unterwegs

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
scarlett

Beitragvon scarlett » 19.05.2009, 11:00

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Zuletzt geändert von scarlett am 27.10.2009, 20:39, insgesamt 2-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 19.05.2009, 19:18

etwas melancholische, wohl auch so gewollte stimmung, monika. mir persönlich(!!!) ist es zu "parlierend" :-) , was durchaus ok ist. allerdings kenne und mag ich mehr deine dichteren werke. die melancholie aus dem ersten satz "hier vermisst mich keiner mehr" wird durchgezogen, kommt aber bei mir nicht an. vielleicht schon auf grund des melancholich kräftigen einstiegs.
die brückenbogen-strophe ist die mir noch am besten (da am dichtesten?) geratene strophe.

leseeindruck mit liebem gruß: Niko

Sam

Beitragvon Sam » 05.06.2009, 14:34

Die Heimat ist vergesslich

Es gibt derer viele unter den Dichtern: Entwurzelte. Unter den deutschen wohl ganz besonders. Vor allem natürlich solche, denen in diesem Lande die Wurzeln abgeschlagen wurden und die im Exil wieder versuchen mussten, Fuß zu fassen. Andere wurden zwangsversetzt, von jenem Deutschland ins dieses.
Der poetische Niederschlag solcher Umpflanzungen ist mittlerweile Teil der neueren Literatur- bzw. Lyrikgeschichte unseres Landes. Und liefe als solche vielleicht Gefahr, alsbald in Vergessenheit zu geraten, gäbe es da nicht auch in neuerer Zeit eine entgegengesetzte Bewegung, nämlich die von Außen kommende. Die Ursachen mögen völlig verschieden sein, vielleicht auch weniger dramatisch, die Folgen jedoch gleichen sich: die Spaltung des Ich in ein Früher und Jetzt, in ein damaliges Dort und einem heutigen Hier. Und auch dies findet seinen literarischen Widerhall, genau wie damals, zum Teil sogar mit größerer Beachtung, wie es vor gut sechzig Jahren der Fall war.

Ein Thema dieser Entwurzelten ist, neben der Erinnerung an die alte Heimat und der Konfrontation mit der neuen, die Begegnung mit dem, was sie einst verlassen haben – meist nach vielen Jahren. Und da gibt es eine große Übereinstimmung: die Entfremdung.
So wie man nicht zweimal in den selben Fluss steigen kann, ist es ebenso unmöglich in die selbe Heimat zurückzukehren. Sie wird sich verändert haben, umso mehr, je länger man fort war.
Was noch erschwerend hinzukommt: Die Heimat ist vergesslich. Nur der, der sie einst verlassen hat, trägt Erinnerungen mit sich, die bei der Wiederkehr eine schmerzliche Korrektur erfahren.

Hiervon erzählt Scarletts Gedicht.

Die erste Erkenntnis ist wohl die schmerzlichste:
Hier vermisst mich keiner mehr.

Man ist zum Touristen geworden, der das Land durchstreift, unterwegs ist, ohne dass er erkannt wird. Also keine ausgebreiteten Arme zum Empfang, keine Blumen am Bahnhof oder am Flughafen.

Auffallen kann man höchstens nur noch durch seine Fremdsprachenkenntnisse. Aber nicht soweit, als dass man als einer der Hiesigen erkannt wird. Man bleibt ein netter Gast am Nebentisch, interessant aber nicht dazugehörig.

Das was noch verbindet, lebt in der Erinnerung des Zurückgekehrten. Da sprechen Gebäude und Brücken zu ihm, Gesprächsfetzen in einem vertrauten Idiom – aber die führen nur ins nirgendwohin, nicht zurück nach Hause. Am Ende bleibt nur eine Erkenntnis. Es ist diejenige, die das letzte Wort des Gedichtes bildet: Fremd.

Ein gutes Gedicht, das traurig macht. Weil es etwas vermittelt von dem Schicksal, das Abermillionen Menschen im letzten Jahrhundert erfahren haben und auch in diesem wieder erfahren und noch erfahren werden.
Und irgendwie hofft man, dass das LyrI, wenn es nicht mehr unterwegs ist, sich an einem Ort befindet möge, den es Heimat nennen kann.


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