Stille

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.10.2006, 15:50

Stille

Du gingst
in jenes Land
(von dem ich nicht weiß)
als ob Du es plötzlich
sehr eilig hättest.

Als hättest Du gewusst:
Sie, die ich liebe,
kommt heute spät.

Dein Vertrauen
(denn Du kanntest mich kaum)
bewegt sich in mir
wie eine Welle,
die den Erdkreis
umrundet
durch Wasser und Luft;

ich spüre wieder
Deine Hand, die
schwer und kühl
in meiner wird

und wie unsere
Atemlosigkeit
sich beruhigt
und schließlich mündet

in Stille
Zuletzt geändert von leonie am 26.10.2006, 19:23, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 25.10.2006, 17:02

Liebe leonie,
ein erster Leseindruck, sehr ausgewogen , nur zwei Fragen, bevor ich mehr sagen kann:
(von dem ich nicht weiß)
Müsste es nicht heißen, von dem oder über das ich nichts weiß?
Mich irritiert dass du kein "s" geschrieben hast.

Dann
der zweite Vers:
Als hättest Du gewusst:
Sie, die ich liebe,


vom Gefühl her, würde ich meinen, dass da stehen müsste: Sie, die du liebst.
Denn es ist ja keine wörtliche Rede.

Aber es gefällt mir und ist sehr still und friedvoll.

Liebe Grüße
Gerda

Herby

Beitragvon Herby » 25.10.2006, 19:52

Liebe Leonie,

das ist mal wieder eines dieser leonienischen Gedichte, die ich so schätze und so gerne lese! :eusa_angel:

Zu den beiden Textstellen, die Gerda anspricht: Ohne, dass ich Dir begründen könnte warum, würde ich das -s bei "nicht" weglassen. "von dem ich nichts weiß" klingt so ... verflixt .... wie klingt es? ... nüchtern und in meinen Ohren unpoetisch.
Und die zweite Textstelle ist m. E. eine Art innerer Monolog ( ? ) des Du, also ergibt das "ich" im folgenden Vers durchaus Sinn.

Bevor ich jetzt mit weiteren Ausdrucksproblemen sieglos kämpfe, schweige ich lieber. :confused:

LG Herby

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.10.2006, 21:12

Liebe Gerda, lieber Herby,

danke für die schnellen Reaktionen, ich freue mich sehr über Euer Lob. Besonders , Herby, freut mich natürlich, dass Du mehreres von mir gerne gelesen hast (strahl...)

Gerda, zu Deinen Anmerkungen:

Ich finde diesen Satz ohne das „s“ umfassender. Er beinhaltet für mich, dass nicht klar ist, ob es dieses Land überhaupt gibt, würde ich „nichts“ schreiben, dann hieße es, dass es dieses Land gibt, das lyrIch nur nichts darüber weiß. Ich hatte deswegen das „s“ bewusst weggelassen.

Formal hast Du mit den Anführungszeichen recht. Aber sie würden mich hier soooo stören, weil es keine wirkliche wörtliche Rede ist, sondern wie Herby schreibt, eine Art innerer Dialog (den das lyrIch natürlich nur vermuten kann), mir ist die „Ich-Form“ dabei wichtig, weil dieser Mann die Frau, die (zu) spät kam, wirklich geliebt hat und es so anklingt an die magischen drei Worte...
Deshalb möchte ich es lieber so lassen. Vielleicht schreibt ja auch noch jemand etwas dazu....

Liebe Grüße
leonie

Cara

Beitragvon Cara » 25.10.2006, 22:53

leonie,

darf ich Dir, wobei mir schon klar ist, dass ich zu Deinem Gedicht dabei inhaltlich noch nicht so viel sage, ein paar Fragen stellen:

Warum schreibst du die ersten beiden Strophen in der Vergangenheitsform und die letzten in der Gegenwart? Ich komm noch nicht dahinter, was der Grund dafür ist.

Nach der dritten Strophe wählst du ein Semikolon. Wozu? Ich selber finde ein Semikolon in einem Gedicht nicht ganz so "geschickt", aber du wirst einen Grund gehabt haben. Was leitete dich?

(kleine Anmerkung: In Zeile 4 müsste das "Du" wohl der Einheitlichkeit willen groß geschrieben werden).


Soviel (bzw. so wenig, *s*) erst mal

Liebe Abendgrüße
Cara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.10.2006, 23:42

Liebe leonie,

ein eindringliches, nahegehendes Gedicht, dass ich sehr gerne gelesen habe.

Ich sehe hier zwei Zeitabschnitte. Einmal die Erinnerung an das Sterben des LyrDu, dann das Nachdenken im Heute des LI.

