Dämmern

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Gast

Beitragvon Gast » 01.11.2007, 22:05

Sing mir, Knabe, sieben Lieder,
lass die Lyra leise locken
schattenlosen Schlaf herbei.

Jede Nacht sind Tatzenträume
hier im Haus, verhüllen Helles,
speien Schatten in die Schatten.

Korn verdirbt in krummen Kellern,
kühl mein Heim wie Katakomben,
wie, weshalb, wohin und wann?

Träge tropfen tote Stunden,
zischend zähle ich die Züge
meines Atems, ab. ab, aufwärts.

Schlafen will ich, stilles Schlafen,
will nicht Weisheit, will nicht Wissen,
schlafen unter Sommersonnen.

Doch das Dunkel dieser Träume
dämmert jede Nacht aufs Neue,
keine Kunst wärmt kalte Kissen.

König bin ich, doch die Krone
engt mich wie ein Sklaveneisen,
hasst das Herz, verhöhnt die Hand.

Seichte Seen, schale Speisen
Wälder leergejagt von Wild
Rost auf Rosen, braun auf rot.

Gott ist grausam, seine Gaben,
sind geliehen, kurz geliehen,
nur Erinnerung bleibt ewig.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 02.11.2007, 00:24

Ja, das ist gut, auch wenn ich die Konstruktion "zischend zähle ich die Züge
meines Atems, ab. ab, aufwärts." etwas arg gekünstelt finde.

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 02.11.2007, 12:53

Saure Wochen, frohe Feste ...
Dieser Text erinnert mich an Goethes Schatzgräber.

http://www.literaturwelt.com/werke/goet ... aeber.html

Natürlich macht es mir zu schaffen, und letztlich engt es die Perspektive des Gesichtes ein, dass der Text vom Autor auf der Basis: Gott erschuf die Welt - somit den Menschen - angesiedelt wurde .
Technisch sauber konzipiert, sowohl was das Vermaß angeht, als auch inhaltlich.
Es braucht nicht des Endreimes wie bei Goethe. Mir scheint ohnehin einen Reiz dieses Gedichtes darin zu liegen, dass Reime vermieden wurden.
Es handelt sich sozusagen um den Versuch eine vielleicht moderne Form des Goethethemas zu verwirklichen, was ich nicht hundertprozentig gelungen finde.
Geht es bei Goethes Gedicht vordergründig darum einen Schatz zu suchen, weil "Armut die größte Plage ist", so findet hier bereits im Text die Übertragung auf eine seelisch-geistige Ebene statt.
Allerdings vermeidet Goethe nach Antworten im biblischen Sinne zu suchen, sondern, schließt einleuchtend mit praxisnaherm Trost.

Zitatanfang
Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.
- ende

Der Mensch wird in seiner Unzulänglichkeit im irdischen Wirken beschrieben, letztlich der Sinn des Lebens hinterfragt.
Mir gefallen nicht alle Verse, beispielhaft für "sehr gelungen", möchte in den vorletzten benennen

Seichte Seen, schale Speisen
Wälder leergejagt von Wild
Rost auf Rosen, braun auf rot.


Die Wiederholungn wirken insgesamt sicher gesetzt,
An dieser Stelle will mir aber das verwendete Attribut nicht recht passen:

Schlafen will ich, stilles Schlafen,


Was könnte hier , mit "stillem Schlafen" gemeint sein?
Möglicherweise, ein traumloser Schlaf, da vorher von "Tatzenträumen" (Gelungene Wortzusammensetzung), die Rede ist.
Ich sehe die Möglichkeit, diesen Passus im Sinne von: "Ewig (Beständig) ist der Wandel", zu interpretieren.

Ingesamt gut konzipierter, durchdachter Text, der mich anspricht, wenngleich der Schluss so gar nicht nach meinem Geschmack ist. (s. o. bereits erwähnt)

Ich frage mich schon seit dem ersten Lesen und frage es mich immer noch, welche Bedeutung der Autor wohl für hier
"nur Erinnerung bleibt ewig"
intendiert hat.
Ich interpretiere diesen Schluss im Sinne von "Ewig (Beständig)ist der Wandel".

Der Text hat auf jeden Fall mein Interesse beweckt mich näher mit ihm zu beschäftigen.
Auch wenn das Thema nicht neu ist und sich die Einfälle, sich ihm auf frische Art zu nähern in engen Grenzen halten, habe ich mich gern mit dem Text beschäftigt.
Neue Erkenntnisse allerdings nicht gewonnen.
GJ20071102


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