Vom Tod und den treibenden Menschen

Peter

Beitragvon Peter » 18.11.2006, 04:57

Vom Tod und den treibenden Menschen


Was für mich Tod bedeutet, ist: in die Welt geblickt zu haben, und nichts gesehen zu haben, außer die plakativen Kulissen, das Stellwerk aus Flächen, wie sie ein Feininger malte, die aber nicht leuchten, nicht leuchten wollen, sondern übergehen in aller Summe in ein Grau.

Das bedeutet für mich Tod: Jene Glaspaläste zu sehen, durch die sich die Sonne bricht; eine Architektur, wie von einem Kind geschnitten; ein Scherenschnitt aus Hochglanz, dessen Schnipsel jemand aufhob und zur Welt machte. Das bedeutet für mich Tod: immerfort zu fallen, nirgends zu finden; verloren zu gehen in den Geistern heller Räume, durch die Stockwerke zu steigen so verlor’ner Sicht; durch das Licht zu fallen, das Glitzern einzuatmen, all jener fremden Worte; ihr abstraktes Geräusch, und ihre doch gänzliche Stille, rieseln zu fühlen durch mein immer mehr ausgehöhltes Gehör.

Was für mich Tod bedeutet, ist: jede Stofflichkeit zu verlieren. Nichts einatmen zu können, und nirgends, aus keiner Begegnung, wieder einmal zu fühlen, was ERDE heißt, was RUHEN ist, was SCHLAF bedeutet, oder was ein SICHERES wäre.

Ich stellte fest, dass darin mein Tod besteht: nichts fassen zu können, durch alle Dinge wie durch bloße Luft, und durch Menschen wie durch Spiegel zu gehen, ohne dass sich das Geringste unserer nicht mehr vorhandenen SEELE regt.

Darin erschöpft sich mein Gedanke: auf jene fernen Türen zu treffen, die man nicht erwartet, die alle Lichter und Dinge, und unsere Spiegelung, ins Feine gewoben aus der Tiefe, auflösen in ein Nichts. Aus diesem Wind, der jedes vertreibt, ziehe ich die bloßen Kleider. Und in diesen Kleidern merke ich den Tod und merke ich die Kälte, und merke einen Körper, der so hart geworden und so verloren scheint - und dessen Traum es ist: unmöglicher: Fleisch, Gestalt, Fühlen zu finden.

Tod ist: jenem Bezuglosen Zufall zu begegnen, den man nicht erwartet, der sich aber auftut als die ganze Welt. Unsre einst tiefen Gesichter, von der tiefsten der Spiegelungen bewahrt, unsre Einigkeit mit inn’ren Gedanken und unsre Aufsicht und Einsicht in die Nähe – schneit plötzlich als ein Winter daher, dessen einziger Grund, undurchdringlich, der aller Dinge Kälte ist.

Und ich sehe: Meine Seele stößt sich auf, wie ein gefrorenes Gefäß, und bleibt in Scherben liegen. Und wie ich suche, und heile, und schreibe, und denke, und durch mein Zerbroch’nes schlafe, was ich als die Summe war der Tiefe, und die Nacht im Gefäß, finde ich nicht mehr: denn mir fehlt das zurückkehrende Wort, und kann es, wo jene Horizonte liegen, des Zufalls, nicht finden.

*

Man sagt ja, der heutige Mensch sei schicksalslos. Er ist ohne Schicksal, weil er keine Verbundenheit aufweist, weder mit seinen Handlungen noch mit seinen Gedanken oder Worten. Ich selbst denke, dem heutigen Menschen könnte alles begegnen, und wäre es das heiligste Artefakt, der Schlüssel zum innersten Geheimnis, er würde dies nicht erkennen, er würde es ausstellen, in seine Beziehungslosigkeit, wie er es mit jedem tut.

Es gibt keine Worte mehr, als Worte des inneren Gedankens, da der Mensch, wie mir scheint, das Weben verlernte. Er kennt nicht mehr das Schweigen, das ihm Gestalt schuf; seine Hand verfährt im Leeren; seine einzige Gunst ist der Geruch; an was er sich hält, sind andere Bilder; über was er denkt, sind fremde Spiegel. Nie war ihm ungewisser, wer er ist. Er hat durch die Luft zu treiben, in einem Sommer verlorener Lüfte, über den Feldern, sich zu basteln aus den Strohhalmen, die der Wind ins Ferne treibt…
Zuletzt geändert von Peter am 20.11.2006, 15:20, insgesamt 2-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 24.11.2006, 14:18

Liebe Magic,


"...und zwar immer dann, wenn deine Zeilen wie in einem abstrakten Guss regelrecht fließen, wie eine Fontäne sprudeln, ohne, dass sich ein einziger Tropfen dabei verliert."

