Ausbruch aus Auschwitz

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 22.05.2006, 22:04

Als du mich
zum ersten Mal
sahst,
war ich Vieh.

Beim zweiten Mal
schoß ich
dich wund
und deine
Mannschaft.

Deine Kinder
weinen heute
um dich.
Zuletzt geändert von moshe.c am 24.05.2006, 18:12, insgesamt 1-mal geändert.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 23.05.2006, 08:55

Hallo moshe,

du hast da ein schwieriges Thema gut angepackt. Ich gehe davon aus, dass du ein Stückchen Familiengeschichte erzählst.

Die erste Strophe perfekt, sagt alles. Die dritte Strophe ist für mich versöhnlich. In der mittleren Strophe würde ich die Sache mit der Mannschaft fortlassen, bringt einfach nichts. Es geht um Opfer und Täter und das Recht sich zu wehren - jeweils Mann gegen Mann.

Liebe Grüße
Marlene

Schwanenschrei

Beitragvon Schwanenschrei » 24.05.2006, 00:06

Hi moshe.c,
wie MarleneGeselle gesagt hat, ein sehr sensibles Thema. Eine eindeutige Message kann und will ich hier nicht herausziehen, sondern eher eine vage Ahnung. Das reicht mir aber völlig ;)
S1 gefällt mir sehr gut, in S2 kann ich mich nur schwer mit dem "wund" und der "Mannschaft" anfreunden, aber je öfter ich sie lese, desto mehr leuchten sie ein.
Ein großes Kompliment!
Viele Grüße, Schwanenschrei

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 24.05.2006, 01:45

Hallo moshe

Das Gedicht finde ich ehrlich gesagt im Gegensatz zu meinen Vorrednern sogar sehr schwierig.

Die erste Strophe im Zusammenhang mit dem Titel zeigt ein Holocaustopfer gegenüber einem nicht näher definierten lyrischen Du.

Die zweite Strophe definiert eher die Rache des Opfers an den nationalsozialistischen Tätern aus Deutschland. Wenn Mannschaft als Wachmannschaft in Auschwitz oder Anhänger der NS-Ideologie gemeint ist, finde ich den Begriff sehr gut.

Ich dachte eher ziemlich lange, dass das Gedicht Palästinenser als lyrisches Ich nimmt. Das es um die Zeit nach Auschwitz ging, um die Staatsgründung Israels, quasi der Ausbruch aus Auschwitz. Und ob Mannschaft nicht die Olympiamannschaft Israels bei den Spielen 1972 meint. Aber dann kriege ich die erste Strophe nicht eingeordnet.

Wie gesagt nicht leicht zu interpretieren und das ist nicht negativ gemeint.

LG

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 24.05.2006, 08:41

Hallo moshe, ich tu mich auch recht schwer mit dem Gedicht.

vielleicht weil ich Vorkenntnisse habe, nicht ganz so schwer, was den Inhalt angeht.
Aber der letzte Vers beschäftigt mich sehr.

Ist es nicht so, dass es immer irgendwo die Kinder sind, die letztlich das ausbaden müssen, was die "Elterngeneration" verbockt?
Zwar lese ich keine Schadefreude aus diesen Worten, aber dennoch berührten sie mich negativ...
Du willst die Opfer/Tätersituation kippen, das ist mir klar, aber möglicherweise solltest du ein anderes Bild wählen.

Liebe Grüße
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 24.05.2006, 17:33

Hallo moshe.c,
ich glaube auch, dass es um die Beziehung zwischen einem Häftling aus Auschwitz und einem der Täter geht.

Ich finde es sehr berührend, weil man sich durch diese Zeilen sehr gut in die verzweifelte, verletzte und deshalb auch rachsüchtige Lage dieses Menschen hineinversetzen kann.

Wenn man so viel Leid erlebt hat und die liebsten Menschen hat sterben sehen, dann ist diese Rache auch verständlich, glaube ich.

Ein beeindruckendes Gedicht, verehrter Herr Zitrone.

Liebe Grüße, louisa

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 24.05.2006, 18:12

Hallo ihr vier,
danke, daß ihr euch mit dem Text beschäftigt.

Zu erst zum wahren Hintergrund:
Mein Großvater hat, bevor er 1933 Deutschland verließ ( er war Verlagsdirektor beim Uhlstein-Verlag gewesen und die Presse war alls erstes den Angriffen der Nazis ausgesetzt), weitsichtigerweise seine drei Söhne in verschiedene 'Richtungen' verteilt, Seinen jüngsten Sohn 'gab' er zum jüdischen Untergrund, der mit Sabotage, Anschlägen, Rettungsversuchen, usw. gegen die Nazis gekämpft hat. Er wurde eines Tages gefasst und nach Auschwitz verfrachtet. Es gelang jedoch Waffen in das 'Lager' zu schmuggeln und so konnte er mit drei anderen ausbrechen, um dann weiter gegen die Nazis zu kämpfen. Als ich ihn (also meinen Onkel) kurz vor seinem Tod in Kanada besuchte, war es für mich sehr beeindruckend, daß er keinerlei Rache- oder Haßgefühle hatte, sondern voll des Bedauerns über seine Tat andere verletzt oder vielleicht sogar erschoßen zu haben war, und voll des Ärgers, was die Nazis für ihre Kinder angerichtet hatten.
Seine Haltung hat mich sehr beeindruckt.

