Glaub mir

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 17.05.2009, 17:43

In dieser Zeit genormter Zärtlichkeit
und festgelegter Abfolgen
vom taktischen Zungenkuss bis zur
technischen G-Punkt-Landung
zwischen Organismus und Orgie.

Will ich Dich:
Nicht-Vögeln.

In meinem Mund soll
Stille sein.
(Die immerhin blieb unverschmutzt).

Lass uns
mit den Augen lieben.
Mit kranichfedernen Worten.
Unsere Schatten könnten einander berühren
und vielleicht die Fingerspitzen.

Glaub mir:
Wir werden höher fliegen.



Zwischenzeitliche Fassung:

In dieser Zeit genormter Zärtlichkeit
und festgelegter Abfolgen
vom taktischen Zugenkuss
bis zur technischen G-Punkt-Landung
zwischen Organismus und Orgie.

Will ich Dich:
Nicht-Vögeln.

In meinem Mund
soll Stille sein.
(Die immerhin blieb unverschmutzt).

Lass uns einander erkennen
im Spiegel der Netzhaut
mit kranichfedernen Worten.
Unsere Schatten berühren sich
und vielleicht das äußerste Ende
der Fingerspitzen.

Das Vögeln überlassen wir
Gänsen und Gockeln.
Glaub mir:
Wir fliegen höher als sie.
Zuletzt geändert von leonie am 20.05.2009, 21:28, insgesamt 9-mal geändert.

ecb

Beitragvon ecb » 17.05.2009, 18:52

liebe leonie, das gefällt mir wie
zwischen dem nein der taktiken und techniken und ismen
und dem ja des glaubens an das höhere
es, ungefähr in der mitte, dem zentrum, beim namen genannt ist: lieben

lg eva

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.05.2009, 23:07

Liebe Eva,

danke für Deine Rückmeldung!
Hm, ich muss nochmal überlegen, vielleicht könnte ich es auch genau in die Mitte stellen. Andererseits ist es für mich immer schwer, solche eher "formalen" Kriterien zugrunde zu legen.
Jedenfalls freut mich, dass es Dir gefällt, es ist ja ein wenig, hm, wie soll ich sagen, direkt(?)

Liebe Grüße nach Schweden.

leonie

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 17.05.2009, 23:16

Hallo Leonie!

Das mit den "formalen Kriterien" überlass mal uns auf die Krücke der Form angewiesenen, sprich, der Text ist gut, nein: sehr gut so, wie er da steht; ich würde nichts daran ändern!

Ferdigruß :-)
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.05.2009, 07:28

Lieber ferdi,

danke. Wenn Du das sagst (als Meister von Form und Inhalt), dann will ich das mal glauben. :-)

Ich freu mich.

leonie

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.05.2009, 12:05

Öhm, ich habe doch noch ein paar Kleinigkeiten geändert. Fiel mir heute morgen ein...

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.05.2009, 12:07

Liebe leonie,

ich schließe mich an! Schön auch, wie der Text seinen Rhythmus und seinen Sprachstil verändert, wie eine "weichbögige" Peripetie - die Gegensätze aufzeigt, den "anderen" Versuch evoziert.

Einzig überlege ich, ob ich das Nicht-Vögeln anders schreiben würde (?)

nichtvögeln
nicht vögeln
Nichtvögeln

(??)

Ein Text von dem man auf gute Weise (und das ist selten) sagen kann, dass er souverän ist, finde ich. Auf eine warme Weise.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.05.2009, 12:17

Liebe Lisa,

es ist mir peinlich, ich merke gerade erst, dass ich mit dem Text noch nicht fertig bin und habe nochmal etwas verändert. In der Tendenz bleibt er sich natürlich ähnlich.

Deshalb denke ich, darf ich mich auch schon einmal freuen über Deine Rückmeldung! Schön, dass der Text so ankommt bei Dir!

Ich denke über das Nichtvögeln nochmal nach.

Liebe Grüße

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 20.05.2009, 00:25

Liebe leonie,

nachdem ich nun beide Versionen vergleichend gelesen habe, muss ich sagen, dass mir die erste besser gefällt. Was mich stört, konzentriert sich fast ausschließlich auf die vorletzte Strophe.
Ursprünglich hieß es dort:

Lass uns
mit den Augen lieben.


Jetzt lautet es:

Lass uns einander erkennen
im Spiegel der Netzhaut


Das wunderschöne Bild der Originalfassung hast du gegen eine medizinisch-nüchtern und für mich aufgesetzt klingende Variante eingetauscht, die dem Text an dieser Stelle viel nimmt.

Die dann folgende Stelle der Erstfassung

Unsere Schatten könnten einander berühren
und vielleicht die Fingerspitzen.


hast du verändert zu

Unsere Schatten berühren sich
und vielleicht das äußerste Ende
der Fingerspitzen.


Hier fehlt mir der Konjunktiv der Originalfassung, der es fast zaghaft offen lässt, ob sich nun die Schatten berühren oder nicht und somit dem Leser Raum lässt. Der Indikativ zerstört genau dies, indem er ein Faktum feststellt, was ich sehr schade finde. Der Konjunktiv zeigte eine Möglichkeit, einen Wunsch (?) auf und brachte etwas Schwingendes in den Text, das ich ebenso wie die Poesie des sich-mit-den-Augen-Liebens als Gegengewicht zur Sachlichkeit der ersten Strophe für unverzichtbar halte.

Schließlich frage ich mich, ob es dann in der letzten Strophe unbedingt noch der "Gockel" bedurfte. Kann es sein, dass diese Änderung dem Gewicht der konnotativen Bedeutung dieses Begriffs geschuldet ist?

