Mann und Weib

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 14.05.2006, 16:16

Mann und Weib

Vergängliche Sandskulptur in der Gezeitenzone des Strandes der Nordseeinsel Juist

von Thomas Milser


Bei Niedrigwasser wird in der Gezeitenzone des Sandstrandes eine Spirale aus Sand konstruiert.
Der geometrische Aufbau basiert auf der Zahlenreihe von Fibunacci (1:2:3:5:8:13:21:34...).
Die Spirale symbolisiert als altes kultisches Symbol die Weiblichkeit, die Fruchtbarkeit, das Unendliche.

Die Öffnung der Spirale wendet sich dem offenen Meere zu.
In ihr ruht in Erwartung der Flut eine überlebensgroße, männliche Figur aus Sand mit erigiertem Penis. Der Kopf weist in das Innere der Spirale, die Füße wenden sich dem Meer zu.
Der Mann wird durch das einlaufende Wasser symbolisch in den Leib der Frau gespült.

Die gesamte Installation wird als Zeichen der Vergänglichkeit durch den Kreislauf der Gezeiten wieder zerstört.
Die Sehnsucht bleibt.

Bild
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 12.08.2006, 07:58, insgesamt 1-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 14.05.2006, 20:39

Ich grüße den Strandkünstler!

Wahrscheinlich bin ich eine furchtbare Banausin, aber es bringt mich doch sehr zum Lachen, was Du da geschaffen hast.

Was meinst Du mit "Die Sehnsucht bleibt." ?

Dass die Gezeiten die "beiden" auslöschen, ist aber sehr eindrucksvoll!

Aber allein schon das Wort "Weib" schreckt mich ab.

Wie lange hat es gedauert dieses Werk zu formen?

Es ist interessant.

Abendgrüße, louisa

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 14.05.2006, 23:07

Hallo Louisa.

Na, dann will ich der 'Banausin' mal ein wenig Begleithilfe geben:
Vielleicht erstmal zu meinem Kunstbegriff: Es geht in der Kunst nicht um das fertige Objekt, das man zur Schau stellen und verkaufen kann. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Es geht mir ausschließlich um den Schöpfungsakt, dem Verarbeiten innerer Unlösbarkeiten (Manche, wenn nicht gar viele Autoren schreiben aus eben diesem Grunde). Deswegen auch gerne vergänglich, nur für einen Moment greifbar. Die Einsamkeit bleibt, weil sie auch vorher da war. Der Kunstakt kann natürlich die Probleme nicht vollständig lösen. Er ist nur ein Versuch, das Gefühl für sich selbst zu verarbeiten, es ein Stück weit fassbarer, dinglicher zu machen. Man nimmt sich auch nicht vor: Soooo, heute machen wir mal eine schööööne Spirale....Es treibt den kreativen Menschen einfach dorthin, es ist ein bisschen auch zwanghaft.

Und Entbehrung (hier: der Liebe, der Geborgenheit) ist nun wirklich kein angenehmes Gefühl, und jeder ist bestrebt, es abzustellen.
Die sinnbildliche Rückkehr des Menschen (hier des Mannes) in den Leib der Frau halte ich wohl für eines der stärksten Bilder, um dies zu materialisieren.

Wenn man aus der Nacht heraus an einem eiskalten, menschenleeren und sturmgepeitschten Strand die Spirale konstruiert und sie dann gegen Mittag wieder zerstört wird, ist das schon bewegend, jedenfalls für mich. Damit hätten wir auch deine Frage nach der Dauer des Erbauens geklärt. Da es wie beschrieben in der GEZEITENZONE entstand, kann die Arbeitszeit nicht länger als eine halbe Tide dauern, da das Wasser ja erstmal weg sein muss, bevor man anfangen kann. Da eine Tide bekanntlich ca. 12 Stunden und 25 Minuten dauert, hat man bei einer halben folglich ca. 6 Stunden und 12,5 Minuten Zeit, bis das Wasser wiederkehrt. Und wenn man vor lauter Sandverwehung die Konstruktionspunkte der Spirale, die ausschließlich mit Seilen und Pflöcken geometrisch auf den Zentimeter genau konstruiert ist, nach ein paar Minuten nicht mehr wiederfindet, kann man sogar ins Schwitzen geraten. Zumal die gesamte Installlation ca. 20 Meter groß ist und der nasse Sand knochenhart. Das kann dann auch bestimmt von außen betrachtet sehr ulkig aussehen. Ist es aber gar nicht.

Guats Nächtle,
der Tom.

p.s. Frage an alle: Könnte Ihr das Foto eigentlich alle sehen? Hab gerade gelesen, dass eingefügte Fotos eine html-Quelle haben sollen. Dies hier ist aber von Festplatte???!!!???
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.05.2006, 02:07, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.05.2006, 10:05

Hallo Tom,

erst einmal: Alle EINGELOGGTEN User können das Bild auch sehen :grin: .