Hallo MarleneGeselle:
Die Sache mit der Mannschaft lasse ich nicht weg, weil es bei dem Vorgang damals nicht eine faire Sache, wie bei einem Duell war, sondern es sich um wenige gegen eine ganze Mannschaft handelte. Desweiteren brauchten die Nazis damals den Mannschaftsgeist, und die Neo-Nazis heute wieder.

Hallo Gurke:
Es geht mir eindeutig um Auschwitz und besonders um die Tatsache, das jüdischer Wiederstand, wenn man mal vom Warschauer Ghetto absieht, viel zu wenig bekannt ist.

Hallo Schwanenschrei:
Die Sache mit Hund und wund gefällt mir auch nicht mehr und so verwandele ich den Hund in Vieh.

Hallo Gerda:
Ich wähle kein anderes Bild, weil ja tatsächlich die Kinder mit den Taten der Eltern leben müßen.

Nochmals danke

moshe.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 24.05.2006, 18:16

Hallo Louisa,

du sprangst gerade dazwischen, ich hoffe meine Ausführungen sind auch für dich hilfreich.

Gruß an deine Bäumchen.

moshe.c

elli999

Beitragvon elli999 » 28.05.2006, 00:58

Hallo moshe,

da hast Du ja ein wirklich schwieriges Thema aufgegriffen.
Ich tu mich teillweise etwas schwer mit der Interpretation
Deiner Zeilen.

Die erste Stophe kombiniert mit dem Titel ist klar verständlich,
das Wort Vieh find ich gut gewählt.

In S2 komme ich mit der Formulierung "wund schiessen"
überhaupt nicht klar.

In S3 schreibst Du, das die Kinder noch um das lyr. Du
weinen - ich verstehe das gleichbedeutend mit Trauern.
Im Kommentar wiederum drückst Du aus, das sie mit
den Taten ihrer Eltern leben müssen. Vielleicht wäre hier
denkbar:
Deine Kinder - reuen noch heute - Deiner Taten

Ansonsten finde ich es sehr gut!

LG elli999

Gast

Beitragvon Gast » 28.05.2006, 01:28

Hallo moshe, ja die Kinder müssen mit den Taten der Eltern leben, völlig richtig.

Aber dieser Satz:
Deine Kinder
weinen heute
um dich


sagt es so selbstverständlich, wenn nicht soagr mit dem Unterton der Selkbstgerechtigkeit als Ausgleich für erlittenes Unrecht ...
Kinder sind schuldlos, werden aber mit dem Verlust ihrer Eltern "gestraft", mehr wollte ich nicht sagen und hoffe du missverstehst mich nicht.

Gute Nacht
eine sehr müde
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.05.2006, 12:07

hallo Gerda,
ich verstehe das aber auch als eine Art Mahnung:

Wenn Du heute jemanden Leid zufügst, wird dieses Leid noch bis in die nächsten Generationen getragen.

-Das Ende ist einfach eine weise Tatsache. Keine Selbstgerechtigkeit.

Sicher ist da auch ein Gefühl von Ausgleich oder Gerechtigkeit, aber ich würde das auf jeden Fall stehen lassen.

(Nur meine Ansicht)

Grüßlein, louisa

Gast

Beitragvon Gast » 28.05.2006, 12:27

Liebe louisa,

vielen Dank für deine Erläuterungen.
schön dass du Partei für moshe ergreifst, ;;-) aber ich habe nicht die Absicht ihn dahin zu bringen seinen Text zu ändern, ich möchte die Beweggründe verstehen können (gerade bei diesem Text) warum er es so und nicht anders formuliert...
Er hat dazu noch nichts gesagt, außer, dass er es nicht ändert,.

Liebe sonntagsgrüße
Gerda


Vielleicht möchtest du, lieber moshe nichts erklären :???:

liebe Grüße
Gerda

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 28.05.2006, 13:45

Hallo Elli,
wenn ich auf jemanden schieße, kann der verwundet werden oder daran sterben,
S3 hast du schon richtig verstanden.

Hallo Gerda und Louisa,
ich habe eure Diskussion mit einem Gefühl der Zufriedenheit verfolgt. Wenn ich in dieser Kategorie hier schreibe, hätte ich etwas verfehlt, wenn keine Diskussion zustande käme.
Bis auf das eine geänderte Wort (Hund in Vieh geändert), werde ich in der Tat nichts mehr ändern und meine Erklärungen scheinen mir auch ausreichend.
Ich mag es genauso, wie es jetzt da steht.

Einen sonnigen Sonntag

moshe.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 28.05.2006, 23:38

Irgendwie hab ich da einen Satz im Ohr, der ungefär so war:

' Wir vergeben unseren Schuldigern, wie die Schuldiger uns vergeben. '

Das habe ich als Kind nie verstanden, aber langsam hebt sich mir da eine Wolke der Unklarheit.

Vielleicht ja bei euch auch.

moshe.c


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste