Die Kirschknospe welkt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 13.03.2011, 12:25

Die Kirschknospe welkt,
stirbt geschlossen dahin. Sie
mag Kernschmelzen nicht.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Klara
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Beitragvon Klara » 13.03.2011, 13:33

Ohgottogott auweia, Quoth,
das geht nicht!
Ich finde das so furchtbar, grausam, beängstigend, was da (schon wieder!) passiert, und wie sie uns belügen, immer noch und immer wieder, und sich selbst, und wie kalt diese Hitze ist, wie unsichtbar, und, ich bin völlig fertig deswegen, ich kann mri das nicht im Fernsehen anschauen, ich höre Radio, lese widerwillig Zeitung, spreche hilflos mit meinen Kindern, und grusele mich und ängstige mich und HOFFE, dass jetzt endlich, endlich wenigstens hierzulande vernünftige Konsequenzen gezogen werden, auch wenn die Regierung sich auch hier mit alles anderem als Ruhm bekleckert hat.

Das "mag" und das verniedlichende, vermenschlichende der Kirsche und ihrer Knospe funktioniert deshalb für mich nicht, lese ich als zynisch: als wäre diese Katastrophe für einen Hiesigen, "nicht im Erdbebengebiet" lebenden Menschen (sie vermeiden es, dann pltözlich, über die Terrorgefahr zu sprechen: ein absichtlich auf ein KKW abgestürztes Flugzeug reicht auch hierzulande völlig aus, um viele, wenn nicht alle(s) zu verseuchen, ganz ohne Erdbeben, und bei vollsten Sicherheitsvorkehrungen und höchstens "Standards", und ein Wunder ist eigentlich nur, dass das bislang nicht "passiert" ist) nur dazu da, einem kurzlyrischem Bonmot Anlass zu bieten.

Nichts für ungut
klara

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 13.03.2011, 13:52

Gegen die symbolische Kirschknospe/ das Absterben vor der Kirschblüte hätte ich gar nichts; das Kirschblütenfest zu feiern, verbietet sich, ist unmöglich geworden etc.; finde ich alles plausibel, und das Bild gefällt mir in seiner Einfachheit auch.

Aber beim zweiten Teil "Sie mag Kernschmelzen nicht" möchte ich mich Klara anschließen, das klingt zynisch, weil so unglaublich harmlos. Der Bezug zur Wirklichkeit ist mit diesem Satz auf schrecklich banale Weise weggeputzt. Atomkern - Kirschkern. Nein, das geht wirklich nicht. Vor allem: Ob MÖGEN oder nicht, ist hier doch keine Frage mehr ...

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 13.03.2011, 14:03

Hallo Quoth,

drei Zeilen, 5-7-5 Silben, noch dazu ein genau jetzt in Japan sich abspielendes Unglück als Inhalt:

Da liegt der Verdacht nah, dass du ein Haiku schreiben wolltest. Diesen Eindruck gewinne ich jedenfalls, und an dieser Erwartung zerbricht das Gedicht dann für mich, weil eine Wertung wie "Sie mag Kernschmelzen nicht" in einem derartigen Rahmen einfach fehl am Platze ist (Ob sie in einem "normalen" Gedicht angebracht wäre, bliebe zu überlegen).

Abgesehen davon müsste das eine, unkommentierte Bild wohl auch knapper daherkommen; das jetzige Gedicht wirkt für mich auch jenseits der Wertung zu wenig scharf (Aber das mag mein Problem sein, ich denke allgemein, dass 5-7-5 ein zu weiter Rahmen für ein deutsches Haiku ist).


Hallo Klara,

Dichtung, die verstummen muss angesichts von was auch immer, ist keine. Daher mag natürlich aufgrund deiner Gefühlslage so etwas "nicht gehen"; aber die kann nicht erster, und schon gar nicht einziger Maßstab sein.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.03.2011, 14:34

Hallo Quoth,

angesichts der Katastrophe in Japan, einen solchen Dreizeiler in "Haiku-Form" mit "Sie mag Kernschmelzen nicht.", zu schreiben, macht mich einfach nur sprachlos.

Saludos
Gabriella

Gerda

Beitragvon Gerda » 13.03.2011, 15:18

Ouoth, du bereitest auch mir Kopfzerbrechen ...

Gerade weil Japan ein traditionsbewusstes Land ist (Denk an Basho den großen Dichter), außerdem mit Opfern atomarer Anschläge in Nagasaki und Hirioshima seine ganz eigene Geschichte zu schreiben gezwungen war, erreicht mich dieser Dreizeiler, überhaupt nicht.
Es ist nicht zu beschreiben, denke ich, (noch) nicht oder vllt. auch nie zu bedichten.
Ich frage, was dachtest du, könnte dieser Vers denn aussagen? Ich glaube, er scheitert am deutlichen Benennen dessen was die Kirschblüte dahinwelken lässt rein dichterisch.
Angesichts der nuklearen Katastrophe, die sich derzeit in Japna zuspitzt, kann man m. E. nur Fragen stellen, auf die es kaum Antworten geben wird, aber sicher nicht einen frischgespresten Dreizeiler servieren.
Das ist meine persönliche menschliche Meinung.
Ein Haiku lese ich auch nicht, die Begründung hat ferdi schon geschrieben.

Liebe Grüße
Gerda

PS Ich empfinde es makaber, dass ausgerechnet jenes Land, dass durch die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki getroffen und zerstört wurde, nun selbst den Gau aus dem Inneren zu bekämpfen hat.
Warum bloß, das frage ich mich immer wieder, haben die Japaner so sehr auf Atomkraftwerke gesetzt?

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.03.2011, 15:48

Hm, ich finde es etwas unfair, Quoth hier bestimmte Dinge zu unterstellen. Denn wie man selbst den Text liest, zeigt ja nicht objektiv, wie er gemeint ist und warum Quoth ihn geschrieben hat.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so ein Text aus einer Wut und Hilflosigkeit heraus entstehen kann. Zum Beispiel aus der Wut über die Informationspolitik, in der ja immer wieder behauptet wird, es bestehe keine Gefahr für die Menschen (haha!). Ich habe Verständnis dafür, dass das zynische Reaktionen hervorruft. Und zwar solche, die sich hinter die Betroffenen stellen und nicht gegen sie.
Die Kirschblüte widerspricht der Verlogenheit, sie hat eine ehrlichere Sprache. Und sie ist ja vermutlich eine Metapher für anderes Leben, das möglicherweise ähnlich betroffen ist und "reagiert".

Trotzdem halte ich den Text so wie er da steht auch für problematisch: Ist es denn so, dass die Kirschblüte auf Strahlung in dieser Weise reagiert? Ich konnte das über googeln nicht herausfinden, vielleicht können Biologen oder Physiker unter uns da weiterhelfen.

Die zweite Crux wurde schon angesprochen: in der dritten Zeile verlässt das Gedicht sein eigenes Bild und spricht seine Botschaft direkt aus. Und geht daran kaputt.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.03.2011, 16:04

Hi leonie,
leonie hat geschrieben:Denn wie man selbst den Text liest, zeigt ja nicht objektiv, wie er gemeint ist und warum Quoth ihn geschrieben hat.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so ein Text aus einer Wut und Hilflosigkeit heraus entstehen kann.

Ich unterstelle Quoth hier gar nichts. Es macht mich, wie ich ja schrieb, einfach sprachlos.
Wut kann ich aus diesem Dreizeiler nicht herauslesen.
Auch ich frage mich, was Quoth dazu veranlasst hat, das zu schreiben und wie er es meint und würde daher gerne Quoth hier mal dazu hören.

