Anmerkung von Gabriella: Dieser Text stammt von wüstenfuchs, wie er weiter unten schrieb. Er bat um Verschiebung, da er an diesem Text arbeiten möchte.
Jeanne lief durch die Bar, die um diese Zeit schon ziemlich leer war. Die weichen Teppiche verschluckten ihre Schritte. Müde ließ sie sich in einen der schweren Sessel fallen. Ihr Gesicht war staubgrau. Ihr lichtloses Haar hatte sie hoch gesteckt. Den ganzen Abend über hatte sie für einen Maler Modell gestanden, weil sie das Geld dringend brauchte. Nun gab sie es in der Bar gleich wieder aus. Irgendwie war es ihr egal. Sie lebte jetzt schon zwei Jahre von der Hand in den Mund, an der Armutsgrenze. Sie fand nur selten einen Käufer für ihre eigenen Bilder. So jobbte sie als Model für Maler, oder half dann und wann in einer Galerie aus.
Das warme Licht in der Bar tat ihr gut. Sie vergaß den Schneematsch und die eisige Kälte draußen. Sie bestellte einen Whiskey und goss ihn in einem Zug hinunter. Er glühte in ihren Eingeweiden. Sie bestellte noch einen und lehnte sich zurück und lauschte der gedämpften Klaviermusik.
Unauffällig zog sie einen Taschenspiegel aus ihrer Handtasche mit den schwarzen Fransen und betrachtete ihr Gesicht. Es war schmal wie ihre Hände und die Augen darin wirkten übergroß. Sie waren grau wie das Meer an einem aufgewühlten Tag. Sie hatte einen breiten Mund, der nur selten lächelte. Erschöpft schloss sie einen Moment die Augen. Dann zog sie schnell einen dunkelroten Lippenstift aus der Handtasche und zeichnete damit ihren Mund nach. Ihre Bewegungen waren fahrig. Sie rückte ihren engen schwarzen Rock mit kleinen Gesten zurecht, nahm dann schnell das Glas und trank einen Schluck. Der Alkohol verlieh ihren bleichen Wangen einen rosigen Schimmer. Wieder sah sie sich nackt bei dem Maler auf dem roten Teppich liegen mit ihren kleinen Brüsten und ihren großen Füßen. Sehnsüchtig hatte sie auf das Ende der Sitzung gewartet.
Schnell ergriff sie wieder das Glas, legte den Kopf in den Nacken und trank gierig den Rest.
Als sie das Glas auf den Tisch zurück stellte, stand plötzlich ein Mann an ihrem Tisch. Lautlos war er aufgetaucht aus dem aschenen Dämmerlicht. Er nahm seinen Hut ab und setzte sich, ohne ihr Einverständnis abzuwarten. Er hatte ein kantiges Gesicht und kaum noch Haare. Er musterte sie scharf aus wachen braunen Augen.
„Was wollen Sie?“ flüsterte Jeanne plötzlich heiser. Er lachte abgehackt, fast so als wollte er husten oder hätte sich verschluckt. „Sag nichts…“, sagte er fast barsch, „ergib dich der Nacht…“ Er bestellte zwei weitere Drinks beim schnell herbei eilenden Ober. Jeanne zuckte die Achseln und trank. Sie ärgerte sich darüber, dass er sie duzte und herablassend behandelte. Sie betrachtete ihn. Er wirkte groß und mächtig. Seine Bewegungen waren geschmeidig und erinnerten an einen routinierten Tangotänzer.
Etwas in seinem Blick rüttelte sie für einen Moment aus ihrer Lethargie auf. Sie hatte schon mit vielen Männern geschlafen. Für sie bedeutete ein endloser Beischlaf mittlerweile nicht mehr, als Modell zu stehen. Sie trank und sah auf ihre Schuhe hinunter, um ihm auszuweichen. Ihre kleinen schwarzen Stiefel mit Pelzbesatz, die ihre Füße wärmten. Sie schienen zu atmen. Jeanne fühlte benommen von dem Alkohol. Sie lauschte der Klaviermusik. Plötzlich brach sie ab. Die letzten Gäste erhoben sich. „Ich weiß nichts von dir, nur deine Augen und ihre Schatten erzählen genug…, ich fahre dich nach Hause…,“ sagte er nachdem er bezahlt hatte. Sie dachte, wie gut ihm sein Hemd steht, offen an seinem kräftigen Hals, das blendende Weiß.
