Du gehst (Berlin V)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.10.2006, 23:11

Die Zwanzig fährt,
als wäre nichts gewesen.
Septemberblätter fallen
ohne ein Geräusch.

Betrunkene grölen
nächtens Lieder
und in der Dönerbude
trinkt man Grolsch.

Durchs Bötzowviertel
weht der erste Herbstwind.
Er treibt das Laub
fast munter vor sich her.

Oktoberregen wäscht
die Sünden von der Straße.
Ich weiß jetzt,
Du kommst nimmermehr.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 04.10.2006, 10:35, insgesamt 2-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 06.11.2006, 01:49

lieber paul

auch für mich ist das immer noch die zwanzig, obwohl diese linie seit längerem mit M10 bezeichnet wird...
aus rein persönlich/ sentimentalen gründen konnte ich bisher nichts kommentieren zu diesem text - so um 1994, als es am kollwitzplatz langsam ungemütlich wurde mit den ersten auftauchenden touristenbussen und 'künstler' sich nach anderen regionen umsahen, 'wanderten' wir weiter; erwarben im verbund mit der mietergemeinschaft ein großes haus, dass mit zig anderen en block von der treuhand zum schleuderpreis liquidiert wurde - die entsprechenden verträge erhielten aus rein politisch-optischen gründen eine fast unerfüllbare rückkaufklausel für die mieter, wir schafften es trotzdem - ich will dich nicht mit noch mehr details langweilen, aber dieser platz ist eines meiner 'zuhause' - tja, und nicht zu vergessen, hier wohnt auch die frau, der meine anwesenheit im blauen salon zu verdanken ist (irgendwann brauchte ich ein ventil; auch existierte ein guter teil meiner texte nicht ohne sie.-)
... mir ist das bözowviertel also vertraut, seit es noch ausschließlich abbröckelnde fassaden vorzuzeigen hatte (das war auch schön...) und ich überzeugungsarbeit bei unentschlossenen kaufinteressenten leisten musste, dass es sich hier mal gut leben lassen, der angrenzend brachliegende vp friedrichshain ein angenehmer naherholungsraum sein würde...

auch ohne diese referenz finde ich an deinem text keinen makel - alles passt - die stimmung ist einfach da - und dass sie mich berührt, kannst du dir denken .-)


Aber die Straßenbahn (in Berlin S-Bahn, da wo ich herkomme, ist die S-Bahn eine Schnellbahn) mit der Nummer 20 haben alle immer "die Zwanzig" genannt. Sie fährt von der Warschauer Straße bis... Ja wohin eigentlich?


komisch, die s-bahn ist m.e. in berlin die stadtbahn, die straßenbahn heißt tram - auch wir sagten immer "die zwanzig" - nun immerhin bis auf die warschauer brücke verlängert (die weiterführenden geleise nach kreuzberg liegen seit 12 jahren unbenutzt in der fahrbahn der oberbaumbrücke), zweite endstation ist der nordbahnhof.

danke für diesen text -
aram

p.s. falls du nun im november wie geplant nach berlin kommst, würde ich sehr gern mit dir im bötzowviertel auf ein grolsch gehen...
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.11.2006, 11:30

Lieber aram,

vielen Dank für Deinen freundlichen Kommentar. Ich bin vor ein paar Jahren mehr oder weniger ins Bötzowviertel geraten. Eigentlich wollte ich gar nicht so recht nach Berlin. Allerdings traf ich damals (aus Liebe, ich gestehe es) eine ziemlich schwachsinnige Entscheidung und landete eben dort. Wichtiger als der Ort sind immer die Personen, die dort leben. Für mich beklagt dieses Gedicht den "Heimatverlust", der durch die Trennung von einer geliebten Person zustande gekommen ist.

Es freut mich besonders, dass Deine und Max' Lesart mir eine gewisse Authentizität bescheinigen. Was die Bezeichnung der Bahnen betrifft, so hat sich bei mir der Essener Sprachgebrauch festgesetzt. Deshalb war ich, als ich nach Berlin zog, von Anfang an exotistisch überrascht.

Zu Deinem P.S. mehr per PN.

Grüße

Paul Ost


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