Notte italiana

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
scarlett

Beitragvon scarlett » 23.03.2009, 12:53

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Zuletzt geändert von scarlett am 27.10.2009, 20:41, insgesamt 1-mal geändert.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 23.03.2009, 22:28

Hi Monika,

meine Assoziationen dazu,

Notte italiana,

dieses Sternchen über dem Text

- für mich steht es sinnbildlich für den Sternenhimmel,
unter ihm am Boden steht das Gedicht -

das ist zwar aller Wahrscheinlichkeit nach eine falsche Interpretation, denn was würde dann das Sternchen am Schluss bedeuten, aber für mich ist es eine sehr schöne,

beim Lesen des ersten Absatzes taucht vor mir die Silhouette von Venedig auf, was die allerdings mit Pfauen zu tun haben soll, ist mir an meiner Assoziation selbst schleierhaft,

was dann folgt, dafür fehlt mir vermutlich der Zugang,
es wächst etwas in die enthoffte Zeit
- weiss nicht, wie kobaltblau aussieht und was dieses Adjektiv symbolisch ausdrücken soll -,
möglicherweise hat es ("mit halber Zunge") weniger mit Sprechen zu tun, mehr mit heilen, ich weiss es nicht.

Gruß,
Stefan

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.03.2009, 23:18

Blau ist die Hoffnung

Und eigentlich sollte in so einer venezianischen Sternennacht die Liebe nur so
überfließen, aber hier ist es wohl nicht mehr so.

Wohl legt die Nacht die Netze aus und der Markusplatz zeigt sich von der schönsten Seite,
jedoch die Zuneigung LI/Du kommt mir irgendwie erstickt vor. Enthofft, wie Monika es nennt.
Ich beziehe mich hier auf verlorene Zweisamkeit, kann das gedicht aber auch anders lesen, nämlich
umgelegt auf unsere Zeit, in der so vieles nicht geachtet wird, verloren gegangen ist.

Als Leserin habe ich einige Facetten hier gefunden, die mich nachdenklich machen.

Form und Inhalt ausgesprochen gelungen!

Lieben Gruß
ELsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.03.2009, 00:08

Ohnmacht inmitten traumhafter Kulisse

Wunderbar werden hier die Bauwerke Porta della Carta (2. Strophe) und Torre dell'Orologio (letzte Strophe) eingeflochten. Doch obwohl die Nacht verlockend ihre Netze auslegt, stellt LI lapidar-ohnmächtig fest, dass LyrDu nur halbherzig spricht oder sogar lügt ("halber Zunge" --> gespaltene Zunge). Das "Muschelgesicht", einerseits die Uhr des Torre dell'Orologio mit dem Zifferblatt aus Lapislazuli (= "kobaltblau") steht für mich auch für die Verschlossenheit. Muschel --> verschlossen. Und schließlich durch die "enthoffte Zeit" noch ein Hinweis auf die Uhr und anderseits auf die Ohnmacht. Das "wachsen" der kobaltblauen Worte könnte einen kleinen Hoffnungsschimmer darstellen.
Ein sehr schönes, bildhaftes und trauriges Gedicht, dessen Wehmut gerade durch die traumhafte Umgebung (Kontrast zwischen Außen- und Innenwelt) intensiviert wird.

Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 25.03.2009, 17:56

Die halbe Wahrheit


Es gibt Städte, denen eine kollektive Erfahrung, mitsamt deren medialer Verabeitung, einen oftmals klischeehaften Stempel aufgedrückt haben. Paris: die romatische Stadt; Rom und Florenz, wo einen Geschichte und Kunst überwältigt; New York - die ganze Welt zusammengedrängt auf ein paar Quadratkilometer.
Und Venedig? Von allem etwas, aber auf morbide Weise unterspült. Kunst? Ja. Geschichte? Ja. Romatisches? Ja. Altes und Modernes nebeneinander? Ja.
Doch all dies auf seichtem Untergrund, auf faulen Füßen. Aufblühen und Verderben nur durch eine dünne Wasserlinie getrennt. So weit die Stadt in den Himmel reicht, so weit streckt sie ihre Fundamente auch in die Hölle, ins Dunkle, Modernde. Hoffnung und Verzweiflung auf ein und dem selben Fleck wachsend.
Vor allem aber: Was da an der Oberfläche zu sehen und bewundern ist, das ist ja nur die halbe Wahrheit. Das Verstörende ist verborgen. Nur im Dunkeln, wenn das Offensichtliche seinen Glanz verliert, kommt es zum Vorschein. Dann, wenn die Nacht ihre Netze auslegt.

Nicht verwunderlich, dass dieses Gedicht genau an diesem Ort angesiedelt ist. Denn es erzählt mir eine Geschichte:
Ein Paar, das sich noch nicht allzulange kennt, begibt sich auf eine Reise nach Venedig. Beide schon älter, beide durch Beziehungserfahrungen versehrt, aber noch nicht gelähmt. Man bucht sich ein, in ein schönes Hotel und verbringt den Tag mit Sightseeing. Es entsteht die Illusion einer gemeinsamen Erfahrung, die durch die Anzahl der Eindrücke nicht auf ihre Echtheit überprüft werden kann. Doch dann legt die Nacht ihr Netz aus. Die Außenwelt schrumpft zusammen, die beiden bleiben immer mehr sich selbst überlassen. Was ist nun mit dieser Illusion? Ist sie nur ein schöner Schein, der in Wirklichkeit auf fauligen Füssen steht? Oder ist da mehr?
Das LYrI, hofft nicht, dass es so ist. Er/Sie will es glauben. Deshalb die Aufforderung an den Anderen:
"Sprich mit halber Zunge"
Das heißt ja soviel wie: Sag nicht alles. Keine Aufforderung zum Lügen (gespaltenen Zunge), sondern eben nur das zu sagen, was der Situation angemessen. Was genügt, um das Wunschbild aufrecht zu erhalten.
Während die Zeit verinnt. Die enthoffte Zeit. Wo die Hoffnung aufhört, streiten Illusion und Resignation um die Vorherschaft. Wer hier gewonnen hat, ist offensichtlich.

Wie die Geschichte ausgeht, weiß ich nicht. Wer allerdings den Anderen auffordert nicht alles zu sagen, wird es nicht verkraften können, wenn dieser eines Tages dann doch alles sagt, die halbe Zunge plötzlich eine ganze Zunge ist, Pfauen und geflügelte Löwen einem tischtennisplattengroßen Vorgarten gewichen sind, oder einem Plattenbau in der Vorstadt.

Das Gedicht sagt nichts darüber, aber es vermittelt eine Ahnung. Wie das Wort Venedig, das neben all dem Schönen, Großen, Wunderbaren, doch auch immer etwas Unheilvolles verheißt.


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