Die Bar
es sagt zwar mehr über mich als über diesen text, damit aber doch wieder etwas über diesen text für mich als leser, wenn ich sage, dass ich nichts, was ich hier gelesen habe (einen teil hab ich übersprungen) auch nur ansatzweise 'glaube', d.h. ganz unabhängig von 'realismus' oder 'fiktionalität' als "geschichte" 'glauben kann' - somit kann ich rein garnichts mit ihm 'anfangen', außer den text als bote aus einer welt zu nehmen, der ich offenbar nicht angehöre.
Sie trank und sah auf ihre Schuhe hinunter, (...). Ihre kleinen schwarzen Stiefel mit Pelzbesatz, die ihre Füße wärmten. Sie schienen zu atmen.
Das ist eine Stelle, die mir gefällt.
Obwohl ich nicht verstehe, warum sie kleine Stiefel trägt, obwohl sie größe Füße hat. Verbirgt sich hier ein Geheimnis?
lG Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Ich weiß nicht, ob das so gemeint ist: Für mich sind große Füße in kleinen Stiefeln vor allem ungemütlich. Die drücken, machen kalte Füße, sind Fremdkörper. Für mich untermauert das die Armut.
Die arme Frau - sie passt irgendwie nicht in die Galerien, die Arbeit als Modell macht sie auch nicht gern, und künstlerisch scheint sie aufgegeben zu haben. Es geht alles nur noch gegen Null. Gruselig. Ist das die Aussage des Textes?
Die arme Frau - sie passt irgendwie nicht in die Galerien, die Arbeit als Modell macht sie auch nicht gern, und künstlerisch scheint sie aufgegeben zu haben. Es geht alles nur noch gegen Null. Gruselig. Ist das die Aussage des Textes?
Amanita hat geschrieben:Die arme Frau - sie passt irgendwie nicht in die Galerien, die Arbeit als Modell macht sie auch nicht gern, und künstlerisch scheint sie aufgegeben zu haben. Es geht alles nur noch gegen Null. Gruselig. Ist das die Aussage des Textes?
Ich sehe die Aussage eher im offenen Ende verborgen, zusammen mit dem Signal: "Für sie bedeutete ein endloser Beischlaf mittlerweile nicht mehr, als Modell zu stehen."
Das kurze Fragment schildert nicht viel. Es stellt Jeanne vor, was sie macht, wie sie aussieht, dann begegnet sie einem Fremden, der sie nach Hause(!) fährt. Die Nacht, der sich Jeanne seiner Aufforderung nach hingeben sollte, entspricht wohl auch einer geistigen Umnachtung als völlige Aufgabe ihrer Hüllen (Modelltätigkeit, Selbstbetrachtung im Spiegel). Die Fahrt nach Hause könnte der kleine Hoffnungsschimmer sein, den es bedarf, wobei das Wort Hoffnung noch zu mächtig ist. Eher liegt im offenen Ende das Eingeständnis, dass es sich sowohl beim Text als auch bei Jeannes Zustand um eine Momentaufnahme handelt: es muss nicht immer so bleiben.
Jedoch lese ich den Text nicht nur allegorisch sondern auch realistisch, so wie er da steht. Der schwache Hoffnungsschimmer äußert sich eben auch darin, dass der Fremde der Märchenprinz werden könnte, dass das Geschehen eine Bedeutung haben könnte, und er verschwindet in der Möglichkeit, dass es auch anders sein könnte. Dann wäre der Fremde nur der nächste Typ, dem Jeanne ihren Körper bereitstellt.
Den Widerspruch 'große Füße - kleine Stiefel' wage ich mal so zu verstehen, dass die Schuhe gerade deshalb zu atmen scheinen, weil sich ihr Obermaterial aufgrund der zu großen Füße nach außen wölbt. Dass Jeanne die Stiefel nicht passen und ihre Füße gegen diese Hülle rebellieren, wäre demnach ein kleines Lebenszeichen.
Wertet man das so, wäre es auch in der Poetik des Textes als versteckte Metapher, die da sein könnte aber nicht da sein muss, gerechtfertigt.
Folgerichtig besteht bei der Protagonistin auch eine Wahrnehmungstrübung auf die wiederholt hingewiesen wird. Zusammen mit dem personal angelegten Erzähler überträgt sich diese Trübung auf den Erzählstil. Es wäre möglich, dass das der Schlüssel zum Text ist.
Ob ich den Text mag, weiß ich nicht so recht. Vielleicht ist er durch die vielen SPO-Standartsätze zu monoton geschrieben. Vielleicht drückt sich darin (und auch im Fehlen von verbindenden Konjunktionen) eine Verkettung der Momente aus, die eher für sich stehen als sich zu einem Ganzen, einem Text, einer Erzählung oder sogar einem Leben zusammen zu fügen. Ich kann mich kaum entscheiden, ob die Langeweile oder das durchaus vorhandene innere Beben des Textflusses stärker ist.
Dieser Text erweckt in mir sehr widersprüchliche Reaktionen. Auf der einen Seite finde ich das stark durchsickernde Thema der gestrandeten Frau sehr bewegend und nehme den Text in diesem absichtlich oder unabsichtlich so wirkenden Teil durchaus ernst. Da er mir aber auf der anderen Seite eine Fülle von kleinen stilistischen Fehlern vorsetzt, mit einer Abfolge attributiver Adjektive (da fehlt mir jetzt der richtige Ausdruck ...) bleibe ich immer außerhalb, kann bei bestem Willen die Frau in ihrer aufgelösten, verzweifelten Existenz nicht erreichen, und sie mich nicht. Im Gegensatz zu Aram finde ich sie als Figur, als Persona durchaus glaubhaft. Sie bewegt sich in einer Welt von Klischees, in einer Kitschwelt, "in der alles noch einmal da war" (Rilke)
Das Motiv der schwarzen Fransen, der weichen Teppiche, der Haare, der Haut, der Augen - und natürlich ist der Mann eine Art Eintänzer, der am Feierabend eine Frau braucht, die er zu behrrschen wagt ...
Die große Lethargie, eine Frau der vorigen Jahrhundertwende. eine Künstlerin ohne Ehrgeiz, eine Lulu von Berg ... und möglicherweise ein Pastiche, hier im Blauen Salon.
Auf jeden Fall eine Anregung, ich würde diesen Text gerne als Ausgangspunkt intertextueller Arbeit sehen.
Danke fürs Einstellen.
liebe Grüße an den Verfasser, die Verfasserin
Renée
Das Motiv der schwarzen Fransen, der weichen Teppiche, der Haare, der Haut, der Augen - und natürlich ist der Mann eine Art Eintänzer, der am Feierabend eine Frau braucht, die er zu behrrschen wagt ...
Die große Lethargie, eine Frau der vorigen Jahrhundertwende. eine Künstlerin ohne Ehrgeiz, eine Lulu von Berg ... und möglicherweise ein Pastiche, hier im Blauen Salon.
Auf jeden Fall eine Anregung, ich würde diesen Text gerne als Ausgangspunkt intertextueller Arbeit sehen.
Danke fürs Einstellen.
liebe Grüße an den Verfasser, die Verfasserin
Renée
liebe renée,
was du schreibst, kann ich gut nachvollziehen. zur klarstellung - ich schrieb nicht, dass ich an (den entworfenen entsprechenden) figuren nicht 'glauben' würde, sondern "nichts von dem, was ich gelesen habe", also dem entwurf. anders gesagt - das gesagte mag in einiger hinsicht glaubhaft sein, aber das sagen ist es für mich nicht. (meine kriterien für meine texte sind z.b. manchmal genau andersrum - nicht ohne weiteres vorstellbar, dass jemand "vergisst, ein huhn von der stange zu nehmen"; so etwas will ich auf eine art sagen, die es annehmbar macht, ist das der fall, kann man die geschichte bei bedarf auch konstruieren und das gesagte damit wahr machen - und sie ist natürlich wahr,-)
liebe grüße,
aram
was du schreibst, kann ich gut nachvollziehen. zur klarstellung - ich schrieb nicht, dass ich an (den entworfenen entsprechenden) figuren nicht 'glauben' würde, sondern "nichts von dem, was ich gelesen habe", also dem entwurf. anders gesagt - das gesagte mag in einiger hinsicht glaubhaft sein, aber das sagen ist es für mich nicht. (meine kriterien für meine texte sind z.b. manchmal genau andersrum - nicht ohne weiteres vorstellbar, dass jemand "vergisst, ein huhn von der stange zu nehmen"; so etwas will ich auf eine art sagen, die es annehmbar macht, ist das der fall, kann man die geschichte bei bedarf auch konstruieren und das gesagte damit wahr machen - und sie ist natürlich wahr,-)
liebe grüße,
aram
Zuletzt geändert von aram am 30.11.2010, 23:01, insgesamt 1-mal geändert.
natürlich ist der Mann eine Art Eintänzer, der am Feierabend eine Frau braucht, die er zu behrrschen wagt
Ich sehe, wie Last schon erwähnte, durchaus die Möglichkeit einer allegorischen Deutung; die Ankündigung, sie "nach Hause" bringen zu wollen (offenbar ohne dass er wissen könnte, wo das überhaupt ist) und vor allem die Erwähnung des leuchtend weißen Hemdes in einer Umgebung, in der restlos alles "lichtlos" erscheint, deutet für mich auf eine Art Engelsgestalt hin. Leider schreibt der Text dem Mann gleichzeitig die "geschmeidigen" Bewegungen eines "routinierten Tangotänzers" zu, und da stolpere ich schon wieder - abgesehen davon, dass diese Beschreibung mit den übrigen Attributen, die dem Mann zugeschrieben werden, für mich irgendwie nicht zusammenpasst, wirkt sie sehr banal und profaniert in meinen Augen die Gestalt, die ein Engel sein könnte.
Unterm Strich sehe ich mich einem Text gegenüber, bei dem ich nicht ausdeuten kann, ob diese Diskrepanzen (es gibt mehrere davon) bloß Unbeholfenheiten sind oder besonders raffinierte Interpretationshilfen; für die Schuhe/Füße gilt etwa das gleiche - und irgendwie finde ich den Text insgesamt doch nicht reizvoll genug, um ihm eine solche Raffinesse zuschreiben zu wollen.
Wohlgemerkt meine rein persönliche Meinung.
Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
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Zefira hat geschrieben: für die Schuhe/Füße gilt etwa das gleiche
hallo zefi, ich finde, die "atmenden schuhe" sind ein zu recht von dir hervorgehobenes, schönes bild; doch dafür brauchen sie raum/ müssen passen, kleine schuhe mit großen füßen drin können (abgesehen davon wie das überhaupt gehen soll..) m.e. nicht atmen, und nach meinem gefühl auch kaum wärmen.
Hm, das hab ich ja auch nicht behauptet, das war jemand anders. Ich sehe in den kleinen Schuhen kein Anzeichen von Armut (wie Amanita), das wäre vielleicht bei einem Kind der Fall, dessen Füße noch wachsen, aber bei Schuhen für Erwachsene sind große nicht teurer als kleine. Ich sehe eher ein Anzeichen für Eitelkeit. Was mich im Zusammenhang mit den Schuhen mehr beschäftigen würde als die Größe (wenn ich denn daranginge, den Text genauer zu interpretieren) wäre, dass den Schuhen ein Eigenleben zugeschrieben wird; das Atmen, das Wärmen, das wie eine aktive Handlung erscheint. Aber Du hast recht, zu kleine Stiefel machen eher kalte als warme Füße.
Lieben Gruß von Zehfriera (friert schon den ganzen Tag ...)
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Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
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