Wetterstation

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
Sam

Beitragvon Sam » 21.01.2008, 20:55

Wetterstation



Der Himmel ist wie mit einem feuchten Tuch gewischt
Er wölbt sich über die fauchende Dissonanz
Im Neunvierteltakt eines Sturms

Eine Wetterstation ist ein Platz für Männer und
Für Mücken

Hier schichten sich Tage übereinander
Wie Eisschollen im März

Was ich tue ist dem Wetter eine Seele geben
Einen Sinn damit weit im Süden einer denkt
Die Wolken oder die Sonne
Meinen es gut mit ihm

Du erzählst von gebrochenen Absätzen
Als ginge es um deinen Hals
Als wäre dein Glück ein Wal
Der sich nicht fangen lässt
Und man nun hungern muss

Natürlich komme ich heim
Wenn ich weiß wie das Wetter wird
Wie der Wind das Land liest
Auf welches Planquadrat
Regen und Hagel zielt

Wenn Gott jedem Fisch einen Namen gegeben hätte
Sagt der alte Mann
Dann würden wir Gras essen

Diese Frau
Eingeboren und wortlos
Selten dass eine von ihnen alleine lebt
In ihrer Hütte entzündet an jedem Abend
Licht nur für mich

Eine Körper der sich ohne Worte öffnet
Hält seine Seele versteckt
Und die Leidenschaft
Wohnt im Niemandsland
Zwischen Kopf und Herz

Das Oben und das Unten
Sagt der alte Mann
Das sind Himmel und Erde
Und die Götter bewohnen den Zwischenraum

Die Tage vergehen auf ihrer Haut
Ich richtet meine Worte
An die Wände aus Kiefernholz
Als könnten die es
Für sie übersetzen

Deine Briefe sind
Wie Steine die durchs Fenster fliegen
Eine Stunde ohne Strom in deiner Stadt
Während hier der Sturm
Das Blechdach einer Hütte
Als Schwert benutzt um
Zwei Hunde und ein Mädchen
In ungleiche Hälften zu teilen


Immer das Gleiche
Das Licht als Zeichen
Die unverschlossene Tür
Und die sprachlose Gefälligkeit

Das Wetter macht mir Sorgen
Und die Satelliten
Bleib wo du bist
Sagst du?
Sagt sie? (die nichts sagt)
Meinen Kopf tief in ihrem Becken
Im Becken der Bucht
Im Becken des Pols

Eines Morgens ist die Hütte leer
Und ich weiß
Sie ist irgendeinem Wetter nachgegangen
Als Preis für mein Fleisch
Ich bleibe zurück und sehne
Mich nach ihrem Schweigen
Das dort draußen im Schnee
vielleicht gerade jetzt gebrochen wird


Die Zukunft sagt der alte Mann
Ist das farbige Flimmern
Von Tran auf dem Wasser.
Und das Wetter
die dünne Haut
Unter der alles Lebende atmet

Nicole

Beitragvon Nicole » 21.01.2008, 21:04

Wow......

Nicole (zu mehr gerade nicht fähig, aber das hier ist schlichtweg genial)

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.01.2008, 19:40

Hallo!

Für mich ist es ein Brief eher, als Lyrik, also mehr ein beschreibender Bericht, der nur in der Form der Sache nicht entspricht, aber wie jeder intime Brief auch lyrische Elemente enthält.

Der Text ist somit ohne Frage sehr spannend zu lesen, und eigentlich würde ich mir einen Roman wünschen, der mir diese ganze Situation und die Umstände so gut erzählt, wie hier, aber eben breiter.

Fazit: Der Text ist als Lyrik nicht gut, weil er mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet, aufgrund der SEHN-SUCHT die ganze Story kennen zu lernen.

Ob da Prosa kommt?, 'Der Wetterbeobachter'?, oder unter dem Titel hier?

Moshe

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.01.2008, 23:09

Wettermann möcht ich sein im ewigen Eis

Dazu eine Hütte mit einer Innuitschönheit im Bett, wilde Naturgeschehen und daheim in der fernen, komfortablen Stadt ein Eheweib, das Briefe schreibt.

Ein Abenteurer im Herzen ist der Meteorologe, Wetterstationen zu Hause wären ihm zu profan.

Eine Wetterstation ist ein Platz für Männer und
Für Mücken
Zwischen all der Leidenschaft, den Lügen (er schreibt seiner Frau, dass alles ok ist, alles sehr anstrengend und ihre doofen Probleme ... also wirklich lachhaft seien), ist das der Satz, der alles sagt: Ha, Männer! Richtige Männer machen sowas. Ein Satz, der im Zusammenhang mit den beiden kleinen Wörtern:
Für Mücken (die ja tatsächlich eine enorme Plage dort sind im kurzen Sommer),
diese männliche Abenteuerfreude knickt, mich zum Lachen bringt. Ich denke, Sam hat genau das bezweckt zwischen den hehren Zeilen. Das finde ich wirklich gut.

Die Innuitdame verlässt den Kerl dann, vielleicht ist er ihr langweilig geworden, so wie ihm seine Frau daheim (zu profan wie die Wetterstation in ruhigeren Gefilden) und er leidet. Beweist: Auch Abenteurer (nur für richtige Männer) sein, ist nicht immer so lustig, wie es ausschaut.

Das ist die Geschichte, die ich lese.

Die Umsetzung gefällt mir sehr gut, ich habe das Erzählgedicht wie einen Kurzroman gelesen, mich an der besonderen Landschafts- und Umständeformulierung erfreut, ein schöner Text, abwechslungsreich mit einem Funken Humor (die Mücken).

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Nicole

Beitragvon Nicole » 24.01.2008, 18:29

Hi Sam,

so nun nehme ich mir mal die Zeit, meine Begeisterung für diesen Text in ein paar mehr Worte zu packen.

Eigentlich hast Du für mich ganz zu Beginn des Textes einen Stolperstein eingebaut:
Eine Wetterstation ist ein Platz für Männer und
Für Mücken

Ich mag die "Männer" und "Frauen" Orte / Berufe Definition rein gar nicht. Aber - durch die Mücken, die Du angehängt hast, relativierst Du wieder - die ganz großen, schrecklich tollen Machos und die Mücken. Fein :-)

Ich mag die verschiedenen Ebenen, die Du hier einbaust.
Die Wetterstation (moderne Technik)
Die Frau mit dem gebrochenen Absatz (anspruchsvoll, irgendwie geziert, bei uns sagt man "pienzig")
Die Eingeborene (einfaches Geben, ohne zu fordern, instinktiv)
der alte Mann (die Weisheit eines Naturvolks)
das Wetter (Urgewalt)
und dazwischen, dabei, sei es aktiv, zuhörend oder machtlos das LyrIch.

Beim Lesen der Beschreibung hab ich ein helles, ruhiges Bild vor Augen. Weiße Weite, mittendrin die Wetterstation, die Hütte aus Kiefernholz.
Als Eindringling in diese Welt die (Ehe)frau (oder auch Partnerin), mit ihren profanen Alltagssorgen, den Forderungen und den Quengeleien "Wann kommst Du heim? kommst Du überhaupt noch mal?..." Ich kann das Telefonat dazu geradezu hören. Und ihre, in unserer "zivilisieren Welt" so geläufigen Probleme und Gedanken erscheinen dort, wo das LyrIch ist, so unglaublich profan und lächerlich...
Eine Stunde ohne Strom in deiner Stadt
Während hier der Sturm
Das Blechdach einer Hütte
Als Schwert benutzt um
Zwei Hunde und ein Mädchen
In ungleiche Hälften zu teilen


Als Gegenpol die Eingeborene, die nicht spricht, sondern nur handelt. Sie ist für mich irgendwie der Instinkt in Deinem Text. Das LyrIch versucht es auf die ihm bekannte Art, er erlebt, aber er begreift nicht völlig, so als wäre die Selbstverständlichkeit ihres Gebens für ihn unfassbar...
Ich richtet meine Worte
An die Wände aus Kiefernholz
Als könnten die es
Für sie übersetzen

Und inmitten dieser Geschichte taucht immer wieder der alte Mann (die Weisheit) auf, mit unglaublich einfachen und doch tiefsinnigen Einschüben. Allein über seinen Part könnte ich noch Seiten philosophieren.....