Saludos
Gabriella

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 13.03.2011, 16:04

Hallo nochmal,

ich muss schon sagen, dass ich die hier nicht nur im Hintergrund mitzudenkenden, sondern ganz offen ausgesprochenen Dicht-Verbote für arg befremdlich halte. Das einzige, was gar nicht geht, ist "das geht nicht", lies "das darf man nicht" unter einen Versuch zu schreiben, sich mit der Welt, wie sie (leider) nun einmal ist, dichterisch zu befassen. Dieser Versuch kann scheitern wie alle Versuche - aber das war's dann auch schon. Ihn zu unternehmen, steht jedem frei, je nach Bedürfnis.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.03.2011, 16:11

Hallo ferdi,

es geht nicht darum, ob es Tabuthemen gibt. Natürlich kann man über alles schreiben.
Wir haben doch keine Zensur hier! Es geht um die Angemessenheit, um das wie.
Und da wäre es wichtig, von Quoth zu erfahren, wie er es gemeint hat.

Saludos
Gabriella

Gerda

Beitragvon Gerda » 13.03.2011, 16:20

Hallo leonie , hallo ferdi,

ich nehme nicht an, dass meine kritischen Fragen in meinem Kommentar von euch bereits als Verbots-Äußerung gesehen werden.
Es ist schwierig, nicht nur in diesem Faden, wenn die Kommentatoren nicht die konkreten Kommentare benennen, auf die sie sich beziehen.
Ich wäre dankbar, wenn das hier aktuell geschehen könnte.
Man weiß nicht, wenn allgemeine Äußerungen in den Raum gestellt werden, meinen sie nun mich auch oder nicht.

Im Voraus Dankeschön.
Gerda

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 13.03.2011, 16:32

Hallo Gerda!

Angesichts der nuklearen Katastrophe, ... kann man ... sicher nicht einen frischgepressten Dreizeiler servieren.

Diese deine Aussage (nicht: Frage) hat mich mit dazu bewogen, meinen Beitrag zu schreiben. ich hoffe, dir geholfen zu haben.

Ferdigruß!
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leonie
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Beitragvon leonie » 13.03.2011, 16:36

Liebe Gabriella, liebe alle,

vielleicht war das Wort "unterstellen" falsch, ich wollte Dich, Gabriella, damit nicht angreifen. Sondern darauf hinweisen, dass man den Text offensichtlich auf sehr unterschiedliche Weise lesen kann und mich deshalb- wie ferdi es auch sagt - so ein "Das geht nicht", wie es stellenweise in den Kommentaren durchklingt, befremdet.

Mir geht es so, dass ich in den ersten beiden Zeilen einen Schmerz darüber finde, wieviel Leben durch die Katastrophe zerstört wird, dafür steht die Kirschblüte für mein Empfinden. Es wird keinen Grund mehr geben, sie oder irgendetwas zu feiern. Weil der Mensch in seinem Größenwahn es kaputt gemacht hat. Und da ist auch die Wut drin, die für mich mitschwingt.

Ich denke nicht, dass Quoth hier ein Bonmot zum Besten gibt. Ich gehe davon aus, dass er versucht, seine Betroffenheit/Hilflosigkeit/Wut/seinen Schmerz lyrisch zu verarbeiten. Und dagegen habe ich nichts einzuwenden.

Andere reden, schreiben Artikel, fluchen, weinen, demonstrieren, beten, spenden, manche tun vielleicht auch mehreres. Man muss auf irgendeine Weise damit umgehen. Das Gedicht ist ein Weg von vielen.


Liebe Grüße

leonie

Gerda

Beitragvon Gerda » 13.03.2011, 16:37

Aha, siehste, ferdi,

ich wäre tatsächlich nicht von allein draufgekommen, weil ich damit niemandem etwas verbieten möchte oder könnte, sondern meine Meinung dazu geäußert habe, wie ich den Vers betrachte. (Das Wörtchen "sicher", bitte ich im Kontext zu beachten, es soll so viel heißen, wie "Kann man sicher - oder doch nicht, die Pünktchen dazwischen sind eine Angewohnheit meinerseits, die immer auch eine Unschlüssigkeit ausdrücken sollen, ich gebe zu, das kann man auch anders interpretieren).
Ich werde in Zukunft deutlicher schreiben.

LGG


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