Meine Sprache habe ich nicht verloren

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.11.2007, 20:22

Meine Sprache habe ich nicht verloren

Meine Sprache habe ich nicht verloren,
nur das, wo hinein ich sie legen kann

Würd so gern wissen, ob deine Augen unterschiedlich riechen,
wenn sie geschlossen, wenn sie geöffnet


Man kann – es ist Unrecht – aber man kann in die Luft greifen, um ein Gedicht zu schreiben
(so wie man auch in die Scheiße greifen kann)
doch meine Hand deinem Körper entwöhnen; da bräucht es schon ein L---

Ach, dieser Nichtsnutz von einem W-Schatz soll seine weiche Schnauze halten, du
du, du, du, immerzu nur du …
zappenduster mach ich’s dir, mir
plustert sich die Sprache übers Herz,

du, du, du, immerzu nur du ...
wieder eine dieser Eulen, es ist zum Heulen
(und nur darum wachsen mir Zähne und Haare auf den Zähnen und Haare auf den Haaren auf den Zähnen und einer nennt es Fell und ich fang die Schafe an zu fressen, die das Futter für die Träume sind)


In Wahrheiten verfallen, die keine sind und doch welche bleiben,
in einen tiefen, immer tieferen Schlaf

Und wie gewaltsam man auch die Kissen aufschüttelt,
Und wie viel man auch von dem Mut aufbringt, der einem durch die Jahre verloren scheint,
man macht einsamer, was einen einsam macht, mehr hat’s damit nicht auf sich

Hör doch, meine Angst, es handelt sich um Menschen!
Will meine Schmerzen wecken, ich bitte dich

(ja ja, Holle, du olle Heulsuse, flenn doch, brenn doch! Brenn das Haus, brenn dein ganzes Haus, dass keine Feder mehr auf der andern)

Trust in me, just in me, like the knife which is in my hand which is in your heart

(ja, genau, ich mach es einfach wie einer dieser unzähligen, importierten Schlager, spreche eine halbbekannte Sprache, Versatzstücke können sich eine Menge leisten ohne Aufsehen zu erregen, denn jeder will ja betrogen werden: um das, was ohne diesen Betrug nicht in der Welt wäre)

Aber nein, ich ekle mich davor, mir ist der Geschmack zu grundsätzlich abhanden gekommen,
(meine Zunge: ein Spiegel)
will nicht mehr anfällig sein für das Fieber der Kulmination, das Phraseneinerlei,
will mich an den Narben, die ich anderen zufügte, gesund zählen,


denn das geht doch, egal wie tot man die Kuh auch macht,
auf keine Haut

(wie du duftest, wie weich du bist, ich erinnere mich, hörst du, ich kann mich erinnern und das heißt doch etwas, das muss doch etwas heißen)


Wo nur lebst du, Heim, den ich suche?


Ich weiß,
das war wieder die falsche Frage gewesen, kriegt man für 1 € poetischer beim Chinesen;
aber bitte, wie soll man formulieren?

Marschieren wie ein Soldat?

Kondolieren wie ein Lump?

Servieren wie ein Giftmischer?

Krepieren wie, – – wie jemand, der krepiert? (Ja! Krepieren sollst du, mit deiner Seele in deiner Sackgasse aus Gold)

Illusionen, das sind Wohnorte unter einer Sonne mit Dimmfunktion und der Spießer onaniert sie sich zur Poesie


(ich weiß eine Straße, entlang derer stehen Nachttischchen mit Lampen drauf,
ich kenn sie schon lang, aber gestern, so schien mir, da war ich das erste Mal dort,
hab eine Reihe davon angeknipst, im Vorüberschlafen mit dir)

Ha Ha ahwäh, was für ein Kurzschluss, mir ist zum Katzen Kotzen,
aber eines noch (immer eines noch, immer noch eine Lüge, immer noch ein Betrug):

Ein Kundschafter, nein, einen Menschen mein ich, um einen Menschen handelt es sich, hörst du? Gib acht!: Ein Mensch, der vom Tiger angefallen wird, holt auch nicht sein Notizbuch heraus

Und trotzdem braucht er seine Stimme
Und trotzdem brauch ich meine Stimme
Und trotzdem braucht es eine Stimme


Ich bin so klein zwischen den Sternen,
wäre die Moral ein Muskel, ich weinte Milch

Verzeihst du mir die Dunkelheit? Verzeihst du mir, dass es Sterne geben muss?
Oh bitte, verzeih mir.

Und hier brech ich, brech ich mir einen ab. Von den Zweigen der Sträucher, die zu finden sind auf den Wiesen, welche die Frauenkraniche weiden


Im Dunkeln schreiben, ja. Im Dunkeln lieben, nein!

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.11.2007, 10:19

Grüß dich Lisa,

ich hab deinen neuen Text für die Hörbar gelesen, ich hoffe, es ist in Ordnung für dich? Steht schon drin. Deine Texte sprechen mich oft auf einer Ebene an, die mich zum lauten Lesen, zum Nach-Fühlen reizt. Da bekomm ich die Illusion, dass ich genau wisse, wovon du schreibst, so genau, dass es fast unheimlich wirkt. Insbesondere bei diesem Text! Als wären da Falten in einem Kleid, und ich kennte den Stoff so genau, auch jede Falte. Es ist natürlich eine Illusion, aber es ist eine interessante Erfahrung. Selten geht mir ein Text so nah in die Stimme. Als schriebest du, was ich sprechen muss .-)

Lieber Gruß
Klara
(Auwei, das ist jetzt wahrscheinlich keine Rezension der Art, wie sie in diesem Bereich erforderlich ist? Notfalls lösche das, bitte, Sam, dann bräuchte ich auch nicht mehr darüber nachgrübeln, ob der Konjunktiv da oben - "kennte" - tatsächlich exisitert und nicht nur in meiner Einbildung...)

Sam

Beitragvon Sam » 02.11.2007, 19:55

Ich sehe hier keinen Grund was zu löschen Klara. Du hast hier, wenn auch sehr kurz, deutlich gezeigt, warum dir das Gedicht gefällt. Das passt doch! Soweit ich weiß ist "kennte" Konjuktiv im Imperfekt. Im Präsens heißt es wohl eher "kenne". Aber ich kann mich da auch vollkommen irren.

Auf der Suche nach der verlorenen........



...Sprache?

Nein, aber dem verlorenen „Wohinein“. Dem Zielort der Sprache. Und damit ist wohl nicht nur der Empfänger gemeint, sondern auch in gewisser Weise die Sinnhaftigkeit dessen, was man zum Ausdruck bringen möchte. Meine Sprache habe ich nicht verloren... das ist genauso Feststellung wie flehentliches Selbstgebet.

Wenn die Sprache verloren geht, bleiben nur noch Worte übrig. Derer hat man aber immer zu genüge. Und wenn sie schon nicht auszudrücken, was man eigentlich sagen will, taugen sie immerhin noch dazu, Geräusche in den verschiedensten Tonlagen zu erzeugen. Eine Melodie ist da schwer herauszuhören. Eher eine Folge von Disharmonien, versetzt mit Oktavsprüngen und ein paar Triolen, symphonische Ansätze hier und da. Aber gerade dieses Sprunghafte, immer wieder auf sich selbst Zurückfallende kann ein adäquates Ausdrucksmittel für Sprachlosigkeit sein.

Dabei ist das LI ja alles andere als sprachlos. Es ist eher redselig. Wobei dieses Drauflosreden etwas Verzweifeltes an sich hat. Immer wieder scheinen die Folgen der Sprache auf, sei es nun, weil etwas gesagt wurde, oder weil nichts gesagt wurde: Schmerz, Angst, Sehnsucht und die Hoffnung auf Vergebung. Als spiele sich das ganze Leben nur in der Sprache ab. Die ist aber nicht greifbar, weil man nie weiß, ob das Gesagte so, wie es gemeint war, beim anderen ankommt. So kann man in die Luft greifen, oder in die Scheiße, jenachdem.