Deshalb empfinde ich die Unterscheidung der Zeitformen richtig.
Saludos
Gabriella

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Beitragvon leonie » 26.10.2006, 11:38

Liebe cara,

klar darfst Du Fragen stellen. Also:

Ich hatte es so gedacht, dass über die Erinnerung an das was damals war das Geschehen noch einmal gegenwärtig wird. Der Verbindungspunkt ist das vertrauen, dass das lyrIch immer noch bewegt. Deshalb die unterschiedlichen Zeitformen.

Hm, das Semikolon, mir schien es hier einfach am passendsten, weil es einen relativ starken Einschnitt markiert, aber nicht so abschließend ist wie ein Punkt. Ein Doppelpunkt wäre auch möglich.
Warum findest Du ein Semikolon unpassend für ein Gedicht? Ich denke, man kann doch ruhig alle zur Verfügung stehenden Satzzeichen ausschöpfen. Ich probiere da aber noch (habe auch jetzt zum erstenmal mit Klammern gearbeitet).

Liebe Gabriella,
vielen Dank für Deine Rückmeldung!!

Liebe Grüße Euch beiden
leonie

Gast

Beitragvon Gast » 26.10.2006, 13:29

Liebe leonie,

du meinst, "von dem ich nicht weiß" im Sinn von, das sich nicht kenne, du gehst soweit zu sagen, das offen bleiben soll, ob das Lyrich überhaupt von der "Existenz" eines anderen Lebens weiß.
Für mich ist das schwierig heraus zu lesen.
Ich stolpere halt immer darüber, dass es auf mich wirkt, als fehle das "s".
Anscheinend bin ich da allein.
Allerdings wird mein Gefühl besser, je mehr ich mich damit beschäftige, ich frage mich nur: Trägt dies der Vers auch allein, oder sind es deine Erläuterungen, die mir die Formulierung jetzt klarer erscheinen lassen.
:confused:

Zu Vers 2
Ich verstehe jetzt, der Zeitwechsel versus V 1 ist hier sehr wichtig, man darf sich nicht verführen lassen, deinen Text der klaren Sprache wegen rasch zu lesen, denn dann überliest man die unterschiedlichen Ebenen.
Danke, dass du mich (indirekt) angeregt hast, mich noch einmal mit deinem Gedicht zu beschäftigen.

Liebe Grüße
Gerda

Cara

Beitragvon Cara » 26.10.2006, 13:48

Hallo leonie,

jetzt komme ich Deinem Gedicht langsam näher (so wie es selber überhaupt dem Leser nur langsam "näher kommt"......auch durch die Entwicklung von der Vergangehheitsform zur Gegenwart).

Mich berührt sehr stark das Bild mit dem Vertrauen, das du malst:
"Dein Vertrauen bewegt sich in mir wie eine Welle, die den Erdkreis umrundet......"(usw.).

Über die eine Bemerkung in Klammern stutzte ich: Warum kannte das Lyr.Du das Lyr. Ich kaum, wo doch das Vertrauen so tief ist. Das macht allerdings eine besondere Brisanz aus, das schon!

Warum ich das Semikolon nicht so schön finde, fragst du.
Das ist wahrscheinlich eine persönliche Geschmacksfrage und wir müssten die anderen fragen, was sie dazu meinen. Ich selber denke bei einem Semilolon an etwas kompliziert Zusammengefügtes, fast auch an etwas Technisches/Kaufmännisches. Hätte an dieser Stelle einen Punkt auch o.k. gefunden, da das klarer ist. Aber ich wollte Dir nur mein Gefühl dazu sagen, mehr nicht *s*.

Das Gedicht fließt von "zu spät" zu "ruhig" und "sich der Situation gewiss", das finde ich schön. Das lyr. Du sucht sich eine Situation aus, in der es allein ist, denn manche Sterbende wollen in diesen Moment lieber allein begehen. Gleichwohl aber kommt das Lyr. Ich hinzu, es geschieht eine kommunikative Situation , bevor die Hand kalt wird, ist die Begegnung beider in der Stille da.

LG
Cara

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Beitragvon leonie » 26.10.2006, 19:22

Liebe Gerda,

ich warte noch mal ab, vielleicht äußern sich noch andere dazu. Danke, dass Du Dich so intensiv damit beschäftigst!

