Dora, der dampfende Teekessel oder die Heuschrecke auf den
Verfasst: 16.06.2007, 21:27
Ja, wohl noch dringend Grob- und Feinschliff nötig, aber ich komme nicht weiter damit. Bitte um Hilfe.
Überarbeitung 17.6.07 (kleine Änderungen noch 18.6.07)
Dora, der dampfende Teekessel oder die Heuschrecke auf den Rücken der anderen
Einmal begab sich Dora für eine Weile in ein Land mit hohen Türmen und gelben Früchten, das war entgegen dem, wie es allgemein behauptet wird, gar nicht so verschieden von ihrem Heimatland, und doch stand alles unter Feuer.
Als sie in dem kleinen Dorf ankam, in welchem, wie Dora fand, die Bewohner auf merkwürdig innige Weise in ihren Wohnstuben eine seltene Schweinerasse hielten, folgte sie dem Mann, der die Schlüssel für ihr Gasthaus bereithielt, durch den Wein und bemerkte, dass eine Heuschrecke auf seinem Rücken saß.
Und da kam es wieder zu dieser Diskrepanz, für die Doras Innenleben so berühmt war. Denn schon hob sich ihr Arm, wollte die Heuschrecke fortnehmen, aber bevor er hinreichte, hielt ihn ihre Angst zurück: „Das ist doch ein Fremder. Noch dazu ein Mann. Halt dich im Zaum, sonst tut es weh. Bei dem, was du bist, kann es doch nur wehtun“.
So erging es Dora immer, erste war die Geste der Hinbewegung, aber beim anderen anzukommen vermochte nur die Angst.
Dora war unentschieden, wer von beiden hassenswerter war, ihr Wunsch nach Zuneigung oder ihr Kleinmut, der sie davon abhielt, ersteren einzulösen. Also hasste sie beide.
Ich weiß nicht, was Liebe sonst sein soll, wenn nicht das hier, hatte er gesagt, als sie vor ihrer Abreise beieinander lagen.
Dora hörte ihn so gerne reden.
Weil es schon unzählige solcher Situationen gegeben hatte, in denen Dora sich nicht überwinden konnte zu tun, wonach ihr war, verstieg sie sich in die Heuschrecke. Wilde, alberne Phantasien, auf die sie schon seit Jahren keine Lust mehr hatte, entstanden in ihrer Brust. Dabei war sie diese kondensierte Romantik so Leid. Aber die Unlust reichte nicht aus, sie zu vertreiben. Sie verstieg sich so sehr, dass sie nicht nur nicht davon ablassen konnte, sich darauf zu konzentrieren, wie gerne sie das Tier wegwischen würde, sondern sich sogar vorzustellen begann, was alles möglich wäre, wenn sie es sich doch traute. Und dann noch, was alles passieren könnte, wenn sie dabei eine ganz andere (Schönere) wäre, was natürlich viel Größeres war (sich gleich hier im dürren Wein lieben, wälzen, stöhnen, schwören). Und zuletzt, ob das Überwinden der Angst nicht sogar so mächtig, so bedeutsam wäre, dass es ihr gar ermöglichte, die zu bleiben, die sie war, und dennoch all ihre übertriebenen Phantasien wahr werden zu lassen – – weil soviel Magie in dieser Art Mut lag, dass ihr der Mann trotz aller Mängel sofort und für immer verfiel.
Erst dann war Dora, endlich, bei einem ihrer Superlative angekommen, die den Druck in der Brust abließen wie Kessel den Dampf mit einem heißen Pfiff. Es gab nichts weiter anzunehmen, alles war ausgeschöpft, der Siedepunkt erreicht und sie war dankbar für die Müdigkeit, die sich daraus ergab.
Dora hatte auch an diesem letzten Tag vor ihrer Abreise die Hände auf ihren Rock gepresst, wie sie es schon seit Wochen tat. Sie würde nicht mit ihm schlafen, mit ihm wollte sie es anders machen. Nicht so wie mit all den anderen, von denen sie sich nachhause bringen ließ, die sie alle nur ein einziges Mal sehen konnte, damit sie sie nur ein einziges Mal sahen und keine Fragen stellten. Denn nur dann wurde es zu keiner Auffälligkeit, dass Dora nie das Licht im Schlafzimmer anschaltete, sich nie ganz auszog. Das alles war dann nur ein unauffälliges Detail, was sich zufällig so ergab und zudem in der vorherrschenden Heftigkeit der Nacht unterging.