Sprache wird in dem Gedicht an einigen Stellen dem Körperlichen gegenübergestellt. Das Körperliche als das Reale, das Ertastbare, das Konkrete, an dem man sich gerne festhalten würde. Nur reicht das nicht.


Und dann stellt sich die Frage, ob man überhaupt was sagen soll, wenn man doch weiß, dass es so, wie man es gemeint hat, nicht ankommt.
Wäre es vielleicht doch besser seine eigene, individuelle Sprache zu verlieren und dafür eine zu sprechen, die allzeit kompatibel und immer verständlich ist. Die sich an den Hörer kuschelt. Katzenkotzen, wie es hier genannt wird. Aber das wäre nur Lüge und Betrug. Dann lieber Haare auf den Zähnen, dick wie ein Fell.
Auch eine nur halbverständliche Sprache zu sprechen, ist nicht ausreichend. Im Gegenteil, es erzeugt einen ekligen Geschmack auf der Zunge. Die aber ist ein Spiegel, soll es sein, was sie formuliert ist das, was das LI denkt und auch sagen will. Keine Phrasendrescherei. Auch wenn das bedeutet, dass man andere damit verletzt.

Hat man das verloren, so das Resume des Gedichtes, wohinein man seine Sprache legen kann, dann ist das Leben dunkel.
Schreiben kann man im Dunkeln, den da geht es um Selbstgespräch. Lieben aber, nein das kann man nicht, wenn der andere die Sprache, in der man mit ihm spricht, nicht versteht.


Mir gefällt dieses Gedicht. Weil es so herrlich unlyrisch daherkommt, weil es von Sprache handelt oder von derselben übersprudelt. Eine wahre Bilderflut wird über den Leser ausgeschüttet, mal grob gedrechselt, mal fein gezeichnet. Sicher, manches erscheint willkürlich und intuitiv. Und nicht jedes dieser Bilder erschließt sich mir. Manche sind wuchtig, andere schon fast Kalauer. Aber ich mag hier den Intuitionen des LI gerne folgen. Vor allem, weil es sich selber immer wieder in Frage stellt. In der Peripherie stellt es die Dinge klar, doch in den grundlegenden Dingen werden Fragen gestellt, offensichtlich in dem Wissen, dass es keine Antwort gibt.

Fest steht, wer solche Gedichte schreibt, hat seine Sprache bestimmt nicht verloren. Er hat sie allerhöchsten so hier und da noch nicht voll im Griff. Aber wer von uns hat das schon?

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.11.2007, 19:33

Dieser Text ist herrlich, weil er nur so vor Bildern und Sagen (s)trotzt. Als würde man sich mitten in einem aufziehenden Gewitter befinden, das grollend heranrollt, sich in Blitzen entlädt und Zeilen später ein Donnern folgen lässt. Man weiß nicht recht, ob die Faszination oder die Erleichterung größer ist, oder das Erschrecken, wenn es einen (beinahe) trifft. Ich kann nicht sagen, dass mir der Text in die Stimme will, eher, dass er mir die Sprache verschlägt vor Schauen, Hören. Es gibt Passagen, in denen mir der Donner zu laut erscheint, aber auch solche, in denen ich das Stille, Sanfte, ein Aufatmen spüren kann, auch die Traurigkeit, die Sehnsucht, das Wollen, denn unter dem Trotz, der Anklage und der haraufbeschworenen Härte, höre ich ein Klagelied. Das Du soll verzeihen, Dinge, für die das Ich nicht verantwortlich ist, die es ihm aber unmöglich machen, so zu lieben, wie es das von sich erwartet.
Überhaupt scheint mir hier die Erwartungshaltung des LIch sowohl das Sagen, die Sprache aber noch mehr das Lieben betreffend, beinahe unerreichbar hoch. Es ist im Text dieses Greifen nach etwas Unmöglichem zu spüren, als wolle man den Blitzen nicht nur zusehen, sondern sie selbst erzeugen, was der Autorin mit diesen Zeilen gelungen ist. Vielleicht ist es dieses Paradoxon, das einen immer wieder erneut hinschauen und hören lässt.
Für mich ein wunderbar inspirierender Text, der gerade durch die Sprünge, diese Mischung und die außergewöhnliche Sprachfindung besticht.
Ganz besonders empfinde ich die Zeile:
"Wo nur lebst du, Heim, den ich suche?"