Ach je, jetzt gerate ich aber wirklich ins Schwärmen.... Ob es nun Lyrik ist oder Prosa (wie moshe oben anmerkt), der Text hat für mich dermaßen viel Poesie und überträgt mir so klare, traurig-schöne Bilder, das es mich (mich!!!! das ist eine Aussage, die für alle, die mich kennen, einem Weltwunder gleicht) sprachlos zurück läßt und ganz merkwürdig tief berührt.

Ich mache eine tiefe Verbeugung,
Nicole

Gast

Beitragvon Gast » 24.01.2008, 19:16

Zwei Welten und doch hängt alles zusammen

An Pablo Nerudas Dichtung musste ich zunächst denken beim Lesen, ohne, dass ich konkret ein Gedicht nennen kann, dazu kenne ich Nerudas Werk entschieden zu wenig.

Es ist nicht der Inhalt, sondern die Atmosphäre, in die der Text mich eintauchen lässt, und die Assoziationen, die aufkeimen, bei solchen Sätzen wie sie beispielsweise die erste Strophe, dritte - oder auch die Schlussstrophe beinhalten.

Ein mächtiger Text.
Inhaltlich eine (Liebes)geschichte, wie sie ähnlich schon häufig thematisiert/verfilmt worden ist.
Sie ist schnell in wenigen Worten zusammengefasst: Ein Meteorologe lebt offenbar fern der Zivilisation, auf der Nordhalbkugel, in der Arktis und hat eine Liebesbeziehung zu einer in diesem Land allein lebenden Frau, einer Inuit. In seinem Heimatland gibt es eine Partnerin. Einen Weisen (alten Mann) gibt es auch.

Ein Text, der in dieses Raster passt, könnte ganz leicht in die Trivialität abrutschen, dieser tut das nicht und das liegt an der stilistisch sauberen und bildreichen Sprache und dem Tiefgang, den der Text hat.

Der Inhalt (ich muss nicht wissen, ob. z. B. die Briefschreiberin/ oder die Beziehung unglücklich ist) tritt hinter der Umsetzung in den Hintergrund, damit meine ich, dass hier gekonnt reduziert erzählt wird, und diese Art des Erzählens lässt bei mir wunderbare Bilder entstehen.
Ich muss diese „Geschichte“ auch nicht gut finden, um dennoch schreiben zu können, ein guter Text. Trotz: „Typisch Mann - ewig auf der Suche - das eigene Beziehungsverhalten eher wenig bis nicht reflektierend - dafür sich bemitleidend“.
Dies, so meine ich kommt an jener Stelle sehr deutlich zum Ausdruck, an der Sam formuliert, dass die Geliebte offenbar immer bereit ist mit dem Icherzähler Sex zu haben ohne irgendwelche Forderungen zu stellen.
(Der männlichen Vorstellung von der „Allzeit bereiten, selbstlos Liebenden“ wird hier heftig Nahrung gegeben).

Der Text beginnt damit, dass der Icherzähler von seinem Arbeitsplatz erzählt. Aber nicht irgendwie, sondern sehr präzise und klar, lässt der Autor hier Metaphern sprechen, die dem aufmerksamen Leser ein Bild ins Gedächtnis schreiben. (z B.: Eine Wetterstation ist ein Platz für Männer und Für Mücken)
Hier also haben Frauen nichts verloren, bin ich geneigt diese Passage zu lesen (Mücken als Plage).
Mit diesen Worten versucht er m. E. die Partnerin in der Ferne (die ihn offenbar sehr gut kennt), ruhig zu stellen. Indem er sagt nur für „Männer und Mücken“ will er sie beruhigen (Betrug unmöglich mangels Gelegenheit).