Zu deiner vergänglichen Installation: Kustwerke schaffen die vergänglich sind und wobei die Vergänglichkeit auch eine Rolle spielt für das Verhältnis von Künstler und Kunstwerk (nämlich eine andere als ein Gottesverhältnis), das sagt mir mehr als zu.

Auch die Sehnsucht bleibt, natürlich! Aus dieser heraus entsteht Kunst ja unter anderem...doch, das kann ich mehr als gut nachvollziehen.


Zu der Installation selbst: Mir ist die Gestaltung des Themas etwas zu archaisch. Genau wie Louisa gefällt mir natürlich, dass die beiden vom Meer ineinander gespühlt und vernichtet werden. Geade weil ich das Meer so sehr liebe und die Liebe natürlich auch...

Die Frau ist mir allerdings zu mutterhaft (das erinnert mich zu strak an die Riesenvaginafiguren von Niki de Saint Phalle (die in jüngeren Jahren übrigens GANZ was anderes gemacht hat). Diese Größe, dieses runde riesige Gefäß, in das der kleine Mann hineingeschwemmt wird...die Frau als weites, gut und natürlich berechnetes Labyrinth, so sehe ich mich nicht mehr. Und auch den Mann als einen solchen wahrzunehmen...

andererseits - wer weiß: Vielleicht ist dieses Empfinden, dieser Blickwinkel, immer noch einer, den die Männer emotional haben. Fühlst du das Verhältnis wirklich so? Kannst du es beschreiben?

Liebe Grüße,
Lisa

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.05.2006, 14:34

Liebe Lisa, es ist schön, dass Du Dir soviel Zeit nimmst, Dich mit meinem Werk zu beschäftigen, dann möchte ich auch gerne ausführlich darauf antworten.

Lisa schrob:

Die Frau ist mir allerdings zu mutterhaft (das erinnert mich zu strak an die Riesenvaginafiguren von Niki de Saint Phalle (die in jüngeren Jahren übrigens GANZ was anderes gemacht hat). Diese Größe, dieses runde riesige Gefäß, in das der kleine Mann hineingeschwemmt wird...die Frau als weites, gut und natürlich berechnetes Labyrinth, so sehe ich mich nicht mehr. Und auch den Mann als einen solchen wahrzunehmen...

Tom sagt:

Ich komme ja aus der schönen Stadt an Rhein und Ruhr, in der der 'Livesaver' von Niki steht, und dieses Bild trifft es schon sehr gut. Das mit der Riesenvagina wäre auch nicht meine Gestaltungsabsicht gewesen. Durch die naturbedingte Kürze der Bauzeit (siehe oben: Tide...) und das Ich-Bezogene (auf die Mannsfigur) sah ich die Abstraktion als geeignet an. Die Spirale ist im Übrigen aber eher das Gegenteil eines Labyrinthes, sie ist klar orientiert und harmonisch proportioniert. Sie erzeugt auch eine gerichtete Dynamik in ihr Inneres, einen Sog gewissermaßen, der die Bewegung, in diesem Fall die Rückkehr in den Mutterleib, das höchste Maß an (vermisster) Geborgenheit, für mich symbolisierte. Ebenso liegt der Urform der Spirale ja die Unendlichkeit und Bewegung des Universums zugrunde. Ich hatte gehofft, dass gerade durch diese Abstraktion dieses von Dir angesprochene Frauenbild nicht zu wörtlich genommen wird.

Lisa schrob außerdem:

andererseits - wer weiß: Vielleicht ist dieses Empfinden, dieser Blickwinkel, immer noch einer, den die Männer emotional haben. Fühlst du das Verhältnis wirklich so? Kannst du es beschreiben?

Dazu sagt Tom:

Ich weiß nicht, wie der emotionale Blickwinkel der Männer ist O:) . Gibt es den denn überhaupt so aus der Schublade? Was mag der Hooligan denken? Der Triebtäter? Die Transe?

Ich denke aber, dass die Figur, die in den abstrakten Mutterleib gespült wird, geschlechtsunabhängig ist. Könnte sich nicht auch eine Frau wünschen, im übertragenen Sinne dorthin zurückzukehren, wenn das Leben ihr zu übel mitspielt, wenn ihr die ganze Kälte der Einsamkeit ins Antlitz bläst?