(Zur Sicherheit hat Dora seit Jahren in die Fassung der Schlafzimmerlampe eine kaputte Glühbirne geschraubt.)
Obwohl sie den Mann nach der Schlüsselübergabe bis zu ihrer Abreise nicht mehr wiedersah, obwohl er ganz und gar bedeutungslos war, zerwühlte er doch während Doras ganzem weiteren Aufenthalt ihre Gedanken. Sie brachte keinen einzigen Satz zu Papier. Dabei hatte sie einen Brief zu schreiben, einen wichtigen Brief, einen Brief, in welchem sie einem Mann, keinem besonderen, aber einem bestimmten, den sie dafür ausgewählt hatte, dem, mit dem sie die letzten Wochen am Tage zusammengelegen hatte, ohne mit ihm zu schlafen, alles von sich erzählen wollte, all ihre Mängel, all ihre Unzulänglichkeiten. Nur deshalb war sie doch hierher gekommen, hatte sie die Lächerlichkeit auf sich genommen zu hoffen, dass in einem fremden Land alles anders war, so anders, dass möglich war, was sie daheim nie zustande brachte. Sie hatte sich schon vor der Reise ausgemalt, wie es wäre, wenn sie den Brief fertig geschrieben hätte, wie sie wieder heimführe und ihm die Zeilen zu lesen gäbe, wie er ihn läse. Sie würde warten, bis er ausgelesen hätte, sie stünde abseits von ihm, ganz reglos, und wenn er fertig wäre und zu ihr aufblickte, wäre es ohne Bedeutung, ob er entsetzt oder weich schaute, sie würde ihre Kleider abstreifen, sich nackt vor ihn stellen und sich anblicken lassen. Dann wäre es endlich ausgemacht, sie hätte es überwunden, hinter sich gebracht, diese Grenze überschritten, an die man sonst von seinen Wünschen nur immer dichter und dichter herangetrieben wird, aber nie, niemals über sie hinaus! Denn dies hieße ja, sich ganz zu zeigen, was aber damit zusammenfiel zuzugeben, wer man war, und so in die Welt zu holen, wer man nicht war. Und damit kippte der dem anderen offenbarte Wunsch, kippte all seine Spannung in die Armseligkeit oder Frivolität. Und wenn dann keiner da war, der verstand, weil er einen liebte, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man jetzt, wo man sich einander hinter der Grenze gegenüberstand, über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren.
Und Dora war die Wahrscheinlichkeit, dass dies genau so eintreffen musste (denn sie wünschte sich ja, dass es anders wäre), ein Wissen, das so klar war, dass man nicht mehr von Glauben sprechen konnte, obwohl es sich doch eigentlich um einen solchen handelte.
Was man verstecken kann, versteckt man und in diesem Verstecken Können liegt alle Grausamkeit dieser Erde.
Dora schaffte es nicht, den Brief an diesen einen Menschen, den sie sich dafür bestimmt hatte, zu schreiben. Die ewigen Anderen, die ja nicht einmal im eigentlichen Sinne von Bedeutung waren und von denen der Mann im wilden Wein ja nur einer von vielen war, ließen Dora keine Luft für einen ernsthaften Versuch; aller Mut blieb der Stein, der er immer gewesen war.
So schaute sie während der Tage nur aus dem Fenster über dem Schreibtisch, durch das ab und an eine fette, filzige Katze stieg, die Dora nicht mochte, ihr aber trotzdem immer etwas Käse gab, damit sie wiederkam. Denn auch die Katze war jemand anderer und von den anderen hing Dora ab.
Und so rief Dora, als sie wieder zuhause ankam, den Mann, den sie für den Brief bestimmt hatte, welchen sie nie schrieb, an und fragte, ob er sie heiraten wolle. Und als er sagte, ja, das wolle er, schraubte sie eine funktionstüchtige Glühbirne in die Fassung der Schlafzimmerlampe; denn noch unauffälliger als in der Heftigkeit einer Nacht mit einem Fremden konnte man sich in der Gewohnheit mit einem Menschen verstecken, der meinte, einen zu kennen.
Und dies aus dem einfachen Grund, weil es möglich war.
