Verstecke der Liebe

Max

Beitragvon Max » 13.08.2006, 18:43

Verstecke der Liebe
..........................Gedanken beim Ordnen eines Nachlasses


Die abgeschlagene Tasse
aus der du den Morgenkaffee trankst
der fadenscheinige Ärmel des Pullovers
den du trugst
wenn dir wirklich kalt war
die Schüssel mit dem Sprung
und den Initialen deiner Tante
noch aus der Heimat

Die Eselsohren
in deinem Lieblingsbuch
der Fingerabdruck
unten rechts
auf dem Foto deines Mannes

Und auch mein Haar
über das deine Hand so gerne strich*
wird langsam grau


*vorher: über das du so gerne strichst (geändert auf Vorschlag von herby)
Zuletzt geändert von Max am 30.08.2006, 22:01, insgesamt 2-mal geändert.

Nifl
Beiträge: 3883
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 14.08.2006, 12:03

Hallo Max,

eine berührende Reminiszenz, wie ich meine.

Gut, die abgeschlagene Tasse ist mir als Bild zu abgegriffen (und dann noch als Einstieg!), aber das eröffnet natürlich auch eine schöne KliMax *g ...
Ich glaube, der Text besticht mich durch seinen besonderen deklamatorischen Gestus.

Gerne gelesen !

LG
Nifl

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.08.2006, 14:55

Das ist wieder einer dieser Texte, lieber Max, die ganz unspektakulär und leise daherkommen und so viel Poetisches bergen; das ist einer der Gründe, warum ich so viele deiner Texte einfach mag.

Vom Außen nach Innen - so könnte ich deinen Text kurz zusammenfassen, von den unscheinbaren, kleinen Dingen, die ein Leben mitbestimmen, ja auch charakterisieren hin zur tiefen Empfindung am Schluß; - vom scheinbar distanzierten "Beobachter" zum "Betroffenen".

Der Text "atmet" für mich, er verströmt einen Duft, ohne daß auch nur ein einziges Wort in dieser Hinsicht verwendet wurde. Genial!

Den Einstieg über die "abgeschlagene Tasse" empfinde ich ganz anders als Nifl - allein das Wort "abgeschlagen", (nicht etwa angeschlagen, nicht beschädigt u dgl.) läßt viel Raum zum Interpretieren und vor allem es fügt sich zum folgenden, zum "fadenscheinigen Ärmel" - ich denke bei der abgeschlagenen Tasse nämlich an einen abgebrochenen, nicht mehr vorhandenen Henkel... was vielleicht nur ich so sehe, aber ok, das gibt der Text her. Es geht bei beiden Bildern um den Teil eines ehemals Ganzen...
Und jetzt könnt ich endlos weiterspinnen.....über die Schüssel mit dem Sprung, der Tante aus der Heimat....dem verblassen/vergilben...bzw. ergrauen... ich höre jetzt lieber auf :-)
Da erscheint mir kein einziges Wort als nicht gründlich überlegt -

Einzig dieses "strich" - obwohl natürlich korrekt, kommt mir so ungewöhnlich über die Lippen- vielleicht weil es relativ selten verwendet wird?

Ganz liebe Grüße,

scarlett

P.S. Pssst.... häng noch ganz schnell ein "s" an deine Mannes, 2. Strophe

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 14.08.2006, 19:28

Lieber Max,

ich finde diesen Text sehr gelungen. Das Thema ist ein altbekanntes. Mein Lieblingsnamensvetter Paul Auster hat darüber ja sogar einen "Essay" geschrieben: The invention of solitude. Du beschreibst das in wenigen Strophen. Toll!

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 14.08.2006, 22:30

Lieber Paul, liebe Scarlett, lieber Nifl,

vielen Dank für die schnelle, gründliche und überaus positive Kritik. Was ich mit der Kaffeetasse anfange, weiß ich noch nicht so recht. Nifl, Du hast natürlich recht, dass das Bild gebräuchlich ist, allerdings gab es die Tasse - vermutlich hat man da halt eine voreingenommene Wahrnehmnung - naja, ich habe sie ;-).

Scarlett, das "strich" geht mir auch ein wenig gegen meinen Sprachstrich ;-). Die Alternative war streichelte, das ist auch wahr, aber zu intim. Fällt Dir ein anderes Wort ein?

Liebe Grüße
max

PS: Paul, Paul Auster liebe ich auch, den essay muss ich mir mal besorgen..

