Die Angst

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 28.08.2006, 21:25

Gestern noch
lachtest Du
meine Angst fort.

Doch sie kehrte
zurück, als Du
gingst.

Die Angst,
Dich verloren
zu haben.

Rala

Beitragvon Rala » 28.08.2006, 22:22

Wow ... knapp und voll auf den Punkt, und etwas, was mir sehr bekannt ist (und bestimmt nicht nur mir). Ich mag das, wenn jemand mit wenigen Worten alles sagen kann. Großes Lob! :daumen:

Liebe Grüße,
Rala

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.08.2006, 23:25

Lieber Paul Ost,

das gefällt mir wieder einmal sehr! Auch wenn das Thema traurig ist. Schon denke ich wieder nach: Wenn der andere die Angst vor dem Verlust weglacht und geht, muss sie dann nicht wiederkommen? Irgendwas hat das mit Glaubwürdigkeit zu tun...

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.08.2006, 10:48

Lieber Paul,
was Rala schreibt, stimmt:

Wow ... knapp und voll auf den Punkt, und etwas, was mir sehr bekannt ist (und bestimmt nicht nur mir). Ich mag das, wenn jemand mit wenigen Worten alles sagen kann. Großes Lob!



Ich kann mich dem nur serh anschließen!

Trotzdem hüstel ich mal zwei Anmerkungen hinter das Lob:

1) Würde ich in diesem Gedicht auf alle Satzzeichen verzichten - und zwar zu Gunsten von Strophe 2, in der das Komma für mich zu sehr ruckelt...

2) Habe ich Tempusschwierigkeiten mit der Konklusionsstrophe 3...denn bezieht man sie auch auf Strophe eins, so frage ich mich, warum Strophe 3 in der vergangenheit steht (es müsste ja eigentlich heißen: Die Angst, dich zu verlieren, oder? Wenn sich Strophe drie icht so explizit auf Strophe 1 mit bezieht, verliert für mich das Gedicht....- - gerade merke ich, dass man die Vergangenheitsform allerdings durchaus doch zu 1 passend lesen könnte, in dem Sinne, dass "er" schon früher um das Verlorensein wusste - zu einem Zeitpunkt, zu dem "sie" noch lachte...dann passt allerdings das "kehrte zurück" nicht ganz, da er ihrem Lachen ja scheinbar geglaubt hat, da die Angst verschwunden ist. Oder hat er sich "freiwillig" darauf eingelassen?

Um so mehr ich über den Satz nachdenke, um so gelungener finde ich ihn nun doch :16: . Denn eigentlich kann man ja gar nicht Angst davor haben jemanden verloren zu haben (Zeit) - ich glaube also, ich könnte getrost alles unter zwei löschen, lasse es jetzt aber mal stehen, weil ich meine es etwas verstanden zu haben ;-).

Nun gefällt mir der Text noch mehr (auch wenn ich bestimmt wieder den text ganz anders lese als du ihn schriebst),

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pandora

Beitragvon pandora » 29.08.2006, 11:04

herr ost,

das gefühl der verlorenheit und unsicherheit, wenn ein partner nicht real anwesend ist, verliert sich, wenn sich der umstand ändert. oder, andersherum, wie im gedicht beschrieben: wenn man den liebsten/die liebste bei sich hat, schlägt man sich nicht mit grübeleien herum.
schön und schlicht beschrieben.
ich begrüble derweil die großschreibung der anredepronomen...

lg
p.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 29.08.2006, 14:42

Liebe Interpretinnen,

es überrascht und freut mich, dass dieser Gedankensplitter eine so große und wohlwollende Aufmerksamkeit erregt.

Zu Euren Anmerkungen:

@ Rala,

schön, wenn Du in diesen Zeilen etwas wiederfindest, dass Du kennst. Wir lesen immer uns selbst in die Texte hinein, deshalb muss das, was Du dort siehst gar nicht mit dem übereinstimmen, was andere zu entdecken meinen. Herzlich willkommen übrigens in diesem Forum!

@ leonie,

vielleicht ist es auch dieselbe Angst, die sich nur andere Gründe schafft?

@ Lisa,

was die Zeichensetzung angeht, bin ich trotz meines Berufes gelegentlich unsicher. Deshalb zwinge ich mich zu einer konstanten Zeichensetzung, die ich dann auch für richtig halte. Ist das Komma hier falsch? Nach welcher Regel?

Das Tempus in der dritten Strophe wurde bewusst so gewählt. Eigentlich merkwürdig. Wer hat schon vor etwas Angst, was längst eingetreten ist? Mir geht das aber dennoch so. Stell' es Dir wie eine konstante Grundangst bei einem Trauma vor. Auch wenn der Terroranschlag, Autounfall, das Zugunglück, etc. schon lange vorrüber ist, die Angst ist immer noch da.

@ Pandora,

ich mag das, an der deutschen Sprache: Du kannst die Menschen mit einem vertrauten "Du" anreden. Das wird dann groß geschrieben. Hier haben wir sicher ein Problem, weil die angesprochene Person gar nicht da ist, sie ist ja weg. Trotzdem: Bei einem Gebet, das wir an den lieben Gott richten, ist dieser ja auch abwesend. Dennoch sprechen wir ihn an...

Euch allen danke ich noch einmal für Eure interessanten Kommentare.

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.08.2006, 14:56

Lieber paul,
nein, nein, das Komma ist absolut richtig so! Ich fände es bei diesem Gedicht nur wirkungsvoller INSGESAMT auf Interpunktion zu verzichten, aber wenn du das nie machst, dann macht es auch keinen Sinn und dass mich das Komma in Strophe 2 stört, ist sicher wieder nur ein Spleen von mir...

Ja, das mit der zeit gefällt mir...ich finde das die Tiefe am Gedicht...mein kleiner Schädel hat nur wieder etwas länger dazu gebraucht :-)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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Beitragvon leonie » 29.08.2006, 21:36

Lieber Paul Ost,

es gibt ein sehr melancholisches Lied von Hermann van Veen, in dem vorkommt: „Du lachst mich aus, du lachst es weg; dabei zeigt mir dein Gesicht: Ein Heim ist das hier nicht...“ (an mehr erinnere ich mich leider nicht mehr).
Manchmal weiß man schon vor dem Ende einer Beziehung, dass man den anderen verloren hat.
Jedenfalls fiel mir heute ein, dass Dein Gedicht mich an dieses Lied erinnert hat.

Auf Deine Frage kann ich nur sagen: Ja, genau,...

Liebe Grüße
leonie

aram
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Beitragvon aram » 29.08.2006, 21:59

lieber paul ost,

ich wollte hiezu schon öfter was schreiben, krieg's aber nicht gebacken -


Gestern noch
lachtest Du
meine Angst fort.


ok.

Doch sie kehrte
zurück, als Du
gingst.


ok - zunächst lese ich "als du gingst" als abschied

Die Angst,
Dich verloren
zu haben.


aha- also doch kein abschied. "die angst, dich verloren zu haben" macht ja keinen sinn, wenn das 'verloren' bereits gewissheit ist. (es ginge dann ja um eine andere angst - z.b. verloren zu sein.)

bleibt als interpretation nur, dass das du gegangen ist ohne das ich zu verlassen (also vorübergehend weg ist), und das ich nun wieder zweifel / angst hat.

ist es so gemeint? sorry, ich stehe da scheinbar irgendwie auf der leitung ~

liebe grüße,
aram

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 30.08.2006, 15:49

Lieber aram,

Du stehst nicht auf der Leitung. Es ging mir darum, genau diesen "kognitiven Konflikt" auszulösen.

Wie kann man Angst vor etwas haben, das schon längst geschehen ist?

Grüße

Paul Ost

Gast

Beitragvon Gast » 30.08.2006, 16:17

Ich stehe auch auf der leitung...
Mir scheint der letzte Vers überflüssig, weil im ersten Vers, davon die Rede ist, dass das lyr. Du da ist, und die Angst fort lacht, im zweiten Vers, geht das lyr. Du fort und die Angst kommt zurück.

