angetrieben

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
Klara
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Beitragvon Klara » 18.03.2015, 11:50

gelöscht
Zuletzt geändert von Klara am 21.02.2017, 13:54, insgesamt 1-mal geändert.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 18.03.2015, 20:13

Als der Computer eingeführt wurde, versprach auch ich mir von ihm einen Kreativitätsschub; die freie Verfügbarkeit, Korrigierbarkeit, Montierbarkeit von Text schien mir ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen. Aber die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Ich schrieb damals noch für den Film, und ein erster schwerer Nachteil zeigte sich: Es gab bald viel zu viele Textversionen, weil jeder neue Einfall ein Manuskript veränderte, ohne dass das sichtbar wurde. In einem Schreibmaschinenmanuskript sind Änderungen erkennbar, es hat einen Körper. Das digitale Manuskript hat keinen Körper mehr, es ist eine virtuelle, sich ständig wandelnde Textplastik, die nie hart wird und immer auf „Optimierung“ wartet. Deshalb kann ich Deine reumütige Rückkehr zur analogen Textfabrikation sehr gut nachvollziehen, Klara. Ich habe mir auch eine mechanische Schreibmaschine besorgt und schreibe Briefe auf ihr; meiner alten Remington-Reiseschreibmaschine trauere ich noch immer nach. Der NSA-Ausschuss will nicht-digitale Schreibmaschinen benutzen. Die virtuelle Textproduktion ist gleichzeitig leicht und von windigster Unverbindlichkeit und potenzieller Indiskretion. Ja, die „digitale Wacht“, wie Du sie nennst, „macht die Finger arm“ – die einmal so reich waren. Mit der religiösen Dimension Deines Textes muss ich mich noch befassen. Ich finde sie nicht zwingend, aber mutig. Und Du hast absolut Recht: Gebete sind sicherlich Texte, die hart werden müssen. Als virtuelle, sich ständig wandelnde Textplastiken sind sie von windiger Wertlosigkeit. Es geht in ihnen um zu viel. Ein starker Text, Klara.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Klara
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Beitragvon Klara » 20.03.2015, 12:38

Lieber Quoth,

über deine spannenden Ausführungen zu diesem Text freue ich mich gerade sehr - wenn auch virtuell dieser Freude Ausdruck verleihen (müssen)d ;)
Ich bin mir nicht ganz sicher, weil ich die FAQ zu diesem Bereich nur überflogen habe, ob Feedback auf Feedback hier "erlaubt" bzw. erwünscht ist, aber das entscheide ich jetzt einfach.

Ich bin mir nicht sicher, ob Gebete Texte sind, "die hart werden müssen", wie du schriebst, weil das Wort hart - zu hart klingt für das, was ich, glaube ich, meine. Gebete sind, vermute ich, alles Mögliche (auch Bewegungen, Klänge, Gesang, vor allem Sprechen nach innen und außen - und mehr noch HÖREN), aber jedenfalls sind sie, für mich, eines nicht: virtuell, unverbindlich - sondern (> religio) achtsam, sorgfältig, mit Bedacht und in sich ein Bestreben, ein intensives, womöglich auch intimes - nicht-öffentliches! -, nach Verbindung, nach Bindung, nach Ver-Bindlichkeit, Verlässlichkeit, Bund.

Ich danke dir sehr für deine offenen Gedanken zum Text.

Herzlich
klara

Quoth
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Beitragvon Quoth » 20.03.2015, 22:02

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.03.2015, 11:19

Weder Gott noch die ehemals neu gewesene Schreibmaschine überzeugen mich als Gegenstück zum Rechner.

Wenn nun in dreihundert Jahren mit den Augen auf unsichtbare Flächen in einen ungreifbaren Speicher geschrieben wird, wird sich der gegenwärtige Rechner vermutlich in eine Kirche verwandelt haben.

Oder eben auch nicht.

Wie eben auch die Schreibmaschine sich für mich nicht verwandelt, nur weil die Entwicklung in die selbe Richtung fortschreitet.

Dem Text geht es jedenfalls meiner Meinung nach nicht um einen graduellen Vergleich, es ist eine Art Generalanrufung/Signalraketenabfeuerung und so passt es für mich nicht, dass sich derart auf die schlimmen Auswirkungen von etwas (egal was)gestürzt wird. Das erzählende Ich schafft es in meinen Augen nicht, bei sich zu bleiben (und damit nicht, seinem Vorsatz, in der Welt nah zu sein, zu folgen), was aber sein Anliegen ist, sondern packt seine Entfremdung in etwas, das als typische Klischeeentfremdungsobjekt vorgegeben ist. Und macht es sich damit wieder so leicht, dass es daran sterben mag, denn es ist passend zum Muster, das infrage gestellt wird.

Da ist jemand gefangen, das spürt man, die Verzweiflung, ganz stark auch das krank sein, anders handeln wollen, das kommt bei mir an, wie durch ein Fistelflüstern aus einem ausgetürmten Berg von ausrangierten Geräten, das schafft der Text durchaus, in diesem Sinne sind Stimme und Bilder auch stimmig, erzeugen etwas, haben Stärke, aber trotz dieser Berührung macht mich die selbsttrügerische Verfahrensweise des Textes ärgerlich.

(Dazu gehört auch die Textmotivbitte, dass Gott der Treiber sein möge, das empfinde ich einfach nur als Poetry-Spielerei mit nichts dahinter und ich frage mich, was mit Gott eigentlich gemeint sein soll. Jeder kann von Gott und Beten heute sprechen und meint damit doch etwas viel Tieferes und Echteres als jeder andere, im persönlichen Geflüster scheint alles wahr.)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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