ganz kurz nur

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 16.07.2011, 09:22

ganz kurz nur

es tauchen erste namen auf
für die es keine gegenstände gibt
mein ohr erlaubt mir
das verstehen nicht mehr
und unter den augendeckeln
drücken die unbemerkten bilder

aber ich behalte so manches
was wichtig ist
dass ich das herz
damals in einem zug verlor
als ich ganz kurz nur
nicht hinsah
als du mich ansahst

ein verdämmerter tag
gelingt noch ab und zu
wenn ich andere stunden erdenke
verbleibe ich in dunkelhaft

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.07.2011, 10:49

Guten Morgen!

Manches daran finde ich schön, anderes sehr unklar und nicht besonders attraktiv formuliert.

Was ich schön finde:

mein ohr erlaubt mir
das verstehen nicht mehr
und unter den augendeckeln
drücken die unbemerkten bilder

-Wobei mich das Adjektiv in der letzten Zeile stört. Geht das auch hübscher, klangschöner?

- Und die letzte Strophe gefällt mir auch ganz gut... Die mittlere ist mir etwas zu platt. Dieser Vorgang des "ich habe nicht hingesehen" wird hier so dargestellt als sei es mit der Mondlandung vergleichbar, so feierlich wird es beschrieben... Ein bisschen mehr Zurückhaltung würde auch diesem Bild gut tun, denke ich.

Schönen Sonntag!

l

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 17.07.2011, 11:25

Nur ein "gefällt mir / gefällt mir nicht - mit kurzer Begründung"


ganz kurz nur

Titel gefällt mir, drückt eine moderne Hektik aus, ein Leben im Vorbeigehen, Vorübergehen, im Provisorischen DASEIN


es tauchen erste namen auf
für die es keine gegenstände gibt

gefällt mir gut, spricht mMn von diesen Erinnerungsgegenständen, deren Fehlen hier betont wird, es bleibt dem Leser überlassen zu empfinden ob dies die Emotion verstärkt oder nicht, und vor allem, welcher Art diese Emotion ist ...


mein ohr erlaubt mir
das verstehen nicht mehr

im Gegensatz zu Louisa mag ich diese "erlaubt mir das Sehen nicht mehr" gar nicht, denn es klingt nach ärztlichem Attest - was mMn nicht in diesen fragilen Zusammenhang passt.


und unter den augendeckeln
drücken die unbemerkten bilder

Das widerum mag ich sehr, gerade die unbemerkten Bilder, die drücken, solche Bilder, die sich in uns drängen, obwohl wir sie verdrängt haben ...

aber ich behalte so manches
was wichtig ist

schön, das einfache "behalten" ich werfe nicht weg ... ach das Wegwerfen ...

dass ich das herz
damals in einem zug verlor
als ich ganz kurz nur
nicht hinsah
als du mich ansahst


eine wundervolle Beschreibung der Liebe auf den Blick das anderen


ein verdämmerter tag
gelingt noch ab und zu
wenn ich andere stunden erdenke
verbleibe ich in dunkelhaft

das ist fast ein wenig zu rätselhaft, aber ich finde, es soll so enigmatisch bleiben

Insgesamt, mit Ausnahme zweier Zeilen, hat mir dieses Gedicht recht gut gefallen
Renée

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.07.2011, 12:17

Dem Autor gelingt es hier gut, die Phasen der Alzheimer-Demenz zu beschreiben.
Die enthaltene Klimax entspricht hier den einzelnen Stadien:
Zuordnung zu Gegenständen funktioniert nicht mehr, sprich, LI beginnt zu vergessen. Danach die gestörte Phase der Wahrnehmung durch's Hören.
Langzeitgedächtnis ist jedoch noch in Takt. (2. Strophe)
Und schließlich, in der letzten Strophe, wird das Wegdriften beschrieben: vom "verdämmerten Tag", an dem LI ab und zu noch ansprechbar ist bis zur "dunkelhaft" = Endstadium.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 17.07.2011, 12:42

... wirklich, gabi? das klingt sehr überzeugend, würde mich dann aber definitiv zum Abschalten bringen. Diese Obsession des gesunden Körpers geht mir sowas auf den Keks ... nichts mehr geht ohne Blick auf senil werden alzheimer werden gelähmt werden krank werden abhängig werden ... man wird nun nur noch und ist ganz selten ,,, scheint mir in meinem Baualltag, der auch fordert, man möge alles im Voraus schon sein: alterskrank, schwach, einkaufsunfähig (das ist das Schlimmste)

liebe Grüße
R

Louisa

Beitragvon Louisa » 18.07.2011, 10:57

Meint ihr es könnte sich dabei auch um das Sterben handeln?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.07.2011, 11:38

Um ein inneres Absterben sozusagen, ja.
Um den Tod selbst? Hm, ich lese hier den Prozess der Krankheit ganz deutlich (kann mich auch irren, klar).
Was ich mich frage, ist, ob die letzten beiden Sätze:
Anonymus hat geschrieben:wenn ich andere stunden erdenke
verbleibe ich in dunkelhaft

stimmig sind. Kann sich das LI in diesem Stadium der Krankheit dessen so noch bewusst sein?

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Eule
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Beitragvon Eule » 18.08.2011, 15:42

Angenommen, es geht hier um einen krankhaften Vorgang des Vergessen, würde ich versuchen, dies im Text auch formal deutlicher zu machen, also den Text weiter verkürzen und unterbrechen. Etwa so:


ganz kurz nur

es tauchen erste namen auf
ohne gegenstände
mein ohr erlaubt
das verstehen noch

unter den augen
drücken bilder

aber ich behalte so manches
wichtige dass ich das herz
damals in einem zug verlor

als ich ganz kurz nur
nicht hinsah
als du mich ansahst

ein verdämmerter tag
gelingt noch ab und zu

wenn ich andere stunden erdenke
verbleibe ich in dunkelhaft
Ein Klang zum Sprachspiel.


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