schmutzige füße

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 13.12.2007, 00:22

schmutzige füße

(für marie-luise)



he
holla
du wildes kind
wo führst du mich denn hin
es ist doch schon so dunkel

na
dann zieh doch deine schuhe aus
wenn sie dir wehtun
wir sind doch ganz allein hier auf der straße
es ist nicht kalt
und du hast so niedliche füße

haha
schau doch nur
wie schmutzig die jetzt sind
da werden sich deine freunde aber wundern
wenn du so zurückkommst

ja sicher
kann ich dich im arm halten
lehn dich nur an
du schönes mädchen
du bist ja ganz verschwitzt
und außer atem

mein gott
wie schwer du wiegst
und wie warm dein haar nach dir duftet
und wie lustig du durcheinander redest

spürst du
wie ruhig du wirst
wenn ich deinen bauch streichele
mach deine augen zu
und sei ganz still

ja natürlich
wir müssen umkehren
die anderen werden dich längst vermissen
es wird ja schon bald hell

hier
nimm meine hand
du gute frau
ich bring dich wohl heil zurück
auch wenn ichs eigentlich gar nicht will


jetzt küss mich noch ein letztes mal
und drück dich ganz fest an mich
du bist so warm und weich und schön

ja
leg nur meine hände auf deine brust
du wunderbares geschöpf
ich bin ganz zart und gebe acht

und
lass mich einmal vor dir niederknien
es ist doch niemand mehr
im park um diese zeit
und halte mich in deinem schoß
so ist es gut

so warte doch, prinzessin
lauf doch nicht so schnell
lass mich noch das gras abwischen
von deinem rock
bevor du zurückkehrst
zu ihm

so warte doch ...
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.12.2007, 22:56

Der Autor :blumen: schafft es, mit seinen Worten einen Kurzfilm mit präzisen und doch individuellen Freiraum gewährenden Bildern vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen, der einlädt, sich mit den Protagonisten zu identifizieren.
Die "Auftakte" scheinen durch ihre "Saloppheit" zu den Strophen ein wenig auf Distanz zu gehen und ermöglichen so dem Autor, sich in angemessenem Abstand zur Kitschgrenze zu bewegen, obwohl er eine fast versponnene Liebesgeschichte erzählt.
So gelingt es ihm, ein süßes, charmantes, melancholisches und liebevolles Gedicht zu präsentieren, bei dem einzig der Schluss wenig überraschend ist.
Wenn der Autor es in einer anderen Rubrik gezeigt hätte, hätte ich durchaus einige Vorschläge zum Text zu machen. Da er es aber offensichtlich für abgeschlossen hält, unterlasse ich es und teile nur mit, dass ich den Text schon mehrmals gerne gelesen habe.

Nicole

Beitragvon Nicole » 13.12.2007, 22:58

N'Abend Tom,

so, nun hab ich echt lange gegrübelt. Wer verführt hier eigentlich wen, wird hier jemand mißbraucht,...?????
Also, ich glaube, ich hab jetzt für mich eine Story gefunden, die den Wechsel in der Ansprache des lyrIch gegenüber dem LyrDu erklärt und auch alle anderen Punkte, die für mich an Anfang nicht zusammen passen wollten. Gestatte bitte, das ich einfach er und sie statt LyrIch und lyrDu tippe, ja?

Also: Die beiden kennen sich. Gehen. aus irgendeinem Grund spät gemeinsam spazieren. (Eine gemeinsame Feier o.ä., vielleicht?? Würde die Freunde erklären, die im dritten Absatz auftauchen...)
er "läßt es geschehen, fast verwirrt."
he
holla
du wildes kind
wo führst du mich denn hin
es ist doch schon so dunkel


Sie spielt ganz klar Spielchen. Schau' mal, wie fein ich bin.....
na
dann zieh doch deine schuhe aus


er ist verunsichert, aber auch irgendwie "angetan"
und du hast so niedliche füße


macht verunsichert ein paar witzchen
haha
schau doch nur
wie schmutzig die jetzt sind
da werden sich deine freunde aber wundern
wenn du so zurückkommst


und sie spielt ihr Spielchen weiter, testet ihre Macht. und er läßt es geschehen...
ja sicher
kann ich dich im arm halten
lehn dich nur an


und ist zurückhaltend, aber empfänglich.

In der nächsten Strophe steigert sich sein Gefallen, er nimmt sie intensiv wahr.
mein gott
wie schwer du wiegst
und wie warm dein haar nach dir duftet
und wie lustig du durcheinander redest


läßt seine anfängliche Zurückhaltung "sausen" und agiert, eigentlich das erste Mal selbst.
spürst du
wie ruhig du wirst
wenn ich deinen bauch streichele
mach deine augen zu
und sei ganz still


sie hat ihr Ziel erreicht, hat ihn, wo sie ihn haben wollte - er will. Sie erinnert an den Ort, von dem sie kommen, er lenkt ein, würde sie zurück bringen, wenn auch ungern.
ja natürlich
wir müssen umkehren
die anderen werden dich längst vermissen
es wird ja schon bald hell

hier
nimm meine hand
du gute frau
ich bring dich wohl heil zurück
auch wenn ichs eigentlich gar nicht will


und in der nächsten Strophe wird deutlich, daß die beiden sich nicht fremd sind, sicher nicht.
jetzt küss mich noch ein letztes mal
und drück dich ganz fest an mich
du bist so warm und weich und schön


Ich würde sagen, sie hat weiterhin die Initiative, er ist eher passiv. (sie drückt sich an ihn und er genießt)Seine Barrikaden fallen mit dem nächsten "ja".
leg nur meine hände auf deine brust
du wunderbares geschöpf
ich bin ganz zart und gebe acht

und er schmilzt dahin, sein Wollen überstimmt ganz klar den Verstand...
und
lass mich einmal vor dir niederknien
es ist doch niemand mehr
im park um diese zeit
und halte mich in deinem schoß
so ist es gut


ohne Kommentar, sie hat erreicht, was sie wollte, kann sich nun sicher sein, daß sie die Macht noch hat, aber..

..die Reue kommt prompt. sie läuft weg
so warte doch, prinzessin
lauf doch nicht so schnell
lass mich noch das gras abwischen
von deinem rock
bevor du zurückkehrst
zu ihm


und läßt ihn (wieder) zurück.

Wenn ich mit meiner Interpretation des Ganzen richtig liege, klarer Fall von "Sex mit dem Ex" und klarer Fall von weiblicher Machterprobung - auf Kosten des Lyrich.

Und wenn ich richtig liege, Hut ab, brilliant gezeichnet, genial erzählte Geschichte!!! Und auch wenn ich nicht richtig liege, ist es gerade deswegen klasse, weil es mich dazu gebracht hat, diese Geschichte zu spinnen!

Oh shit, wir sind ja im Publikus, d.h., Du wirst das hier nicht mal auflösen....
naja, vielleicht ganz gut, denn wenn ich falsch liege, dann habe ich mich gerade bis auf die Knochen blamiert, weil verrannt in diese Story.

Viele Grüße in Deinen Abend,

Nicole

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.12.2007, 21:51

Sex mit dem Ex?
Ich habs daraufhin nochmal gelesen, aber: Nein, das glaube ich nicht. Für mich schwingt zuviel an "neuer Faszination" mit drin. Sich gekannt haben - vielleicht. Aber jetzt scheinen sie mir Neuland zu betreten...

Ich wäre gespannt auf andere Meinungen...

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 16.12.2007, 19:46

Alles real oder was?

Ich finde es ausgesprochen schwierig, diesen Text ohne Austausch mit dem Autor zu kommentieren.
Der Grund dafür liegt für mich - ich spreche hier nur für mich - in der Widmung (für marie-luise), die dem Text vorgestellt ist.
Ohne Rücksprache mit dem Autor weiß ich nicht, ob besagte marie-luise eine fiktive oder eine reale Person ist.

Ist besagte marie-luise eine reale Person aus der Vergangenheit oder Gegenwart des Autors, empfinde ich jede Stellungnahme von mir als Eindringen in die Privatspähre von Autor und der anderen Person.
Selbst wenn ich nur die Art und Weise der literarischen Umsetzung kommentiere, gilt dies, da ich nicht in der Position bin, um beurteilen zu können, ob die geschilderte Beziehung und die Ebenen zwischen den beiden Personen "richtig" umgesetzt wurde.
Da der Autor den Text in diese Rubrik eingestellt hat, muß ich davon ausgehen, daß dieser Text es so trifft, wie er die geschilderte Situation empfunden hat oder ausdrücken will. Ich kann mir wohl kaum anmaßen, dazu etwas zu sagen.

Nehme ich an, marie-luise ist eine fiktive, erfundene Person, die in keinerlei Verbindung zu dem Autor steht oder stand, bleibt das ungute Gefühl in mir, ich könnte ja mit meiner Kritik jemanden reales treffen, sowohl besagte marie-luise wie auch den Autor, ohne das notwendige Hintergrundwissen dazu zu haben. Einen Anspruch auf das Hintergrundwissen habe ich selbstverständlich auch nicht.
Ich habe mal irgendwo gelesen, selbst biographische literarische Texte sind fiktiv, und auch hier im Forum steht beim lyrischen Dialog (oder war es beim Prosalog?) man solle davon ausgehen, alle Texte sind fiktiv.
Aber wie kann ich das, wenn diesem Text eine namentliche Widmung vorausgeht?
Beziehen sich Widmungen nicht immer auf reale Personen?

Kurz und gut, besagte Widmung bringt mich als Leserin in ein ziemliches Dilemma. Ich würde zwar gerne was dazu schreiben, bin aber aufgrund der Widmung der Meinung, ich darf nicht so richtig.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 16.12.2007, 21:57

Hallo,

also ich finde, klarer geht's kaum: Er (also: Lyrdu) liebt Sie, aber Sie ist schon vergeben, hat aber dennoch eine Schwäche für Ihn. Man stiehlt sich ein paar Zärtlichkeiten, ein paar Gefühle, ein paar Minuten - man liebt, in gewisser Weise, und so intensiv, ohja!, und dieses Etwas (nennen wir es "Liebe?"), das reicher macht als das Nichts zuvor, lebendiger, voller - genau das verletzt doch zugleich, und zwar alle Beteiligten (den einen, dem Sie vergeben ist, mutmaßlich nicht, oder zumindest ohne dessen Wissen). Sie verlässt Ihn (also: Lyrdu), ohne dass Sie Izhm jemals gehört hätte. Und jetzt, zum Zeitpunkt des Gedichts, ist das Ganze lange genug her und doch noch so in Greifnähe, dass ER (also: Lyrdu) schon wieder so weit ist, dass Er fast schwankmäßig - ohne Bitterkeit - davon erzählen (also: schreiben) kann.

So ist das Leben, oder?
Und das ist, wie es ist, oder?

Klara


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