie Lisa schreibt. Auf der einen Seite „erkennt“ man daran die Generation, auf der anderen ist es zu unpersönlich. Hier könnten vielleicht schon Details helfen, die für den Leser eine Erweiterung bringen (z.B. die Platten, die schnell in einem besetzten Haus über die Stufen gelegt werden konnten, damit die Polizei nicht ohne weiteres die Treppen hochkommt – oder in der Art). Das verbunden mit persönlichen Eindrücken des Protagonisten.
Gerade das das Gefühl für Dich fehlt, Lisa, gibt mir natürlich zu denken.Unter all den Stereotypen und Beschönigungen soll natürlich Rüdiger spürbar werden – sehr persönlich und privat in einer „öffentlichen Generation“. Als Idealist, der nicht das „System“, sondern sich selbst hereingelegt hat.

Noch einmal vielen Dank für Eure Rückmeldungen, die sind sehr hilfreich für mich!
Und natürlich freuen mich auch sehr die positiven Anmerkungen.


Liebe Grüße,
Yorick.


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