winternacht

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 05.12.2009, 12:54

winternacht

schwarz verschleiert
im herzgrund
hinterm brustbein
wenn die nebel ziehn

bernsteinwärme missen
am abendlichen strand
in wellenträumen
lauschen weg vom
verstand sich auflösen


by ELsa
Zuletzt geändert von Elsa am 09.12.2009, 17:32, insgesamt 2-mal geändert.
Schreiben ist atmen

Herby

Beitragvon Herby » 05.12.2009, 20:12

Liebe Elsa,

sie lässt mich zwar nicht kalt, doch so richtig warm werde ich mit der Winternacht auch noch nicht :engel: , obwohl ich den Text jetzt mehrfach gelesen habe.

Da ist der Titel, der für mich nicht so recht zur ersten Strophe passen will, die mir mit den ziehenden Nebeln eher herbstlich klingt. Zudem frage ich mich, ob die Verbindung von "winternacht" und "schwarz" gleich als erstem Wort nach der Überschrift nicht eine gewisse Redundanz auf engstem Raum aufweist. Anstelle der Schwärze will ich immer Elemente wie Kälte, Frost, Eis etc. suchen, die sich ja ebenso auf eine metaphorisch-zwischemenschliche Ebene beziehen ließen, dies umso mehr, als ja die zweite, kontrastierende Strophe mit "Wärmebildern" arbeitet, Wärme sogar gleich in II/1 dezidiert erwähnt wird, verstärkt noch durch den warmen Farbton des Bernsteins.

Und auch bei der folgenden Stelle

im herzgrund
hinterm brustbein


frage ich mich, ob die beiden Nomen nicht eine Dopplung sind, zumal das Nomen "brustbein" in meinen Augen bzw. Ohren sehr (zu) anatomisch nüchtern klingt und damit in einem starken Kontrast zu dem vorhergehenden "herzgrund" und den folgenden Nebeln steht. Im Moment ist mir der Sinn der sehr genauen Ortsangabe "im ... hinterm..." noch nicht klar. Würde es nicht reichen, wenn die Nebel "nur" im Herzgrund ziehen?

In der zweiten Strophe stolpere ich über die Setzung des vorletzten Verses:

lauschen weg vom


die mir durch die letzten beiden Wörter "weg vom" etwas holprig vorkommt. Ich glaube, es hülfe mir schon, wenn "vom" in die letzte Zeile wandern würde, also

lauschen weg
vom verstand sich auflösen


Was den Zusammenhang der beiden Strophen betrifft, verstehe ich es so, dass in I der Ist-Zustand, in II die sich daraus ergebenden Träume/Wünsche. Dabei nimmt nach meinem Verständnis der Vers

bernsteinwärme missen


eine Art Mittel- oder Zwischenposition ein, der sowohl auf das, was ist (I) als auf das, was sein möchte (II), bezogen werden kann. Von daher ist seine rein äußerliche Zuordnung zur zweiten Strophe im Sinne einer Art von Ein- bzw. Hinführung nachvollziehbar und irritierend zugleich. Ich habe mir deinen Text einmal mit diesem Vers als eigene Strophe gedruckt, also...

schwarz verschleiert
im herzgrund
hinterm brustbein
wenn die nebel ziehn

bernsteinwärme missen

am abendlichen strand
in wellenträumen
lauschen weg vom
verstand sich auflösen


...was mich aber auch nicht sonderlich überzeugt hat.

Liebe Elsa, das waren jetzt einige Gedanken zu deinem Text, die hoffentlich nicht zu wirr in die Tasten flossen.

Herzliche Grüße und einen schönen zweiten Advent dir nach Wien,
Herby

Max

Beitragvon Max » 06.12.2009, 12:30

Liebe Elsa,

ich finde, dass dieser Text sehr forengemäß ist für den Blauen Salon.
Die Idee Natur als Spiegelbild der Seele zu nehmen, ist hir seit Anbeginn des Salons sehr stark vertreten und hat eine Reihe starker Autoren, die ich mich hüten werde aufzuzählen (schon wegen der Gefahr einen zu vergessen).