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 15.08.2006, 10:55

Hallo Max!

Was für ein wunderschöner berührender Text. Scarletts Lesart trifft es genau - von außen nach innen. Du hast sozusagen die Richtung des Erinnerns eingefangen, ganz große Klasse!

Zu dem kleinen Problem. Wieso schreibt ihr alle "strich"??? Das würde doch gehen (wäre es in der dritten Person geschrieben), das Problem ist für mich eher "strichst", das spricht sich einfach nicht :mrgreen: . Das ist aber das Problem der deutschen Sprache, kein Wunder, dass du so wenige Verben drin hast (eigentlich nur noch "trankst" und "trugst", die beide gehen, "war" und nochmal "wird"). Insofern wäre die Alternative auch "streicheltest" - nicht gerade ideal.

Mir fällt ein: "durch das du so gerne fuhrst" - oder auch mit "kämmen" - oder: "über das du so gerne gestrichen (hast)" (<-- ohne "hast" zu viel Pathos, mit zu umständlich, und überhaupt falsche Zeit). Gefallen mir alle nicht, und das mit dem "strichst" ist ja auch nur ein winziger Makel, an dem, wie gesagt, die deutsche Sprache schuld ist...

DA fällt mir ein!! Wie wär's mit ner Übersetzung?? Wenn die eine Sprache nicht will, nimmt man eben die andere! Das hat das Deutsche davon, wenn es sich mit einem Polyglotten anlegt :cool:

Gruß,
l

Max

Beitragvon Max » 15.08.2006, 22:30

Lieber Lichel,

danke für dieses liebe Lob (tolle Alliteration, das macht der Wein ..).
nach dem ich jetzt bei P im Fremdwörterduden bin, verstehe ich es auch ;-). Ich denke mal über ne Übersetzung nach ... na gut Niederländisch fällt sofort aus, da ist "streiche(l)n" "aaien (kein Wunder, dass die Tschechen keine Vokale mehr haben, wenn die NL sie so verschleißen) - und man muss die Albernheiten ja nicht übertreiben, aber vielleicht Englsich oder Französisch .. mal schaun.

Liebe Grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 17.08.2006, 12:56

Hallo Max,

das ist ein wunderschöner, stiller und sehr anrührender Text, den ich leider erst spät hier entdeckt habe.

Was den vorletzten Vers betrifft, geht es mir ähnlich wie Lichel:

das Problem ist für mich eher "strichst", das spricht sich einfach nicht



Wäre

"über das deine Hand so gerne strich"

vielleicht eine Alternative? Sie würde weder den Sinn verfälschen noch den Klang, wie ich finde.
Was meinst du?


Danke für dieses Gedicht, das ich sehr, sehr gerne gelesen habe!!

Liebe Grüße
Herby

steyk

Beitragvon steyk » 17.08.2006, 18:31

Lieber Max,
nach all den Lobeshymnen bleibt mir nicht viel, außer mich
an den Gesang zu beteiligen.
Habe den Text gleich zweimal gelesen, weil er mir richtig
Spaß machte !

Gruß
Stefan

Max

Beitragvon Max » 19.08.2006, 22:08

Lieber Stefan

das freut mich und bestimtm auch die, für die er geschrieben ist.

Liebe Grüße in die Hauptstadt
Max

Herby

Beitragvon Herby » 20.08.2006, 19:13

Hi Max,

war mein Alternativvorschlag so schlecht oder bist du im Urlaubskoffereinpackundnixvergessenstress? ;-)

Liebe Grüße
Herby

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 27.08.2006, 14:02

Ich packe den Thread nur mal nach oben, weil ich den Verbesserungsvorschlag so gut finde, denn "strich" ist schon das perfekte Wort - und ohne das -st hinten auch aussprechbar. Wunderbar, Herby!

Und auch mein Haar
über das deine Hand so strich
wird langsam grau

Ne Übersetzung kann's ja trotzdem noch geben... :pfeifen:

Gruß,
l

Max

Beitragvon Max » 30.08.2006, 22:03

Lieber Herby,

entschuldige, Dein Vorschlag ist mir irgendwie durchgerutscht (da sieht man, wie urlaubsreif ich war ;-) ). Ich habe es sofort geändert! Danke Lichel für's Nachobenholen (das Wort kennt kein Duden) ....

Liebe Grüße
max


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste