Weißt du schon, wie es geht?

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Gast

Beitragvon Gast » 29.01.2008, 14:38

Weißt du schon, wie es geht?


Nein, ich röte dir nicht den Abend
und die Nacht trägt keine Socken

Sie wird kalte Füße bekommen
warum
ist es wahr
vermutlich
hat sie sich an seiner scharfen Kante
geschnitten
lässig lehnt er an der Wand zum Kuckucksland
da ist die Welt verhext, Diedeltext
und sie rennt um die Wette mit Geparden
setzt ihre Hoffnung
auf
eine Tarnkappe für hässliche Seiten
der Hase schlägt ein Liedchen vor

Sie hält inne
weiß, wie er hüpft
ihr Herz lädt das Backup

und er schaut weg
zum Heulen

Nicole

Beitragvon Nicole » 29.01.2008, 18:22

Dieser Text flutsch mir durch die Finger wie ein glitschiger Fisch....
Ich mag ihn, aber ich kriege ihn nicht zu fassen.
Es sind ein paar sehr geniale Formulierungen drin, die mich bei jedem Lesen fesseln.
Nein, ich röte dir nicht den Abend
und die Nacht trägt keine Socken

schön lapidar...
setzt ihre Hoffnung
auf
eine Tarnkappe für hässliche Seiten

sehr schönes Bild!
Einzig das "Diedeltext" gefällt mir gar nicht. Ich denke an "diedeldei" oder aber an "Diddel(maus)"...ich kann es nicht mal genau begründen, warum mir dieses Wort nicht schmeckt. Es führt den Reim-Singsang (Wand, Kukucksland) logisch weiter, aber ich stolpere jedes Mal an genau dieser Stelle.
Ich schwanke, ob
warum
ist es wahr
vermutlich

Teil eines Dialogs oder eines Monolgs ist, genauso, ob ich es "warum ist es wahr?" "vermutlich hat sie..." lesen soll oder eher "warum?" "ist es wahr?" "vermutlich."
Wie gesagt, ich lese dies hier gern, kriege es aber nicht zu fassen.

Kann mir bitte jemand helfen?!?!? Hilfe!

Gruß, Nicole

Caty

Beitragvon Caty » 29.01.2008, 18:59

Ich empfinde diesen Text als symptomatisch für viele Texte nicht nur hier im Salon: Es wird Wert gelegt auf "ungewöhnliche" Formulierungen, quasi die Dekoration, das aber, was man den roten Faden eines Textes nennt, die Substanz, wird in schöner Ignoranz übersehen. Aber ungewöhnliche Formulierungen machen noch kein Gedicht, und wenn sie noch so ungewöhnlich sind und sich cool geben. Ich bin zwar eine Freundin ungewöhnlicher Formulierungen, aber auch so altmodisch, nach dem Sinn eines Textes zu suchen. Lichtenberg hat schon recht: Mitunter braucht man sehr viel Witz, um das, was mit nicht sonderlich viel Witz geschrieben wurde, zu verstehen. Caty

Niko

Beitragvon Niko » 29.01.2008, 20:23

hallo!
selbst, wenn ich nicht ganz enträtseln kann, was der autor meint, so habe ich doch aber ein gutes bild, was mir entsteht: ich finds ganz klasse! ich stelle mir eine beziehungskiste vor. eine onlinebeziehung? eine, die nur durch manchmaliges sehen existiert? das glaube ich am stärksten (backup, Diedeltext deutet irgendwie drauf hin) oder festgemacht an der titelfrage eine rüttete beziehung. das nehm ich mal an. zumal mir ein finger winkt, wie teenager sich beim ersten sex unsicher fühlen "wie das denn geht". geschrieben von einem beobachtenden. nicht von einem lyrich. mit diesen gedanken gehe ich an den text und finde ein wahres arsenal an tollen formulierungen.

Nein, ich röte dir nicht den Abend
und die Nacht trägt keine Socken


das röten deutet mir die selbe richtung. die zweite zeile gefällt mir sehr. ich assoziiere barfuß, völliges entblößen (mehr als völlige nacktheit) und "bar sein"

Sie wird kalte Füße bekommen
warum
ist es wahr
vermutlich
hat sie sich an seiner scharfen Kante
geschnitten

das ist für mich weniger ein dialog, sondern ein monolog eines zweiflers. vielleicht üpessimisten. gut durchdacht hier die zeilenbrüche. die schaffen genau diese stimmung monolog, zweifel, angst. mit dem "vermutlich", was den höhepunkt des zweifelns ausdrückt, geht der autor aber gleich wieder quasi wie zur bestätigung, ins verwischen von ängsten, zweifeln mit dem realen erleben. es liest sich für mich wie eine selbsterfüllende prophezeihung.
lässig lehnt er an der Wand zum Kuckucksland
da ist die Welt verhext, Diedeltext
und sie rennt um die Wette mit Geparden