Erstfassung
Dora, der dampfende Teekessel oder die Heuschrecke auf den Rücken der anderen
Einmal begab sich Dora für eine Weile in ein Land mit hohen Türmen und gelben Früchten, das war entgegen dem, wie es allgemein behauptet wird, gar nicht so verschieden von ihrem Heimatland, und doch stand alles unter Feuer.
Als sie in dem kleinen Dorf ankam, in welchem die Bewohner eine seltene Schweinerasse auf, wie Dora fand, merkwürdig innige Weise in ihren Wohnstuben hielten, folgte sie dem Mann, der die Schlüssel für ihr Gasthaus bereithielt durch den Wein, und bemerkte, dass eine Heuschrecke auf seinem Rücken saß.
Und da kam es wieder zu dieser Diskrepanz, für die Doras Innenleben so berühmt war. Denn schon hob sich ihr Arm, wollte die Heuschrecke fortnehmen, aber bevor er hinreichte, hielt ihn ihre Angst zurück: „Das ist doch ein Fremder. Noch dazu ein Mann. Halt dich im Zaum, sonst tut es weh. Bei dem, was du bist, kann es doch nur wehtun“.
So erging es Dora immer, erste war die Geste der Hinbewegung, aber beim anderen anzukommen vermochte nur die Angst.
Dora war unentschieden, wer von beiden hassenswerter war, ihr Wunsch nach Zuneigung oder ihr Kleinmut, der sie davon abhielt, ersteren einzulösen. Also hasste sie beide.
Ich weiß nicht, was Liebe sonst sein soll, wenn nicht das hier, hatte er gesagt, als sie vor ihrer Abreise beieinander lagen.
Dora hörte ihn so gerne reden.
Weil es schon unzählige solcher Situationen gegeben hatte, in denen Dora sich nicht überwinden konnte zu tun, wonach ihr war, verstieg sie sich in die Heuschrecke. Wilde, alberne Phantasien, auf die sie schon seit Jahren keine Lust mehr hatte, entstanden in ihrer Brust. Dabei war sie diese kondensierte Romantik so Leid. Aber die Unlust reichte nicht aus, sie zu vertreiben. Sie verstieg sich so sehr, dass sie nicht nur nicht davon ablassen konnte, sich darauf zu konzentrieren, wie gerne sie das Tier wegwischen würde, sondern sich sogar vorzustellen begann, was alles möglich wäre, wenn sie es sich doch traute. Und dann noch, was alles passieren könnte, wenn sie dabei eine ganz andere (Schönere) wäre, was natürlich viel Größeres war (sich gleich hier im dürren Wein lieben, wälzen, stöhnen, schwören). Und zuletzt, ob das Überwinden der Angst nicht sogar so mächtig, so bedeutsam wäre, dass es ihr gar ermöglichte, die zu bleiben, die sie war, und dennoch all ihre übertriebenen Phantasien wahr werden zu lassen – – weil soviel Magie in dieser Art Mut lag, dass ihr der Mann trotz aller Mängel sofort und für immer verfiel.
Erst dann war Dora, endlich, bei einem ihrer Superlative angekommen, die den Druck in der Brust abließen wie Kessel den Dampf mit einem heißen Pfiff. Es gab nichts weiter anzunehmen, alles war ausgeschöpft, der Siedepunkt erreicht und sie war dankbar für die Müdigkeit, die sich daraus ergab.
Dora hatte auch an diesem letzten Tag vor ihrer Abreise die Hände auf ihren Rock gepresst, wie sie es schon seit Wochen tat. Sie würde nicht mit ihm schlafen, mit ihm wollte sie es anders machen. Nicht so wie mit all den anderen, von denen sie sich nachhause bringen ließ, die sie alle nur ein einziges Mal sehen konnte, damit sie sie nur ein einziges Mal sahen und keine Fragen stellten. Denn nur dann wurde es zu keiner Auffälligkeit, dass Dora nie das Licht im Schlafzimmer anschaltete, sich nie ganz auszog. Das alles war dann nur ein unauffälliges Detail, was sich zufällig so ergab und zudem in der vorherrschenden Heftigkeit der Nacht unterging.
(Zur Sicherheit hat Dora seit Jahren in die Fassung der Schlafzimmerlampe eine kaputte Glühbirne geschraubt.)