Liebe cara,
ich habe ganz vergessen, das eine „d“ noch zu vergrößern, wird nachgeholt. Ich denke, das „kaum kennen“ macht in dieser Situation bei diesem Menschen erst möglich, die Nähe beim Sterben zuzulassen. Dieser Mannes hätte es, denke ich, seiner Frau nicht „zugemutet“, weil sie ihm so nahe stand. Andererseits war so jemand dabei, der der Frau davon erzählen konnte, so dass sie nicht mit ihren „Phantasien“ darüber (die ja oft viel schlimmer sind als die Realität) allein blieb. So hat er gut für sie gesorgt.
Danke für Deine Rückmeldungen, mit dem Semikolon warte ich noch ab, vielleicht ändere ich es in einen Doppelpunkt.

Liebe Grüße Euch beiden
leonie

Max

Beitragvon Max » 03.11.2006, 20:34

Liebe Leonie,

ich finde Dein Gedicht ähnlich berührend wie Dein "Nach Jahren" auch in dieser Kategorie. Im direkten Vergleich würde ich mich, wenn ich müsste, mich wohl eher für letzteres entscheiden, aber zum Glück muss ich ja nicht wählen.

Auch hier gelingt es Dir wieder bedeutungsvolle Momente einzufangen, ohne Pathos, so, wie Du sie empfunden hast. Das gefällt mir. Kritisch scheint mir hier eventuell die Strophe, an der Dir (vermutlich) so viel liegt:

Dein Vertrauen
(denn Du kanntest mich kaum)
bewegt sich in mir
wie eine Welle,
die den Erdkreis
umrundet
durch Wasser und Luft;


Gerade anders als Cara, die schreibt

Mich berührt sehr stark das Bild mit dem Vertrauen, das du malst:
"Dein Vertrauen bewegt sich in mir wie eine Welle, die den Erdkreis umrundet......"(usw.).


finde ich, dass Du gerade hier aus der Stimmung des Gedichts herausgehst und es brichst. Zu dem Vergleich "wie eine Welle" meine ich, dass das Bild für ein Vertrauensgefühl sehr passend ist und nur eine leise kleine Kritik von hier für den Gebrauch des Vergleichs statt eines direkten Bildes (was ja fast immer möglich ist, wenn ein Vergleich möglich ist). Trotzdem würde ich bis hierher eine sehr ähnliche Strophe lassen. Alles weitere aber

die den Erdkreis
umrundet
durch Wasser und Luft;

erinnert mich erstens ein wenig an einen tsunami (ja, ich weiß, das ist eher meine kranke Phantasie), ist aber zweitens gar nicht notwenig, denn nicht die Größe der Welle ist ja beeindruckend, sondern die Tiefe (oder nicht?).

Trotzdem ein sehr schönes Gedicht (irgendwie werdenmeine kritischen Zeilen immer länger als mein Lob, das heißt nix ..)

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 03.11.2006, 22:41

Lieber max,

vielen Dank, dass Du Dir dieses Gedicht „vorgenommen“ hat (Du warst überhuapt sehr fleißig heute abend, stelle ich anhand der Kommentare fest!).
Arrrgh, ja, ich hänge ein wenig an den kritisierten Zeilen, weil sie beschreiben sollen, nach wie langer Zeit die Erinnerung an dieses Vertrauen zurückkommt ( ich denke, man gibt Vertrauen weiter und es bewegt sich dann weiter und weiter und geht vielleicht wirklich um die Welt (nun gut, das mag eine etwas optimistische Sicht sein...)) und mich immer noch oder jetzt wieder bewegt.
Ich werde mir aber Deinen Kommentar gut merken, oft verändere ich dann noch etwas, wenn ich ein Gedicht mit zeitlichem Abstand bearbeite. Aber im Moment hänge ich noch daran.

Liebe Grüße
leonie

Max

Beitragvon Max » 07.11.2006, 18:46

Liebe Leonie

(dass ich in diesen Tagen wieder fleißiger wirke, liegt daran, dass ich in den Wochen davor auch fleißig war, nur nicht für den Salon :-) ). Ich kann das gut nachvollziehen - und oft it man als Autor ja dem Gedicht auch näher und weiß dann auch, was ihm gut tut.

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 09.11.2006, 20:36

Lieber Max,

hm, ich kann mich ja nur auf das beziehen, was ich hier lese, vermute aber, dass Du meistens ein fleißiger mensch bist. Wenn es für den Salon ist, finde ich es (aus zugegebenermaßen ncht ganz uneigennützigen Motiven) natürlich am besten.

Ansonsten weiß ich, dass sich aus größerem zeitlichen Abstand immer mal wieder etwas an meinen Texten verändert - auch dank des Forums und kritiken, die ich mir gemerkt habe...Das finde ich sehr gewinnbringend...

Liebe Grüße
leonie


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