Ich hab den Satz tief in mich hineingeschrieben, bis hin zu den Lebensgründen. Danke.


Und hallo Gerda!

Ein lebloses Leben ist nicht tot?

Und zu den Rechtschreibfehlern, Liebe, ich weiß, auf den ersten Blick, aber... es muss auch den zweiten Blick geben. Zum Beispiel im ersten Absatz: "...die aber nicht leuchten, nicht leuchten wollen...", das bezieht sich natürlich auf die Kulissen, nicht auf die Bilder von Feininger. Und dass ich im 6. Absatz schreibe: "...jenem Bezugslosen Zufall zu begegnen..." darf, wie ich glaube, wenn man will, schon erlaubt sein. Zum Beispiel schrieb auch ein Novalis manchmal seine Adjektive groß, um ihre Bedeutung zu betonen, oder, wie hier in meinem Fall, das Besondere des Wortes hervorzuheben und dass es an der Stelle eben nicht die gebräuchliche, sondern die neue/neugeschaffene Bedeutung will.

Natürlich kann man dann immer sagen, das sei (orthographisch) nicht richtig, wenn der andere nicht versteht, bleibt nur der leere Verweis. Das ist eben die Frage, auf welche Ebene will man sich einigen? Weiß du, ich selbst habe lange schon keine Lust mehr, richtig zu schreiben. Vielmehr möchte ich die Sätze komprimieren, die Satzstrukturen verschieben, ich möchte einem anderen Prinzip dienlich sein: nämlich dem Rhythmus - aber befördere dadurch allerhand Dinglichkeiten zutage, die tatsächlich wohl oftmals kaum zu erkennen sind.

Wo anders aber, wenn nicht innen, wären jene Rhythmen, die ich suche, und was anderes, wenn nicht das Innere, befördern sie, und was anderes, als wenn nicht das Geheimnis, wäre das? - Ob man aber dem Geheimnis allein mit einem ersten Blick gewachsen ist, wage ich zu bezweifeln.

Ach liebe Gerda, wenn ich nur ganz ganz falsch schreiben könnte, ich glaube dann wäre ich endlich ganz ganz wahr.

Viele Grüße
Peter

Gast

Beitragvon Gast » 24.11.2006, 16:23

Lieber Peter,

was soll ich darauf antworten? :confused:
Dient nicht die Sprache dazu, sich auszudrücken, sich verständlich mitzuteilen? Auch Auspropbieren, bis an Grenzen stoßen natürlich.
Sollte dir das "Mitteilen" nicht wichtig sein, kannst du natürlich so "falsch" schreiben wie du magst ;-)
Aber darum geht es letztlich nicht. Ich denke, du hättest den Text ganz sicher nicht hier gepostet, wenn er nicht auch zu einem "Verstehen" (ruhig auf den zweiten Blick) beim Leser führen sollte.
Sich der Stilmittel zu bedienen, Worte anders zu schreiben, als üblich und bekannt, bedarf es immer dann, wenn sich der Autor eine besondere Aufmerksamkeit (für den Text oder auch personenbezogen) wünscht.
Einerseits ein völlig legitimes Mittel, was jedoch nicht dazu führen sollte, dieses vordringlich einzusetzen, um sich damit so einen Art eigenen Stil anzueignen, indem man womöglich noch darüber die Textinhalte für vernachlässigbar hält.
Es ist für mich immer eine wichtige Frage, wenn ich vor einer Entscheidung stehe, "anders", meinetwegen in deinem Sinn "falsch" zu schreiben, ob der Text, das nicht auch "ohne" kann, nämlich meine Gedanken transportieren.
Ich reagiere auf eine besonderen Schrift(größe, farbe) immer sehr distanziert, weil ich hinterfrage: Ist das nötig, wozu? Ist sich der Autor nicht sicher?
So etwas ist fast immer künstlich, und deshalb ist Überdenken und sparsamer Umgang angesagt.
Nun denn, ich hoffe allerdings auch, immer verstanden zu werden, also möchte ich niemals so schreiben, (können) dass ich nicht verstanden werde.
Mich muss nicht jeder verstehen, das wäre auch nicht gut, wenn ich jedoch einen Text veröffentliche, möchte ich vielleicht nach Auseinandersetzung, aber doch ein Verstehen erreichen.
Wenn das von dir nicht angestrebt ist, was ich aber zu bezweifeln wage, dann nur zu :-).
Diese Ausführungen haben nur am Rande mit dem Bekritteln deiner Schreibfehler zu tun, aber das dürfte klar sein.
Gern hätte ich zu den anderen Punkten etwas von dir gehört.
Also frage ich: Ist dieser Text für dich fertig?