Obwohl sie den Mann nach der Schlüsselübergabe bis zu ihrer Abreise nicht mehr wiedersah, obwohl er ganz und gar bedeutungslos war, zerwühlte er doch während Doras ganzem weiteren Aufenthalt ihre Gedanken. Sie brachte keinen einzigen Satz zu Papier. Dabei hatte sie einen Brief zu schreiben, einen wichtigen Brief, einen Brief, in welchem sie einem Mann, keinem besonderen, aber einem bestimmten, den sie dafür ausgewählt hatte, dem, mit dem sie die letzten Wochen am Tage zusammengelegen hatte, ohne mit ihm zu schlafen, alles von sich erzählen wollte, all ihre Mängel, all ihre Unzulänglichkeiten. Nur deshalb war sie doch hierher gekommen, hatte sie die Lächerlichkeit auf sich genommen zu hoffen, dass in einem fremden Land alles anders war, so anders, dass möglich war, was sie daheim nie zustande brachte. Sie hatte sich schon vor der Reise ausgemalt, wie es wäre, wenn sie den Brief fertig geschrieben hätte, wie sie wieder heimfuhr und ihm die Zeilen zu lesen gab, wie er ihn las. Sie würde warten, bis er ausgelesen hätte, sie stünde abseits von ihm, ganz reglos, und wenn er fertig wäre und zu ihr aufblickte, wäre es ohne Bedeutung, ob er sie entsetzt oder weich anblickte, sie würde ihre Kleider abstreifen, sich nackt vor ihn stellen und sich anblicken lassen. Dann wäre es endlich ausgemacht, sie hätte es überwunden, hinter sich gebracht, diese Grenze überschritten, an die man sonst von seinen Wünschen nur immer dichter und dichter herangetrieben wird, aber nie, niemals über sie hinaus! Denn dies hieße ja, sich ganz zu zeigen, was aber damit zusammenfiel zuzugeben, wer man war, und so in die Welt zu holen, wer man nicht war. Und damit kippte der dem anderen offenbarte Wunsch, kippte all seine Spannung in die Armseligkeit oder Frivolität. Und wenn dann keiner da war, der verstand, weil er einen liebte, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man jetzt, wo man sich einander hinter der Grenze gegenüberstand, über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren.
Und Dora war die Wahrscheinlichkeit, dass dies genau so eintreffen musste (denn sie wünschte sich ja, dass es anders wäre), ein Wissen, das so klar war, dass man nicht mehr von Glauben sprechen konnte, obwohl es sich doch eigentlich um einen solchen handelte.
Was man verstecken kann, versteckt man und in diesem Verstecken Können liegt alle Grausamkeit dieser Erde.
Dora schaffte es nicht, den Brief an diesen einen Menschen, den sie sich dafür bestimmt hatte, zu schreiben. Die ewigen Anderen, die ja nicht einmal eine Bedeutung hatten und von denen der Mann im wilden Wein ja nur einer von vielen war, ließen Dora keine Luft für einen ernsthaften Versuch; aller Mut blieb der Stein, der er immer gewesen war.
So schaute sie während der Tage nur aus dem Fenster über dem Schreibtisch, durch welches ab und an eine fette, filzige Katze stieg, die Dora nicht mochte, welcher sie aber trotzdem immer etwas Käse gab, damit sie wiederkam. Denn auch die Katze war jemand anderer und von den anderen hing Dora ab.
Und so ließ sich Dora, als sie wieder zuhause ankam, nicht mehr in der Nacht von Fremden heimbringen, sondern rief den Mann, den sie für den Brief bestimmt hatte, welchen sie nie schrieb, an und fragte, ob er sie heiraten wolle. Und als er sagte, ja, das wolle er, schraubte sie eine funktionstüchtige Glühbirne in die Fassung der Schlafzimmerlampe. Denn diese Schutzmaßnahme wurde nicht länger gebraucht; noch unauffälliger als in der Heftigkeit einer Nacht mit einem Fremden konnte man sich in der Gewohnheit mit einem Menschen verstecken, der meinte einen zu kennen. Es brauchte nur ein paar vehement betonte Anweisungen („Lass bitte das Licht aus“, „Fass mich bitte dort nicht an“) und schon war man eingerichtet.
Das Ganze war so erschreckend einfach, dass Dora für eine Weile dachte, der Schmerz überrolle sie. Aber dann wurde sie stumpf und irgendwann vergaß sie und irgendwann bekam sie ein Kind und später hielten sie sich eine Katze, nie aber verließ Dora ihr Versteck. Und dies aus dem einfachen Grund, weil es möglich war.