Interessant ist die Aufstellung der Personen zueinander und die Zuordnung der Pronomina.
Das „Du“ ist die ferne Partnerin und von der Geliebten spricht der Erzähler in der dritten Person. Ich meine daraus den realen Stellenwert der fernen Partnerin ablesen zu können.

Der Erzähler berichtet von seiner Arbeit, der er ganz offenbar eine poetische Ebene abgewinnen kann und nicht nur eine rein meteorologische, was ich ganz gut nachvollziehen kann (Ich kenne dieses Gefühl, dass es das Wetter gut/schlecht mit mir meint). ;-)
Die Sprünge in die Zivilisation, in der offenbar die Partnerin des Erzählers lebt, stellen keine Brüche dar. Man spürt als Leser, dass hier unterschiedliche Leben parallel ablaufen, die dennoch zusammenhängen.
Wie fern und unwichtig sind dem Erzähler „abgebrochene Absätze“, die m. M. n. nur eine Metapher für all die Nebensächlichkeiten sind, die Menschen im Alltag beschäftigen, womit sie vielleicht sogar ihre Zeit vergeuden, ganz im Gegensatz zu den Dingen, die der Icherzähler zu bewerkstelligen hat.
Nur – hat er das wirklich? Oder sieht er sich und seine Tätigkeit nicht eher überhöht?
Ich spüre im Text eher eine Art Zustimmung des Autors als einen ironischen Blick auf seinen Erzähler.
Zunächst wunderte ich mich, warum ich dem Autor in seiner Betrachtung folge.
Nach mehrmaligem Lesen ist mir klar, dass ich deshalb keinen Zorn auf den Erzähler bekomme, weil es der Autor sehr gut versteht, den Leser für seine Figur einzunehmen.

Ich bleibe also dran am Text und muss mich letztlich fragen, warum mich diese Figur in ihrer Eigenart (ein bisschen auch einsamer Wolf – nachdem die Geliebte verschwunden ist)- fasziniert denn dieses ist nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, dass Sam es verstanden hat, die richtigen Worte gekonnt einzusetzen, mich mit der Poesie einzufangen.

Sam versteht es, durch die Präsenz der Naturgewalt, die ungezügelte Leidenschaft, und den weisen Alten, also durch wilde Romantik, archaische Gefühle beim Leser zu wecken.
Eine Sehnsucht nach authentischem ursprünglichen Leben, die in vielen Menschen steckt, die sie aber nicht wahr haben möchten, weil dies u. U. auch zu einer Selbsterkenntnis führt, die dem „normalen“ Leben nicht zuträglich ist, ja den Menschen aus der Bahn werfen kann. In einem solchen Leben brechen jedenfalls keine Absätze ab ;-)

Aber auch stellt er die Verhältnismäßigkeit her, was fern der Zivilisation ein Sturm bedeuten kann, während wir verwöhnten Westeuropäer schon jammern wenn der Strom ausfällt.

Der Leser erfährt nicht, was (mit der Geliebten) geschehen ist, auch nicht ob der Erzähler trauert.
Es scheint so, als könne er sich mit der Situation arrangieren, auf den weisen Mann hören und akzeptieren, dass man nicht weiß, was die Zukunft bringt.

Es steht in und zwischen diesen Zeilen eine Menge über Gelassenheit und Lebensweisheit.
Zumindest der Alte kennt die Schwächen der Menschen genau.

Diesen Satz will ich zitieren, weil er großartig ist und so manches von dem was in der Zivilisation schief gelaufen ist und weiterhin schiefläuft, auf den Punkt bringt:

Wenn Gott jedem Fisch einen Namen gegeben hätte
Sagt der alte Mann
Dann würden wir Gras essen


Es ist ein Prosagedicht voller Poesie und es war mir ein Genuss es wieder und wieder zu lesen.
Ich habe mit diesem wunderbaren Text eine zwiespältige Erfahrung gemacht:
Ein Sträuben gegen die Handlungsweise des Erzählers, aber dennoch davon fasziniert zu sein und darüberhinaus die Dichtung als eine solche sehr bereichernd zu erfahren.


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