Am Anfang

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 09.09.2006, 20:10

Bis hierhin,
sagst Du,
ziehst
eine Linie
in den Sand.

Wo vorher
unser Land war,
ist jetzt
ein Hier
und ein Dort.

Romulus. Erfindest
die Grenze, den Besitz,
den Krieg.

Mögen die Spiele
beginnen.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 09.09.2006, 22:37, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 09.09.2006, 21:39

Lieber Paul Ost,

Das Gedicht finde ich rund, am Ende könnte man Zynismus lesen, was ich bei dem Thema durchaus angemessen finde.
Ich würde vorschlagen, das „noch“ wegzulassen.
Ich habe überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt, dem Leser die Deutung zu überlassen (das hat mir einmal ein Dichter geraten, den ich sehr schätze). Das Gedicht „Romulus“ nennen und hinter Strophe zwei schließen? Würde aber den Sinn verändern.
In jedem Fall ein interessantes Thema, spannend umgesetzt. Ich habs gern gelesen.

leonie
(Ist ein Bezug zu magics „Frieden“ beabsichtigt oder zufällig?)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 09.09.2006, 22:36

Liebe Leonie,

einen Bezug hat dieses Gedicht vor allem zu meinem alten Lateinbuch "redde rationem" hieß das, glaube ich. Darin standen alle Geschichten, die man braucht, um in der modernen Welt zu überleben: Romulus und Remus, der Raub der Sabinerinnen, Wie man eine Hand ins Feuer hält, usw.

Zunächst habe ich mir auch überlegt, Romulus in den Titel zu setzen, aber ich entschied mich dagegen. So wie er dort steht, kann er beides sein, eine Beleidigung und ein Ausruf der Bewunderung.

Bei dem "noch" war ich mir nicht so sicher. Ich hab's mal gelöscht.

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.09.2006, 21:50

Lieber Paul,
gottverdammt, das habe ich ja noch gar nicht gesehen (ich verfolge ja deine Spuren immer...aber komme nicht nach...da wartet auch noch diese Geschichte auf mich)

:hut0007:

Diesen letzlich logisch zerstörerischen Aufbau 1/2/3/4 finde ich sehr wirksam - das Ende trifft.

Kennst du die gelungene Verfilmung Les Liaisons dangereuses von de Laclos? (besstimmt kennst du die, was frage ich).

Dort gibt es einen ähnlichen Dialog, was das Ende angeht und letzlich geht es auch dort um Liebe, wenn auch anders doch mit gleichen Konsequenzen.

warum der Umbruch nach dem jetzt?

Bittere Spiele der Liebe - gibt es eben diese Liebe auch ohne sie?

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 20.09.2006, 22:48

Hallo Paul Ost,

dein Gedicht, ist mir heute erst ins Blickfeld geraten, der Salon wird halt größer und größer...

Das Thema, Trennung, eine Grenze ziehen (wollen/ müssen),
die Grenze von jemand anderem gezogen bekommen...

kein unser,
ein hier und ein dort,


in diesen Worten steckt das Elend, die Trauer
aber auch Wut nährt sich bereits, denn das Spiel um Besitz nach der Trennung steht an, kann beginnen... so meine LeseART.

Gefällt mir sehr weil die Worte gekonnt klar gewählt.

Abendgrüße
Gerda

Mir fiel heut auch noch ein altes Gedicht in die Hände um es hier zu posten, thematisch ähnlich.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 20.09.2006, 23:08

Liebe Salondamen,

danke für die Kommentare. Damit habe ich gar nicht mehr gerechnet. Wie schon oben angedeutet, geht es für mich hier um einen Bruderzwist, es können natürlich auch zwei eigentlich verwandte Völker sein, die sich an einer Grenze gegenüberstehen: Zypern, Israel, Palästina, Deutschland, Korea, überall da, wo Brüder nicht in Frieden miteinander leben können (oder konnten).

An Liebe habe ich dabei nicht gedacht. Allerdings funktioniert wohl auch diese Lesart.

Das "jetzt" wollte ich performativ hervorheben. Einer zieht eine Grenze und sagt "jetzt". Dann zeigt er die beiden Seiten auf.

An die Geschichte in meinem Lateinbuch erinnere mich nicht mehr so genau. Ich glaube aber, dass einer der Brüder eine Mauer baute, die der andere dann natürlich überspringen musste. Daraufhin wurde er getötet. Hier wird die Perspektive dessen erzählt, der nachher ins Gras beißen muss.

Es kommen gewissermaßen die von HM Enzensberger so herzlos abgestraften radikalen Verlierer dazu, sich zu äußern. Sie sprechen die Sprache des Neides. Man könnte sich auch einen enttäuschten Indianer vorstellen, der vor einem Weidezaun steht. Oder Rousseaus fröhlich durch den Wald laufenden Barbaren, wie er auf einmal auf eine Rodung gerät.

"Mögen die Spiele" beginnen: Dabei hatte ich die Kultur Roms im Kopf. Das Imperium und die grausamen Spiele. Erst durch die Differenz zwischen Hier und Dort kann überhaupt ein Imperium errichtet werden.

Jetzt höre ich aber lieber auf, mich selbst zu interpretieren.

Schlaft gut und bleibt friedlich

Paul Ost


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