Ich finde den Text eingängig, habe allerdings Schwierigkeiten

im herzgrund
hinterm brustbein


auszusprechen ohne ins zischeln zu geraten. Vor allem aber habe ich Probleme damit, dass die zweite Zeile erklärt, wo sich denn der Herzgrund, den Du selbst in der ersten der beiden Zeilen einführst, befindet. Ich glaube, ein Bild ist stäker, wenn man es nicht erklärt oder nicht erklären muss, daher würde ich eine der beiden Zeilen gerne fortlassen dürfen ...

Ansonsten habe ich das gerne gelesen.

Liebe Grüße
Max

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.12.2009, 12:43

Lieber Herby,

danke für die intensive Befassung, freut mich sehr! Dennoch werde ich es weitgehend so lassen in der Formatierung (derzeit), aber den Herzgrund streichen, das geht mit gut ein.

Zum Titel möchte ich folgende Rezension dieses Gedichtes zitieren:
Eine besondere Spannung baut sich auch hier über die "Beziehungslosigkeit" der Überschrift zum eigentlichen Gedicht auf. (Das ist nicht negativ gemeint)
Man findet eine solche Beziehung z.B. auch im Gedicht vom Panther von Rilke. Auch in diesem Gedicht, es wird irgendein Raubtier beschrieben, steht der Panther als Überschrift - genauer betrachtet - beziehungslos über dem Gedicht. Doch dies baut die Spannung auf, die dieses Gedicht (von Rilke) braucht.
Weil besser kan ich es einfach nicht erklären, was mich dazu getrieben hat.

Liebe Max,

Ich bin ja nicht gerade DIE Metapherqueen ;) hab mich aber mal wieder versucht daran. Den "herzgrund" werde ich streichen, da habt ihr beide wohl recht.

Liebe adventliche Grüße den Herren,
ELsa
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DonKju

Beitragvon DonKju » 06.12.2009, 13:41

Liebe Elsa,

bei diesem Text fällt mir schon der Einstieg schwer, da ich mit

"schwarz verschleiert
hinterm brustbein
wenn die nebel ziehn"

eher einen trüben Herbstabend als eine Winternacht verbinde, so daß der Text hier für mich nicht stimmig ist; Der zweite Teil beschwört dann eindringlich das "Verlorene", hier könnte ich mir aber eine, zugegebenermaßen extreme, Verdichtung vorstellen :

bernsteinwärme missen
sich in wellenträumen
weglauschen
auflösen

Hier ist es allerdings möglich, daß durch die Streichungen etwas von Dir unbedingt Intendiertes verlorengeht - aber das mußt Du beurteilen.

Lieben Sonntagsgruß dazu vom Hannes

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.12.2009, 20:45

Lieber Hannes,

Lieben Dank für deine Betrachtungen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich einen Winter im Süden, am Meer beschreibe. Dort ist es eher herbstlich, kaum Schnee.

Deine Verdichtung ist sehr schön, aber nicht so recht: ELsa-Schreibe, danke trotzdem dafür.

Zu dem Gedicht gibt es ein Bild, oder besser gesagt das Bild hat mich zu dem Text getrieben:

Bild


Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

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leonie
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Beitragvon leonie » 07.12.2009, 12:37

Liebe Elsie,

mich wirft beim Lesen des Textes immer das "weg" raus, weil ja alles klein geschrieben ist und ich immer zuerst an einen Weg denke.
Da ich ja solche "Abstrakta" wie "Verstand" auch nicht so mag, wäre mir am liebsten folgendes:


winternacht

schwarz verschleiert
hinterm brustbein
wenn die nebel ziehn

bernsteinwärme missen
am abendlichen strand
wellenträumen lauschen
sich auflösen


Aber ich verstehe natürlich, dass es dann eine andere Richtung bekommt.
Mit der ersten Strophe habe ich gar kein Problem, da ich finde, es gibt eigentlich oft nebelige oder sehr diesige Winternächte, das passt für mich gut...Die Bernsteinwärme finde ich ganz wunderbar, da entstehen gleich Bilder, Assoziationen und Gefühle in mir...

Liebe Grüße

leonie

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 07.12.2009, 13:02

Hallo Elsa!

