Hautlos

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Gast

Beitragvon Gast » 15.11.2007, 20:08

Hautlos



Früher gab es silberne Reife für den Oberarm. Man schob sie in das Grübchen zwischen Bizeps und Schultermuskel. Jetzt lassen sich manche Männer an dieser Stelle eine Tätowierung machen in Gestalt einer feinen Kette oder einer um den Arm geringelten Schlange. Asja trägt ihre Schlange am Fußgelenk. Eine dreifache silberne Windung um den Knöchel. Im Kopf der Schlange funkeln grüne Glasaugen.

Am Strand gräbt Asja die Füße in den Sand, um die Sohlen nicht der Sonne auszusetzen. Um sie liegen Menschen wie auf einem Bratrost. Asja hat zwei Monatsgehälter bezahlt, sich hier grillen zu lassen. Jetzt schlägt sie ihr Buch auf und lässt sich in den kanadischen Winter entführen. Der Schweiß rinnt ihr aus dem Nacken und sammelt sich zwischen den Schulterblättern. Die feine Schlange um ihr Fußgelenk erschauert.

Asja liest: Der kanadische Windgott, der Wendigo, reist in großer Höhe und mit unfassbarer Geschwindigkeit. Wenn er in den Wäldern eine Jagdgesellschaft findet, schleppt er manchmal einen der Jäger mit. Trotz der eisigen Kälte in den oberen Luftschichten verbrennt der Wendigo seine Füße und die seines Begleiters wegen der Reibungshitze, die durch das blitzschnelle Dahinfliegen entsteht. An sein Lagerfeuer zurückgekehrt, klagt der entführte Jäger, seine Füße seien verbrannt. In Wirklichkeit sind sie erfroren.

Asja schaudert und legt das Buch weg. Um sie liegen Körper, bronziert, verbrannt, fett- und schweißglänzend, mit Tattoos wie blaue Stempel. Asja bohrt die Zehen in den Sand und sucht nach Kühlung.

Die silberne Schlange windet sich von ihrem Fußgelenk. Sie gleitet in den Sand und nimmt die Haut mit.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 16.11.2007, 18:51

Hautlos, ein Text, der mich schon durch seinen Titel lockt. Ich war überrascht, keine Lyrik vorzufinden und stattdessen einen nüchtern verfassten Text über Haut und wie diese im Kalten wie im Heißen geschädigt werden kann. Der Text lässt sich gut lesen und brilliert mit sicherer Diktion. Inhaltlich schimmert mir zu viel Zeigefinger heraus, zu viel Apothekenrundschau: "Was der Haut so alles passieren kann". Oder: "Ihr dummen, bösen Pauschaltouristen!"

Der "Jagdabschnitt" wirft Fragen auf. Er scheint mir nicht gänzlich durchdacht oder eben von mir nicht verstanden. Auch holpert hier der Ausdruck etwas. Ein Verschleppter ist plötzlich Begleiter, dann gibt es Reibungshitze, bei der ich mir nicht vorstellen kann, wie sie entsteht und später entpuppt sie sich doch als Erfrierung, da hätte ich mir mehr Show statt Tell gewünscht. Am Ende bohrt Asja die Zehen in den Sand, obwohl im ersten Absatz ja schon die ganzen Füße vergraben wurden. Wenn der Name "Asja" eine Bedeutung haben soll (sonst wäre er überflüssig), dann habe ich ihn nicht verstanden. Ich schätze, es handelt sich um ein Komplement zum Windgott, aber da reicht meine Bildung leider nicht. Warum sie am Strand liegt und gerade dort solch ein Buch liest, erschließt sich mir auch nicht. Das ist mir zu konstruiert "polar"… zu künstlich. Die Konfrontation kalt/warm oder "die Extreme" tragen den Text nicht. Asja bleibt unbekannt und so berührt mich die Pointe nicht und der Text hinterlässt mich mit einem Achselzucken.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Charly

Beitragvon Charly » 16.11.2007, 22:26

Hallo!
Ich gehöre zu der Leserschicht, die Text gerne so lesen wie sie da stehen, ohne nach einem höheren Sinn zu suchen. Er soll sich mir beim Lesen von selbst erschließen.
Insofern rate ich mal einen Ausschnitt aus etwas, was einmal ein Roman werden will.
Diese Leseprobe liest sich gut.
Aber zum Verstehen fehlen Informationen. Normalerweise wäre es vom Vorteil mehr Text einzustellen, dann klappt das mit der Orientierung besser.
Sollte das aber wirklich schon der ganze und komplette Lesestoff sein, dann kann ich mit dem Inhalt nichts anfangen.


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