Lieber Othmar,
ich finde in diesem zweiten Text erkennt man deine Perspektive wieder, die ich schon in "Olivenzweige zwischen den Zehen" kennen gelernt habe, etwas Kleines wird bemerkt und in ihm ein größeres Geheimnis oder Gefühl sichtbar. Als Kindheitsameisenbeobachterin kenne ich solche Kastanienfunde sehr gut und sie sind mir "wahr". Auch finde ich, dass das Bild der Kastanie sich sehr gut eignet, ein Samen, das glänzen, der weiße Kern...
In Strophe 1 ist es etwas falsch ausgedrückt (der Titel geht für sich noch):
Auf der Stufe der Treppe,
die mich auf Gleis 3 bringt,
liegt eine Kastanie.
Du meinst, die dich auf den Bahnsteig bringt, auf die Gleise bringt dich die Treppe hoffentlich nicht
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. Ich glaube, das ist hier grenzwertig, das so zu sagen.
Diese Strophe
Ihre Botschaft begreife ich,
als ich mich bücke
und sie aufhebe.
ist mir zu deutlich, sie nimmt den Zauber, weil sie zuviel erklärt. Wenn man erst den "Ruf" der Kastanie so deutlich erklären muss, nimmt man ihm das Magische.
Ebenso geht es mir mit dieser Stelle:
die der lange Weg gefordert hat,
zu erklärend, ohne den Vers für mich viel stärker, da ungewollter erzählend (rutscht so fast ins Moralische).
Dagegen finde ich:
Aus meiner Hand macht sie ein Bett
und legt sich hinein.
schön aktiv erzählt
woran dann der ungewöhnliche Gebrauch von "schläft":
Nimm mich mit! schläft sie leise,
nimm mich mit.
gelungen anschließt.
Insgesamt scheinst du mir diesen Text zu stark zu einem Gedicht gemacht haben zu wollen, man merkt an einigen Stellen dass die Aussagen noch nicht frei atmen. Der Text muss sicher keine völlig ohne lyrische Elemente auskommen, aber ich glaube, er möchte noch mehr ins Erzählende gleiten. Mir ist zuviel zurückgehalten, so im Korsett eines Gedichts wirkt das noch etwas angestrengt.
Wäre der Titel vielleicht lesbarer, wenn er hieße: Treppe zu Gleis 3? (vielleicht falsch, aber für mich flüssiger).
Liebe Grüße,
Lisa