Sie (I)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 09.06.2009, 20:57

Sie (geänderte Fassung*)

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat.

Abends saß sie auf ihrem Sofa
und starrte an die Wand.

„Die Frau mit dem Putzeimer“,
Öl auf Leinwand.
Geronnene Zeit.

*Diese Version folgt Sams Anregungen.


Ursprüngliche Version:

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat
gegen die Leere.

Abends saß sie auf dem Sofa,
starrte an die Wand
und sah sich.

„Die Frau mit dem Putzeimer“,
Öl auf Leinwand.
Geronnene Zeit.
Zuletzt geändert von Herby am 12.06.2009, 20:52, insgesamt 2-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 09.06.2009, 21:28

Lieber Herby,

bitter...

Ich könnte mir das fast noch lakonischer und kürzer vorstellen, das "gegen die Leere" ist mir fast zu erklärend.


Idee:

Tagsüber hatte sie getan,
was sie immer tat.

Abends saß sie auf dem Sofa,
und starrte sich an.

„Die Frau mit dem Putzeimer“,
Öl auf Leinwand.
Geronnene Zeit.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.06.2009, 22:31

Lieber Herby,

ein wahrlich tristes Gedicht, dessen trostloser Stimmung man sich nicht entziehen kann.
Ich stimme leonies Vorschlag zu. Die Verdichtung bringt die geschilderte Situation noch intensiver rüber.

Saludos
Mucki

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 10.06.2009, 00:23

Hallo Herby!

Ein wirkungsstarkes Gedicht. Leonies Vorschlag hat etwas, ich bin aber nicht sicher, ob es ein "muss" ist...

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 10.06.2009, 10:03

Moin Herby,

ein feines Stück ist das.

nach einer Verdichtung schreits für mich nicht unbedingt; ich tät eventül die letzten beiden Zeilen nicht durch Punkt, sondern fließender mit Komma verbinden. Oder auch mittels Halbkomma.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.06.2009, 20:58

Lieber Herby,

das Besondere an diesem Gedicht ist für mich das Statische, das gleichwohl die Aktivität miteinschließt: hier das Putzen, dort das Malen. Einerseits das stereotype Tun, andererseits der schöpferische Akt, einsame Tätigkeiten jedoch sind beide.
Und das Ergebnis?
Leere - einmal konkret, direkt erfahrbar, das andere Mal "vermittelt", veranschaulicht.
Letzteres ist das, was über Identifizierung zur Bewusstmachung, Erkenntnis führt.

Die Leere, gegen die mechanisch angegangen wird, findet sich dabei im Bild der geronnenen Zeit wieder.

Zur Interpunktion der letzten Strophe: da kommt es m M nach drauf an, was genau du betonen möchtest.
Dem statischen Bild würden hier - wieder nur m M nach, klar - jeweils Punkte entsprechen. Fließendes kann ich hier nicht erkennen, die Zeit stockt ja gerade.

Gefällt mir sehr gut!

scarlett,
mit lieben Grüßen

Herby

Beitragvon Herby » 10.06.2009, 21:44

Hallo in die Runde,

für euer Lesen und eure Rückmeldungen danke ich euch sehr herzlich.

@leonie u. Mucki,
ich bin noch sehr unsicher, ob ich die "Leere" wirklich weglassen kann. Ich habe den Text ohne diesen Vers gelesen und da fehlte für mich etwas. Einerseits verstehe ich dich, leonie, wenn du schreibst:

das "gegen die Leere" ist mir fast zu erklärend
,

andererseits weiß ich nicht, ob dieser mir wichtige Aspekt erhalten bliebe, würde ich den Vers streichen. Ferdi, du scheint in diesem Punkt ja ähnlich zu denken wie ich. Dein Lob freut mich sehr, danke!

@Tom,
den Grund für den Punkt am Ende des vorletzten Verses hat scarlett in ihrem Kommentar schon genannt: die Wirkung des Fließenden finde ich im Kontext ( > Geronnene Zeit) eher unpassend. Da wäre das "Halbkomma" - den Ausdruck hab ich noch nie gehört. Ich nehme an, gemeint ist Semikolon? - vielleicht ein Kompromiss. Wobei ich gestehen muss, dass ich ein gestörtes Verhältnis zu diesem Zeichen habe. Ich drücke mich drum rum wie der Teufel ums Weihwasser. Warum eigentlich? Dein Hinweis darauf ist mir willkommener Anlass, das mal zu hinterfragen. Gruß an den Yeti der ostfriesischen Dünen!

@scarlett,
auch dir Dank für deinen wohlwollenden und treffenden Kommentar. Wie ich schon an Tom schrieb, nennst du genau den Grund, der nach meinem Empfinden für den Punkt und gegen das Komma spricht.

