Ernst Barlach: Die lesenden Mönche

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 20.05.2006, 23:57

Die lesenden Mönche III
(Nach einer Skulptur von Ernst Barlach)


Nichts ist so leicht, wie’s auf dem Einband schien.
Das Buch, es lastet mit der ganzen Schwere
jahrtausendalter überbrachter Lehre
fordernd diesen Mönchen auf den Knien.

Staunend, fragend nähern sie sich Ihm.
Ein einzig Wort kann hunderttausend nähren,
doch ist’s ein hartes Brot, davon zu zehren.
Mal scheint’s sich aufzudrängen, mal zu fliehn.

Gut dreißig mal sollst du den Bissen kauen.
Freu dich, frage, bitte oder büße;
Brich der Menschensprache Schale auf,

so wirst du hinterm Wort die Wahrheit schauen.
In allen deinen Sinnen geht sie auf,
in Klang und Bild und unerlebter Süße.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.05.2006, 16:58

Hallo ZaunköniG,
erst einmal ein herzliches Willkommen ! §blumen§

Schön, wie sich hier Texte zu Barlach-Figuren einfinden (Max hat auch schon einmal drei Skizzen dazu eingestellt).

Dein Sonett empfinde ich als gelungen! Auch wenn in meinen Augen auf dem Bild das Buch von den beiden nicht als schwer empfunden wird, sondern im Gegenteil, ganz leicht gehiben ist um es dem "anderen" zu zeigen...

Ein wunderschöner Einstand §blumen§

Lisa

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 21.05.2006, 22:18

Hallo Lisa, danke für dein Lob und deinen Kommentar.

Mit der Schwere des Buches ist natürlich nicht das physische Gewicht gemeint, auch wenn es ein recht dicker Wälzer ist. aber in der Tat kann man die Situation verschieden interpretieren.

Der zeigende (linke) Mönch hat für mich schon einen erstaunten bis erwartungsvollen Gesichtsausdruck. Aber warum? Will er dem anderen etwas erklären und schaut, ob sein Argument, die gefundene Textstelle, auch den anderen überzeugt? Oder ist er selbst ein Fragender und der andere muß sich, bevor er antwortet erst in den Text hineinfinden?

Mein erster unmittelbarer Eindruck (Bei der Barlach-Ausstellung bei uns in Burgdorf) war eher letzterer, aber Barlach selbst hat ja keine Interpretationshilfen mitgegeben.

Danke auch für den Hinweis auf Max' Skizzen. Ich mache mich gleich auf die Suche.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.05.2006, 10:16

Hallo Zaunkönig,
natürlich meinte ich auch die Schwére des Buches im übertragenden Sinne. :smile:

Zu der Situation: Ich habe die Figur leider nie als Figur wirken sehen können, ich kenne sie nur durch diese Photographie. Daher hast du antürlich viel genaueres und zutreffenderes Sinnes-Material als ich.

Auf mich wirkt die linke (Betrachterperspektive) Figur wie jemand, der schon weiß, was in dem Buch steht...das Gesicht ist so frei (entspannt) wie das aufgeschlagende Buch, wodurch das Gesicht durchaus fragend wirken kann, es aber nicht gezielt ist, sondern eher notwendig.


Am gelungensten empfinde ich die Haltungen, die die beiden einnehmen. Sie wirken als seien sie "innigste Freunde" (wobei es darum wohl nicht geht, aber diese geistige Nähe ist KÖRPERLICH ausgedrückt..das finde ich sehr gelungen.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 23.05.2006, 20:59

Ja, die Haltung der beiden ist sehr vertraut, obwohl es zwei so verschiedene Typen sind. Aber das macht Barlach aus. Er idealisiert nicht, er charakterisiert. Nichts an seinen Figuren ist zufällig. Mimik und Gestik sowieso, aber auh die Physionomie der beiden ist genial. Links der vergeistigte Theologe, der Träumer oder Visionär, der eine neue Wahrheit in den Worten spürt, sie aber nicht nahtlos in seine bisherige Theologie einfügen kann. Daneben der erdige Gemütsmensch und Pragmatiker, man kann ihn sich auch als Bierbrauer vorstellen. Und sie streiten nicht um den rechten Weg, sondern ergänzen sich.

Im Original sind die Figuren natürlich noch eindrucksvoller. Vor allem die Augen des linken Mönches kommen auf den Bild nicht gut zum Ausdruck.


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