Du gehst (Berlin V)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.10.2006, 23:11

Die Zwanzig fährt,
als wäre nichts gewesen.
Septemberblätter fallen
ohne ein Geräusch.

Betrunkene grölen
nächtens Lieder
und in der Dönerbude
trinkt man Grolsch.

Durchs Bötzowviertel
weht der erste Herbstwind.
Er treibt das Laub
fast munter vor sich her.

Oktoberregen wäscht
die Sünden von der Straße.
Ich weiß jetzt,
Du kommst nimmermehr.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 04.10.2006, 10:35, insgesamt 2-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 04.10.2006, 09:30

Lieber Paul Ost,

das finde ich richtig gut gelungen. Die Stimmung kommt perfekt rüber. Trister Herbst, gerade wegen des „als wäre nichts gewesen“...
Eine Frage nur: Meinst Du „nächtens“ oder tatsächlich „nächstens“

Liebe Grüße
leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.10.2006, 10:34

Liebe Leonie,

vielen Dank für Deine Lektüre. Du hast einen Fehler entdeckt, der mir auch nach mehrmaligem Lesen nicht aufgefallen ist. Warum? Wahrscheinlich, weil ich weiß, was ich meine. Natürlich meine ich "nächtens". Sonst hätte ich in diesem Gedicht wieder eine Zeitstruktur verwendet, die aram (mit Recht) verwirren müsste.

Auch die Ordnungsziffer musste ich ändern. Schließlich habe ich schon vier Berlin Gedichte geschrieben. Dieses hier ist die Nummer fünf. Sie erzählen in nicht ganz chronologischer Reihenfolge die Geschichte einer Trennung.

Grüße

Paul Ost
Zuletzt geändert von Paul Ost am 07.10.2006, 23:53, insgesamt 1-mal geändert.

Orit

Beitragvon Orit » 04.10.2006, 23:53

Lieber Paul!

Und der November schleicht schon um die Ecke, trüb und grau, alles Laub ist längst gefallen und der letzte Rest Hoffnung begraben ... So lese ich dein Gedicht weiter. Im Oktober "Du kommst nimmermehr", aber der November immer ...

("Die Zwanzig fährt", aber in Berlin fährt --der Zwanziger--, ich weiß nicht, ob dadurch dein Gedicht-Rhythmus gestört wird, aber wenn die erste Zeile heißen würde "Der Zwanziger fährt", käme mehr von Berlin rüber :mrgreen: )

Liebe Grüße
Orit

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 05.10.2006, 11:00

Liebe Orit,

Danke für Deinen Kommentar. Was Berlin angeht, waren meine Referenzen sicher außerberlinerisch. Echte Berliner findet man in dieser Stadt wohl eher selten.

Aber die Straßenbahn (in Berlin S-Bahn, da wo ich herkomme, ist die S-Bahn eine Schnellbahn) mit der Nummer 20 haben alle immer "die Zwanzig" genannt. Sie fährt von der Warschauer Straße bis... Ja wohin eigentlich?

Deine November-Bemerkung habe ich nicht ganz verstanden. Darf ich mir für den November Hoffnung machen? Tatsächlich will ich im November einen alten Freund in Berlin besuchen.

Beste Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.10.2006, 16:28

Lieber Paul,

also irgednwann sammel ich mir diese berlin (und Weimar!) - Gedichte in einem kleinen Bändchen....

...und dieses hier tue ich bestimmt dazu...

was serh unheimlich ist...das Bötzowviertel, ist das nicht Teil/in der Nähe des Prenzlauer Berges? ist das nicht genau in der Nähe dort? Da bin ich nämlich jetzt "manchmal"....das wäre ja ein Zauber.

In mag es wie du (wieder einmal) Stadt&Liebe miteinander verwebst..den äußeren ort zu einem inneren und dann wieder einem anderen äußeren machst.

Am meisten trifft mich das nimmermehr...(wieder mit meinem Gefühl hinein gelesen ;-))

...Wieder sehr gerne gelesen...
Lisa

PS: ich köntne mir vorstellen "fallen ohne ein Geräusch zu Boden/hinab" oder mit tonlos arbeiten?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 05.10.2006, 16:53

Liebe Lisa,

genau dieses Bötzowviertel. Als ich da wohnte, war der Prozess der Gentrifizierung allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Es sah ein bisschen heruntergekommener aus.

Aber schön: Dann hast Du ja jetzt eine Kulisse für die Tragödie von Mirjam und Paul. :-)

Das Problem mit den Ordnungsnummern ist mir erst aufgefallen, als ich meine letzten Gedichte in mein Sammelbuch schrieb.