Überarbeitung 17.6.07 (kleine Änderungen noch 18.6.07)
Dora, der dampfende Teekessel oder die Heuschrecke auf den Rücken der anderen
Einmal begab sich Dora für eine Weile in ein Land mit hohen Türmen und gelben Früchten, das war entgegen dem, wie es allgemein behauptet wird, gar nicht so verschieden von ihrem Heimatland, und doch stand alles unter Feuer.
Als sie in dem kleinen Dorf ankam, in welchem, wie Dora fand, die Bewohner auf merkwürdig innige Weise in ihren Wohnstuben eine seltene Schweinerasse hielten, folgte sie dem Mann, der die Schlüssel für ihr Gasthaus bereithielt, durch den Wein und bemerkte, dass eine Heuschrecke auf seinem Rücken saß.
Und da kam es wieder zu dieser Diskrepanz, für die Doras Innenleben so berühmt war. Denn schon hob sich ihr Arm, wollte die Heuschrecke fortnehmen, aber bevor er hinreichte, hielt ihn ihre Angst zurück: „Das ist doch ein Fremder. Noch dazu ein Mann. Halt dich im Zaum, sonst tut es weh. Bei dem, was du bist, kann es doch nur wehtun“.
So erging es Dora immer, erste war die Geste der Hinbewegung, aber beim anderen anzukommen vermochte nur die Angst.
Dora war unentschieden, wer von beiden hassenswerter war, ihr Wunsch nach Zuneigung oder ihr Kleinmut, der sie davon abhielt, ersteren einzulösen. Also hasste sie beide.
Ich weiß nicht, was Liebe sonst sein soll, wenn nicht das hier, hatte er gesagt, als sie vor ihrer Abreise beieinander lagen.
Dora hörte ihn so gerne reden.
Weil es schon unzählige solcher Situationen gegeben hatte, in denen Dora sich nicht überwinden konnte zu tun, wonach ihr war, verstieg sie sich in die Heuschrecke. Wilde, alberne Phantasien, auf die sie schon seit Jahren keine Lust mehr hatte, entstanden in ihrer Brust. Dabei war sie diese kondensierte Romantik so Leid. Aber die Unlust reichte nicht aus, sie zu vertreiben. Sie verstieg sich so sehr, dass sie nicht nur nicht davon ablassen konnte, sich darauf zu konzentrieren, wie gerne sie das Tier wegwischen würde, sondern sich sogar vorzustellen begann, was alles möglich wäre, wenn sie es sich doch traute. Und dann noch, was alles passieren könnte, wenn sie dabei eine ganz andere (Schönere) wäre, was natürlich viel Größeres war (sich gleich hier im dürren Wein lieben, wälzen, stöhnen, schwören). Und zuletzt, ob das Überwinden der Angst nicht sogar so mächtig, so bedeutsam wäre, dass es ihr gar ermöglichte, die zu bleiben, die sie war, und dennoch all ihre übertriebenen Phantasien wahr werden zu lassen – – weil soviel Magie in dieser Art Mut lag, dass ihr der Mann trotz aller Mängel sofort und für immer verfiel.
Erst dann war Dora, endlich, bei einem ihrer Superlative angekommen, die den Druck in der Brust abließen wie Kessel den Dampf mit einem heißen Pfiff. Es gab nichts weiter anzunehmen, alles war ausgeschöpft, der Siedepunkt erreicht und sie war dankbar für die Müdigkeit, die sich daraus ergab.
Dora hatte auch an diesem letzten Tag vor ihrer Abreise die Hände auf ihren Rock gepresst, wie sie es schon seit Wochen tat. Sie würde nicht mit ihm schlafen, mit ihm wollte sie es anders machen. Nicht so wie mit all den anderen, von denen sie sich nachhause bringen ließ, die sie alle nur ein einziges Mal sehen konnte, damit sie sie nur ein einziges Mal sahen und keine Fragen stellten. Denn nur dann wurde es zu keiner Auffälligkeit, dass Dora nie das Licht im Schlafzimmer anschaltete, sich nie ganz auszog. Das alles war dann nur ein unauffälliges Detail, was sich zufällig so ergab und zudem in der vorherrschenden Heftigkeit der Nacht unterging.