Sebastian

Beitragvon Sebastian » 05.11.2007, 12:41

Der Text fesselt mich und lässt mich dennoch ratlos zurück. Fast schon zu berauschend im positiven Sinne erscheinen mir die Wendungen, die Monologkraft und ich spüre Wahrheit, obwohl ich sie nicht begründen kann. Das ist ein sehr interessanter Zustand, in den mich diese Worte versetzen, fast so als erinnerte ich etwas mit ihnen. Und dies erlebt man nur sehr selten. Daher schüttele ich meine Ratlosigkeit auch ab und stehe positiv staunend vor dem Urheber.
Mir hat sich ebenso die Zeile "Wo lebst du, Heim, den ich suche" ins Gedächtnis gebrannt. Und wie gerne hätte ich sie selber geschrieben ;) (das muss man auch mal aufrichtig sagen können).
Insgesamt ein nicht greifbarer Text im positivsten Sinne, der das immer wieder lesen, immer wieder entdecken und dabei sich selbst im LI finden lohnt.

Maija

Beitragvon Maija » 06.11.2007, 18:04

Ich lese den Text zum zweiten Mal und bin etwas verwirrt über diese vielen Bilder, die sich vielleicht am Ende aufdröseln lassen. Ich denke der Autor hat dies bewusst so gemacht um den Leser länger am Text zu binden. Man muss länger verweilen. Mir gefällt die Idee gut und man könnte über viele angesprochenen Themen diskutieren.(Gesamtbild - Der Mensch)
Am Ende bleibt unsere Sprache, die uns verbindet.

Niko

Beitragvon Niko » 06.11.2007, 18:21

wenn man erst einmal das "motiv" herausgelesen hat, den roten faden entdeckt, dann ist es ein genuss, diesen text zu lesen. auch wenn da noch bilder im trüben bleiben. für mich ein beziehungsgedicht.
manchmal etwas sprunghaft und / oder an manchen stellen dem leser sehr viel abverlangend, was die metapherebene anbelangt.
es ist eine ambivalenz mit diesem text. überwiegend fesselt er. durch die waghalsigen bilder, die mich faszinieren, wenngleich ich sie nicht als perlenkette empfinde. das sprunghafte bringt mich manchmal fast zum aufgeben. ich komme mit dem verknüpfen nicht mehr nach. und zumindest metaphorisch - gedanklich wil der text sicher nahtlos sein und aus einem guss. aber dann sind es wieder die sehr guten absätze, einzelne wörter, die mich am ball bleiben lassen.
fazit: ich verstehe nicht alles, meine den roten faden erkennen zu können, den ich nicht immer (trotz halsbrecherischer interpretationsversuche meinerseits) durchgängig halten kann.

lieben gruß: Niko

cali

Beitragvon cali » 25.11.2007, 09:11

lisa, das ist ein text für die bühne!

... ein liebestext; sehnsucht, träumende bilder, entsetzen vor der eigenen sehn-sucht. suche nach der möglichen erfüllung.... „was ist richtig, was lasse ich sein?“....... zerrissenheit und wildheit sind eins....... ängstlichkeit, ängstlichkeit.... dann das weiche, das so zarte.... wechseln... schwanken in sekundenschnelle.


wenn auch stellenweise zu überlagert, so passt es doch ins gesamtbild... mit einem wort: authentisch, weil nachfühlbar.

eine elektrisierende sprache... die erschöpfen... betroffen.... trunken.... machen kann...


fest steht: du hast mein inneres sehr bewegt.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.01.2008, 17:31

Schließe mich Cali an und finde auch: Es ist ein Text für die Bühne.

Vielleicht schlummert da eine Begabung?

Moshe


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