Liebe Grüße
Gerda

PS Ein lebloses Leben führen ist so ähnlich wie Tot-Sein, nur dass derjeninge noch nicht gestorben ist.

Peter

Beitragvon Peter » 24.11.2006, 19:21

Hallo Gerda,


du schreibst: "Dient nicht die Sprache dazu, sich auszudrücken, sich verständlich mitzuteilen?" Nicht böse sein, aber (für mich) beruht diese Aussage auf einer gewissen Naivität, weiter aber gesehen (wiederum für mich), steht deine Aussage für etwas Furchtbares, weil sie nämlich technokratisch ist. Wort, Ausdruck, Funktion sollen hier ineinandergreifen zur bloßen Information - aber ich denke, würden wir so, ganz so tatsächlich sprechen, in und hinter unseren Worten würde es klicken, rattern, wir würden nur noch vom Wetter und von Klischees sprechen. Das hast du sicher nicht gemeint, es kommt mir nur so vor.

Ich will eher an eine gewisse Naivität glauben (wieder nicht böse sein, denn für mich ist "Naivität" ein positives Wort). Schön, wenn man so glauben kann, denken kann, dass es die Sagbarkeit gibt, und damit also das Verständliche. Gerade vom Wort glaube ich, ich selbst, viel mehr, dass es sehr absurd ist, dass es vielleicht überhaupt kein Verstehen dafür gibt, sondern nur einen gewissen Aufenthalt: Weil die Wände sich ähneln im Menschenhaus, verstehen wir uns, aber in Wahrheit treibt dieses Haus, wir wissen in welchen Fernen. - Du sprichst vom Ausprobieren und von Grenzen. Wo sind die... wenn nicht, als wenn nicht, in deinem (bitte postiv, ich habs ja auch:) naiven Gemüt.

Aber was das Wort ist, und ob wir es denn finden, indem wir uns verstehen?

-

Zu deiner Frage: "Ist dieser Text für dich fertig?". Er ist nicht fertig, und er ist doch fertig. Ich möchte behaupten, er war gewesen, und er wird sein. Er ist unterwegs. Oberflächliche Korrekturen (im Menschenhaus) werden ihm nicht helfen. Aber, Gerda, sei doch ein Engel und korrigiere ihn in die Wahrheit. Wenn wir das könnten...

Liebe Grüße
Peter

Gast

Beitragvon Gast » 24.11.2006, 19:34

Lieber Peter,

ich denke wir könnten unser "Gespräch" seitenlang weiterführen, ohne dass wir eine gemeinsame Schnittstelle finden würden. Das kann durchaus interessant und bereichernd sein. Aber du klingst müde im Ton. Ist es die Müdigkeit, des jenigen, der sich immer wieder erklären muss? - Verzeih die Unterstellung.
Eines möchte ich gern los werden.
Ich bin weder technokratisch, noch naiv in dem Sinn, an die "Macht" des Wortes, als Begriff und Mittel zur Konversation und zum Verstehen zu glauben.
Aber Worte helfen, sie können Brücken und/oder auch Krücken sein.
Ich kann da nur sehr hilflos auf meine im Blauen Salon geposteten Texte verweisen, die ich nicht hätte schreiben können, wenn ich Worte, Sprache nur rein technisch verstehen würde und nicht darüber hinaus auf ein tieferes Verstehen vertrauen würde, was ja dem deinen nicht entprechen muss.

Liebe Grüße
Gerda

Peter

Beitragvon Peter » 24.11.2006, 19:45

Ja Gerda,

das mag sein. Aber müde bin ich noch nicht.

Bis dann einmal,
liebe Grüße
Peter


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 3 Gäste