(Zur Sicherheit hat Dora seit Jahren in die Fassung der Schlafzimmerlampe eine kaputte Glühbirne geschraubt.)
Obwohl sie den Mann nach der Schlüsselübergabe bis zu ihrer Abreise nicht mehr wiedersah, obwohl er ganz und gar bedeutungslos war, zerwühlte er doch während Doras ganzem weiteren Aufenthalt ihre Gedanken. Sie brachte keinen einzigen Satz zu Papier. Dabei hatte sie einen Brief zu schreiben, einen wichtigen Brief, einen Brief, in welchem sie einem Mann, keinem besonderen, aber einem bestimmten, den sie dafür ausgewählt hatte, dem, mit dem sie die letzten Wochen am Tage zusammengelegen hatte, ohne mit ihm zu schlafen, alles von sich erzählen wollte, all ihre Mängel, all ihre Unzulänglichkeiten. Nur deshalb war sie doch hierher gekommen, hatte sie die Lächerlichkeit auf sich genommen zu hoffen, dass in einem fremden Land alles anders war, so anders, dass möglich war, was sie daheim nie zustande brachte. Sie hatte sich schon vor der Reise ausgemalt, wie es wäre, wenn sie den Brief fertig geschrieben hätte, wie sie wieder heimführe und ihm die Zeilen zu lesen gäbe, wie er ihn läse. Sie würde warten, bis er ausgelesen hätte, sie stünde abseits von ihm, ganz reglos, und wenn er fertig wäre und zu ihr aufblickte, wäre es ohne Bedeutung, ob er entsetzt oder weich schaute, sie würde ihre Kleider abstreifen, sich nackt vor ihn stellen und sich anblicken lassen. Dann wäre es endlich ausgemacht, sie hätte es überwunden, hinter sich gebracht, diese Grenze überschritten, an die man sonst von seinen Wünschen nur immer dichter und dichter herangetrieben wird, aber nie, niemals über sie hinaus! Denn dies hieße ja, sich ganz zu zeigen, was aber damit zusammenfiel zuzugeben, wer man war, und so in die Welt zu holen, wer man nicht war. Und damit kippte der dem anderen offenbarte Wunsch, kippte all seine Spannung in die Armseligkeit oder Frivolität. Und wenn dann keiner da war, der verstand, weil er einen liebte, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man jetzt, wo man sich einander hinter der Grenze gegenüberstand, über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren.
Und Dora war die Wahrscheinlichkeit, dass dies genau so eintreffen musste (denn sie wünschte sich ja, dass es anders wäre), ein Wissen, das so klar war, dass man nicht mehr von Glauben sprechen konnte, obwohl es sich doch eigentlich um einen solchen handelte.
Was man verstecken kann, versteckt man und in diesem Verstecken Können liegt alle Grausamkeit dieser Erde.
Dora schaffte es nicht, den Brief an diesen einen Menschen, den sie sich dafür bestimmt hatte, zu schreiben. Die ewigen Anderen, die ja nicht einmal im eigentlichen Sinne von Bedeutung waren und von denen der Mann im wilden Wein ja nur einer von vielen war, ließen Dora keine Luft für einen ernsthaften Versuch; aller Mut blieb der Stein, der er immer gewesen war.
So schaute sie während der Tage nur aus dem Fenster über dem Schreibtisch, durch das ab und an eine fette, filzige Katze stieg, die Dora nicht mochte, ihr aber trotzdem immer etwas Käse gab, damit sie wiederkam. Denn auch die Katze war jemand anderer und von den anderen hing Dora ab.
Und so rief Dora, als sie wieder zuhause ankam, den Mann, den sie für den Brief bestimmt hatte, welchen sie nie schrieb, an und fragte, ob er sie heiraten wolle. Und als er sagte, ja, das wolle er, schraubte sie eine funktionstüchtige Glühbirne in die Fassung der Schlafzimmerlampe; denn noch unauffälliger als in der Heftigkeit einer Nacht mit einem Fremden konnte man sich in der Gewohnheit mit einem Menschen verstecken, der meinte, einen zu kennen.
Und dies aus dem einfachen Grund, weil es möglich war.
Erstfassung
Dora, der dampfende Teekessel oder die Heuschrecke auf den Rücken der anderen
Einmal begab sich Dora für eine Weile in ein Land mit hohen Türmen und gelben Früchten, das war entgegen dem, wie es allgemein behauptet wird, gar nicht so verschieden von ihrem Heimatland, und doch stand alles unter Feuer.