Euch allen einen schönen Feiertag und vielleicht sogar ein ebensolches verlängertes Wochenende!

Lieben Gruß
Herby

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 11.06.2009, 09:04

Hello Herby,

zum Semikolon gabs doch mal diesen reizenden Faden:

http://www.blauersalon.net/online-liter ... php?t=2716
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Herby

Beitragvon Herby » 11.06.2009, 13:16

Hi Großer,

Danke für den Tipp, werd mich mal rein vertiefen.

Lieben Gruß
Herby

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.06.2009, 14:36

Lieber Herby,

Für mich ein so stilles Gedicht, die Leere im Außen und im Innen. Ich finde nicht, dass man noch dichter verkürzen sollte. Aber ich bin sowieso ein Fan der Vielwörterei ;-)

Sehr gern gelesen, das Schicksal dieses LIs.

Herzlich,
ELsa
Schreiben ist atmen

Max

Beitragvon Max » 11.06.2009, 22:33

Lieber Herby,

ich finde, dass der Weg, den Du mit diesem Gedicht einschlägst, der Weg den nicht kommentierenden reduzierten Beschreibung sehr fruchtbar ist. Du würzt das ganze am schluss noch, so dass es beinahe eine Groteske wird und doch bitter in der Aussage.

Besonders gelungen finde ich am Ende
die

Geronnene Zeit.



Liebe Grüße
max

Herby

Beitragvon Herby » 12.06.2009, 00:01

Liebe Elsa, lieber Max,

es freut mich, dass euch mein Text erreichen konnte; Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Das Bild gibt es tatsächlich ebenso wie es wohl wirklich Menschen gibt, wie ich sie im LI darzustellen versuchte.

Herzliche Grüße
Herby

Sam

Beitragvon Sam » 12.06.2009, 15:34

Hallo Herby,

ein sehr schönes und eindringliches Gedicht hast du da geschrieben (und da es Sie (1) heißt, kann man ja hoffen, dass noch weitere folgen).

Allerdings tendiere ich in Richtung von leonies Vorschlag. Nicht um der reinen "Verdichtung" wegen (von der halte ich sowieso nicht so sehr viel), sondern weil mit den dritten Zeilen in S1 & 2 bei mir folgendes passiert:

gegen die Leere

hier stößt du eine Tür sehr weit auf. Besagte Leere kann sehr viel sein. Und was für den einen Leere ist, ist für den anderen Fülle. Du bedienst dich also eines "bewertenden" Begriffs, keines "darstellenden".

und sah sich

m.M. nach nimmst du hier dem Leser sämtliche Arbeit ab. Die Reflektion, die sich der Leser in der beschrieben Person vorstellt, wird so eingeengt, dass das Bild an Kraft verliert. Ohne diese Zeile könnte ich mir diese Frau (Sie) vorstellen, wie so auf die Wand starrt, an alles mögliche denkt, aber gar nicht realisiert, dass sie sich selber sieht, in jenem Bild, auf das ihr Blick gerichtet ist.


Aber auch so, wie du es geschrieben hast, finde ich das Gedicht sehr gelungen!


Liebe Grüße

Sam

Herby

Beitragvon Herby » 12.06.2009, 20:46

Hallo Sam,

ja, der Text ist einer von dreien, von denen II und III gar nicht geplant waren. Aber bei der Arbeit an dem eingesetzten Gedicht verselbständigten sich die Gedanken.

Was du zum Text schreibst, ist für mich ebenso nachvollziehbar wie wertvoll. Leonie und Mucki hatten ja unter dem Gesichtspunkt der Verdichtung auch schon dafür plädiert I,3 zu streichen. Ich habe ihn heute für mich privat im Laptop mal geändert, mehrfach gelesen und bin offen gestanden unsicher. Ich werde aber dennoch die geänderte Version oben mal ergänzen, vielleicht ist meine ursprüngliche Variante ja auch noch zu fest einbetoniert in meinem Kopf und ich brauche einfach Zeit um beide gegeneinander abzuwägen.

Was lyrische Verdichtung betrifft, so bejahe ich sie in der Theorie und scheitere an ihr oft genug in der Praxis. Mir hat mal jemand gesagt: "Ihr Rheinländer quasselt zuviel." Daran wird's wohl liegen... ;-) Es sei allerdings angemerkt, dass die Person Westfälin war - was die Aussage wieder etwas relativiert. ;-)

Sei's drum - für deine Anregungen danke ich dir herzlich. Sie sind mir hilfreich, auch für die Überarbeitung von II und III.

Liebe Grüße
Herby


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