die "flucht nach vorn" will mir die letzte der zitierten zeilen bedeuten. die erste zeile zeigt, wie betont lässig er sich gibt (hohl´s der kuckuck, scheißegal) und schon ist man der, der man gerne sein möchte. cool, locker, jeder situation gewachsen. "Diedeltext" - ich kann da garnix mit anfangen. und finde es für mich auch völlig überflüssig.
setzt ihre Hoffnung
auf
eine Tarnkappe für hässliche Seiten
der Hase schlägt ein Liedchen vor

das hier ist der genialste abschnitt. von den zeilenbruchsetzungen bin ich total begeistert.
setzt auf hoffnung, aufgesetzte hoffnung, hofft durch tarnen der hässlichen seite. kompliment!

Sie hält inne
weiß, wie er hüpft
ihr Herz lädt das Backup

und er schaut weg
zum Heulen


der schluss ist wieder gut. schaut weg. zum heulen. - oder : schaut zum heulen weg.
vom letztzitierten finde ich den rest etwas schwächelnd gegenüber dem gesamten gedicht.
guter wurf. es hat mir spaß gemacht, mich damit zu befassen.

toll. mehr davon. aber ein bischen durchsichtiger (nicht viel!!!) fänd ich gut.

lieben gruß: Niko

Caty

Beitragvon Caty » 30.01.2008, 07:12

Solche "tollen Formulierungen", über die du so begeistert bist, Niko, schreib ich dir massenhaft (!) in drei Minuten. Nun ja, nicht übertreiben: in vier Minuten. Das lässt sich ganz einfach bewerkstelligen: durchs automatische Schreiben, durchs Assoziieren. Aber Assoziieren bedeutet noch lange nicht, dass daraus ein fertiges Gedicht entstanden ist, es ist lediglich eine Vor-, eine Zuarbeit. Ein Gedicht hat einen Bau, beim Menschen wären es vergleichbar die Knochen. Dieses Gedicht aber ist schwabblig wie ein Pudding, ist ein Gummibärchen, wenn man draufdrückt, erwartet man ein Teddybärenquäken. Ich will lieber nicht draufdrücken, wer weiß, wen ich mir dann unbekannterweise zum Feind mache, wir Dichter sind empfindliche Wesen, wir rotten uns bei aller Individualität auch gern zusammen, deshalb ja die Anonymität, obwohl es doch heißt: Viel Feind, viel Ehr.

Es lässt sich auch, wir wissen das schon aus der Politik, alles in alles hineininterpretieren, zumal dann, wenn das, worum es geht, so vage gehalten ist wie hier. Es gibt nicht die Nuance eines Hinweises auf einen bestimmten Vorgang, die zumindest, ich bescheide mich ja gern, möchte ich doch erwarten. Wenn du da eine Liebesbeziehung erkennen willst, so will ich dir diese Erkenntnis wahrlich nicht nehmen. Ich dagegen sehe nicht den Hauch irgendeines Bezuges auf irgendeinen Sinn. Nein, ein Gedicht ist es noch lange nicht, lieber Niko. Und wenn du dir vor Begeisterung in den Allerwertesten beißt.

Holdrijo
Caty

Niko

Beitragvon Niko » 30.01.2008, 13:01

tja, caty...so hat jeder seine vorlieben. jeder schreibt anders und liest auch anders. das du meine begeisterung nicht nachvollziehen kannst, liegt nicht daran, das es schlecht ist, sondern du es schlecht findest. da sollte man immer noch einen kleinen unterschied machen.
deine schreibart ist eine ganz andere als meine und auch als die des autoren. mir liegen ja auch nicht 300 verschiedene variationen von landschaftsbeschreibungen meist mit, aber beizeiten auch ohne krähen. ;-)
es ist ok, das du darin nichts erkennst. aber bitte mache nicht deine sicht zum maßstab aller dinge. und wenn du so vollmundig schreibst, das du das alles hier in 5 minuten hinkriegst (wenn nicht gar in vier) dann hau mal rein, caty. ich würde mich freuen, mal etwas von dir zu lesen, was von deinem gängigen schreiben abweicht. ich bin gespannt.

lieben gruß: Niko, 3-minuten poet ;-)

Gast

Beitragvon Gast » 30.01.2008, 19:33

Eine Diskussion über die unterschiedlichen Auffassungen von Gedichten, sollte nicht davon ablenken, dass hier ein Text gepostet wurde, dem es nicht nur an den Dingen fehlt, die Caty bereits richtigerweise beim Namen genannt hat.
Tolle Ideen und Assoziationen machen wirklich noch kein Gedicht!
Mir kommt es in etwa so vor, als sei der Verfasser dieses Textes nicht über das Stadium der Notizen für ein Gedicht herausgekommen.
Besonders große Sprünge (da hilft auch kein Gepard), in einem Text, die den Leser vor schier unmögliche Gedankengänge stellen, sind nun wirklich nicht gleichzusetzen damit, dass hier jemand ganz besonders und außergewöhnlich in der Tiefe geschürft hat.
Auch stelle ich fest, dass ein paar gängige Metaphern, ein wenig aufgepeppt und verdreht, dazu kurios eingesetzt werden, als handle es sich um etwas sehr Durchdachtes.
Möglicherweise liegt dem Text aber auch eine Aufgabe zu Grunde, die da lautet:
schreibe ein Gedicht in dem folgende Worte enthalten sind:

Abendröte, Nacht, Socken, Füße, Kante, Kuckucksland, Diedeltext, Geparden, Hoffnung,Tarnkappe, Hase, Liedchen Herz , Backup, Heulen

(Ich habe schon unmöglichere Schreibaufgaben gelesen).

Dieser Text reißt nur an, gaukelt nicht mal innere Konsistenz vor.
Hier lässt uns jemand an einem pulsierenden Gedankenstrom teilhaben, aber Dichtung ist das nicht.
Und ich könnte mir recht gut vorstellen, dass der Verfasser, ein wenig einem Gaukler ähnlich, sich köstlich darüber amüsiert, wie ernst der Text genommen wird.

Niko

Beitragvon Niko » 30.01.2008, 20:03

wahrscheinlich liege ich auch falsch und mit "sie" ist nach den ersten beiden zeilen die nacht gemeint. ok....
aber immerhin ein text nicht im starren korsett, sondern frei genug um mehrere verschiedene lesarten zuzulassen. manchen macht soviel freiheit unsicher... ;-)

grüßle: Niko

Sam

Beitragvon Sam » 31.01.2008, 05:41

manchen macht soviel freiheit unsicher

Nein, lieber Niko, manche wollen diese Freiheit beim Lesen gar nicht haben, sondern sich einfach etwas "erzählen" lassen.
Gedankenfreiheit habe ich den ganzen Tag. In einem fort läuft der innere Dialog und ich muss mir meine Umwelt immer wieder neu selbst interpretieren, weil man auch im täglichen Leben, sei es privat oder beruflich, viele Dinge eben nur erahnen, aber nicht wissen kann.

Wenn ich dann in meiner Freizeit etwas lese, dann möchte ich nicht wieder nur Selbstgespräche führen, sondern von mir selbst einen Moment zurücktreten und eine andere Sicht der Dinge, kunstvoll und schön ausgedrückt, erfahren.

Ich drehe deine Aussage sogar um, und behaupte: Das Konkrete macht viele (Schreiber wie Leser) unsicher.

Liebe Grüße

Sam

Nicole

Beitragvon Nicole » 31.01.2008, 09:07

Hi Sam,

prinzipiell gebe ich Dir recht. Ich bin auch ein Freund von Konkretem, gerne auch, wenn es paßt, in feinen Bildern oder Metaphern verpackt.
Bei diesem Text hier habe ich aber irgendwie das Gefühl, das mir nur der richtige Blickwinkel fehlt, um das Thema zu entdecken, erwarte irgendwie, daß sich dann die, auf den ersten Blick unklaren Bilder auflösen und klar werden...Heißt, ich lese und warte ständig auf den !ah! Effekt.

Nicole

Sam

Beitragvon Sam » 01.02.2008, 05:47

Hallo Nicole,

ich lese und warte ständig auf den !ah! Effekt.


Geht mir bei manchen Texten auch so. Das ist dann wie ein Wort, das einem auf der Zunge liegt, aber eben nicht im Kopf ist und man nicht darauf kommt.
Du hast Recht, man bekommt eine bestimmte Ahnung, wo das Gedicht hinwill, kann es aber nicht genau fassen. In einer solchen Situation denke ich mir: Bin ich es, der es nicht kapiert, oder ist es der Autor, der es nicht geschafft hat, anschaulich genug zu schreiben.
In diesem Fall erdreiste ich mir zu behaupten: Der Autor ist schuld.

Liebe Grüße

Sam

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Beitragvon Pjotr » 01.02.2008, 08:09

Ich interpretiere diesen Text als ein klaraeskes Signal an einen pjotrischen Empfänger.


Pjotr

Nicole

Beitragvon Nicole » 01.02.2008, 08:50

Hi Pjotr,
o.k., im Rheinland war gestern Weiberfasnacht, aber ich schwöre, ich war annährend nüchtern und um Mitternacht im Bett...ich stehe gerade völlig auf der Leitung...Was wollen uns Deine Worte sagen?

Nicole

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Beitragvon Pjotr » 01.02.2008, 09:05

Ahoi Nicole,

ich weiß es selbst nicht genau. Hoffentlich habe ich damit niemanden erbost. Ich bin seit gestern wach, habe deshalb jetzt Halluzinationen ...

Spannende Sache.

Ich taumle nun ins Gemach ...

Pjotr


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