Ich hätte den "Herzgrund" dringelassen... Nicht zuletzt weil der Text dadurch rhythmisch Gestalt gewonnen hätte

im Herzgrund, hinterm Brustbein, wenn die Nebel ziehn

v — —, v v — —, v v — v —

So wie es jetzt da steht ist es irgendwie wieder der rhythmische 08/15-Einheitsbrei, wie ihn das lyrische 21. Jahrhundert erstaunlich gelassen immer wieder auszulöffeln bereit ist :sad: Oder, um es mit einem der von dir gewählten Worte zu sagen:

Bilden sie mal einen Satz mit.... verschleiert :

Als alles den Gehalt feiert,
merkt keiner, dass der Versch leiert

Äh... ja. Zurück zum Thema ;-) Das Gedicht gefällt mir (in seiner Erstfassung) gut! Ich kann mir auch vorstellen, dass die Zuordnung von Nebel zu Herbst oder Winter eine Frage der Gegend ist, in der man so wohnt; hier bei mir wäre Nebel und Winter überhaupt kein Problem, den erlebe ich zu dieser Jahreszeit sehr oft auf dem Fahrrad - und wenn man öfters nachts 20 km über Feldwege fährt, prägt sich die Erscheinung durchaus ein ;-)

Hallo Leonie!

Dass das letzte Nomen vor "auflösen" ein Abstraktum wie "Verstand" ist, passt aber doch eigentlich ganz gut, oder?!

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Beitragvon leonie » 07.12.2009, 14:13

Hallo Leonie!

Dass das letzte Nomen vor "auflösen" ein Abstraktum wie "Verstand" ist, passt aber doch eigentlich ganz gut, oder?!



Ja, Ferdi, vielleicht, nein vermutlich hast Du Recht. Das ist halt so eine "Macke" von mir... Das "Weg" war mein größerer Stolperstein. Aber vielleicht geht es nur mir so...

Ach, Elsie, ich wollte noch sagen, dass ich das Photo superschön finde!
Und "Herzgrund" mag ich auch sehr, das ist für mich viel schöner als Brustbein, weil das Wort "Grund" soviel Raum für eigene Bilder gibt...

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 09.12.2009, 17:31

Liebe leonie,

Vielen Dank für deine *auch* sehr schöne Version, die leoniesisch viel eleganter als die meine ist,
aber du verstehst, warum ich doch lieber den Verstand drin lassen mag. Ich werde den Herzgrund wieder re-korrigieren, ich brauch das doch drin (entschuldigt, Herby und Max).

Bei so frischen Texten bin ich immer wieder unsicher, bis ich genau weiß, wie es sein muss.

Ja, das Foto ist schön, ist aus Kreta, ein Sonnenaufgang, vor dem Rückflug um halbsechs am Morgen *schwärm*

Lieber Ferdi,

Genau diese Überlegung zum Rhythmus hatte ich auch gehabt, daher kehre ich zur Erstfassung zurück in Str. 1.

Bilden sie mal einen Satz mit.... verschleiert :

Als alles den Gehalt feiert,
merkt keiner, dass der Versch leiert
*g*

Vielen Dank euch,

liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 09.12.2009, 18:02

Elsa hat geschrieben:daher kehre ich zur Erstfassung zurück in Str. 1.


Na Gott sei Dank!

Erleichtertbin,

scarlett

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Beitragvon Elsa » 10.12.2009, 12:18

scarlett hat geschrieben:
Elsa hat geschrieben:daher kehre ich zur Erstfassung zurück in Str. 1.


Na Gott sei Dank!

Erleichtertbin,

scarlett


:banana_1:

Danke!

ELsa
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DonKju

Beitragvon DonKju » 10.12.2009, 16:24

Hallo Elsa,

da bin ich denn noch mal; Macht nix, wenn die Verdichtung für Dich nicht geht - das nennt man Autorenfreiheit; Zu dem Foto, gefällt mir übrigens sehr, passt ein Haiku von James Kirkup eigentlich auch sehr gut :

Da steht es unter anderen :

http://www.terebess.hu/english/kirkup.html

Ich meine hier speziell das mit "In the amber ..."

Liebe Grüße dazu von :hut0047: - Hannes
Zuletzt geändert von DonKju am 13.12.2009, 12:45, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Elsa » 12.12.2009, 08:11

Lieber Hannes,

Danke!

Liebe Grüße
ELsa
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