Nein, ich plädiere ganz entschieden für die Erstfassung!

So weit ein paar Nachtgedanken zu deinem Text.

Lieben Gruß
Herby

Nifl
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Beitragvon Nifl » 20.05.2009, 08:23

Huhu Leo,

Lisa hat geschrieben:Ein Text von dem man auf gute Weise (und das ist selten) sagen kann, dass er souverän ist, finde ich.


schon witzig. Nein! Veto. Souverän finde ich diesen Text überhaupt nicht. Und das wäre ä ist auch mein (fast) einziger Kritikpunkt. Durch den Gänsevergleich wird die Souveränität mE. für mich zerstört. Weil nun ein Teil der Kraft aus der Missgunst des Vergleiches geschöpft wird und nicht mehr nur aus sich selbst heraus, hier eine einzige und belehrende Wahrheit missioniert werden möchte. Für manche bietet dies vielleicht auch Anlass für eine Interpretation, die in die verklemmt neidische Richtung verläuft ... Und das wolltest du sicher nicht transportieren, oder?

Davon ab habe ich "sich berührende Fingerspitzen und Schatten" schon zu oft gelesen.
Ich finde den Text nicht so dolle.

LG
Nidl ä Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 20.05.2009, 10:37

Hallo Leonie,

mal ein seltsamer Gedanke: Vielleicht warst du tatsächlich noch nicht fertig mit dem Text - wie du schreibst - aber kann es denn sein, dass er schon fertig mit dir war?! Jedenfalls, ich schließe mich Herby an in seinen Ausführungen :-)

Ein Grund dafür, dass ich den Spiegel der Netzhaut nicht mag, ist seine Gewolltheit - So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt, wie Tasso der Prinzessin gegenüber so schön bemerkt ;-) Ein anderer Grund ist, dass ich im betreffenden Abschnitt die kranichfedernen Worte am liebsten mag, die aber durch umgebende Bilder, die Aufmerksamkeit fordern, geschwächt werden - ich fand die Balance in der ersten Fassung genau richtig an dieser Stelle (weswegen mir im Gegensatz zu Nifl die Fingerspitzen und Schatten auch nichts ausmachen).

Ferdigruß!
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leonie
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Beitragvon leonie » 20.05.2009, 11:18

Lieber Herby,

ich danke Dir! Was Du schreibst, leuchtet mir ein. Ich kehre reumütig zur Erstfassung zurück. Bei den Gockeln hatte ich schon vermutet, dass sie auf Kritik stoßen werden. Ich dachte, man kann das Problem nicht allein der weiblichen Gattung anlasten, deshalb gerieten sie hinein.. Und weil sie eben nicht besonders toll fliegen können, sondern besser sich aufspielen.
Mit dem Spiegel der Netzhaut, ach, das finde ich schade, das das Bild sich offensichtlich nicht erschließt. Auf der Netzhaut stehen die Bilder kopf. Und der Spiegel: Wir sehen hier in einem dunklen Spiegel...Da bin ich noch nicht sicher, ob ich das nicht doch ändere.

Lieber Nifl,
das mit der Missgunst des Vergleichs leuchtet mir ein. Lass mir die Gänse noch ein Weilchen, ich fand in ein Gedicht übers Vögeln gehören ein paar Vögel hinein. aber ich werde Deinen Einwand gründlich bedenken. Ist doch okay, wenn Dir die Bilder zu verbraucht sind und Du ihn nicht so dolle findest...
Auf jeden Fall danke ich Dir.

Lieber ferdi,

mal ein seltsamer Gedanke: Vielleicht warst du tatsächlich noch nicht fertig mit dem Text - wie du schreibst - aber kann es denn sein, dass er schon fertig mit dir war?!


solche Fragen liebe ich (und das ist jetzt kein Witz). Da werde ich in Ruhe nochmal drüber nachdenken. Ansonsten s.o.
Danke für die kluge Frage!

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 20.05.2009, 13:20

Liebe leonie,

Kurzum, für mich bitte auch die wunderbare/herzöffnende 1. Fassung ohne Vögel, denn das Nichtvögeln steht so fein allein und braucht keine echte Gänse, finde ich. ;-)

In dieser Zeit genormter Zärtlichkeit
und festgelegter Abfolgen
vom taktischen Zugenkuss bis zur
technischen G-Punkt-Landung
zwischen Organismus und Orgie.
Sehr geil!

Will ich Dich:
Nicht-Vögeln.
Läse ich etwas anders:
Will ich dich:
Nichtvögeln


In meinem Mund soll
Stille sein.
(Die immerhin blieb unverschmutzt).

Lass uns
mit den Augen lieben.
Mit kranichfedernen Worten.
Unsere Schatten könnten einander berühren
und vielleicht die Fingerspitzen.
Sehr fein!

Das Vögeln überlassen wir
den Gänsen.
würde ich streichen.

Glaub mir:
Wir werden höher fliegen
das wäre mein Ende.
als sie.
das dann weg.

Ein lebendiger Text, den ich sehr gut leiden kann!

Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 20.05.2009, 13:27

Hi leonie,

mir gefällt die 1. Fassung auch sehr viel besser. Die Gänse können ruhig dort bleiben. Sie lenken zwar ab, bringen auf diese Weise etwas Witz in dein Gedicht. Wenn du das so möchtest, ist es ok. Aber ich könnte auch gut auf sie verzichten (Elsas Fassung wäre auch die meinige), aber mal eine ganz andere Frage:
vom taktischen Zugenkuss bis zur
technischen G-Punkt-Landung

Was ist ein Zugenkuss? Meinst du nicht den Zungenkuss?

Saludos
Mucki


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