In memoriam

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
Anton

Beitragvon Anton » 14.01.2008, 01:44

Saalwärter
mit langen Gesichtern
aalglatt
die Schlange davor –

auf schneeweißer Tischdecke
Teelichter
Königskerzen
Efeuranken

das in Silber
gerahmte Lächeln
das Kondolenzbuch
aufgeschlagen
das Kratzen
des Kulis

ein Schnipsel
Papier
gefaltet
damit nichts wackelt.

Peter

Beitragvon Peter » 14.01.2008, 02:48

In der Sprache ruht ein Schritt. Irgendwann sind es die Worte leid, still zu halten. Sie machen sich auf, und gehen weiter, als wir wissen. Das Samstags-Sonntags-Allerwelts-Tuch hat einen Fleck. Es ist ausgehängt, bewegt sich gleich, aber da ist dieser schwarze Punkt, der ruht. Wellen, Wellen, die etwas tragen. Wellen, Wellen, die etwas sagen. Ein Brunnen vielleicht. Es fiel bisher nicht auf, dass das Tuch Ränder hat. (Saalwärter?) Da war eine Mitte. Da war eine Bewegung. Da ist eine Mitte. Da ist eine Bewegung. (Auf schneeweißer Tischdecke, Kerzen, ein Kondolenzbuch...) In einem Märchen gibt es einen Riesen, der schläft. Tage und Nächte tanzen die Menschen, die Märchen-Menschen, auf seiner Schulter, auf seinem Bauch... nennen die Schulter und nennen den Bauch. Die Namen werden durch Generationen weitergegeben (durch die Märchen-Generationen). Im Märchen heißt es, dass der Riese nie erwachte. Die Märchen-Menschen-Generationen starben aus. Als der Riese aufwachte, waren die Häuser verfallen. Nur die Brunnen waren geblieben, über die sich der Riese wunderte, ehe er fortging. Einmal wollen die Worte nicht mehr. Sie gehen aus der Hand. Die Hand ist ihnen nicht genug. Man spricht die Worte. Sie haben nicht mehr die Lust, im Mund zu bleiben. Sie steigen auf die Stirn, in die Haare. Manche lassen sich forttreiben, oder lassen sich fallen. Einer spricht, und dann weiß er nicht, warum ihm seine Worte nach Böden schmecken. Oder blickt zurück auf einen See. Einer schreibt, faltet das Papier zusammen, legt es in ein Kästchen. Aber wie er schläft, geht das Kästchen auf. Was einer in der Stille schrieb, ist dann im Regen. Oder warum lächeln die Zeilen? Die Worte nehmen nichtmal mehr die Traurigkeit auf, selbst das Schwere hält sie nicht. Ein leichtes Beben. Da, eines, ein Wort, es schreibt sich noch zurück. Die neunundneunzig anderen rücken vor. Wer bist du? Wir kannten dich nicht. Wir sind jetzt frei. Was zuletzt geschrieben war, blickt uns nach.

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