Ich kann keinen konflikt erkennen außer dass mich der letzte vers total verwirrt.

Sorry Paul... vielleicht doch eher in Vers 3:

...die Angst blieb...
weiles wohl um die reale Angst des Alleinseins geht und nicht um die Angst verlassen zu werden.

Liebe Grüße
Gerda

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 31.08.2006, 22:09

Liebe Gerda,

das kann ich wohl kaum entwirren. Aber gut:

1. Strophe: Die Angst wird durch die Geliebte weggelacht.
2. Strophe: Die Geliebte geht, die Angst kommt.
3. Strophe: Die Angst hat jetzt einen Namen, nämlich den der abwesenden Geliebten.

So ähnlich würde ich mir das erklären. Doch wir wissen ja alle: Der Autor ist tot. Lang lebe der Leser.

In diesem Sinne

paul ost

aram
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Beitragvon aram » 31.08.2006, 22:31

hallo paul ost,

genau wie du es gerade beschreibst (1/2/3) funktioniert es eben nicht - für mich zumindest.

die formulierung "die angst, dich verloren zu haben" beschreibt etwas ganz anderes - dass ein verlust eingetreten sein könnte, der noch nicht bemerkt / manifest wurde - nur geahnt wird.

anders lässt sich dieser satz für mich nicht sinnvoll interpretieren.

nun verstehe ich dich so, dass du sagst - 'er ist auch nicht sinnvoll, das lyr.ich sagt ihn nur so.' *)

das finde ich in diesem fall recht zweifelhaft, bzw. kann es nicht nachvollziehen - warum sagt das lyr.ich nicht gleich, was es meint - z.b. die 'angst, verloren zu sein?'

- deine replik wäre vermutlich, weil es noch so sehr am du hängt, dass es sich selbst gar nicht wahrnehmen kann.

- ein durchaus interessantes thema, finde ich - aber ausgeführt ist es durch die eigenartige bezugslogik wohl nicht im gedicht.

ich erleb es dann mehr als eine art 'kuddelmuddel', die der autor dem lyr.ich sozusagen 'durchgehen lässt'.


*) da er aber an sich sinnvoll interpretierbar ist, ist es ein wenig schwer zu erkennen für mich als leser, dass ich den 'sinn' zugunsten des 'unsinns' aufgeben sollte - deshalb dieses komische gefühl, 'auf der leitung zu stehen' bei diesem text - das kann's doch wohl nicht sein, denke ich.

ich komme also zu einer ganz anderen interpretation, die ja möglich ist, ohne die logik der strophen-aussagen zu brechen - demnach wäre das lyr.du aber nur 'vorrübergehend abwesend', hätte das 'lyr.ich' nicht 'verlassen', das damit etwas instabil/ paranoid erscheint.

natürlich bin ich mit dieser interpretation dann auch nicht zufrieden - aber es ist mir als leser kaum möglich, sinnvoll dargestellte bezüge aufzugeben ohne textlichen hinweis auf deren irrelevanz - also z.b. offensichtliche paradoxie, die hier eben nicht gegeben ist.

liebe grüße,
aram

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 31.08.2006, 22:43

Lieber aram,

Du willst es aber wissen! "Die Angst, Dich verloren zu haben." Klar macht das keinen Sinn. Aber so funktioniert Angst eben gelegentlich.

Beispiel: Ich fahre ständig mit Regionalzügen, z.B. durch Hamm. Ist es sinnvoll, dass ich da Angst habe? Vor etwas, das schon geschehen ist? Da war schon ein Bombe!

Ich würde mich nicht so sehr an die Formulierung klammern, wenn sie nicht genau das wäre, was ich empfinde. Wenn es Dich verwirrt oder Dir unlogisch erscheint, werde ich damit leben müssen.

Dennoch Dank für Deine scharfsinnige Umschichtung meiner Neurosen.

Grüße

Paul Ost


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