Die geräuschlose Zeile schrieb ich so, weil ich drei Hebungen haben wollte. Es ist aber wohl eher eine gefühlte Geräuschlosigkeit. Wenn man an der Greifswalder Ecke Danziger steht, wird sich wohl nie ein Moment der Geräuschlosigkeit einstellen (nur so als Beispiel)...

Ich muss aber zugeben, dass ich hier ein paar Ausdrücke geklaut habe. "Nimmermehr" kommt natürlich direkt von E.A. Poes "Der Rabe". Der Regen, der die Sünden von der Straße wäscht, ist eine heimliche Referenz an ein Lied von Deep Purple ("Breakfast in Bed").

Grüße

Paul
Zuletzt geändert von Paul Ost am 28.10.2006, 21:47, insgesamt 1-mal geändert.

Orit

Beitragvon Orit » 05.10.2006, 23:26

Lieber Paul!

Ich habe den November in Deutschland so trist, grau und hoffnungslos in Erinnerung. Und das hoffnungslose Warten des lyr. Ich im September und Oktober ließ mich deshalb zum November kommen. Laß dich davon nicht anstecken und hab eine hoffnungsvolle, gute Zeit in Berlin :smile:

Bei der ersten Zeile sah ich einen Bus vor mir ... deshalb meine Anmerkung ... :rolleyes:


Liebe Grüße
Orit

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.10.2006, 00:55

Liebe Orit,

ach so. Durchs Bötzowviertel fuhren damals der Hunderter und der Zweihunderter. Die Straßenbahnen wurden mittlerweile, glaube ich, umbenannt. Auch wenn es nur vier Jahre her ist, so ist das doch eine ganze Welt.

Ich wohne gar nicht mehr in Berlin. Im November werde ich aber mal wieder dort hinfahren und einen guten Freund besuchen, der in dem Viertel wohnt. :smile:

Solange man liebt und geliebt wird, ist jede Stadt und jeder Monat schön.

Beste Grüße

Paul

Niko

Beitragvon Niko » 06.10.2006, 01:09

mir gefällt es auch sehr, paul. gute stimmung gewoben durch die zeilen.

schenkt dem gröhlen noch das "H".

lieben gruß: Niko

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.10.2006, 01:17

Lieber NJ,

da hast Du mich für einen Moment echt verwirrt. Aber "grölen" schreibt man ohne "h", zumindest, wenn ich meinen verschiedenen Duden Glauben schenken darf. :razz:

Ich hoffe Du machst Dir nichts daraus, dass ich Dich NJ nenne. Irgendwie musste ich bei Deinem Namen immer an diese Serie denken: Simon & Simon. Einer der Brüder heißt AJ. Ein adretter Kerl, der immer Anzüge trägt.

In diesem Sinne

Paul Ost

Niko

Beitragvon Niko » 06.10.2006, 05:44

hallo paul...

ich glaube, ich sollte meine deutschkenntnisse jetzt echt mal aufpeppen. ist nicht das erste mal, dass mir solche dinger passieren. und ich dachte immer, ich sei gut ins deutsche... :-(

sorry für´s irreführen.

lieben gruß: NJ - adrett, auch ohne anzug...

Max

Beitragvon Max » 08.10.2006, 17:28

Lieber Paul,

irgendwie scheinen viele unserer Wege Parallelen zu haben. Das Bötzowviertel kenne ich gut, men Bruder wohnt da, ich habe selbst ein Jahr lang dort verbracht.

Gerade dadurch wirkte dieses Gedicht noch intesiver auf mich .. ein ganz dickes "Super" von mir.

Liebe Grüße
max

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 09.10.2006, 20:16

Lieber Max,

das Bötzowviertel hat literarisches Potential, finde ich, obwohl da viel zu viele Designer und Architekten wohnen. Unter anderem mein bester Freund. Gelegentlich fahre ich gerne wieder nach Berlin zurück und freue mich an den Veränderungen in der Stadt und vor allem in diesem Viertel.

Ende letzten Jahres las ich ein paar New York Romane. Außerdem bin ich ein Fan von Zadie Smith. In fast all ihren Werken spielt der Cricklewood Broadway in London eine große Rolle.

Da dachte ich mir, es ist doch unfair, dass Londoner und New Yorker über Straßen, Orte, Gebäude und Stadtteile erzählen können, die jeder kennt.

So ähnlich wollte ich auch über ein paar Orte in Deutschland schreiben, die mir etwas bedeuten. Es freut ich natürlich besonders, wenn der Wiedererkennungswert vorhanden ist.

In diesem Sinne

Grüße vom Ex-Nachbarn

Paul Ost


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