Herrgott, ich sitze am PC und muss eigentlich Geld verdienen, stattdessen schreibe ich lieber Aufsätze über die Kunst. Der Blaue Salon wird mich noch um Kopf und Kragen bringen, so toll, wie man sich hier austauschen kann :grin: :grin: :grin: :grin: :grin:

Es macht echt schon und endlich wieder richtig Spaß, in einem Forum zu arbeiten...

Macht nur so weiter, Ihr werdet schon sehen, wohin das noch führt.... :grin: :grin: :grin: :grin: :grin:

Ganz liebe Grüße und herzlichen Dank für die fruchtbare Auseinandersetzung,

Tom.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.05.2006, 16:03

Hallo Tom,

dann will ich dich mal weiterhin vom Arbeiten abhalten (wie schön, dass du dich hier so wohl fühlst).

vielleicht hast du Recht. Vielleicht betrachte ich Dinge zwischen Mann und Frau, die ich als archaisch einordne, zu klischeehaft. Wir haben "solche" Themen oft in der Schule durchgenommen und die Interpretationen waren alle so eingängig (im wörtlichen Sinne). Natürlich gibt es also auch keine rein männlich,weibliche Sichtweise...trotzdem denke ich, dass viele Einzelheiten verschieden empfunden werden und dadurch auch die Gesamtsicht manchmal sehr unterschiedlich sein kann. Ich wäre schon neugierig, ob es völlig anders wäre, ein Mann zu sein :grin:

Für mich ist das so angewandte Fibonatschi-Prinzip schon ein Lybyrinth, aber ein besonderes, ein (wie ich schrieb) natürliches...ich habe Spiralen immer als eine Art Labyrinth aufgefasst, vielleicht wegen ihres unaufhaltsamen Sogs.

Vielleicht bin ich an zu weit entfernt von ursprünglichen Empfindungen um diesen kleinen Mann zu verstehen, ich habe (noch) keine Kinder oder dergleichen...vielleicht bin ich zu sehr Individuum um das zu verstehen.

Ich denke aber, dass die Figur, die in den abstrakten Mutterleib gespült wird, geschlechtsunabhängig ist. Könnte sich nicht auch eine Frau wünschen, im übertragenen Sinne dorthin zurückzukehren, wenn das Leben ihr zu übel mitspielt, wenn ihr die ganze Kälte der Einsamkeit ins Antlitz bläst?


Hm, ich habe mir noch nie gewünscht, in den Mutterleib zurückzukehren...(weder so platt wie es sich wörtlich anhört, wenn ich das entgegne, noch im übertragenden Sinn). Mein Wunsch beschützt zu werden, geborgen zu sein (Übrigens ein guter Titel für deine Installation O:) ) ist anders...ich denke da eher an einen Mann und wie er sein müsste...

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.05.2006, 16:25

Ist Dir gelungen, mich vom Arbeiten abzuhalten... :grin:

Na, wie stellst Du Dir denn den Mann - oder besser für alle Fälle: Partner - vor? Dürfte der auch mal so richtig schwach sein? Ich finde, da beginnt erst wahre Stärke und Tiefe, wenn man ganz klein sein kann (vgl. Wettbewerbsbeitrag 'Im Fluss'), egal, ob mit Schniedelchen oder ohne.

Ich bin auch fest davon überzeugt, dass man 'solche Themen' nicht in der Schule durchnehmen kann. Ich meine, sicher kann man das wohl, aber wo soll denn da die Emotion herkommen? Und der nötige Schmerz, der Einen erst zum Kunstmachen treibt? In der bloßen Theorie ist man da schnell in so Schublädchen.

Kann ja auch daran liegen, dass ich nicht mehr so ganz der Jüngste bin, und die eigenen Lebenserfahrungen spielen bei solchen Kunstansätzen natürlich immer eine große Rolle. Da muss jeder auf seine innere Festplatte zugreifen, da gibt's - glaube ich - keine Allgemeinplätze.

Das Fibunacci-Prinzip hat übrigens nicht direkt etwas mit der Form zu tun. Es ist eine reine mathematische Zahlenreihe, wobei jeweils die folgende Zahl Summe der beiden vorhergegangenen ist. Die speziele Konstruktion der Spirale hier beruht auf der Aneinanderreihung von Viertelkreisen, die sich jeweils um einen Eckpunkt von Quadraten mit den nach der Zahlenreihe ansteigenden Seitenlängen spannen. Dies ist eine mögliche Form, Spiralen zu konstruieren. Es gibt aber noch zahlreichher andere mathematische Ansätze.

So, Feierabend!!! Werd noch schnell ein paar Pflanzen mit Tunke essen (manche sagen dazu Salat) dann mach' ich mich schick und geh' ins Maxim. Heut gibts um die Ecke Kleinkunst. Morgen wieder Großes! Ein Hoch auf die Vielfältigkeit!!!

Gruß, Tom


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