Als sie in dem kleinen Dorf ankam, in welchem die Bewohner eine seltene Schweinerasse auf, wie Dora fand, merkwürdig innige Weise in ihren Wohnstuben hielten, folgte sie dem Mann, der die Schlüssel für ihr Gasthaus bereithielt durch den Wein, und bemerkte, dass eine Heuschrecke auf seinem Rücken saß.
Und da kam es wieder zu dieser Diskrepanz, für die Doras Innenleben so berühmt war. Denn schon hob sich ihr Arm, wollte die Heuschrecke fortnehmen, aber bevor er hinreichte, hielt ihn ihre Angst zurück: „Das ist doch ein Fremder. Noch dazu ein Mann. Halt dich im Zaum, sonst tut es weh. Bei dem, was du bist, kann es doch nur wehtun“.
So erging es Dora immer, erste war die Geste der Hinbewegung, aber beim anderen anzukommen vermochte nur die Angst.
Dora war unentschieden, wer von beiden hassenswerter war, ihr Wunsch nach Zuneigung oder ihr Kleinmut, der sie davon abhielt, ersteren einzulösen. Also hasste sie beide.
Ich weiß nicht, was Liebe sonst sein soll, wenn nicht das hier, hatte er gesagt, als sie vor ihrer Abreise beieinander lagen.
Dora hörte ihn so gerne reden.
Weil es schon unzählige solcher Situationen gegeben hatte, in denen Dora sich nicht überwinden konnte zu tun, wonach ihr war, verstieg sie sich in die Heuschrecke. Wilde, alberne Phantasien, auf die sie schon seit Jahren keine Lust mehr hatte, entstanden in ihrer Brust. Dabei war sie diese kondensierte Romantik so Leid. Aber die Unlust reichte nicht aus, sie zu vertreiben. Sie verstieg sich so sehr, dass sie nicht nur nicht davon ablassen konnte, sich darauf zu konzentrieren, wie gerne sie das Tier wegwischen würde, sondern sich sogar vorzustellen begann, was alles möglich wäre, wenn sie es sich doch traute. Und dann noch, was alles passieren könnte, wenn sie dabei eine ganz andere (Schönere) wäre, was natürlich viel Größeres war (sich gleich hier im dürren Wein lieben, wälzen, stöhnen, schwören). Und zuletzt, ob das Überwinden der Angst nicht sogar so mächtig, so bedeutsam wäre, dass es ihr gar ermöglichte, die zu bleiben, die sie war, und dennoch all ihre übertriebenen Phantasien wahr werden zu lassen – – weil soviel Magie in dieser Art Mut lag, dass ihr der Mann trotz aller Mängel sofort und für immer verfiel.
Erst dann war Dora, endlich, bei einem ihrer Superlative angekommen, die den Druck in der Brust abließen wie Kessel den Dampf mit einem heißen Pfiff. Es gab nichts weiter anzunehmen, alles war ausgeschöpft, der Siedepunkt erreicht und sie war dankbar für die Müdigkeit, die sich daraus ergab.
Dora hatte auch an diesem letzten Tag vor ihrer Abreise die Hände auf ihren Rock gepresst, wie sie es schon seit Wochen tat. Sie würde nicht mit ihm schlafen, mit ihm wollte sie es anders machen. Nicht so wie mit all den anderen, von denen sie sich nachhause bringen ließ, die sie alle nur ein einziges Mal sehen konnte, damit sie sie nur ein einziges Mal sahen und keine Fragen stellten. Denn nur dann wurde es zu keiner Auffälligkeit, dass Dora nie das Licht im Schlafzimmer anschaltete, sich nie ganz auszog. Das alles war dann nur ein unauffälliges Detail, was sich zufällig so ergab und zudem in der vorherrschenden Heftigkeit der Nacht unterging.
(Zur Sicherheit hat Dora seit Jahren in die Fassung der Schlafzimmerlampe eine kaputte Glühbirne geschraubt.)
Obwohl sie den Mann nach der Schlüsselübergabe bis zu ihrer Abreise nicht mehr wiedersah, obwohl er ganz und gar bedeutungslos war, zerwühlte er doch während Doras ganzem weiteren Aufenthalt ihre Gedanken. Sie brachte keinen einzigen Satz zu Papier. Dabei hatte sie einen Brief zu schreiben, einen wichtigen Brief, einen Brief, in welchem sie einem Mann, keinem besonderen, aber einem bestimmten, den sie dafür ausgewählt hatte, dem, mit dem sie die letzten Wochen am Tage zusammengelegen hatte, ohne mit ihm zu schlafen, alles von sich erzählen wollte, all ihre Mängel, all ihre Unzulänglichkeiten. Nur deshalb war sie doch hierher gekommen, hatte sie die Lächerlichkeit auf sich genommen zu hoffen, dass in einem fremden Land alles anders war, so anders, dass möglich war, was sie daheim nie zustande brachte. Sie hatte sich schon vor der Reise ausgemalt, wie es wäre, wenn sie den Brief fertig geschrieben hätte, wie sie wieder heimfuhr und ihm die Zeilen zu lesen gab, wie er ihn las. Sie würde warten, bis er ausgelesen hätte, sie stünde abseits von ihm, ganz reglos, und wenn er fertig wäre und zu ihr aufblickte, wäre es ohne Bedeutung, ob er sie entsetzt oder weich anblickte, sie würde ihre Kleider abstreifen, sich nackt vor ihn stellen und sich anblicken lassen. Dann wäre es endlich ausgemacht, sie hätte es überwunden, hinter sich gebracht, diese Grenze überschritten, an die man sonst von seinen Wünschen nur immer dichter und dichter herangetrieben wird, aber nie, niemals über sie hinaus! Denn dies hieße ja, sich ganz zu zeigen, was aber damit zusammenfiel zuzugeben, wer man war, und so in die Welt zu holen, wer man nicht war. Und damit kippte der dem anderen offenbarte Wunsch, kippte all seine Spannung in die Armseligkeit oder Frivolität. Und wenn dann keiner da war, der verstand, weil er einen liebte, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man jetzt, wo man sich einander hinter der Grenze gegenüberstand, über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren.
Und Dora war die Wahrscheinlichkeit, dass dies genau so eintreffen musste (denn sie wünschte sich ja, dass es anders wäre), ein Wissen, das so klar war, dass man nicht mehr von Glauben sprechen konnte, obwohl es sich doch eigentlich um einen solchen handelte.
Was man verstecken kann, versteckt man und in diesem Verstecken Können liegt alle Grausamkeit dieser Erde.
Dora schaffte es nicht, den Brief an diesen einen Menschen, den sie sich dafür bestimmt hatte, zu schreiben. Die ewigen Anderen, die ja nicht einmal eine Bedeutung hatten und von denen der Mann im wilden Wein ja nur einer von vielen war, ließen Dora keine Luft für einen ernsthaften Versuch; aller Mut blieb der Stein, der er immer gewesen war.
So schaute sie während der Tage nur aus dem Fenster über dem Schreibtisch, durch welches ab und an eine fette, filzige Katze stieg, die Dora nicht mochte, welcher sie aber trotzdem immer etwas Käse gab, damit sie wiederkam. Denn auch die Katze war jemand anderer und von den anderen hing Dora ab.
Und so ließ sich Dora, als sie wieder zuhause ankam, nicht mehr in der Nacht von Fremden heimbringen, sondern rief den Mann, den sie für den Brief bestimmt hatte, welchen sie nie schrieb, an und fragte, ob er sie heiraten wolle. Und als er sagte, ja, das wolle er, schraubte sie eine funktionstüchtige Glühbirne in die Fassung der Schlafzimmerlampe. Denn diese Schutzmaßnahme wurde nicht länger gebraucht; noch unauffälliger als in der Heftigkeit einer Nacht mit einem Fremden konnte man sich in der Gewohnheit mit einem Menschen verstecken, der meinte einen zu kennen. Es brauchte nur ein paar vehement betonte Anweisungen („Lass bitte das Licht aus“, „Fass mich bitte dort nicht an“) und schon war man eingerichtet.
Das Ganze war so erschreckend einfach, dass Dora für eine Weile dachte, der Schmerz überrolle sie. Aber dann wurde sie stumpf und irgendwann vergaß sie und irgendwann bekam sie ein Kind und später hielten sie sich eine Katze, nie aber verließ Dora ihr Versteck. Und dies aus dem einfachen Grund, weil es möglich war.